Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


STANDPUNKT/1006: Michail Gorbatschow - Tod eines Opportunisten (Gerhard Feldbauer)


Tod eines Opportunisten

Sein selbst erklärtes Ziel war "die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen"

von Gerhard Feldbauer, 2. September 2022


Als Kriterium der Wertung der geleisteten Arbeit gilt für gewöhnlich der Grundsatz, es zählt, was dabei herausgekommen ist. Gemessen daran ist der letzte Generalsekretär der KPdSU ein gescheiterter Politiker, der dabei die sozialistischen Ziele nicht nur aufgegeben, sondern auch regelrecht verraten hat. Daran ändert auch nichts, dass zu dem Untergang der Sowjetunion und des von ihr geführten sozialistischen Lagers viele Ursachen geführt haben, an erster Stelle die schwindende Leistungskraft der sowjetischen Volkswirtschaft, zu deren Folgen eine wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den Mängeln in der Versorgung, darunter selbst mit einfachsten Grundnahrungsmitteln, gehörte. Aber diese Situation hat sich seit Gorbatschows Amtsantritt 1985 enorm verschärft und er war nicht in der Lage, wirksame Lösungen herbeizuführen.

Perestroika und Glasnost haben zu Chaos auf allen Gebieten geführt und den arbeitenden Menschen keine Besserung ihrer Lage gebracht. Als ihm die innenpolitischen Probleme über den Kopf wuchsen, verlegte er sich auf die Außenpolitik, wobei er Zugeständnisse über Zugeständnisse machte und sich einbildete, er werde von seinem amerikanischen Gegenüber als gleichberechtigt anerkannt, während dieser die unter Gorbatschow zunehmende Ohnmacht erbarmungslos ausnutzte. Skrupellos war der regelrechte Verkauf der DDR, seines engsten Kampfgefährten, an Bundeskanzler Helmut Kohl, wobei er sich auch hier noch als schlechter Geschäftsmann erwies.


Gorbatschow und Honecker schütteln Hände - Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-049 / Rainer Mittelstädt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Der Generalsekretär des Zentralkomitees der Sowjetunion Michail Gorbatschow und der DDR-Staatsratsvorsitzende Erich Honecker auf dem XI. Parteitag der SED in Berlin im April 1986
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0421-049 / Rainer Mittelstädt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en], via Wikimedia Commons

Alexander von Plato berichtete in "Die Vereinigung Deutschlands - ein weltpolitisches Machtspiel. Bush, Kohl, Gorbatschow und die geheimen Moskauer Protokolle" (Bonn 2002) über die letzten Verhandlungen im Juli 1990 in Archys im Nordkaukasus zwischen einer Delegation Bundeskanzler Kohls mit Gorbatschow, in der auch die strafrechtliche Verfolgung ehemaliger Führer der DDR zur Sprache kam. Der Bundeskanzler habe Gorbatschow immerhin vorgeschlagen, den Personenkreis zu benennen, gegen den keine strafrechtlichen Verfolgungen eingeleitet werden sollten. Doch der sowjetische Präsident habe erwidert, "die Deutschen würden schon selbst mit diesem Problem fertig". Selbst Kohl und der anwesende Genscher hätten betreten auf den Präsidenten der UdSSR geblickt. Die anwesende Condoleezza Rice amüsierte sich über diese "Strickjackenverhandlungen", bei denen ein unbedarfter Gorbatschow mit strahlendem Lächeln den Warschauer Vertrag und die gesamten Ostblockländer verkaufte. Hätte Gorbatschow Kohl in Archys "eine Liste mit - sagen wir - hundert Namen übergeben, die als 'Persona grata', als 'Unantastbare' gegolten hätten, wäre es der bundesdeutschen Justiz nie möglich gewesen, Verfahren in jenem demonstrierten Schauprozessstil zu inszenieren". Die Auslieferung von Repräsentanten eines mit der UdSSR durch einen Freundschaftsvertrag verbundenen Staates an den Feindstaat war "die Schmierenkomödie eines verantwortungslosen politischen Hasardeurs", schätzten Eberhard Czichon/Heinz Mahron in "Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf (Köln 1999, S. 396) ein.

Die Menschen in den Ländern des sozialistischen Lagers lebten bescheiden, mit Demokratiedefiziten, Reisebeschränkungen, hatten aber eine Arbeit und ein Dach über dem Kopf. Niemand musste wie heute unter Brücken schlafen, um dort vielleicht im Winter zu erfrieren. Zur katastrophalen Hinterlassenschaft dieses Hasardeurs gehört, dass sie zurückgeworfen wurden in die erbarmungslose Welt des Kapitals mit Inflation, Preisanstieg, Rezession und Massenarbeitslosigkeit, Armut und sozialem Elend. Das geht bis zum heutigen Krieg, den USA, NATO und EU in der Ukraine gegen Russland führen können, weil dieser Dilettant nicht in der Lage war, in einen völkerrechtsgültigen Vertrag abzusichern, dass die NATO sich nicht über die Oder hinaus ausbreiten darf - was dazu führte, dass sie bis an die Grenzen Russlands vordringen konnte und sich mit der Einnahme der letzten Bastion Ukraine Moskau unterwerfen wollte.

