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STANDPUNKT/709: König und Kaiser (Uri Avnery)


König und Kaiser

von Uri Avnery, 2. Dezember 2017


DER ZIONISMUS IST ein antisemitischer Glaube. Er war es von Anfang an.

Schon der Gründungsvater Theodor Herzl, ein Wiener Schriftsteller, schrieb einige Texte mit eindeutig antisemitischer Tendenz. Für ihn war Zionismus nicht nur eine geographische Transplantation, sondern auch ein Mittel, den verachtenswerten, kommerziellen Juden der Diaspora in ein aufrechtes, arbeitsames menschliches Wesen zu verwandeln.

Herzl reiste nach Russland, um die Unterstützung der antisemitischen, zu Pogromen anstachelnden Führer für sein Projekt zu gewinnen, indem er versprach, sie von den Juden zu befreien.

Tatsächlich war es immer ein Hauptpunkt der zionistischen Propaganda, dass Juden nur im zukünftigen jüdischen Staat in der Lage sein werden, ein normales Leben zu führen. Der Slogan lautete "die soziale Pyramide umdrehen" - und sie auf eine gesunde Basis von Arbeitern und Bauern stellen, statt auf Spekulanten und Bankiers.

Als ich im (damaligen) Palästina ein Schuljunge war, war alles, was wir lernten, durchtränkt von tiefer Verachtung für die "Exil-Juden", jene Juden in aller Welt, die es vorzogen, in der Diaspora zu bleiben. Sie waren zweifellos viel minderwertiger als wir.

Den Höhepunkt erreichte in den frühen 1940er Jahren eine kleine Gruppe, die mit dem Spitznamen "Canaaniter" versehen wurden. Sie behaupteten, wir wären eine neue Nation, die hebräische Nation, und dass wir nichts mit den Juden in aller Welt zu tun hätten. Als der volle Umfang des Holocaust bekannt wurde, wurden diese Stimmen leiser, aber sie verstummten nicht.


DIE ANTISEMITEN ihrerseits mochten die Zionisten lieber als die anderen Juden. Adolf Eichmann erklärte bekanntermaßen, dass er lieber mit den Zionisten verhandelte, weil sie "biologisch wertvoller" wären.

Selbst heute spenden die Juden-Hasser in der Welt dem Staat Israel Beifall als Beleg dafür, dass sie keine Antisemiten sind. Israelische Diplomaten sind nicht abgeneigt, sich ihre Unterstützung zunutze zu machen. Sie lieben die Alt-Rechten.

Dies hinderte den Staat Israel nie, die Unterstützung der Juden in aller Welt auszunützen. Vor langer Zeit wurde ein Witz erzählt: Gott, der Allmächtige, teilte seine Gnade zwischen den Arabern und den Israelis. Er gab den Arabern Erdöl, das ihnen wirtschaftlichen und politischen Einfluss einbrachte und den Israelis vermachte er für denselben Zweck das Weltjudentum.

In den frühen Tagen des Staates Israel benötigte dieser dringend das Geld der amerikanischen Juden - buchstäblich um das Brot für den nächsten Monat zu kaufen. Ministerpräsident David Ben-Gurion wurde gebeten, in die USA zu gehen, um von den Juden dort Geld zu erbitten. Aber es gab ein Problem: Ben Gurion, ein Erz-Zionist, war entschlossen, ihnen zu sagen, sie sollten alles stehen und liegen lassen und nach Israel kommen. Seine Mitarbeiter hatten große Mühe, ihn davon zu überzeugen, das Wort "Alyah" (Einwanderung, wörtlich "Hinaufgehen") nicht zu erwähnen.


DIE UNAUSGEGLICHENE Beziehung herrscht bis zum heutigen Tag. Die Israelis verachten die amerikanischen Juden im Geheimen dafür, dass sie "die Fleischtöpfe Ägyptens" dem Leben des aufrechten Volkes im jüdischen Staat vorziehen. Sie verlangen aber bedingungslose politische Unterstützung. Die meisten amerikanischen jüdischen Organisationen leisten diese Unterstützung. Sie üben riesige Macht in Washington aus, wo AIPAC, die zionistische Lobby, die zweitmächtigste politische Organisation ist - nach der Nationalen Waffen-Vereinigung.

Bedauerlicherweise schaffen die Beziehungen immer mehr Probleme, die nicht mehr verborgen werden können.


DER LETZTE AUSBRUCH kam von unerwarteter Seite. Er trägt einen ungewöhnlichen Namen: Zipi Chotovely. Es ist ein georgischer Name. Ihre Eltern emigrierten tatsächlich aus der früheren Sowjetrepublik. (Da in der hebräischen Schreibweise die Vokale nicht geschrieben werden, wissen nur wenige Israelis, wie dieser Name korrekt ausgesprochen wird.)

Zipi (Verkleinerungsform von Zipor, Vogel) ist eine intelligente und schöne Frau von 39 Jahren. Sie ist auch eine extrem Rechte. Ihre Ansicht ist eine Kombination von radikalem Nationalismus und orthodoxer Religion. Sie ist natürlich ein Mitglied des Likud. Das verhalf ihr zu der hohen Stellung der Vertretenden Außenministerin.

Wer ist denn nun Außenminister? Niemand. Netanjahu ist viel zu klug, um irgendjemanden für diese hohe Stellung zu ernennen, denn diese Person könnte zum Konkurrenten werden. Das hebt Zipis Stellung. Gewöhnlich hält sich Chotovely zurück. Aber vor ein paar Wochen warf sie eine virtuelle Bombe.

