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LAIRE/1117: NATO-Vormarsch gen Rußland - Zwischenschritt Iran (SB)


Umzingelung Rußlands durch die USA

US-Raketenstellungen jetzt auch in Rumänien


Als die Sowjetunion 1962 nuklear bestückte Mittelstreckenraketen auf Kuba stationieren wollte, reagierte die US-Regierung auf schärfste und stieß ultimative Drohungen aus. Ein Nuklearkrieg schien unmittelbar bevorzustehen. In einer so großen Nähe zu Washington und dem übrigen Festland duldeten die USA keine feindlichen Nuklearwaffen. Umgekehrt muteten sie es der Sowjetunion wie selbstverständlich zu, stillzuhalten, obgleich das US-Militär in Italien und der Türkei nuklear bestückte Mittelstreckenraketen, die auf die Sowjetunion gerichtet waren, stationiert hatte. Außerdem vermochten zu der Zeit US-amerikanische U-Boote Nuklearraketen vom Typ Polaris über wie auch unter Wasser auf die Sowjetunion abzufeuern, was dort berechtigterweise als schwere Bedrohung aufgefaßt wurde.

Das damalige Szenario wiederholt sich gegenwärtig in gewisser Weise. Die USA bauen in den nächsten fünf Jahren Raketenstellungen rund um Rußland, dem militärisch führenden Nachfolgestaat der 1991 aufgelösten Sowjetunion, auf. Militärexperten gehen davon aus, daß diese Raketen unmittelbar auf die Fähigkeit Rußlands gerichtet sind, einen Zweitschlag führen zu können. Damit wird der Ausbruch eines Nuklearkriegs zwischen den größten Militärapparaten der Welt wahrscheinlicher.

Die Militärs und Politiker der USA behaupten unermüdlich, daß die Raketenstellungen, die sie im Osten Polens nahe Kaliningragd [1] und, wie vergangene Woche zu erfahren war, nun plötzlich auch in Rumänien errichten wollen [2], sowie die Verlegung von Kriegsschiffen ins Schwarze Meer nicht gegen Rußland, sondern gegen Iran gerichtet sind. Lachhaft, wenn es nicht um ein so ernstes Thema ginge. Demnächst behauptet das Pentagon womöglich noch, es müsse vermehrt Kriegsschiffe durch die Nordostpassage schicken und dort den Nationalen Raketenschild ausbauen, um iranische Raketen abzufangen.

Jene US-amerikanischen "Abwehrraketen" vom Typ SM-3 (Standard Missile 3) müssen als Angriffswaffen angesehen werden, da sie die Wahrscheinlichkeit, einen Erstschlag führen zu können, erhöhen. Das gilt selbst für die ABM-Stellungen in Rumänien, die angeblich keine ballistischen Raketen Rußlands abfangen können, wie der russischen Militärexperte Vladimir Yevseyev behauptet. [3] Damit steht seine Einschätzung im Gegensatz zu der von Oberst im Ruhestand Igor Korotchenko, leitender Herausgeber der Militärzeitschrift "Natsionalnaya Oborona" (Nationale Verteidigung). Die SM-3 könnten russische ballistische Raketen unmittelbar nach dem Start abfangen, behauptet dieser und führt weiter aus: "Rußland sollte Rumänien warnen, daß Teile des US-Raketenschilds im Land als legitime Ziele für die russische Raketenangriffe angesehen werden." [2]

Aber auch Yevseyev sieht die Stationierung der US-Raketen durchaus in einem größeren Kontext, der weniger mit Iran als mit Rußland zu tun hat. Dazu paßt, daß US-Staatssekretär Philip J. Crowley gegenüber der Presse erklärte, daß sich die USA mit "weiteren Staaten" über die sogenannte Sicherheitsarchitektur (Phased Adaptive Approach) im Gespräch befänden. [4] Für Washingtons Geostrategen dürfte nicht nur die Stationierung von landgestützten Abfangraketen in Rumänien von Interesse sein, sondern auch und vor allem die Präsenz von US-Kriegsschiffen im Schwarzen Meer. Bezeichnenderweise mahnte der russische Außenminister Sergei Lavrov bei den Vereinigten Staaten eine "erschöpfende Erklärung" an, besonders mit Blick darauf, daß das Schwarze Meer-Regime durch die Montreux-Konvention geregelt sei. [2]