Nach einem Bericht der Prawda Rossi vom 26. Juli 2000 hielt Gorbatschow auf einem Seminar an der US-amerikanischen Universität in Ankara im Herbst 1999 einen Vortrag, in dem er ausführte: "Das Ziel meines ganzen Lebens war die Vernichtung des Kommunismus, dieser unerträglichen Diktatur gegen die Menschen. (...) Als ich mich persönlich mit dem Westen bekannt gemacht hatte, verstand ich, dass ich von dem gestellten Ziel nicht ablassen durfte. Um dieses zu erreichen, musste ich die ganze Führung der KPdSU und der UdSSR ersetzen, und ebenso die Führung in allen sozialistischen Ländern. (...) Nach dem Jahr 2000 wird eine Epoche des Friedens und der allgemeinen Blüte anbrechen."


Reagan und Gorbatschow sitzen sich lächelnd in Sesseln gegenüber - Foto: Series Reagan White House Photographs, 1/20/1981 - 1/20/1989, Collection: White House Photographic Collection, 1/20/1981 - 1/20/1989, Public domain, via Wikimedia Commons

US-Präsident Ronald Reagan und Michail Gorbatschow am 19. November 1985 in Genf
Foto: Series Reagan White House Photographs, 1/20/1981 - 1/20/1989, Collection: White House Photographic Collection, 1/20/1981 - 1/20/1989, Public domain, via Wikimedia Commons

Dabei hatte dieser Heuchler der übelsten Sorte 1986, 13 Jahre vorher, beim Besuch einer Grenzschutz-Einheit ins "Gästebuch" geschrieben: "Am Brandenburger Tor kann man sich anschaulich davon überzeugen, wie viel Kraft und wahrer Heldenmut der Schutz des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden vor den Anschlägen des Klassenfeindes erfordert. Die Rechnung der Feinde des Sozialismus wird nicht aufgehen. Unterpfand dessen sind das unerschütterliche Bündnis zwischen der DDR und der UdSSR. (...) Ewiges Andenken an die Grenzsoldaten, die ihr Leben für die sozialistische DDR gegeben haben." Einen Gipfelpunkt seiner Heuchelei erreichte dieser Renegat, als er 2004 vor Schülern des Hildegard-Wegscheider-Gymnasiums in Berlin-Wilmersdorf sagte: "Wenn ich mich an die Mauer in Berlin erinnere, spüre ich heute noch Entsetzen über dieses Bauwerk." Es war diese Heuchelei, dass sich Gorbatschow als Marxist-Leninist und Verteidiger des Sozialismus tarnte, dass er schwer zu durchschauen war.

Wie dem Hamburger Magazin Der Spiegel (Nr. 29/1999) zu entnehmen war, nahm Gorbatschow auch für sich in Anspruch, dass er im Herbst 1989, während er sich zum Staatsbesuch in der VR China befand, zu den Konterrevolutionären auf dem Tian'anmen-Platz (Platz am Tor des Himmlischen Friedens) in Peking sprechen und sie zu ihrem Ziel, die chinesische Führung zu stürzen, ermuntern wollte. Die chinesische Führung durchschaute seine Machenschaften und verhinderte das.

Es gab Stimmen, die meinten, mit den Erklärungen, schon immer ein "Feind" des Kommunismus gewesen zu sein, wolle Gorbatschow vertuschen, in der Krisensituation von 1989-1991 versagt zu haben. Dagegen hat der Direktor des britischen Russland- und Osteuropa-Zentrums des elitären St-Antony's-Colleges, Oxford-Professor Archie Brown, in seinem Buch "Der Gorbatschow-Faktor - Wandel einer Weltmacht" (Frankfurt/Main 2002) dargelegt, dass die Wurzeln seines Bruchs mit dem Sozialismus spätestens im "Prager Frühling" 1968 liegen. Wie aus damaligen Medienberichten hervorging, gehörte Gorbatschow zu einer Delegation, die zu Verhandlungen nach Prag reiste, was ihm Gelegenheit gab, mit dem führenden Reformer Zdenek Mlynar, mit dem er seit dem gemeinsamen Studium 1950-55 an der juristischen Fakultät der Moskauer Universität befreundet war, zusammenzutreffen. Der Delegation gehörte auch Jegor Kusmitsch Ligatschow an, der 1989/91 als enger Vertrauter Gorbatschows eine Schlüsselfigur des Umsturzes in Moskau wurde. Gorbatschow habe es als "schmerzlich" empfunden, dass dieser Reformversuch in der CSSR scheiterte.

*

Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 5. September 2022

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang