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STANDPUNKT/890: Die Lehren der Geschichte - Teil 1 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 1. Oktober 2019
german-foreign-policy.com

Die Lehren der Geschichte (I)


BEIJING/BERLIN - Die Volksrepublik China reduziert nach dem feierlichen Empfang für einen Separatisten aus Hongkong in Berlin ihre Arbeitsbeziehungen mit Deutschland. So hat der chinesische Außenminister Wang Yi eine Reihe bilateraler Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Heiko Maas abgesagt; Zollerleichterungen für deutsche Autokonzerne stehen in Frage. Maas war vor kurzem mit Joshua Wong zusammengetroffen, dem Generalsekretär der Partei Demosisto, die ein Referendum über die Abspaltung Hongkongs von China abhalten will. Berlin, das sich damit offen in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik einmischt und Kräfte stärkt, die den Bestand des chinesischen Staates attackieren, hatte bereits um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu den europäischen Mächten gehört, die China zu schwächen suchten, um Teile des Landes, darunter Hongkong, als Kolonien zu unterwerfen und das Reich der Mitte auszuplündern. Von Anfang an begingen die deutschen Kolonialtruppen dabei, um erbitterte Widerstände in der Bevölkerung niederzuschlagen, Massaker an zahllosen Zivilisten.

Beijing zieht Konsequenzen

Die Volksrepublik China reduziert ihre Arbeitsbeziehungen mit der Bundesrepublik. Dies geht aus einem Bericht der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" hervor.[1] Demnach hat Chinas Außenminister Wang Yi nicht nur sein traditionelles Arbeitsfrühstück mit seinem deutschen Amtskollegen am Rande der UN-Generaldebatte in der vergangenen Woche abgesagt. Er wird außerdem in der zweiten Oktoberhälfte zwar Europa bereisen, seinen geplanten Besuch in Berlin anlässlich des deutsch-chinesischen Strategischen Außen- und Sicherheitspolitischen Dialogs aber nicht durchführen. Darüber hinaus hat Beijing den deutsch-chinesischen "Menschenrechtsdialog" auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Nicht zuletzt stehen auch Zollbegünstigungen für deutsche Kfz-Konzerne in Frage. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei ihrem jüngsten Besuch in Beijing gebeten, deutsche Unternehmen von Zollerhöhungen für die Einfuhr von Fahrzeugen aus den USA nach China zu befreien. Die Zollerhöhungen, die als Abwehrmaßnahmen im Wirtschaftskrieg der Vereinigten Staaten gegen China angekündigt sind, treffen vor allem Fahrzeuge aus US-Fabriken von Daimler und BMW. Die chinesische Regierung hatte sich bereiterklärt, die Bitte der Kanzlerin "wohlwollend zu prüfen". Dies gilt nun als ungewiss.

China schwächen

Ursache ist der feierliche Empfang für den 22-jährigen Hongkonger Joshua Wong in Berlin. Wong ist Generalsekretär der Partei Demosisto, die ein Referendum über die Abspaltung Hongkongs von China abhalten will. Außenminister Maas hat ihn persönlich in der deutschen Hauptstadt begrüßt und ihn seiner Unterstützung versichert. Die offene Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik und die deutsche Unterstützung für Kräfte, die den Bestand des chinesischen Staates attackieren (german-foreign-policy.com berichtete [2]), stoßen in Beijing auf harte Kritik. Hintergrund ist nicht nur allgemeiner Protest dagegen, dass die Bundesrepublik damit die Souveränität sowie die territoriale Integrität des chinesischen Staates in Frage stellt. Hinzu kommt, dass China im 19. Jahrhundert durch die Einmischung äußerer Mächte politisch und wirtschaftlich ruiniert wurde und alles daran setzt, eine Neuauflage dieser Entwicklung zu unterbinden. An der Unterwerfung und der ökonomischen Ausplünderung des Landes war Deutschland beteiligt - zeitweise sogar führend.

