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STANDPUNKT/702: Zwei Treffen (Uri Avnery)


Zwei Treffen

von Uri Avnery, 11. November 2017


WÄHREND DER letzten paar Tage, traf ich mich mit zwei alten Freunden: Yasser Arafat and Yitzhak Rabin.

Nun gut, die Bezeichnung "Freunde" mag nicht ganz passend sein. Natürlich nannte Arafat mich "mein Freund" in seiner Video-Botschaft zu meinem 70. Geburtstag, aber Rabin nannte niemanden "Freund". Das entsprach nicht seinem Charakter.

Ich bin froh, dass ich beide näher kannte. Ohne sie wäre mein Leben ärmer gewesen.


ICH GLAUBE NICHT, dass ich jemals zwei unterschiedlichere Menschen als diese beiden getroffen habe.

Arafat war ein warmherziger Mensch. Ein emotionaler Mensch. Seine Umarmungen und Küsse waren zeremoniell, aber sie drückten auch sein wahres Gefühl aus. Ich brachte viele Israelis zu Treffen mit ihm, und sie alle berichteten, dass sie sich nach zehn Minuten in seiner Gesellschaft fühlten, als hätten sie ihn seit Jahren gekannt.

Rabin war das genaue Gegenteil. Wie ich, so verabscheute auch er körperlichen Kontakt. Er war unnahbar. Er zeigte keine Gefühle. Nur bei enger Vertrautheit entpuppte er sich tatsächlich als Mensch mit ziemlich starken Gefühlen.

Aber diese zwei so verschiedenen Personen hatten etwas gemeinsam. Beide waren ihr ganzes Leben lang Kämpfer. Rabin gab akademische Studien auf, um sich der illegalen Palmach ("Stosstruppen") während der Zeit der britischen Herrschaft anzuschließen. Arafat gab seine Karriere als Ingenieur in Kuwait auf, um die PLO zu gründen (Palästinensische Befreiungsorganisation). Rabin war sechs Jahre älter.

Beide widmeten den größten Teil ihres Erwachsenenlebens dem Kampf für ihr Volk - und gegeneinander. Beide waren nicht zimperlich bei ihren Kämpfen. Rabin rief einst dazu auf: "ihre Arme und Beine zu brechen (den Palästinensern)!" Arafat befahl viele grausame Aktionen.

Nach einem langen Leben mit dem Krieg wandten sich beide dem Weg in Richtung Frieden zu. Dieser war bei weitem gefährlicher. Beide wurden ermordet: Rabin von einem jüdischen Fanatiker und Arafat (zumindest glaube ich das) auf raffiniertere Art von den Agenten Ariel Sharons.


ICH WAR privilegiert, von beiden zu hören, wie und weshalb sie ihre schicksalshafte Wende in Richtung Frieden vollzogen.

Arafats Erklärung war einfacher. Sie lautete mehr oder weniger, wie folgt (mit meinen Worten):

"Ich glaubte immer, dass die arabischen Armeen Israel letztendlich auf dem Kampffeld besiegen würden und dass die Palästinenser nur den Anstoß geben müssten. Sicher, ich war der Oberbefehlshaber der palästinensischen Streitkräfte, aber ich wusste, dass die Palästinenser alleine Israel nicht besiegen konnten.

Dann kam der Oktoberkrieg in 1973 (der sogenannte "Yom Kippur Krieg" in Hebräisch). Die beiden stärksten arabischen Armeen starteten einen Überraschungsangriff gegen Israel und erzielten am ersten Tag imposante Erfolge. Die Ägypter eroberten Israels Bar-Lew-Linie, und die Syrer näherten sich dem See Genezareth. Und siehe da, trotz dieser anfänglichen Erfolge wurden die Araber in dem Krieg besiegt. Als ein Waffenstillstand auferlegt wurde, stand die israelische Armee kurz vor Damaskus und der Weg nach Kairo stand ihr offen.

Daraus zog ich die Schlussfolgerung, dass Israel auf dem Schlachtfeld nicht besiegt werden konnte. Deshalb entschied ich mich, die palästinensischen Ziele mit friedlichen Mitteln zu erreichen."

(Ende meiner Worte).

