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KULTUR/1060: Michael Moore - den Nagel auf den Kopf getroffen ... (SB)



Wir müssen die Kontrolle über unsere Umweltschutzbewegungen und unsere Zukunft zurückerlangen von Milliardären und ihrem permanenten Krieg gegen den Planeten Erde. Sie sind nicht unsere Freunde. Weniger muß das neue Mehr werden. Und was den Klimawandel betrifft, gilt es zu verstehen, daß nicht das CO2-Molekül den Planeten zerstört, sondern daß wir das tun. Nicht nur ein Problem, sondern alles, was wir Menschen tun, ist verantwortlich für diese menschengemachte Apokalypse. Wenn wir Kontrolle über unser eigenes Tun erlangen, wird alles möglich. Aus dem Dokumentarfilm Planet of the Humans [1]

Eine kleine journalistische Sensation hat der Dokumentarfilmer Michael Moore gelandet, indem er eine von ihm mitproduzierte filmische Kritik am grünen Unternehmertum und kapitalistischen Wachstumsdogma am Vorabend des 50. Earth Days ins Netz gestellt hat. Die eigentlich als Kinoprojekt geplante und im August 2019 auf dem Traverse City Film Festival uraufgeführte Doku wurde angesichts der Coronapandemie kostenlos verfügbar gemacht und wird auf verschiedenen Kanälen von dem bekannten Filmemacher promotet. Jeff Gibbs, der an früheren Produktionen Moores mitgearbeitet hat, legt mit dieser Dokumentation sein erstes eigenes Werk vor, das von Ozzie Zehner und Michael Moore produziert wurde.

Planet of the Humans hebt sich wohltuend von vielen mit der Umwelt- und Klimaproblematik befaßten Produktionen ab, weil er nicht nur das vor aller Augen stehende Desaster der Klimakrise und Naturzerstörung dokumentiert. Er legt zudem den Finger in die Wunde der von großen Umweltorganisationen wie dem Sierra Club und 350.org propagierten Lösung, daß es ausreiche, das Investivkapital von fossilen auf erneuerbare Energien umzulenken, um die Aufheizung des Planeten über die vereinbarte Grenze von 1,5 Grad seit Beginn der Industrialisierung hinaus zu verhindern. Umfassend analysiert werden die stofflichen und energetischen Voraussetzungen des Baus von Solarzellenkraftwerken und Windkraftanlagen wie des Betriebes von Biomassekraftwerken. Dies erfolgt nicht aus der Sicht der Verfechter atomarer Stromerzeugung, die den geringeren Output von Treibhausgasen dieser höchst gefährlichen Energietechnologie als Lösung anpreisen, oder der Protagonisten sogenannter Clean Coal, die meinen, man könne Kohle durch CO2-Abscheidung so grün machen, daß sie auch weiterhin nutzbar wäre.

Gibbs, Moore und Zehner beziehen vielmehr eine kapitalismus- und wachstumskritische Position, indem sie die Frage, wieviel Konsum und Produktion die Menschen tatsächlich benötigen, grundsätzlich in Frage stellen. Für die fortschreitende Zerstörung des Planeten wird zudem die drastische Bevölkerungszunahme der letzten 100 Jahre verantwortlich gemacht. An dieser Stelle bleibt der Film allerdings die Antwort auf die Frage schuldig, was daran konkret verändert werde könnte. Zwar wird der durchschnittliche Ressourcenverbrauch in den USA als globaler Spitzenwert, der ein Vielfaches höher liegt als in den Ländern des Globalen Südens, ausgewiesen, doch die logische Konsequenz, daß ein Rückgang der Weltbevölkerung in Ländern mit dem pro Kopf höchsten Ressourcen- und Energieverbrauch zu erfolgen hätte, anstatt im subsaharischen Afrika, wie insbesondere weiße Suprematisten meinen, wird nicht gezogen.

Auch mag die Argumentationslinie des Filmes gestandenen KapitalismuskritikerInnen zu grobschlächtig daherkommen, weil anstelle der Systemfrage und möglicher Zukunftsszenarien wie dem einer ökosozialistischen Gesellschaft vor allem auf die grüngewaschenen Strategien transnationaler Großkonzerne abgehoben wird. Zweifellos ist es nicht damit getan, die Definitionshoheit des sogenannten korporatistischen Kapitalismus für die Dominanz unzureichender Alternativkonzepte im Klima- und Umweltdiskurs verantwortlich zu machen, anstatt das grundsätzliche Problem kapitalistischer Verwertungslogik in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen. Hier gilt zu bedenken, daß es sich bei Planet of the Humans um ein mainstreamtaugliches Format handelt, das an die Stelle ideologisch ausdifferenzierter Debatten die Wirkmächtigkeit allgemein verständlicher Aussagen gestellt hat.

In einem hörenswerten Hintergrundsgespräch [2] anläßlich des Filmstartes im You Tube-Kanal von Michael Moore erweisen sich die drei Protagonisten als Veteranen der Umweltschutzbewegung, die ein anwachsendes Problem damit haben, daß ihre ursprünglichen Ziele unter die Räder nach neuen Anlagemöglichkeiten suchender InvestorInnen geraten ist, die durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wie die Klimakrise in die Zwickmühle geraten sind. Der 50. Jahrestag des Earth Days, der 1970 noch ein vom Idealismus der Hippiebewegung und dem Kampfgeist der radikalen Linken bestimmtes Projekt war, bietet ihnen willkommenen Anlaß, zugleich Rückschau auf das eigene sozialökologische Engagement wie Vorschau auf das zu halten, was seit Beginn der Coronapandemie erst recht zu tun notwendig erscheint. In gewisser Weise wird in Planet of the Humans Bilanz gezogen und der Niedergang einst progressiver sozialer Bewegungen zu Legitimationsfaktoren und Schaufenstern eines grünen Kapitalismus beklagt, dem es in erster Linie darum geht, die etablierte Eigentumsordnung und Klassengesellschaft fortzuschreiben.

