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OFFENER BRIEF/006: Bitte antworten Sie auf die Fragen! - Replik an Massarrat (Arbeiterfotografie)


Arbeiterfotografie - 22. Juli 2009

Bitte antworten Sie auf die Fragen!

Offener Brief an Mohssen Massarrat - von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann - 22.7.2009


Lieber Mohssen Massarrat,

am 11.7.2009 hatten wir Sie persönlich angeschrieben:

"Etwas irritiert haben wir... die Artikel 'Reform durch Revolution', 'Was das Volk auf die Straße treibt' und 'Die Bewegung für Demokratie und Emanzipation im Iran mit voller Kraft unterstützen' zur Kenntnis genommen. Ohne Relativierung verwenden Sie den Begriff Wahlbetrug, sprechen gar vom größten Wahlbetrug in der iranischen Geschichte und greifen die anonym verbreiteten Zahlen auf, die angeblich aus dem iranischen Innenministerium stammen sollen, ohne die Quellenlage zu verifizieren. An einer Klärung, was Ihnen die Sicherheit für Ihre Annahmen gibt, wären wir sehr interessiert."

Darauf haben wir von Ihnen bisher keine Antwort erhalten. Stattdessen haben Sie jetzt am 20.7.2009 einen offenen Brief "an 'die Linke' anlässlich ihrer mangelnden Solidarität mit der Volksbewegung im Iran" verbreitet (http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pmof0004.html), in dem Sie die wenigen Publikationen angreifen, die sich kritisch mit der fast homogenen 'Berichterstattung' auseinandersetzen, die von den Medienapparten der 'westlichen' Welt und Teilen der 'Linken' betrieben wird. Sie thematisieren u.a. die Tageszeitung 'junge Welt' und die Arbeiterfotografie und sortieren sie in die Sparte der 'eindimensionalen Antikapitalisten' ein. Über uns schreiben Sie:

"Die 'Arbeiterfotografie', um ein weiteres Beispiel selektiver Wahrnehmung - die außerdem noch mit gezielter Diffamierung von Andersdenkenden angereichert ist - zu erwähnen, stellt in ihrer website die von anderen und mir wiedergegebenen Zahlen, welche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Wahrheit des Wahlausgangs am 12. Juni im Iran näherliegen, in eine Reihe mit Stellungnahmen von CIA und Mossad. Die von den betrogenen Präsidentschaftskandidaten Mussawi und Rezai auf ihrer website veröffentlichten Zahlen sind für die 'Arbeiterfotografie' kein Beleg für den Wahlbetrug, weil sie 'anonym aus dem Innenministerium' herausgeschleust wurden. Sie verlässt sich demnach lieber auf die offiziellen Angaben des Innenministeriums der Islamischen Republik, das nach Auffassung der Opposition für die Fälschung verantwortlich ist. Ist denn aber die Tatsache, dass am 23. Juni 3 Millionen Menschen in Teheran gegen den Wahlbetrug auf die Straße gegangen sind - übrigens mit dieser Stärke in der 10-Millionen-Metropole die größte Demonstration in der iranischen Geschichte - während Ahmadinedschad, trotz des Missbrauchs aller staatlichen Medien, nur 'läppische' 0,5 Millionen zu einer Gegendemonstration mobilisieren konnte, nicht ein handfester und lebendiger Beleg, der die 'Arbeiterfotografie' eigentlich zufriedenstellen müsste? Selbst Ayatollah Khamenei hat bei seiner Freitagspredigt am 19. Juni 'Unregelmäßigkeiten' nicht ausgeschlossen. Die 'Arbeiterfotografie' hat offenbar aber keinen Zweifel daran, dass Ahmadinedschad die Wahl wirklich gewonnen hat.

Ich muss leider erst jetzt mit Erbitterung feststellen, warum die Betreiber der 'Arbeiterfotografie' sich so vehement für die korrekte Übersetzung von Ahmadinedschads Äußerungen im Zusammenhang mit der ihm unterstellten 'Tilgung Israels von der Landkarte' eingesetzt haben. Ihnen ging es offenbar in erster Linie darum, Ahmadinedschad als Person - aus ihrer Sympathie für ihn machen sie jetzt jedenfalls auf ihrer website keinen Hehl - ins rechte Licht zu setzen. Ihnen ging es jedoch weniger darum, der Dämonisierung des Iran Einhalt zu gebieten, die Israel mit Bezug auf Ahmadinedschads Äußerungen systematisch betrieb und betreibt, um einen möglichen Krieg gegen den Iran psychologisch vorzubereiten."

Uns irritiert, nachdem wir in Ihnen lange Zeit einen weitgehend objektiven Kenner des Iran gesehen haben, daß Sie seit den Wahlen ein anderer Mensch zu sein scheinen und Sie die gebotene Distanz zu dem, was von der 'Opposition' und den 'westlichen' Medien verbreitet wird, sträflich vermissen lassen.