Von Europa unterworfen

Wie in Afrika hat das Deutsche Reich auch in China seine kolonialen Eroberungen vergleichsweise spät gestartet - später als andere europäische Mächte. Den ersten großen Krieg gegen das Reich der Mitte hatte Großbritannien 1839 begonnen. Auslöser war, dass Beijing gegen den Schmuggel von Opium vorging, mit dem London den Kauf von chinesischem Tee, Porzellan und Seide finanzierte; als die britischen Schmuggelprofite zu kollabieren drohten, intervenierte die britische Flotte. Im Vertrag von Nanjing vom 29. August 1842 musste China seine Einfuhrzölle für britische Produkte drastisch senken und fünf Küstenstädte für den auswärtigen Handel öffnen. Zudem unterwarf sich das Vereinigte Königreich Hongkong als Kolonie. Dem Ersten Opiumkrieg folgte 1856 ein zweiter, an dem sich nun auch Frankreich beteiligte; im Vertrag von Tianjin (26./27. Juni 1858) und in der Pekinger Konvention (18. Oktober 1860) musste Beijing nach brutalen Kriegsoperationen der europäischen Mächte einer weiteren Öffnung des Landes für auswärtige Interessen zustimmen. Erst Russland, dann Japan annektierten Teile Chinas. Schließlich begannen die damaligen Großmächte, sich Einflusszonen auf chinesischem Territorium zu schaffen und in "Pachtgebieten" Kolonien zu errichten, um dort Expansionsinteressen ihrer Unternehmen zu befriedigen. Bergbau, Finanzwesen, Schiffahrt sowie weitere Branchen der chinesischen Wirtschaft dienten immer stärker auswärtigem, vor allem europäischem Profit.[3]

Der Erfinder der Seidenstraße

Als die Okkupation von "Pachtgebieten" in China in den 1890er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, war das Deutsche Reich trotz zunächst noch fehlender militärischer Präsenz im Reich der Mitte gut vorbereitet. Von 1868 bis 1872 hatte sich der deutsche Geograph Ferdinand von Richthofen in dem Land aufgehalten und dort, finanziert von Wirtschaftskreisen aus Europa und den USA sowie zunächst von Preußen, dann vom Deutschen Reich, umfangreiche geologische und geographische Studien getrieben. Dabei suchte er für seine Finanziers wirtschaftlich attraktive Expansionsziele zu identifizieren, etwa Rohstofflagerstätten. Besondere Bedeutung maß er unter anderem dem Gebiet um die Stadt Jiaozhou in der ostchinesischen Küstenprovinz Shandong bei - und zwar, wie es die Ostasienwissenschaftlerin Tamara Chin formuliert, "wegen seiner strategischen Lage und seiner Kohlevorkommen".[4] Zurück im Reich, schrieb Richthofen - 1875 zum Geographie-Professor in Bonn, 1886 dann in Berlin ernannt -, "die Vortheile einer fremden Niederlassung in Kiao-tshóu" - die heutige Schreibweise lautet Jiaozhou - seien erheblich. Für den Warentransport zwischen China und dem Reich hatte der deutsche Geograph schon "die Herstellung einer Eisenbahn" im Blick.[5] Auf der Suche nach einer Strecke stieß er auf die alte Handelsroute durch Zentralasien aus der Zeit der Han-Dynastie, für die er den Namen "Seidenstraße" erfand.[6]

Durchdringen und plündern

Die Bucht von Jiaozhou ("Kiaotschou"), von Richthofen als besonders "vorteilhaft" beschrieben, war das Gebiet, das Konteradmiral Alfred von Tirpitz zur Errichtung eines "Pachtgebiets" ins Visier nahm, als die Reichsregierung ihn 1896 zwecks Erkundung der Lage mit einem Marinegeschwader nach China entsandte.[7] Nach Tirpitz' Rückkehr machte sich Berlin den nächstbesten Anlass zunutze - den Mord an zwei deutschen Missionaren am 1. November 1897 in der Provinz Shandong -, um das Ostasiatische Kreuzergeschwader der Kaiserlichen Marine nach Qingdao ("Tsingtau") an der Bucht von Jiaozhou zu entsenden. Deutsche Soldaten besetzten den Ort am 14. November 1897. In den anschließenden Verhandlungen gelang es der Reichsregierung, Beijing zur Unterzeichnung eines "Pachtvertrages" für ein Gebiet an der Bucht von Jiaozhou zu nötigen. Mit Vertrag vom 6. März 1898 sicherte sich das Deutsche Reich die Rechte zum Rohstoffabbau in Shandong und zum Bau zweier Eisenbahnlinien - nicht zuletzt, um geförderte Kohle abzutransportieren. Kaum ein Jahr später gründeten deutsche Unternehmer unter Führung der Deutsch-Asiatischen Bank, die von 13 deutschen Kreditinstituten getragen wurde - darunter die Deutsche Bank -, zunächst die Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft (14. Juni 1899), dann die Schantung-Bergbau-Gesellschaft (10. Oktober 1899).[8] Damit begannen die ökonomische Durchdringung und die Plünderung Chinas durch das Deutsche Reich.