So schlug Arafat den Weg ein, der damit begann, dass sein Gesandter, Sa'id Hamami, geheime Gespräche mit mir in London führte, und der schließlich nach Oslo führte.


DER WEG Rabins zum Frieden war verschlungener. Er erklärte ihn mir ausführlich an einem Schabat-Nachmittag in seinem Haus, und zwar nach dem Handschlag in Washington (zu dem er mich nicht eingeladen hatte, im Gegensatz zu Begin, der mich zum Essen mit Sadat in Ägypten sehr wohl eingeladen hatte. Rabin war Rabin).

Hier ist seine Geschichte (mit meinen Worten):

"Nach dem Sechs-Tage-Krieg glaubte ich, wie fast jeder, an die sogenannte "Jordanische Option". Niemand glaubte, dass wir an dem Gebiet, das wir erobert hatten, festhalten konnten, und wir dachten, dass König Hussein mit uns Frieden schließen würde, wenn wir alle Gebiete zurückgäben, mit Ausnahme von Ostjerusalem. Schließlich war die Hauptstadt des Königs ja Amman, also wofür benötigte er Jerusalem?

Das war ein Fehler. Eines Tages erklärte der König, dass er von nun an nichts mehr mit der Westbank zu tun habe. Wir hatten keinen Partner mehr. Jemand erfand einen künstlichen Partner: die "Dorf-Bündnisse". Schon nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass das Nonsens war.

Ich ergriff die Initiative und lud alle örtlichen Führer aus der Westbank ein, einen nach dem anderen. Jeder von ihnen drückte seine Bereitschaft zum Frieden mit uns aus, aber am Ende erklärten sie: unser Gesprächspartner ist Yasser Arafat.

Dann kam die Konferenz von Madrid. Die Israelis stimmten einer gemeinsamen jordanisch-palästinensischen Delegation zu. Faisal Husseini, der ein Bewohner Ostjerusalems war, gehörte nicht dazu. In dem Augenblick, als man in der Beratung auf das Thema Palästina zu sprechen kam, erhoben sich die jordanischen Mitglieder und sagten: "Entschuldigung, aber das betrifft nicht uns." Damit wandten sie sich zum Gehen und ließen die Israelis mit den Palästinensern allein.

Husseini saß im Nebenraum und immer wenn die Diskussion einen schwierigen Punkt erreichte, sagten die Palästinenser: "Wir müssen das jetzt mit Faisal besprechen". Das wurde bald lächerlich und deshalb wurde Faisal in den Raum gebeten.

Am Ende eines jeden Tages der Diskussion sagten die Palästinenser: "Jetzt müssen wir die oberste Führung in Tunis anrufen, um Instruktionen von Arafat zu bekommen." Diese Situation erschien mir lächerlich. Als ich wieder an die Macht kam, beschloss ich, dass wir, falls sich solch eine Situation ergäbe, direkt mit Arafat sprechen sollten. Das war der Hintergrund von Oslo." (Soweit Rabins Erklärung).


ICH WÜNSCHTE, ich könnte ehrlich sagen, dass ich Rabin in den langen Gesprächen, die wir hatten, beeinflusst hätte. Fast alle handelten von einem Thema: Frieden mit den Palästinensern. Aber ich bin nicht sicher, dass das zutrifft. Es war unmöglich, Rabin zu beeinflussen. Er analysierte Fakten und zog seine Schlüsse daraus. Beide, sowohl Rabin als auch Arafat, der Soldat und der Ingenieur, waren logische Denker. Sie analysierten Fakten und zogen ihre Schlüsse daraus.

Meine Gespräche mit Arafat begannen in Beirut, als ich die belagerte Stadt betrat. Das Treffen erregte weltweit Aufmerksamkeit. Es fand nach meinen langen geheimen Diskussionen mit seinen Gesandten, Sa'id Hamami and Issam Sartawi, statt (beide wurden von Agenten Abu Nidals, Anführer einer extremen palästinensischen Gruppe, ermordet). Ich erzählte Rabin von diesen Gesprächen, nachdem Arafat mich dazu ermutigt hatte.

