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KULTUR/1046: Klimaschutzbewegung - Stolperstein Rassismus ... (SB)



Los, Genossen, Europa hat endgültig ausgespielt, es muß etwas anderes gefunden werden. Wir können heute alles tun, vorausgesetzt, daß wir nicht Europa nachäffen, vorausgesetzt, daß wir nicht von der Devise besessen sind, Europa einzuholen.
Frantz Fanon - Die Verdammten dieser Erde [1]

Das Entfernen der ugandischen Klimaaktivistin Vanessa Nakate aus einem Gruppenfoto von fünf wegen ihres Engagements für Klimaschutz zum World Economic Forum (WEF) eingeladenen Aktivistinnen hat daran erinnert, daß Rassismus nicht nur in der medialen Berichterstattung, sondern auch in Umwelt- und Klimaschutzbewegungen selbst ein Problem sein kann. Die Nachrichtenagentur Associated Press hat das Foto, aus dem Nakate entfernt worden war, durch eines ersetzt, auf dem sie in der Mitte der gleichen Gruppe zu sehen ist, allerdings erst, nachdem die betroffene Aktivistin in einem Tweet nach den Gründen für ihre Entfernung aus dem Bild gefragt hatte. Jetzt kenne sie die Definition von Rassismus, so die junge Frau aus Kampala, die in den Schweizer Alpen erleben mußte, daß ihre Anwesenheit nicht nur aus dem Bild geschnitten, sondern auch auf der dazugehörigen Pressekonferenz durch AP verschwiegen wurde. Zudem war die Teilnahme der als Begründerin der Aktionsgruppen Youth for Future Africa und Rise Up Movement eigens nach Davos eingeladenen Aktivistin an mehreren Workshops und Panels in der allgemeinen Berichterstattung über das weltweit wahrgenommene Treffen kaum auszumachen.

Das Ausblenden nichtweißer KlimaaktivistInnen in den Medien ist jedoch nur ein Oberflächenphänomen, dessen strukturelle Grundlagen auf eurozentrischen und kolonialistischen Sichtweisen beruhen, die auch in Teilen der von weißen AktivistInnen dominierten Klimaschutzbewegungen Europas wie Nordamerikas endemisch sind. Die in den USA in der Klimaaktionsgruppe Zero Hour aktive Latina Jamie Margolin bestätigte gegenüber dem Guardian, daß der Ausschluß von nichtweißen AktivistInnen Ausdruck einer Kultur der Ignoranz gegenüber randständigen Gemeinschaften sei, die überdurchschnittlich von der Klimakrise betroffen seien. Sie habe erlebt, daß nichtweiße AktivistInnen in den Videoclips und Transkripten von Treffen, die sie mitunter selbst organisiert haben, nicht mehr präsent waren. Rassismus und Klassismus seien Ausdruck der Tatsache, daß Umweltaktivismus vom europäischen Einfluß auf die Welt bestimmt sei und nicht umgekehrt. Die Menschen des Globalen Südens hätten sich daran gewöhnt, daß ihre Perspektiven nicht beachtet würden [2].

Der in den USA geprägte Begriff des Environmental Racism (Umweltrassismus) meint in erster Linie die Benachteiligung von People of Color (PoC) durch ihre überproportionale Betroffenheit mit Umweltgiften etwa bei der Ansiedlung die Luft besonders stark kontaminierender Industrien in unmittelbarer Nachbarschaft ihrer Wohnviertel oder anderer sozialräumlicher Bedingungen, in denen unterprivilegierter Zugang zu Wohnraum und Arbeitsmöglichkeiten mit besonders nachteiligen Umweltsituationen Hand in Hand gehen. Zahllos sind die Beispiele dafür, daß Indigene und AfroamerikanerInnen in ethnisch diversen Gesellschaften von den USA bis nach Brasilien nicht zufällig betroffen sind, sondern systematisch körperlich krankmachenden Formen des Umweltrassismus ausgesetzt werden.

Auf globaler Ebene wird dieses Gewaltverhältnis in der Klimakrise besonders sichtbar. Die von den Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffenen Bevölkerungen im Globalen Süden setzen die niedrigsten Emissionen an Treibhausgasen frei, weil sie bis heute nicht die industrielle Entwicklung des Globalen Nordens vollzogen haben, dessen Wohlstand auf der weit überproportionalen Inanspruchnahme der Atmosphäre als Deponie für die Abfallprodukte fossiler Energieerzeugung und industriellen Fortschrittes beruht. Die in Europa dominierende Wahrnehmung, bei dem die letzten anderthalb Jahre Schlagzeilen machenden Klimaaktivismus handle es sich um eine vorwiegend weiße Veranstaltung, wird zumindest von Teilen der Medien, Politik und Bewegung aus hegemonialen Gründen reproduziert. So ist die Klimaschutzbewegung sehr viel leichter den marktwirtschaftlichen Regulativen und Wachstumszielen des Grünen Kapitalismus zu unterwerfen, wenn die Forderungen des Globalen Südens nach radikaler Veränderung der herrschenden Produktions- und Konsumptionsverhältnisse nicht zur zentralen Prämisse des anwachsenden sozialen Widerstandes gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen erhoben werden.