In einem Interview mit einer amerikanischen Agentur griff die israelische Vertreterin des Außenministers die amerikanischen Juden bösartig an und wiederholte alte antisemitische Slogans. Unter anderem bezichtete sie die amerikanischen Juden, sie würden ihre Söhne nicht in die US-Armee schicken. Die Folge davon sei, dass sie nicht in der Lage seien, die Israelis zu verstehen, deren Söhne jeden Tag kämpfen würden, sagte sie.

Dies ist eine alte Anschuldigung. Ich erinnere mich an Nazi-Flugblätter, die von deutschen Flugzeugen über den amerikanischen Linien in Frankreich während des 2. Weltkrieges abgeworfen wurden. Sie zeigten einen fetten, Zigarre rauchenden Juden, der eine arische amerikanische Frau sexuell belästigte - mit dem Aufdruck: während du dein Blut in Europa vergießt, vergewaltigt der Jude zuhause deine Frau.

Die Anschuldigung selbst ist natürlich Quatsch. In den USA wurde der Wehrdienst schon vor langer Zeit abgeschafft. Die US-amerikanische Armee besteht aus Freiwilligen aus der Unterschicht. Zu dieser gehören die Juden im Allgemeinen nicht.

Chotovely ist weithin verurteilt, aber nicht abgesetzt worden. Sie ist weiterhin für alle israelischen Diplomaten zuständig.


DIESER VORFALL war nur der letzte in einer langen Kette von Schwierigkeiten in der Beziehung zwischen den beiden Gemeinschaften.

Von Anfang an hat der Staat Israel viele religiöse Privilegien an die israelisch orthodoxe Führung verkauft, denn deren Stimmen in der Knesset waren und sind für die Zusammenstellung einer Regierungskoalition unverzichtbar.

In Israel gibt es keine standesamtliche Trauung. Alle Trauungen sind religiös. Wenn ein jüdischer Israeli eine christliche oder muslimische Frau heiraten will - eine seltene Angelegenheit - müssen sie ins benachbarte Zypern gehen und dort heiraten. Im Ausland geschlossene Ehen werden hier anerkannt.

Aber im modernen Judentum gibt es verschiedene Arten religiöser Gemeinschaften. In den USA sind die meisten Gemeinden liberal - sie gehören zum Reform-Judentum und zum konservativen Judentum. Diese werden in Israel kaum anerkannt. Alle Trauungen sind streng orthodox. So ist die Beaufsichtigung der koscheren Einrichtungen ein äußerst lukratives Unternehmen.

Dies bedeutet, dass der Hauptströmungen des amerikanischen Judentums praktisch keine Rechte in Israel haben. Sie existieren so gut wie gar nicht.

Als ob dies nicht schon genug wäre, gab es noch einen bösartigen Konflikt um die Klagemauer, die heiligste jüdische Stätte. Sie wird als der einzige verbliebene Rest des jüdischen Tempels angesehen, der von den Römern vor etwa 2100 Jahren zerstört wurde (tatsächlich ist es nur ein Rest der Stützmauer des Tempelplatzes.)

Während diese Mauer theoretisch allen Juden gehört, hat die israelische Regierung diese heilige Stätte der orthodoxen Institution übergeben, die nur Männern erlaubt, sich ihr zu nähern. Die Reformgemeinschaft und die Frauenorganisation protestierten, und schließlich hat man einen Kompromiss erreicht, der den Hauptteil der Mauer den Orthodoxen überlässt, doch einen abgetrennten Teil den Frauen und den Reform-Juden lässt. Jetzt hat die Regierung diesen Kompromiss zurückgenommen.


DAS GRUNDÜBEL ist, dass die ganze Beziehung zwischen Israelis und Diasporajuden auf einer Lüge beruht: der Glaube, dass sie demselben Volk angehören. Sie tun es nicht.

Die Realität hat sie seit langer Zeit getrennt. Die tatsächliche Situation ist, dass die israelischen "Juden" eine neue Nation sind, die durch die spirituellen, geographischen und sozialen Realitäten im neuen Land anders sind als Juden anderswo, so wie US-Amerikaner anders sind als die Briten oder die Briten anders sind als die Australier.

Zwar haben sie das starke Zusammengehörigkeitsgefühl eines gemeinsamen Erbes und von Familienbindungen, aber sie sind verschieden.

Je eher die beiden Seiten dies offiziell anerkennen, umso besser wäre es für beide. Die amerikanischen Juden könnten Israel unterstützen, wie - sagen wir - irische Amerikaner Irland unterstützen. Es liegt an ihnen. Sie schulden Israel keine Loyalität und sind nicht verpflichtet, uns Tribut zu zahlen.

Israel kann seinerseits Juden überall helfen, wenn sie Probleme haben und ihnen erlauben, sich uns anzuschließen. Herzlich willkommen.

Doch gehören wir nicht zu einer gemeinsamen Nation. Wir in Israel sind eine Nation aus israelischen Bürgern. Amerikanische und andere Juden sind Teil ihrer Nationen und der weltweiten jüdischen ethnisch-religiösen Gemeinschaft.

Netanjahu wäre gern wie Königin Viktoria, die "Königin von Großbritannien und Kaiserin von Indien" war. Netanjahu will "König Israels und Kaiser der Juden" sein. Nun, das ist er nun einmal nicht.



Copyright 2017 by Uri Avnery

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)
Redigiert von der Schattenblick-Redaktion

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Quelle:
Uri Avnery, 02.12.2017
www.uri-avnery.de
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Dezember 2017

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