Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

LAIRE/1098: Nobelpreis an Obama - Frieden und Krieg kein Gegensatzpaar (SB)


Aus Anlaß der Verleihung des Friedensnobelpreises an Barack Obama


Das Nobelpreiskomitee hat seine Tradition, den Friedensnobelpreis auch Verantwortlichen für Massenmord zu verleihen, fortgesetzt. In diesem Jahr wird US-Präsident Barack Obama, der die Ausdehnung des Afghanistankriegs auf Nordwest-Pakistan und die Tötung von Hunderten Einwohnern, die Fortsetzung des Irakkriegs und die extralegale Hinrichtung von mehreren Personen in Somalia zu verantworten hat, mit einem Preis geehrt, der einst passenderweise vom Erfinder des Hochleistungssprengstoffs Dynamit ausgelobt wurde.

Als Kontrapunkt zu dem sich martialisch gebenden Republikaner George W. Bush erfüllt Obama eine wichtige Funktion bei der Befriedung der Massen. Er muß die gesellschaftlichen Zentrifugalkräfte, die unter seinem Vorgänger drohten, auf für das Establishment riskante Weise an Wucht zu gewinnen, durch eine neue Form der propagandistischen Zentrierung neutralisieren. "Yes we can" und "change" lauteten die Zauberworte, die über die Grenzen der USA hinaus den Menschen ins Ohr gesäuselt wurden, begleitet vom rhythmischen Hip-Hop-Takt und geschmeidigen Souleinlagen.

Zu den verheißungsvoll klingenden Versprechungen Obamas gehört die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo, der militärische Rückzug aus dem Irak, die Lösung des Nahostkonflikts, eine Gesundheitsreform für die Armen, die Abkehr vom Aufbau des umstrittenen Raketenabwehrschirms in Polen und Tschechien und die weltweite Abschaffung der Atomwaffen. Was wurde bzw. wird daraus? Guantánamo wird nicht oder erst später geschlossen, und die dort einsitzenden, unschuldigen Gefangenen werden nicht freigelassen, sondern womöglich in noch viel grausamere Hochsicherheitsknäste in den USA gesteckt oder in anderen Ländern eingekerkert. Der Rückzug aus dem Irak stellt sich als Einbunkerung in dauerhaften Militärlagern dar, der Nahostkonflikt bleibt ungelöst, da sich die israelische Regierung sperrt, die Gesundheitsreform - so sie denn kommt - droht, die bereits bestehende Zweiklassenmedizin zu vertiefen. Statt dem Aufbau eines statischen Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien sollen viel effektivere mobile Raketenabwehrstellungen aufgebaut werden, und was die Abschaffung der Atomwaffen betrifft, so hat Obama schon angekündigt, daß das sehr, sehr viel Zeit kostet. Was er ausgelassen hat: Die USA werden keine Vorleistungen erbringen und ihre Atomwaffen einseitig verschrotten; auch werden sie nicht darauf verzichten, die enorme Überlegenheit ihrer konventionellen Schlagkraft weiter auszubauen.

Nicht zufällig haben "Frieden" und "Befriedung" den gleichen etymologischen Hintergrund. Hinsichtlich der gesellschaftlichen Machtverhältnisse wird mit Frieden das Verhältnis zwischen denen, die befrieden, und denen, die der Befriedung ausgesetzt sind, eindeutig festgeschrieben. Frieden ist nicht das Gegenteil von Krieg; die beiden Begriffe stehen sich nicht als Gegensatzpaar gegenüber, auch wenn sie häufig so gehandhabt werden.

Abgesehen davon, daß in der historisch langen Friedensphase vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zu den NATO-Interventionen in der Bundesrepublik Jugoslawien der 1990er Jahre zahlreiche blutige Stellvertreterkriege geführt wurden und die NATO-Führungsmacht USA, der Deutschland fest verbunden ist, sowieso kein Jahrzehnt ohne Krieg verstreichen ließ, wurde und wird in Friedens- wie in Kriegszeiten ein permanenter Kampf des Nordens gegen den Süden und der Oberschicht gegen die Bevölkerung geführt.

Wer Krieg und Frieden als Bewertungskriterium gesellschaftlicher Verhältnisse akzeptiert, spricht die Sprache der Herrschenden und Gewinner des Sozialkampfs. Weltweit kommen weitaus mehr Menschen durch Hunger ums Leben als durch bewaffnete Konflikte. Schon von daher erweist sich das vermeintliche Gegensatzpaar Krieg und Frieden als ungeeignet zur Beschreibung gesellschaftlicher Zustände. Und so verheerend die Zerstörungen durch Waffen auch sind - die Zerstörungen, die bei der Herstellung von Waffen sowie generell der "friedlichen" industriellen Produktion angerichtet werden, übertreffen diese um ein Vielfaches. Als entsprechend destruktiv und gesundheitsschädigend sind auch die Produktionsbedingungen, unter denen Menschen ihre Physis in fremdbestimmter Arbeit preiszugeben genötigt werden. Den in Kriegszeiten weggesprengten Gliedmaßen entsprechen dann die nach innen gekehrten und sich als Krankheiten beschriebenen Schädigungen durch die destruktiven Produktionsweisen.

Der Sozialkampf bleibt in Zeiten des Krieges wie auch des Friedens unabgeschlossen, und Obama hat für den Sozialkampf von oben neue Einfallstore geöffnet. Hatte die Folgsamkeit unter Bush stark gelitten, wurde mit Obama eine Figur an die Spitze der mit Abstand größten Militärmaschinerie der Welt gestellt, die zu integrieren verstand. Sie ist ein Garant zur Qualifizierung der bestehenden Verwertungsbedingungen.

9. Oktober 2009