Das Abkommen zum Umgang mit Meerengen von Montreux verbietet unter anderem die gleichzeitige Durchfahrt von Kriegsschiffen von mehr als 15.000 Tonnen durch die Dardannellen und beschränkt den Aufenthalt von Kriegsschiffen von Nicht-Anrainerstaaten im Schwarzen Meer auf 21 Tage. Daß in den westlichen Medien die Sicherheitsinteressen Rußlands im Schwarzen Meer wenig bis gar nicht thematisiert werden, könnte noch mit dem Ost-West-Gegensatz und der weitreichenden Gleichschaltung der hiesigen Medien erklärt werden, aber daß selbst RIA Novosti schreibt, Lavrov habe nicht näher erläutert, inwiefern die Montreux-Konvention irgendwelche Implikationen für die Raketenabwehrpläne der USA in Rumänien habe, da die Konvention den militärischen und kommerziellen Schiffsverkehr durch die Dardanellen regelt [2], ist ein Armutszeugnis. Denn die Phased Adaptive Approach sieht den Aufbau sowohl von land- als auch seegestützten Raketen vor. Ein US-Kriegsschiff im Schwarzen Meer bildete für Moskau keine geringere Bedrohung als einst sowjetische Raketen auf Kuba für Washington.

Die aktuelle Kriegspropaganda und Hetze gegen Iran, das unermüdliche Aufbauen eines Feindbilds und die pauschale Absage an laufend nachgeschobene Verhandlungsangebote seitens Teherans in dem zum "Atomstreit" hochstilisierten Versuch des Landes, sein Recht auf ein ziviles Nuklearprogramm wahrzunehmen, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die geostrategische Hauptstoßrichtung der USA und ihres Juniorpartners Europa - wie vor einem halben Jahrhundert - gen Rußland geht. Überlegungen deutscher Think Tanks, daß die NATO sich darauf einstellen müßte, irgendwann womöglich Rußland aufzunehmen, können getrost als nette Gedankenspielereien von Analysten gewertet werden. Sie entbehren jeder Grundlage, wie zuletzt der Georgienkrieg und die Verschärfung des Verhältnisses der NATO-Staaten zu Rußland gezeigt haben.

Ein Krieg gegen Iran, das womöglich ähnlich zerschlagen und dem eigenen Einflußbereich unterworfen werden soll wie zuvor Jugoslawien, Irak und Afghanistan, entlarvt sich als Teil einer größeren Zangenbewegung auf Rußland und China zu. Die beiden sind trotz ihrer belasteten Vergangenheit und nach wie vor virulenter Grenzstreitigkeiten in der Shanghai Cooperation Group militärisch näher zusammengerückt. Unter dem Druck aufgrund des aggressiven Vorrückens der NATO auf das Territorium der Nachfolgestaaten der Sowjetunion rüstet Rußland auf, wobei die Regierung keinen Hehl daraus macht, daß sie die nukleare Schlagkraft auszubauen gedenkt. Sicherlich nicht, weil sie sich vom Iran bedroht fühlt.


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Anmerkungen:

[1] Näheres unter:
LAIRE/1094: USA bauen Raketenstellungen nicht ab, sondern aus (SB)
LAIRE/1114: US-Raketen in Polen bedrohen Rußland (SB)

[2] "Moscow irked by U.S. missile shield plans for Romania", RIA Novosti, 5. Februar 2010
http://www.globalsecurity.org/space/library/news/2010/space-100205- rianovosti01.htm

[3] "U.S. missiles in Romania spark fresh concern in Moscow", The Voice of Russia, 5. Februar 2010
http://english.ruvr.ru/2010/02/05/4173948.html

[4] Assistant Secretary Philip J. Crowley, Daily Press Briefing, Washington, DC, 4. February 2010
http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2010/02/136521.htm

8. Februar 2010