Dies zu tun wird im Prinzip auch von der Klimagerechtigkeitsbewegung vertreten, doch es muß schon genauer hingeschaut werden, um die Frage beantworten zu können, wie gerecht die im Globalen Norden vertretenen Ziele des Klimaschutzes tatsächlich sind. Wenn dort von einem Budget von 340 Gigatonnen CO2 und seinen Äquivalenten ausgegangen wird, die weltweit noch freigesetzt werden könnten, um den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 1,5 Grad seit Beginn der Industrialisierung zu begrenzen, dann wird dabei nicht berücksichtigt, daß große Teile Afrikas schon unter der erreichten Erwärmung von 1,1 Grad aufgrund anhaltender Dürre unbewohnbar zu werden drohen. Die Unterstellung, es gäbe noch Zeit, in der man über die erforderlichen Maßnahmen nachdenken und diskutieren könnte, ist Ausdruck eines den Eigentums- und Funktionseliten eigenen Interesses an Bestands- und Herrschaftssicherung. Die hierzulande ins Auge gefaßten Dimensionen des Klimaschutzes gehen von der komfortablen Perspektive aus, erst wirklich auf existenziell bedrohliche Weise betroffen zu sein, wenn die Klimakatastrophe in anderen Weltregionen bereits die Lebensmöglichkeiten von Hunderten Millionen Menschen unumkehrbar zerstört hat.

Soziale Gerechtigkeit im Klimadiskurs kann mithin nur bedeuten, sofort alles zu unternehmen, um eine Entwicklung zum Schlimmeren zu verhindern. Die Aufhebung der kapitalistischen Orientierung auf Wachstum und Wettbewerb wäre in dieser Sicht kein idealistisches Fernziel, sondern unmittelbar umzusetzende Forderung. Eingedenk dessen, daß die industrielle Reichtumsproduktion des Kapitalismus nicht nur auf dem Konto in die Atmosphäre emittierter Treibhausgase immense Schulden angehäuft hat, sondern auf der Geschichte kolonialistischer Praktiken der Extraktion von Rohstoffen und Versklavung von Arbeitskräften im Globalen Süden beruht, die im neokolonialistischen Extraktivismus der Agrarindustrie und Bergbaukonzerne fugenlos fortgesetzt wird, ist Klimagerechtigkeit in erster Linie eine soziale Frage. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im ökosozialistischen Sinne wäre eine Möglichkeit, die Überwindung der kapitalistischen Eigentumsordnung als Voraussetzung für gelingenden Klimaschutz zu planen. Andere Konzepte betreffen individuelle Praktiken im radikalökologisch-anarchistischen Sinne oder kollektive Strukturen genossenschaftlicher Art, doch einig sind sich die sozialökologischen Entwürfe der radikalen Linken zumindest darin, daß Kapitalismus, Patriarchat, Antisemitismus und Rassismus zu den größten zu beseitigenden Hindernissen vor der Verwirklichung einer solidarischen Welt gehören.

Dies in einer Bewegung wie Fridays for Future zu erkennen scheint nicht selbstverständlich zu sein, wie zum Beispiel ein offener Brief des Bloque Latinoamericano Berlin an Fridays For Future Berlin und die deutsche Klimabewegung unter der Überschrift "Dekolonisiert euch!" zeigt [3]. Zwar wird der Kampf gegen deutsche Steinkohlekraftwerke auch mit Blick darauf geführt, daß an der in Kolumbien geförderten und in die Bundesrepublik exportierten Kohle das Blut zahlreicher AktivistInnen klebt, die dort im Kampf gegen die massive Zerstörung der Landschaft und Lebenswelten indigener Menschen ermordet wurden. Das ganze Ausmaß dessen, was die VerteidigerInnen des Landes und der Natur in Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens zu erleiden haben, und die Beteiligung der Bundesrepublik und EU an der Zuspitzung der im Interesse extraktivistischer Industrien und agrarindustrieller Importwirtschaft gegen sie ausgeübten Gewalt wird hierzulande jedoch viel zu wenig wahrgenommen und zur Sprache gebracht.

