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LAIRE/1272: Zum Tod von Osama bin Laden - ein überholtes Feindbild wird entsorgt (SB)


Mit dem Tod Osama bin Ladens entufert der Terrorkrieg

Beispiel: NATO-Angriff auf Libyen - Matrize für westlichen Imperialismus


Osama bin Laden ist tot. Er wurde von US-Spezialkräften mit Unterstützung pakistanischer Einheiten in einem Haus in der Stadt Abbottabad nahe der pakistanischen Hauptstadt Islamabad getötet, lautet die offizielle Darstellung. Osama bin Laden gilt in den USA als das personifizierte Böse. Nach der außerplanmäßigen Rede zur Nation von US-Präsident Barack Obama, in der er den Tod des "Terroristen, der für die Ermordung Tausender unschuldiger Männer, Frauen und Kinder verantwortlich ist" [1] verkündete, strömten die Menschen in Washington, New York und anderen Städten in Scharen zusammen, um das Ereignis zu feiern, siegestrunken, Fahnen schwenkend und immer wieder "U.S.A.!" skandierend.

Weniger emotional, aber inhaltlich vollumfänglich auf gleicher Linie, brachte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre "Erleichterung" über den Tod - oder treffender: über die extralegale Hinrichtung - bin Ladens zum Ausdruck [2], und Außenminister Guido Westerwelle erklärte, daß "einem der brutalsten Terroristen der Welt" das "blutige Handwerk" gelegt wurde [3]. Das sei "eine gute Nachricht für alle friedliebenden und freiheitlich denkenden Menschen in der Welt". Auch Merkel bemühte sich, die Tötung eines Menschen neusprech-mäßig zu verschleiern und erklärte, daß die "Kräfte des Friedens einen Erfolg errungen" hätten.

Die Bundeskanzlerin mahnte zugleich, daß zwar "heute nacht (...) die Kräfte des Friedens einen Erfolg errungen" haben, aber damit sei der internationale Terrorismus noch nicht besiegt. "Wir alle werden wachsam bleiben müssen." Meinte sie damit, so wachsam wie im vergangenen Jahr, als Terroralarm wegen eines möglicherweise von Geheimdiensten in Windhuk Richtung München aufgegebenen Realtest-Koffers, der praktischerweise den Aufkleber "Test" besaß, ausgerufen wurde und der damalige Innenminister Thomas de Maiziére von Hysterie sprach, die nicht angebracht sei? [4]

Bei so viel transatlantischer Harmonie will man natürlich nicht stören, aber eingedenk der Folter und Demütigung von Muslimen durch US-Bürger im irakischen Knast Abu Ghraib, der Schändung des Korans in Guantánamo oder anderer, unter- und überschwelliger antimuslimischer Vorbehalte hüben wie drüben des Atlantiks wundert es schon, daß ausgerechnet bei einem als so bedeutend angesehenen Ereignis wie dem Tod des verhaßten saudischen Bauunternehmers plötzlich die islamische Tradition eingehalten worden sein soll, wonach eine Leiche innerhalb von 24 Stunden bestatten werden muß [5]. Man habe die Leiche ins Meer geworfen, hieß es.

Sie sei den muslimischen Gepflogenheiten zufolge behandelt worden, so etwas nehme man sehr ernst, erklärte laut CNN ein namentlich nicht genannter hochrangiger Beamter in Washington [6]. Beweise, daß es sich um Osama bin Laden gehandelt hat, ja, daß sich der ganze Vorgang überhaupt so zutrug, wie er beschrieben wird: Fehlanzeige. Zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort wäre ein solches Vorgehen als repressive Maßnahme einer Diktatur bezeichnet worden. Es ist bekannt, daß beispielsweise die argentinische Militärdiktatur, das Franco-Regime Spaniens und auch die südafrikanische Apartheidregierung mit gewisser Regelmäßigkeit unliebsame Oppositionelle, nicht nur lebende, über dem Meer abwarfen und verschwinden ließen.

So bleibt zu konstatieren: Die USA haben den meistgesuchten "Terroristen" der Welt in einer Nacht- und Nebelaktion angegriffen, getötet und seine Leiche für alle Zeiten verschwinden lassen. Wenn dieser Vorgang nicht so bitterernst wäre und wenn der Weltlachtag, der am 1. Mai begangen wurde [7], trotz seiner dreizehn Jahre alten Tradition nicht so unbedeutend wäre, könnte man beinahe einen Zusammenhang zwischen der Schilderung der drehbuchartigen Vorgänge und jenem Gedenktag vermuten. Zumal früher (?) einmal Osama bin Laden zu Obama sin Laden, wie man auf plattdeutsch sagen würde, zählte. In den achtziger Jahren hat er mit Hilfe des US-Geheimdienstes CIA den Kalte-Krieg-Gegner Sowjetunion in Afghanistan erfolgreich bekämpft; in den Neunzigern diente er den USA als Vorwand, um mutmaßliche Terrorlager in Afghanistan und eine moderne Medikamentenfabrik am Rande der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit Cruise Missiles zu bestreichen (nachdem Sudan den USA wenige Jahre zuvor angeboten hatte, Osama bin Laden in ein anderes Land abzuschieben, wo er vom FBI hätte übernommen werden können, was Washington jedoch ablehnte [8]); ab dem 11. September 2001 lieferte er den USA den Vorwand, einen Pakt der Willigen zu bilden und einen weltweiten Krieg gegen den Terror auszurufen.