Bitte beantworten Sie uns folgende Fragen:

a.. Wo in den Eintragungen im Iran-Tagebuch der Arbeiterfotografie (http://www.arbeiterfotografie.com/iran) sind "Stellungnahmen von CIA und Mossad" wiedergegeben oder erwähnt, von denen Sie behaupten, daß wir sie in eine Reihe mit den von Ihnen wiedergegebenen Zahlen stellen?

b.. Wo wird im Iran-Tagebuch der Arbeiterfotografie "Diffamierung von Andersdenkenden" betrieben?

c.. Wie kann die Anzahl von Menschen (von "3 Millionen Menschen in Teheran am 23. Juni" - wenn diese Zahl denn stimmt), die gegen etwas protestieren, Auskunft darüber geben, wie berechtigt ein Protest ist? Wenn Grundlage eines Protestes Desinformation ist, die nicht als Desinformation erkannt wird, zeigt sich in der Zahl der Menschen in erster Linie die Wirksamkeit der Desinformation. Zu bedenken ist, daß dem 23. Juni die Erschießung der jungen Frau namens Neda vorangegangen ist - verbunden mit der unbewiesenen Behauptung, die Tat sei von den iranischen Bassidsch-Milizen durchgeführt worden.

d.. Was ist zu verurteilen an dem Anliegen, Feindbilder als solche erkennbar zu machen und Personen, die als Feindbild aufgebaut werden sollen, "ins rechte Licht zu setzen"? Warum werfen Sie uns vor, es ginge uns in erster Linie um Sympathie für Ahmadinedschad? Wenn wir ein Feindbild demontieren, dann liegt es auf der Hand, wenn dann die betroffene Person sympathischer erscheint. Deshalb muß dies aber nicht unser vorrangiges Ziel sein.

Und erläutern Sie uns bitte, was konkret in unseren Meldungen anhand von Fakten widerlegbar ist. Was z.B. ist falsch an den Ausführungen des iranischen Botschafters:

"Es gab 50000 Wahlurnen im Land. In jedem Wahlbüro, meist Schulen oder Moscheen, verfolgten sieben vor Ort ausgesuchte Personen, die keiner bestimmten Partei oder Strömung angehörten, den Urnengang. Jeder Präsidentschaftskandidat stellte ebenfalls einen Beobachter. Nach Schließung der Wahllokale zählten alle genannten Personen, einschließlich der Vertreter der Kandidaten, die Stimmen. Sie zeichneten fünf Dokumente ab, die das Ergebnis der Abstimmung enthielten. Unmöglich, daß sich sieben voneinander unabhängige Personen verschwören, um schon vor Ort, an jeder Box, einen Wahlbetrug zu begehen. Das ist absurd..."
(http://www.jungewelt.de/2009/07-11/085.php)

Was entgegnen Sie den Ausführungen von Paul Craig Roberts, stellvertretender Finanzminister der Reagan-Administration, der - wie Jürgen Cain Külbel - die Quellen aufführt, mit denen die Destablisierungsabsichten belegt sind und daran anknüpfend ausführt:

"Es wird behauptet, Ahmadinejad habe die Wahl gestohlen, da das Ergebnis zu schnell nach dem Schluss der Wahlen noch vor der Auszählung aller Stimmen verkündet worden sei. Mousavi allerdings hatte seinen Sieg schon Stunden vor Wahlschluss bekannt gegeben. Das ist eine klassische Destabilisierungsmethode der CIA, die darauf abzielt, ein gegenteiliges Ergebnis zu diskreditieren. Sie erzwingt eine rasche Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Je länger der Zeitraum zwischen der vorzeitigen Siegeserklärung und der Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist, desto mehr Zeit hat Mousavi, um den Eindruck zu erwecken, dass die Behörden die Zeit nutzen, um das Wahlergebnis zu fälschen. Es ist erstaunlich, dass dieser Trick nicht durchschaut wird."

"Ob die Wahlergebnisse, die Ahmadinejads Sieg vorhersagen, stimmen oder nicht, es gibt jedenfalls keinerlei Beweise jenseits von Vermutungen, dass die Wahl gestohlen worden ist. Allerdings gibt es glaubhafte Berichte darüber, dass die CIA zwei Jahre lang daran gearbeitet hat, die iranische Regierung zu destabilisieren... Ohne Zweifel gibt es viele aufrichtige Teilnehmer an den Protesten in Teheran. Die Proteste weisen auch die Kennzeichen der von der CIA orchestrierten Proteste in Georgien und der Ukraine auf. Es bedarf totaler Blindheit, das nicht zu sehen."
(http://www.counterpunch.org/roberts06192009.html)

Und bitte antworten Sie auf die Frage, wohin die großen Summen für die Destabilisierung des Iran geflossen sind und weiterhin fließen? Sind die Geheimdienste des 'Westens' so unfähig, sie sinn- und wirkungslos zu verpulvern?

