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LAIRE/1087: Neuansiedlung - EU baut Flüchtlingsabwehr aus (SB)


EU will Flüchtlingsadministration konsolidieren


Die EU-Kommission strebt die Verabschiedung eines unionsweit einheitlichen Asylrechts an. Im Rahmen der 1999 vom Europäischen Rat in Tampere beschlossenen Integration hat der EU-Kommissar für Freiheit, Sicherheit und Justiz, Jacques Barrot, am 2. September seine Strategie für das "Gemeinsame Neuansiedlungsprogramm der EU" vorgestellt. [1]

Zur "Neuansiedlung" eines Flüchtlings kann es kommen, wenn die Person aus Sicherheits- oder anderen Gründen nicht in ihr Heimatland zurückkehren kann oder will, zugleich aber die gegenwärtige Lage im Erstasylland - meist die Unterbringung in einem Lager - beendet werden soll. Syrien beispielsweise hat rund eine Million Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen, die jedoch nicht in ihre Heimat zurückkehren können, weil dort Krieg herrscht. Deshalb wird von Neuansiedlung gesprochen, wenn die Betroffenen aus den Lagern herausgeholt werden und ihnen eine feste Bleibe angeboten wird.

Die Bundesregierung nimmt kaum Flüchtlinge auf, und wenn doch, wie unlängst 2500 Iraker, klopft man sich selbst auf die Schulter und feiert das als humanitäre Heldentat. Das ist unangemessen. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) wurde 2008 von der EU lediglich 4278 Personen neu angesiedelt - der globale Bedarf lag aber bei 747.000 Flüchtlingen. Zum Glück der Flüchtlinge schotten sich andere wohlhabende und weniger wohlhabende Weltregionen nicht ganz so stark ab wie die Europäische Union, so daß im vergangenen Jahr global knapp 66.000 Flüchtlinge neu angesiedelt wurden. Selbstverständlich ist auch das noch immer viel zu wenig.

Die EU-Kommission sieht mit ihrem jetzt präsentierten Neuansiedlungsprogramm keine dem riesigen Problem gegenüber angemessene Erhöhung der Zahl der Neuansiedlungen vor, sondern sie will damit in erster Linie das Flüchtlingsmanagement verbessern, indem sie die Entscheidungsfindung beschleunigt, einheitliche Verteilungsregeln schafft und für eine Absprache der Mitglieder untereinander sorgt. Es ist kein Zufall, daß die EU nicht angekündigt hat, in Zukunft sehr viel mehr Flüchtlinge aufnehmen zu wollen. Statt dessen wurde ein Plan zur Schaffung eines freiwilligen Programms zur Förderung der politischen und praktischen Zusammenarbeit geschaffen.

Die EU-Kommission behauptet, sie könne auf diese Weise die Zahl der Flüchtlinge verringern. Das ist nur bedingt nachvollziehbar. Es soll nicht in Abrede gestellt werden, daß ein oftmals jahrelanges Verharren in Flüchtlingslagern für die Insassen in der Regel ungeheuer leidvoll ist und solch eine Situation so rasch wie möglich beendet gehört. Die Barrot-Pläne sehen zwar vor, daß die Aufnahme von Flüchtlingen erleichtert wird - unter anderem durch eine Kopfprämie in Höhe von 4.000 Euro für die Aufnahmeländer -, doch während sich die EU auf anderen Feldern der Integration bei der Verabschiedung von Verordnungen und Richtlinien keine Zurückhaltung hinsichtlich der Eingrifftiefe auferlegt, setzt sie bei diesem Programm auf Freiwilligkeit. "Freiwillig" waren aber bisher nur 10 von 27 EU-Staaten überhaupt bereit, sich am Neuansiedlungsprogramm auf Jahresbasis zu beteiligen, wohingegen andere EU-Staaten ad hoc entschieden haben, ob sie Flüchtlinge neuansiedeln wollen oder nicht. Das läßt alles in allem auf keine große Aufnahmebegeisterung schließen, woran sich auch wenig bei einer einheitlichen Regelung ändern dürfte. Vielmehr ist damit zu rechnen, daß sich die EU-Staaten auf einen Minimalkonsens einigen werden, was sich letztlich dahingehend auswirkt, daß nach wie vor sehr wenige Flüchtlinge neuangesiedelt werden.

Außerdem überwiegen die von der Europäischen Union produzierten Flüchtlinge die Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge bei weitem. Durch bilaterale Fischereiabkommen mit afrikanischen Küstenstaaten wie Senegal wird die lokale Fischwirtschaft zerstört, was die ehemaligen Fischer oder deren Familienangehörigen zur Flucht treiben kann. Das wird zwar nicht als "politisch" anerkannt, dem Anlaß der Flucht liegen dagegen sehr wohl politische Entscheidungen zugrunde. Darüber hinaus werden auch Deregulierung und Subventionsabbau im Rahmen beispielsweise von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) der EU mit den AKP-Staaten die Armut in den Entwicklungsländern fördern und somit neue Fluchtanlässe schaffen. Nicht zuletzt sorgt die Europäische Union mit ihrer eigenen Subventionspolitik dafür, daß die Landwirte in den armen Ländern unter Druck geraten, da sie sich nicht auf dem Weltmarkt platzieren können, und schafft damit ständig Fluchtgründe.

Eine weitere Integration im Sinne des Barrot-Programms stärkt sicherlich die vielbeschworene Handlungsfähigkeit der EU - als geringfügiger Begleiteffekt würde dann auch die Not von Flüchtlingen ein klein wenig gelindert. Zumindest jener, die von einer Sachverständigengruppe als aufnahmewürdig für das "Resettlement"-Programm ausgesucht wurden. Damit würde das Asylrecht nochmals weiter ausgehöhlt als sowieso bereits aufgrund der Drittstaatenregelung oder, noch grundsätzlicher, aufgrund der willkürlichen Unterscheidung der Flüchtlinge in ihre angeblichen Fluchtmotive. Das hat die ausschließliche Funktion, sich von der Not der Menschen zu distanzieren. Das "Gemeinsame Neuansiedlungsprogramm der EU" soll zu einem wirksamen Instrument des Flüchtlingsschutzes ausgestaltet werden, behauptet die EU-Kommission, meidet aber konkrete Aufnahmezusagen. Sie hält sich absichtlich vage, formuliert nur allgemeine Ansprüche wie, daß durch die Neuansiedlungsaktiväten "auch" der "humanitäre und strategische Effekt" erhöht werden solle. [1] Man wolle jährlich gemeinsame Prioritäten festlegen, um die finanzielle Unterstützung, die den EU-Mitgliedstaaten über den Europäischen Flüchtlingsfonds zukommen, effizienter zu nutzen, und ähnlichem mehr.

Die Barrot-Strategie wird die Aufnahmemenge von Flüchtlingen durch die Europäische Union voraussichtlich nur geringfügig erhöhen. Wesentlich ist dagegen der Aspekt der geschlossenen Frontbildung der EU-Mitglieder insbesondere gegenüber sogenannten Drittasylländern. So müßten eigentlich jene Staaten für die Unterbringung der Flüchtlinge aus dem Irak sorgen, die seit 2003 durch ihre militärische Aggression die Flucht der Einwohner ausgelöst haben. Mit dem Barrot-Programm soll eben davon abgelenkt werden.


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Anmerkungen:

[1] "Verstärkte Anstrengungen zur Neuansiedlung von Flüchtlingen", IP/09/1267 2. September 2009
http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do?reference=IP/09/1267& format=HTML&aged=0&language=DE&guiLanguage=en

7. September 2009