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STANDPUNKT/309: Der Nationalkongress der Kurden (Nützliche Nachrichten)


Nützliche Nachrichten 7-8/2013
Dialog-Kreis

Der Nationalkongress der Kurden:
Von ihm sollen keine Signale der Feindschaft ausgehen!

Von Memo Sahin und Andreas Buro



Der Traum der Kurden, den der Dichter und Philosoph Ehmedê Xanî, vor über dreihundert Jahren immer wieder in seinen Texten thematisierte, könnte wahr werden. Die kurdischen Parteien aus allen vier Teilen Kurdistans sind seit Mitte Juli einig, den langersehnten Kurdischen Nationalkongress einzuberufen.

Der Einladung Masud Barzani, Präsident der Autonomen Region Kurdistan, folgten alle Parteien und kamen am 22. Juli in der kurdischen Hauptstadt Hewlêr zusammen. Barzani erklärte, dass er die kurdischen Parteien auch im Namen von Calal Talabani, dem seit Monaten in Deutschland behandelten Präsidenten von Irak, und von Abdullah Öcalan eingeladen habe.

Dies verdeutlicht auch, dass dieses Vorhaben zwischen den großen Parteien, nämlich der Demokratische Partei Kurdistans (KDP), der Patriotische Union Kurdistans (PUK) und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), lange hinter den Vorhängen vorbereitet wurde. Das sind die einflussreichsten Parteien in Kurdistan. Dazu zählt auch die KDP-Iran.

Wenn diese großen Parteien sich über einige Eckpfeiler der Kurdenfrage einigen und an einem Strang ziehen, können sie gemeinsam vieles erreichen und sich mehr Gewicht als Akteure im Nahen Osten verschaffen. Wenn sie sich aber nicht verstehen, ja sogar entgegengesetzte Richtungen gehen, entstehen Konflikte, die öfters blutig enden. Genau auf diese Gefahr oder Chance wollte der kurdischer Dichter und Philosoph Ehmedê Xanî vor 300 Jahren hinweisen.

Mitte September sollen nach dem Fahrplan des Vorbereitungskomitees 600 Delegierte aus allen Teilen Kurdistans zusammenkommen und zu den wichtigsten Themen der Geschicke des kurdischen Volkes Stellung nehmen.

Aus den Meldungen zum Kurdischen Nationalkongress können die wichtigsten Botschaften entziffert werden. Die kurdischen Parteien möchten bei dieser historischen Zusammenkunft der Weltöffentlichkeit und den Nachbarstaaten vermitteln, dass sie zusammen gehören und Teile einer Nation sind. Was Willy Brandt im November 1989 sagte, "Was zusammengehört, muss zusammenwachsen", soll auch für Kurden gelten.

Dies darf allerdings nicht so verstanden werden, dass der Kurdische Nationalkongress sich für einen unabhängigen Staat einsetze und "separatistische" Ziele verfolgen werde. Nein. Er wird Friedensbotschaften an alle Staaten senden, die einen Teil Kurdistans unter ihrer Herrschaft halten. Er wird für friedliche Lösungen der Kurdenfrage innerhalb der bestehenden Grenzen und für ein gutes Zusammenleben aller benachbarten Völker plädieren. Die Grenzen, die das kurdische Volk, die Städte und Dörfer Kurdistans voneinander trennen, sollen durchlässiger werden. Durch kulturelle, soziale und wirtschaftliche Zusammenarbeit sollen Regionen sich näher kommen.

Die zweite Botschaft soll an die Adresse der Kurden gehen. Der Kongress wird den innerkurdischen blutigen Konflikten ein offizielles Ende setzen und sagen: "Die Zeit der blutigen innerkurdischen Bruderkämpfe sind vorbei. Egal, wie sich die politischen Meinungen voneinander unterscheiden, es ist nicht mehr hinnehmbar, dass Kurden gegen Kurden Waffen einsetzen!"

Die dritte Botschaft soll die Kurden in Syrien, die sowohl von Regimegegnern als auch von Assad-Truppen angegriffen werden, betreffen. Der Nationalkongress wird zwischen den verschiedenen kurdischen Parteien aus Rojava (Westkurdistan unter syrischer Herrschaft) schlichten und versuchen einen Konsens zu finden. Er soll erklären, dass er den Kurden in Syrien beistehe, egal was dort passiert.

In diesem Kapitel wird auch eine unmissverständliche Botschaft an die Adresse der Türkei gehen, die die Mörderbanden von der Al-Nusra-Front, die von den USA auf die Terrorliste gesetzt wurde, mit finanziellen, militärischen und politischen Mitteln unterstützt und über die türkische Grenze in die kurdischen Regionen in Syrien einschleust. Der Kongress wird vermutlich sagen, dass diese mörderische Einmischung in die Angelegenheiten der Kurden in Syrien auch den Friedensprozess in der Türkei stark gefährdet. Es sei nicht hinnehmbar, wie die Zivilbevölkerung dort massakriert und zur Flucht getrieben wird.

Bei dem Kongress sollen mehrere Kommissionen und Komitees gebildet werden, um zu den wichtigsten Themenfeldern Beschlüsse zu fassen. Eine wird sich mit Verfahrensfragen des Nationalkongresses beschäftigen, also wie der Kongress zukünftig unter welchen Modalitäten arbeiten soll.

An dem Kongress werden 40% Frauen als Delegierte teilnehmen, was in der islamisch dominierten Welt bisher ganz ungewöhnlich ist. Dieser Anteil verdeutlicht, dass die kurdische Bewegung eine Revolution innerhalb der kurdischen Gesellschaft durchgeführt hat. Denn diese Frauen werden wohl auch für die Sicherung der säkularen Strukturen im Länderviereck Türkei, Iran, Irak und Syrien eintreten.

Zum Kongress werden auch etwa 300 ausländische Gäste und Vertreter internationaler Organisationen und Institutionen eingeladen, darunter die UN, die EU, die USA, die Nachbarstaaten und die Arabische Liga.

Ob die Ziele des Nationalkongresses erreicht werden, wissen wir natürlich nicht. Wir hoffen sehr, dass die Nachbarstaaten der Kurden, in deren Grenzen sie leben, seine Botschaften und Willenserklärungen für Frieden und Demokratie gut verstehen und dass die Kurden ihre seit Jahrzehnten verwehrten Grundrechte endlich erhalten. Dabei mitzuhelfen, sind auch Deutschland und die EU eingeladen.

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Quelle:
Nützliche Nachrichten 7-8/2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2013