Erste Massaker

Sie wurden von Anfang an von brutaler Gewalt und von Massakern der deutschen Kolonialtruppen begleitet. Ersten offenen Widerstand riefen die Deutschen bereits bei den Vorbereitungen zum Bau einer Eisenbahnstrecke aus der Hafenstadt Qingdao in die Hauptstadt der Provinz Shandong, Jinan, hervor. Die Schantung-Eisenbahn-Gesellschaft zwang zahlreiche Bauern zum Verkauf ihrer Grundstücke für den Eisenbahnbau, zahlte ihnen lediglich extrem niedrige Preise, ließ Grabstätten, die der Trassenführung im Wege waren, ungeachtet der hohen Bedeutung der Ahnenverehrung in ländlichen Regionen des Reichs der Mitte zerstören und brachte die Einwohner darüber hinaus mit ihrem preußisch-herrischen Auftreten gegen sich auf.[9] Der sich schon bald regende Widerstand wurde brutal unterdrückt. Bereits am 21. Juni 1899 ließ die deutsche Kolonialbehörde erstmals deutsche Truppen ausrücken, um empörte Proteste in der Stadt Gaomi und in umliegenden Dörfern zu unterdrücken. Am 24. Juni stürmten die Truppen mit Didong das erste Dorf, brachten 15 Einwohner um und verletzten 30 bis 40 zum Teil schwer. Ähnlich operierten sie sodann in weiteren Ortschaften. Die genaue Zahl ihrer Opfer ist nicht bekannt.

Chinesischer Widerstand

Die Proteste gegen das Vordringen der deutschen Kolonialisten verschmolzen schon bald mit der unabhängig von ihnen entstehenden "Boxer"-Bewegung, in der der Widerstand der chinesischen Bevölkerung gegen die Ausplünderung ihres Landes zu einem ersten großen Höhepunkt kam. Bei der Niederschlagung des Aufstandes begingen die deutschen Kolonialtruppen immense Massaker, mit denen sie die Bluttaten anderer europäischer Kolonialtruppen weit in den Schatten stellten. german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.


Bitte beachten Sie unsere Videokolumne Krieg gegen China.
https://www.youtube.com/watch?v=5V68uj2sXPU&list=PLTJHO_DZA590ij9FhcNCCwB9wXvVHkd1h&index=2


Anmerkungen:

[1] Johnny Erling: Haussegen zwischen China und Deutschland hängt weiter schief. derstandard.at 25.09.2019.

[2] S. dazu Die Auslandszentrale der chinesischen Opposition.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8042/

[3] Jonathan D. Spence: The Search for Modern China. Third Edition. New York/London 2013. S. 152ff.

[4] Tamara Chin: The Invention of the Silk Road, 1877. In: Critical Inquiry Vol. 40,1 (2013). S. 194-219. Hier: S. 210.

[5] Ferdinand von Richthofen: China. Ergebnisse eigener Reisen und darauf gegründeter Studien. Zweiter Band. Das nördliche China. Berlin 1882. S. 692ff, 266.

[6] Valerie Hansen: The Silk Road. A New History. New York 2012. S. 6ff.

[7] Klaus Mühlhahn: Deutschlands Platz an der Sonne? Die Kolonie "Kiaotschou". In: Mechthild Leutner, Klaus Mühlhahn (Hg.): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900-1901. Berlin 2007. S. 43-48.

[8] Klaus Mühlhahn: Deutsche Vorposten im Hinterland: Die infrastrukturelle Durchdringung der Provinz Schantung. dhm.de.

[9] Yang Laiqing: Die Ereignisse von Gaomi und der Widerstand der Bevölkerung gegen den deutschen Eisenbahnbau. In: Mechthild Leutner, Klaus Mühlhahn (Hg.): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900-1901. Berlin 2007. S. 49-58.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2019

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