Nach dem Abzug der PLO aus Beirut besuchte ich Arafat viele Male in Tunis und auch an anderen Orten. Als nach Oslo Arafat nach Palästina zurückkam, trafen wir uns zuerst in Gaza, dann in der Mukata'a (einem ehemaligen britischen Polizeigebäude) in Ramallah. Zweimal, als es mir erschien, dass sein Leben in unmittelbarer Gefahr war, gingen meine Freunde und ich zu ihm als "menschliche Schutzschilde" und wohnten dort. Sharon gab später zu, dass unsere Anwesenheit ihn damals abgeschreckt hätte, Arafat dort zu ermorden.

Meine Gespräche mit Rabin fanden meist auf meine Initiative hin in seinem Amtssitz in der Balfour Strasse statt. Dazwischen trafen wir uns auf verschiedenen Partys, im Allgemeinen an der Bar. Seitdem er die Britische Schule für Höhere Offiziere besucht hatte, war Rabin dem Whisky verfallen (nur dem Whisky). Mehrmals trafen wir uns bei meiner Freundin, der Bildhauerin Ilana Gur, die Partys arrangierte, mit dem geheimen Ziel, uns beide (und manchmal Ariel Sharon) zusammenzubringen. Nach Mitternacht, wenn alle anderen Gäste nach Hause gegangen waren, hielt mir Rabin, der auch nach zahllosen Gläsern Whisky vollkommen nüchtern war, ausführliche Vorlesungen.

In all diesen Gesprächen (außer in einem, in dem er mir wegen der Veröffentlichung belastender Enthüllungen über Parteimitglieder in meinem Magazin Vorhaltungen machte) ging es um das Problem Palästina.


VOR EIN PAAR TAGEN besuchte ich Arafats Grab in Ramallah. Niemand hielt mich auf meinem Weg dorthin auf, und zu meiner Überraschung hielt mich auch niemand auf meinem Rückweg auf. Nicht, weil man mich erkannte und durchwinkte - sondern nur, weil die Straßensperren nicht besetzt waren.

Ich hatte den Ort zum letzten Mal auf der Beerdigung besucht. Nun ist das Grab ein geschmackvolles kleines Mausoleum mit zwei zeremoniellen Wachen. Dahinter sind Arafats Büro und die Räume, die er zum Treffen mit den israelischen Delegationen benutzte, die ich zu ihm brachte, und auch seine spartanischen Schlafräume. Ich habe ihm meinen Respekt erwiesen.

Mein Treffen mit Rabin war ein paar Tage danach, bei der alljährlichen Massenveranstaltung anlässlich des Jahrestages seiner Ermordung auf dem Platz, der nun seinen Namen trägt.

Es war die sonderbarste Veranstaltung, an der ich je teilgenommen habe. In diesem Jahr wurde sie nicht von der Labor Partei durchgeführt, denn ihr Führer will vom Thema Frieden den größtmöglichen Abstand halten. Stattdessen hatten zwei Gruppen übernommen, die mir bis dahin unbekannt gewesen waren. Eine besteht aus ehemaligen Armeeoffizieren und die andere ist zweifelhafter Herkunft.

Ihre Vorkehrungen waren sonderbar. Sie ordneten an, dass die Slogans nicht das Thema "Frieden" berühren durften, sondern nur Rabins Militär- und Parteikarriere. Im Friedenslager brach eine heftige Diskussion aus, - daran teilnehmen oder nicht?

Ich riet zur Teilnahme. Meiner Meinung nach waren die Slogans der Initiatoren unerheblich - wichtig war nur die Anzahl derer, die kamen, um dem Mann und seinem Vermächtnis ihren Respekt zu erweisen. Rabin und Frieden mit den Palästinensern sind untrennbar miteinander verbunden.

Am Ende nahmen fast einhunderttausend Menschen teil, schrien Frieden-Slogans und ignorierten völlig die Anweisungen der Organisatoren. Als ein Führer der Westbank-Siedler (der eingeladen war!) eine Rede hielt, war das Pfeifen der Menge ohrenbetäubend. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mit dem Rest mitpfiff.

Zu meiner eigenen Überraschung stellte sich heraus, dass ich sehr gut pfeifen kann.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen übersetzt von Inga Gelsdorf

Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 11.11.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2017

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