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KULTUR/1034: Berlin - Robin Hood läßt grüßen ... (SB)



Die soziale Verwaltung der neoliberalen Stadt durch das sogenannte Quartiersmanagement hat bei denjenigen, die nicht danach gefragt wurden, ob sie gemanaged werden wollen, einen schlechten Ruf. Was heute unter dem Obertitel "Soziale Stadt" firmiert, bringt häufig Aufwertungseffekte hervor, die zur Verdrängung sozial schlechter gestellter Wohnbevölkerungen durch gut betuchte MieterInnen oder HauskäuferInnen führen kann. Das Ziel, sogenannte Problembezirke oder soziale Brennpunkte mit Kulturprogrammen, der Bereitstellung von Räumen für Kunstprojekte oder Einrichtung von Bürgerforen von sozial Randständigen, Sexshops, illegaler Prostitution, öffentlichem Alkohol- oder Drogenkonsum zu befreien, kann Stadtteile mit noch erschwinglichen Mieten in neue Zentren der Immobilienspekulation und angesagter Szenetreffs verwandeln. Anstatt der angeblichen Problembevölkerung mit aktiver materieller Unterstützung unter die Arme zu greifen und das wie auch immer geartete Übel an seiner kapitalistischen Wurzel zu packen, wird der schöne Schein aufpoliert. Wer gegen diese Form der Gentrifizierung Widerstand leistet, hat mit polizeilicher Repression zu rechnen.

Paradebeispiel der breit orchestrierten Transformation sozial prekärer Stadtviertel in Szeneviertel, wo wie aus dem Nichts Immobilienblasen elegante Eigentumswohnungen und hochpreisige Einkaufsgelegenheiten entstehen lassen, ist der Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg. Als dort 1999 ein Quartiersmanagement eingeführt wurde, wurde mit neuen Möglichkeiten der aktiven Beteiligung an der Gestaltung der Stadt geworben. Im Unterschied zu selbstorganisierten Prozessen, bei denen sich die Bevölkerung ohne administrative Aufsicht nach eigenem Gutdünken überlegt, wie sie ihre Lage verbessern kann, haben sich Bürgerbeteiligungsverfahren und Partizipationsstrukturen jedoch als probates Mittel erwiesen, etwaigen Widerstand durch symbolpolitische Aktionen und interessenbedingte Spaltungsstrategien zu unterlaufen. So wurde aus einem der ärmsten Bezirke Berlins innerhalb eines Jahrzehntes eine der reichsten Wohn- und Arbeitsmeilen der Hauptstadt.

Rund 80 Prozent der BewohnerInnen wurden in diesem Prozeß ausgetauscht. Die von Sozialtransfers und prekärer Arbeit lebende Bevölkerung wich in Bezirke aus, in die das Sozialengineering der neoliberalen Stadt noch keinen Einzug gehalten hatte, und ein kapitalkräftiges Publikum zog in rundum renovierte Wohnungen und kernsanierte Häuser ein. Den neuen Reichtum zelebrierende Boutiquen, Gastronomien und Trendbetriebe schossen wie Pilze aus dem Boden, zu Geld gelangte HausbesetzerInnen schlossen sich zu Baugruppen zusammen, um selbst in die Klasse der EigentümerInnen aufzusteigen, und in den Parks und Straßen des Viertels ist die neue Boheme mit allen angesagten Lifestyleattributen so präsent wie das urbane Subproletariat, das den Prenzlauer Berg mit Leben von unten erfüllte, abwesend.

Wenn am 1. Mai dieses Jahres das Quartiersmanagement Grunewald zu einer Demonstration in das Berliner Villenviertel aufgerufen und es zum "Problembezirk" erklärt hat, dann war das eine der ansprechenderen Antworten, die auf den sozialchauvinistischen Charakter des nicht nur vom "Markt", sondern ganz konkreten KapitalistInnen vorgenommenen Austausches der Berliner Bevölkerung gegeben werden kann. Probleme machen in deren Augen natürlich stets die anderen, und auf MigrantInnen wird mit dem Finger gezeigt, weil sie es vorziehen, sich nicht als "Ausländer" rechtfertigen zu müssen und unter sich bleiben. Dabei ist die Klasse der EigentümerInnen und Reichen seit jeher eine von besonders hohen, stacheldrahtbewehrten Mauern umgebene Parallelgesellschaft. Das bekam das selbstorganisierte Quartiersmanagement Grunewald schon im Vorjahr zu spüren. So berichtete eine Aktivistin [1], daß 2018 sogar von Landfriedensbruch die Rede war, als auf der Demo durch das Villenviertel Konfetti geworfen und Sticker verklebt wurden. "Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg" - dieses Motto mag die Bevölkerung des Stadtteils aufgeschreckt haben, ist sie es doch aufgrund des dort herrschenden Mietenniveaus nicht gewohnt, auf den Straßen vor ihrem Haus andere Menschen zu sehen als ihresgleichen.

So wurde das von "Wohlstandsverwahrlosung" betroffene Problemviertel dieses Jahr nicht von vandalisierenden Horden heimgesucht, sondern einem in Feierlaune beschwingt zu den lauten Klängen des Lautsprecherwagens tanzenden Demonstrationszug von rund 7000 Menschen. Die Polizei zeigte viel Präsenz, selbst ein Hubschrauber war im Einsatz, um eine Wiederaneignung des in Berlin-Grunewald angehäuften Reichtums durch alle BürgerInnen des Landes im Notfall zu verhindern. Menschen wurden festgehalten, weil sie eine kindersichere Bastelschere mit sich führten, Aufkleber in der Tasche hatten oder AfD-Plakate demontierten. All das tat der guten Stimmung und dem festen Willen, Solidarität mit Grunewald zu üben, indem etwa kräftige Mietensteigerungen gefordert wurden, keinen Abbruch.

Das mit autonomen StreetworkerInnen zur lange überfälligen gesellschaftlichen Integration der Reichtumsbetroffenen angetretene Quartiersmanagement zog unter dem Titel "MyGruni befriedet erfolgreich den Grunewald!" [2] positive Bilanz zum Verlauf der Demo und des anschließenden BürgerInnenfestes. Dabei ließ man einige besonders einleuchtende und beliebte Forderungen, mit denen die Demonstration das Villenviertel aus seiner Isolation holen wollte, Revue passieren: "Liebe deinen Nächsten wie dein Auto", "Enteignung ist die vegane Alternative zur französischen Lösung", "Keine Gewald im Grunewalt", "Krieg den Hütten, Paläste für alle!" oder "Achtung, gefährliche Parallelgesellschaft" - dem rhetorischen Streitpotential sind keine Grenzen gesetzt. Was könnte - bis auf ihre unumkehrbare Überwindung - schöner sein, als die Definitionsmacht der EigentümerInnenklasse so sehr ins Mark zu treffen, daß von ihrem Standesdünkel und Distinktionsstreben nichts als die Lächerlichkeit besagter Reichtumsverwahrlosung bleibt.


Fußnoten:

[1] https://www.jungewelt.de/artikel/354172.villenviertel-ist-für-uns-problembezirk.html

[2] http://mygruni.de

10. Mai 2019


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