Weil dies alles mit dem professionellen Sachverstand eines Teams inszeniert wird, das für einige der spektakulärsten Dokumentarfilme der letzten 20 Jahre verantwortlich zeichnet, entfaltet Planet of the Humans seine Wirkung insbesondere bei denjenigen, die sich mit der widersprüchlichen ökologischen Bilanz erneuerbarer Energien noch nicht auseinandergesetzt haben, sondern der mit PR-technisch hochentwickelten Mitteln kommunizierten Botschaft Glauben schenken, man könne durch das bloße Umstellen auf andere Formen der Energieerzeugung einfach weitermachen wie bisher. Die in mehreren Jahren Produktionszeit ausgewählten Medienauftritte führender Akteure angeblich ökologisch nachhaltiger Geschäftsideen und Investitionsentscheidungen wie Michael Bloomberg, Richard Branson oder Al Gore sind schon für sich gesehen auf eine Weise peinlich, die zum Fremdschämen einlädt. Wenn dann noch Szenen gegengeschnitten werden, die die desaströsen Folgen dieser Form unternehmerischer Strategien illustrieren, wirken diese Personen wie Masken eines Kapitalverhältnisses, das normalerweise im schönen Schein der Dinge unsichtbar bleibt.

Nicht viel besser sind die Auftritte des bekanntesten Klimaaktivisten der USA, Bill McKibben, Mitbegründer und Vordenker der Klimaschutzorganisation 350.org. Dies dürfte auch für in Deutschland gegen Kohlestrom und andere fossile Formen der Energieerzeugung aktive Bewegungen interessant sein, gehört 350.org doch zu denjenigen NGOs, die zu ökologischen Bewegungen in aller Welt Verbindungen unterhalten und auch bei der Beschaffung von Fördermitteln eine Rolle spielen können. So ist Planet of the Humans auch KlimaaktivistInnen zu empfehlen, denen sich die Frage stellt, ob die bisher in Anspruch genommenen Aktionsformen und Vernetzungen dem angestrebten Zweck wirklich dienlich sind.

Den Dokumentarfilmern geht es sicherlich nicht um persönliche Abrechnungen, verleihen sie doch dem universalen Charakter ihres Anliegens explizit und wiederholt Ausdruck. Andererseits lassen sich unbescheidene Kritik und fundamentale Streitbarkeit nicht vermeiden, wenn die Instrumentalisierung existenziell alternativloser Anliegen durch im herrschenden Geschäftsbetrieb verortete Interessen verhindert werden soll. Inwiefern dieser Film für die sozialökologischen Bewegungen in der Bundesrepublik relevant sein wird, entscheidet sich letztlich an der Bereitschaft, die auch von Greta Thunberg attestierte Folgenlosigkeit bisheriger Proteste zum Anlaß zu nehmen, auf nachdrücklichere und radikalere Weise den Kampf um die Zukunft zu führen.

Wie im Hintergrundsgespräch immer wieder betont, kann die Coronapandemie als ultimatives Signal verstanden werden, nicht länger zu warten und den Dingen ihren zerstörerischen Lauf zu lassen. Da die Arbeit an dem Dokumentarfilm abgeschlossen wurde, bevor der Zusammenhang von Produktionsweise und Landnutzung zur Entstehung gefährlicher Pandemien über kleine Zirkel von WissenschaftlerInnen und AktivistInnen hinaus zum Thema wurde, lassen sich die darin vermittelten Erkenntnisse ohne weiteres für andere Gebiete menschlicher Lebensweisen, Verbrauchsformen und Produktionstechniken fruchtbar machen.

Nicht melodramatisch, sondern einfach nur traurig sind die Bilder, mit dem der 100 Minuten lange Film endet. Ein junger Orang-Utan klettert durch die blattlosen Äste letzter Baumgerippe, die nach der Rodung des Dschungels übriggeblieben sind, um offensichtlich verzweifelt und entkräftet inmitten der Menschenmenge, die ihm zu helfen versucht, zu sterben. In dieser emblematischen Sequenz bündelt sich die ganze Tragik einer Situation, deren Eigendynamik inzwischen so mächtig ist, daß das Drehen an einigen Stellschrauben kapitalistischer Produktion und Verwertung längst nicht mehr ausreicht, den Verlauf zerstörerischer Entwicklung zu beeinflussen oder gar zu beenden. "Die Menschheit wird herausgefordert wie nie zuvor, ihre Reife und ihr Kontrollvermögen unter Beweis zu stellen - nicht über die Natur, sondern sich selbst" ("Humankind is challenged, as it has never been challenged before, to prove its maturity and its mastery - not of nature, but of itself") - dieses Zitat von Rachel Carson, deren Warnungen vor weiterer Naturzerstörung für viele den Beginn der westlichen Umweltschutzbewegung markieren, aus dem Jahre 1962 ist am Ende des Abspanns eines Filmes zu lesen, der in der Lage sein könnte, mehr als nur Diskussionsprozesse anzustoßen.


Fußnoten:

[1] https://planetofthehumans.com

[2] https://rumble.media/episode/episode-71-surprise-a-new-movie-brought-to-you-by-michael-moore-and-rumble-available-now-featuring-jeff-gibbs-ozzie-zehner/

23. April 2020


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