Nun ist Osama bin Laden tot. Ihn allein auf die Funktion einer von westlichen Interessen gesteuerten Führungsfigur zu reduzieren, wäre verfehlt und würde die in der islamischen Welt entstandenen antiwestlichen Bewegungen in ihrer Eigenständigkeit ignorieren. Dennoch ist festzustellen, daß bin Laden seine Schuldigkeit getan hat. Vor dem oben geschilderten Hintergrund ist das keine gute, sondern eine schlechte Nachricht. Denn es bedeutet, daß den herrschenden Kräften offenbar andere und damit effizientere Mittel zur Verfügung stehen, um ihre Interessen gegen "den Rest der Welt" durchzusetzen. Dazu zählen die Länder des Trikonts, die Peripheriestaaten der hochgerüsteten Länder des Westens und potentielle wie echte Hindernisse auf dessen Weg zur Globalhegemonie (China, Rußland, Indien) sowie inner- wie außerhalb der privilegierten Staaten die zur Manövriermasse der kapitalistischen Verwertungsordnung degradierten, aber über eine abgestufte Beteiligung am Raubsystem verflochtenen Einwohner.

Die Nachricht vom Tod Osama bin Ladens erweckt den Eindruck einer unverzichtbaren, wenngleich obsoleten Vollzugsmeldung. Längst hat sich das Rad der Geschichte weitergedreht, längst eröffnen die sich rasant qualifizierenden Verfügungsgewalten neue Fronten der vernichtenden Verwertung menschlicher Lebens- und Überlebenschancen. Der Begriff "Terrorist" oder, wie in diesem Fall, "Terrorchef" bietet keine genügend große Klammer, um angesichts sich auftürmender Widerspruchslagen sämtliche widerspenstigen Zweige potentiell emanzipatorischer Entwicklung der großen Verdauung zuführen zu können.

Wenn nun Osama bin Laden nicht mehr benötigt wird, wer oder was tritt an seine Stelle? Es müßte etwas sein, das ein noch bedrohlicheres Feindbild liefert. Ein Nachfolger bin Ladens scheint nicht in Aussicht zu stehen. Womöglich wird Herrschaftssicherung in Zeiten von Wirtschafts-, Finanz-, Klima- und Rohstoffkrisen nicht mehr mittels der Personifizierung des Bösen betrieben, sondern als Bedrohung abstrahiert, um dadurch um so unangreifbarer und scheinbar widerspruchsfreier durchgesetzt zu werden.


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Quellen:
[1] "Transcript: Obama announces the death of Osama bin Laden", CNN,
2. Mai 2011

http://edition.cnn.com/2011/WORLD/asiapcf/05/02/bin.laden.announcement/index.html

[2] "Bundeskanzlerin Merkel zum Tod von Osama bin Laden", Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 153, 2. Mai 2011
http://www.bundesregierung.de/nn_1264/Content/DE/Pressemitteilungen/BPA/2011/05/2011-05-02-merkel-osama-bin-laden.html

[3] "Bundesminister Westerwelle zum Tod von Osama bin Laden", Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes, 2. Mai 2011
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Meldungen/2011/110502-BinLaden.html

[4] Näheres dazu unter:
LAIRE/1256: Deutschland im Real-Test-Ausnahmezustand (SB)

[5] "Osama bin Laden - Leiche auf See bestattet", Focus, 2. Mai 2011
http://www.focus.de/politik/ausland/osama-bin-laden/osama-bin-laden-leiche-auf-see-bestattet_aid_623224.html

[6] "How U.S. forces killed Osama bin Laden", CNN, 2. Mai 2011
http://edition.cnn.com/2011/WORLD/asiapcf/05/02/bin.laden.raid/index.html

[7] "Weltlachtag - Die ungewöhnlichsten Gedenktage der Welt", Handelsblatt, 1. Mai 2011
http://www.handelsblatt.com/panorama/aus-aller-welt/die-ungewoehnlichsten-gedenktage-der-welt/4116120.html

[8] "Mein Vater, der Terrorist", Die Welt, 3. November 2009
http://www.welt.de/die-welt/vermischtes/article5065021/Mein-Vater-der-Terrorist.html

Und auch:
"Investigation - The Osama Files", David Rose für Vanity Fair, Januar 2002
http://www.vanityfair.com/politics/features/2002/01/osama200201?currentPage=all

2. Mai 2011