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INTERVENTION/010: Somalia - Kenianischer Militäreinsatz umstritten, Nairobi Einmischung vorgeworfen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. Oktober 2012

Somalia: Kenianischer Militäreinsatz umstritten - Nairobi Einmischung vorgeworfen

von Abdurrahman Warsameh und Brian Ngugi


Somalische Regierungssoldaten patrouillieren eine Straße in der kürzlich eroberten Stadt Wanla Weyne - Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Somalische Regierungssoldaten patrouillieren eine Straße in der kürzlich eroberten Stadt Wanla Weyne
Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Mogadishu, Nairobi, 19. Oktober (IPS) - Das Vordringen kenianischer Truppen auf somalisches Territorium zur Vertreibung der radikal-islamistischen Al-Shabab-Kämpfer wird in Somalia kontrovers diskutiert. Einerseits sind die militärischen Siege über die militanten Milizen willkommen, anderseits wird dem Nachbarland vorgeworfen, sich ungebührlich in die Belange Somalias einzumischen.

Die Einnahme der somalischen Al-Shabab-Hochburg Kismayo durch kenianische Soldaten und deren Verbündeten Ende September hatte Monate auf sich warten lassen. Bereits am 16. Oktober 2011 war die kenianische Operation 'Linda Nchi' (Schützt das Land) angelaufen. Ziel des Militäreinsatzes im zerrütteten Nachbarland am Horn von Afrika war die Jagd auf die radikalen Islamisten, die für die Destabilisierung des kenianischen Grenzgebietes verantwortlich macht.

Hunderte kenianische Soldaten hatten sich mit der als 'Ras-Kamboni'-Brigade bekannten Clan-Miliz zusammengeschlossen, um die Al-Shabab-Front zu überrennen. Der Clan lebt dies- und jenseits der gemeinsamen Grenze. von Anfang an wurde Linda Nchi in Somalia jedoch kontrovers diskutiert.

Berichten zufolge drängt Kenia die somalischen Behörden dazu, die Region Jubaland (Azania), deren Hauptstadt Kismayo ist, den Status eines autonomen Staates zu geben, der als Pufferzone zwischen Kenia und Somalia dienen soll. Angedacht ist die Einrichtung einer von einem lokalen Clan verwalteten Behörde. Andere Clans, die in den betreffenden somalischen Provinzen die Mehrheit stellen, sollen an dem Vorhaben nicht beteiligt werden.


Gefährliche Intervention

Hassan Mudei vom Al Shahid-Zentrum für Forschung und mediale Studien in Mogadishu, ist jedoch der Meinung, dass das kenianische Projekt zum Scheitern verurteilt ist, solange nicht lokale Empfindlichkeiten berücksichtigt werden. Es gelte alle Einwohner der Region zu respektieren, sagte er gegenüber IPS. "Das Projekt wird scheitern, wenn die kenianischen Soldaten als Besatzer wahrgenommen werden."

Mudei empfiehlt der Lokalbevölkerung freie Hand zu lassen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen und nach Wegen der Machtteilung zu suchen, anstatt einem verbündeten Clan die Herrschaft über Jubaland zu übergeben. "Ein solcher Schritt könnte nach hinten losgehen."

Die somalische Regierung, deren kleines Truppenaufgebot von kenianischen Streitkräften in der südlichen Grenzregion trainiert wurde, hat wiederholt ihren Widerstand gegen das Projekt Nairobis zum Ausdruck gebracht. Als souveräner Staat sei es ihre Sache, über die ressourcenreichen Provinzen im Süden Somalias zu befinden, heißt es.

Kenia vermittelt derzeit bei Gesprächen in Nairobi zwischen den Führern einer pro-kenianischen Miliz und Jubaland. Die Verhandlungen zielen auf die Bildung einer Verwaltung für die somalische Region. Die somalische Regierung nimmt aufgrund ihres Widerstands an den Verhandlungen nicht teil.

"Wir haben wiederholt unseren Unmut über den von Kenia geführten politischen Prozess für die südsomalischen Regionen zum Ausdruck gebracht, der nun in Nairobi fortgesetzt wird", meinte dazu Ahmed Jama, ein Mitglied des somalischen Parlaments. "Wir begrüßen, dass Kenia der Somalischen Nationalarmee (SNA) hilft, das Land von den militanten Kräften zu befreien, doch politische Entscheidungen im Zusammenhang mit Kismayo sind eine reine somalische Angelegenheit. Wir sehen aber nicht, dass dies respektiert wird."

Inzwischen hat der Sprecher der Kenianischen Streitkräfte (KDF), Emanuel Chirchir, den Vorwurf als "unbegründet und unzutreffend" zurückgewiesen, das Militär helfe beim Aufbau eines autonomen Staates in Jubaland. Wie Chirchir gegenüber IPS erklärte, geht es den KDF im Rahmen der Somalia-Mission der Afrikanischen Union (AMISOM) darum, die Stabilität in der Region herzustellen. Politische oder gar Besatzungspläne verfolge man nicht.

"Das sind nur Gerüchte", versicherte Chirchir. "Unser AMISOM-Mandat beschränkt sich darauf, Frieden und Normalität in Somalia herzustellen. "Es geht nicht darum, die Clans des somalischen Volkes zu spalten. Sobald die KDF ihr Mandat erfüllt haben, liegt es an den Somaliern, mit Hilfe regionaler Institutionen wie der Afrikanischen Union und der Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde nach Lösungen zu suchen, wie sie sich selbst regieren wollen." Allerdings würden die KDF alles, was für die Stabilisierung des Landes am Horn von Afrika notwendig sei, unternehmen.

Kismayo stand seit dem Sturz des ehemaligen somalischen Machthabers Syed Barre 1991 unter der Kontrolle der unterschiedlichsten Gruppen, da sich die Allianzen zwischen den verschiedenen Clans geändert haben. In den letzten fünf Jahren beherrschte die Al Shabab die Stadt mit dem größten Hafen und Flughafen aller somalischen Provinzen sowie dem größten Viehbestand und den größten landwirtschaftlichen Flächen Somalias.


Gerangel um Ressourcen

"Im Grunde spielt sich hier ein Kampf um die regionalen Ressourcen ab. Nachdem es einem einzigen Clan nicht gelungen ist, die anderen zu beherrschen, sind daraufhin einige auf die Idee gekommen, sich mittels Allianzen mit ausländischen Ländern über die anderen Clans zu erheben", meint der somalische Politikwissenschaftler Yasin Elmi. "Genau dies ist das Ziel der kenianischen Intervention. Doch ein solches Arrangement zwischen einem fremden Land und einem lokalen Clan wird die Situation weiter verschlechtern und das Leid der Menschen nur verlängern."

Mudei ist der gleichen Meinung. Eine Regierung zur Führung einer Provinz und insbesondere der Stadt Kismayo, die nicht auf lokale Initiative hin zustande gekommen sei, werde von den Einwohnern zurückgewiesen werden. Außerdem müssten alle Clans ein faires Mitspracherecht erhalten.

Mudei zufolge sollten sich die Friedentruppen der Afrikanischen Union, denen Kenia nachträglich beigetreten ist, auf die Herstellung der Sicherheit in der Region beschränken, wie dies im Mandat vorgesehen sei. Zudem solle man die politischen Fragen der neuen somalischen Regierung überlassen, die sich weit besser mit der lokalen Clanpolitik auskenne als Ausländer. (Ende/IPS/kb/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/10/kenya-pushes-dubiously-against-islamists/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2012