In Ihrer Freitag-Veröffentlichung vom 22.06.2009 schreiben Sie über die aus unbekannter Quelle stammenden Wahlergebnisse:

"Ein weiterer Beleg, der den Wahrheitsgehalt der [...] Zahlen untermauert, sind die offiziell bestätigten Wahlergebnisse der Exil-Iraner in Deutschland. Demnach entfallen bei den in den jeweiligen Konsulaten in Berlin, Bonn, Frankfurt/M, Hamburg, München abgegebenen 8.886 Stimmen auf Mussawi 6.894 (77,6 Prozent), Ahmadinedschad 1.137 (12,8), Karrubi 598 (7,9), Rezai 146 (1,5), ungültig 111 (1,2). Die Zahlen stehen auf den Websites der jeweiligen Konsulate (s.o.) sowie der Botschaft der Islamischen Republik Iran in Berlin."
(http://www.freitag.de/politik/0925-iran-waechterrat-chamenei)

Welche Logik gestattet es Ihnen, von der politischen Einstellung von Exil-Iranern in Deutschland auf die politische Einstellung der Menschen im Iran zu schließen? Daß Menschen, die den islamischen Staat verlassen haben, eine deutlich andere Position als die dort Lebenden beziehen, liegt doch nahe. Insofern ist eher der umgekehrte Schluß plausibel: nämlich der, daß die offiziellen Zahlen aus dem Iran realistisch erscheinen. Und noch eine Frage dazu: Warum nehmen Sie im Fall der Exil-Iraner an, daß die von den Konsulaten und der Botschaft veröffentlichten Zahlen zutreffen? Die könnten doch theoretisch auch gefälscht sein?

Wir möchten es an dieser Stellen noch einmal klarstellen: es geht uns um Sichtbarmachung der Politik hinter der für die Öffentlichkeit inszenierten Politik und der damit verbundenen Medienmanipulation und - da wo nötig - um die Demontage von Feindbildern. Wir haben die Befürchtung, daß der Vorwurf des Wahlbetrugs der eigentliche große Betrug ist und es dem 'Westen' (USA, Israel, EU) letztlich nicht um Demokratisierung im Iran geht, sondern um die endgültige Unterjochung eines noch unabhängigen Landes, das weltpolitisch einen wichtigen strategischen Baustein darstellt und über wirtschaftlich sehr verlockende Bodenschätze verfügt.

Wir lassen diese eMail zum Zwecke der Veröffentlichung auch der Redaktion und Autoren der 'jungen Welt', denen wir uns verbunden fühlen, und den Betreibern der websites zukommen, auf denen Ihr offener Brief veröffentlich ist. Desweiteren möchten wir Sie aus Gründen der Fairness bitten, unsere eMail auch an den von Ihnen verwendeten Verteiler weiterzuleiten.


Mit besten Grüßen
Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Arbeiterfotografie - Forum für Engagierte Fotografie
Anneliese Fikentscher
Andreas Neumann
Merheimer Str. 107, D-50733 Köln
Telefon: 0221/727 999, Fax: 0221/732 55 88
E-Mail: arbeiterfotografie@t-online.de
Internet: www.arbeiterfotografie.com


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Mohssen Massarrat schrieb am 20.07.2009 19:39:

Liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,

eine Strömung der internationalen "Linken" hält die jüngste iranische Volksbewegung wider besseres Wissen als eine von außen gesteuerte Bewegung, die nach dem Muster der "orangenen Revolution" in Osteuropa für einen Regime Change in Gang gebracht worden sei.

Dieser linke Blick beruht m. E. nicht nur auf Unkenntnis, sondern auf einer "eindimensional antikapitalistischen" Philosophie.

Im angehängten Offenen Brief versuche ich aus aktuellem Anlass, den Ursachen und Folgen dieser linken Sicht über den Fall Iran hinaus auf den Grund zu gehen.

Ich bitte Sie, diesen Text auf geeignete Weise zu verbreiten.

Mit besten Grüßen
Mohssen Massarrat


Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
den Offenen Brief von Mohssen Massarrat finden Sie in vollem Wortlaut im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Politik -> Meinungen
OFFENER BRIEF/003: Die Linke - Mangelnde Solidarität mit der Volksbewegung im Iran (Mohssen Massarrat)


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Quelle:
Offener Brief an Mohssen Massarrat vom 22.07.2009
von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Arbeiterfotografie - Forum für Engagierte Fotografie
Merheimer Str. 107, D-50733 Köln
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E-Mail: arbeiterfotografie@t-online.de
Internet: www.arbeiterfotografie.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2009