So berichtet Gilmar Mauro vom nationalen Vorstand der Landlosenbewegung in Brasilien, deren kleinbäuerliche Wirtschaftsweise der klimagerechte Gegenentwurf zum Raubbau der den amazonischen Regenwald zerstörenden Soja- und Rinderbarone ist, von der notwendigen Verteidigung gegen massive Angriffe auf ihre AktivistInnen: "Unter der aktuellen Regierung müssen wir unsere Basis besser schützen. Dabei geht es nicht nur um direkte Aktionen staatlicher Stellen, sondern vor allem um wildgewordene Landbesitzer, die sich mit neu legalisierten Waffen ermächtigt fühlen, gegen uns vorzugehen." [4] Die Ursachen für die Vertreibung und Ermordung indigener und kleinbäuerlicher AktivistInnen wie die Zerstörung des Regenwaldes Amazoniens sind hierzulande ebenso zu verorten wie in den Ausbeutungspraktiken der brasilianischen Klassengesellschaft.

Das verbindende Element des globalen Kampfes um Klimagerechtigkeit bedarf einer antikolonialen und antirassistischen Radikalität, die es sich nicht mehr leisten kann, AktivistInnen aus dem Globalen Süden in Deutschland zu diskriminieren, weil diese etwa solidarisch mit dem Kampf der PalästinenserInnen gegen den israelischen Siedlerkolonialismus sind. Allein die Tatsache, daß die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung weitgehend die Position der Bundesregierung teilt, in Solidarität mit Israel auch soziale Bewegungen, die im antikolonialistischen Sinne für die Beendigung der Besetzung der nach dem UN-Teilungsbeschluß als palästinensisch ausgewiesenen Gebiete eintreten, als antisemitisch zu brandmarken, beeinträchtigt die Zusammenarbeit mit vielen nichtweißen sozialen Bewegungen im Globalen Süden. Wenn KlimaaktivistInnen hierzulande eine Solidarität mit Israel propagieren, die die dortige Regierung auch dann unterstützt, wenn sie sich von weißen Faschisten wie Bolsonaro oder weißen RassistInnen aus dem Spektrum evangelikaler Sekten Rückendeckung verschafft, dann steht die Solidarität mit der brasilianischen Landlosenbewegung oder Black Lives Matter in den USA, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen, auf sehr wackligen Füßen.

Pauschal linken Antisemitismus zu unterstellen, wenn die Unterdrückung der PalästinenserInnen unter Verweis auf die rechte und reaktionäre Einstellung führender israelischer PolitikerInnen kritisiert wird, verunglimpft auch all jene jüdischen Israelis, die in ihrer auf dem Universalismus der Menschenrechte basierenden Kritik an der eigenen Regierung die Beendigung der Besetzung palästinensischer Gebiete verlangen. Gerade weil der Kampf gegen Antisemitismus so unabdinglich ist wie der Widerstand gegen jeden Rassismus, stellt seine Einbindung in kolonialistische und paternalistische Politikformen ein Problem dar, das mit pauschalen Verurteilungen eher verschärft denn überwunden wird. Wenn sich antifaschistische Praxis nicht mit Interessen gemein machen will, die faschistoide Entwicklungen tendenziell fördern, dann kann sie vor kolonialistischen und kapitalistischen Gewaltverhältnissen nicht die Augen verschließen. Dagegen mit linksradikaler Kompromißlosigkeit anzugehen schließt auch die Gefahr einer dem Vorwurf des linken Antisemitismus impliziten Querfrontbildung aus.

Den Problemen eines Globalen Südens gerecht zu werden, dessen Bevölkerungen schon jetzt zu den hauptsächlich Leidtragenden des Klimawandels gehören, bedarf der grundlegenden Kritik eurozentrischer Sichtweisen, neokolonialistischer Politik und weißer Suprematie auch unter Menschen, die meinen, People of Colour in keiner Weise auszugrenzen. Eine solche Haltung einzunehmen sollte einem Aktivismus, der die gesellschaftlichen Naturverhältnisse aus dem destruktiven Griff herrschender Produktionsverhältnisse und Reproduktionspraktiken befreien will, so leicht fallen wie alle Schritte individueller Emanzipation und kollektiver Befreiung.


Fußnoten:

[1] Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt am Main 1966, S. 239

[2] https://www.theguardian.com/world/2020/jan/29/vanessa-nakate-interview-climate-activism-cropped-photo-davos#img-1

[3] https://www.facebook.com/notes/bloque-latinoamericano-berlin/brief-an-fridays-for-future-berlin-und-die-deutsche-klimabewegung-dekolonisiert-/427388024605131/

[4] https://www.jungewelt.de/artikel/371724.wir-stellen-die-landfrage-wieder-in-den-mittelpunkt.html

2. Februar 2020


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