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LAIRE/1280: Welternährungstag - Kein Mangel an Pseudolösungen des Hungerproblems (SB)


Alle Menschen sind gleich, nur die Schweine sind gleicher

Einige Anmerkungen zum Welternährungstag


Es sind nicht die unterernährten Kinder und Greise oder sonstwie geschwächten Personen, die sich gegen die Sachwalter der Hungeradministration zur Wehr setzen und ihnen ihre Privilegien streitig machen können. Eine "Gefahr" aus der Sicht der Herrschenden geht allenfalls von jenen Menschen aus, die noch einigermaßen genug zu essen haben, aber bereits spüren, daß auch sie Spielball von Kräften und Interessen sind, die sie nicht kontrollieren und die nicht die ihren sind. Das haben die Armuts- und Hungerunruhen zur Zeit der weltweiten Preisexplosion für Nahrungsmittel in den Jahren 2007, 2008 gezeigt und das wurde in diesem Jahr durch den sogenannten arabischen Frühling in mehreren Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, der sich unter anderem an den gestiegenen Brot- und Lebensmittelpreisen entzündete, bestätigt.

Um dieses Protestpotential zu entschärfen, werden von den Regierungen verschiedene Methoden zum Einsatz gebracht. An vorderster Stelle Zuckerbrot und Peitsche, also Unterdrückung und, wenn das nicht gelingt, Beteiligung. Inwiefern sich die "Revolutionen" in Tunesien, Ägypten und anderen Ländern gegenüber solchen herrschaftsichernden Praktiken behaupten oder überhaupt behaupten wollen, muß sich erst noch erweisen.

Favorisiert werden zudem propagandistische Methoden. So herrscht quer durch das politische Spektrum die Vorstellung vor, es würde weltweit genügend Nahrung produziert, um alle Menschen satt zu machen; es bedürfe mithin lediglich einer gerechteren Verteilung. Zwölf Milliarden Menschen könnten von der produzierten Nahrungsmenge satt werden, lautet die Vorstellung.

Es bestehen erhebliche Zweifel daran, daß der globale Nahrungsmangel über eine andere Verteilung des Vorhandenen ausgeglichen werden kann. Bei dieser Lösung werden entscheidende Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Produktionsbedingungen ausgeblendet. So sind die politischen Entscheidungsträger nicht bereit, beispielsweise von ihren hungerfördernden Biospritzielen abzulassen und die Bewirtschaftungsflächen zur Produktion von Nahrung zu verwenden. Schon gar nicht soll das Spekulieren auf Nahrung an den Finanzzentren, das 1991 mit der Einführung des Goldman Sachs Commodity Index (2007 von Standard & Poor's übernommen) erst richtig in Schwung kam, abgeschafft werden. Das unterstreichen einmal mehr die milliardenschweren Bankenrettungsmaßnahmen der letzten Zeit. Spekulationen über Preisveränderungen von Nahrungsmitteln werden nicht abgeschafft, sondern sogar noch durch Finanzspritzen gefördert, und selbst manche Kritiker der praktizierten Bankenrettung fordern eine Besteuerung der Finanztransaktionen, was deren Fortsetzung unter modifizierten Bedingungen impliziert. Eine geringere Bereicherung bleibt aber nach wie vor eine Bereicherung.

Biosprit und Spekulationen werden häufig als zwei wesentliche Faktoren der globalen Hungerkrise angesehen. Wenn das zuträfe, bedeutete das, daß nahezu alle Menschen genügend zu essen haben müßten, wenn nur diese beiden Faktoren ausgeschaltet wären. Ob das zuträfe, ist fraglich, denn auch vor dem Biosprit- und Spekulationsboom haben hunderte Millionen Menschen gehungert. In früheren Jahrzehnten wurde als Antwort auf die Hungerkrise wahlweise eine fehlgeleitete Entwicklungshilfe, mangelnde Öffnung der armen Länder für den Weltmarkt oder auch die Schwierigkeit, nach dem Ende der Kolonialzeit eine staatliche Ordnung aufzubauen, angeboten. Nochmals in der Geschichte weiter zurück wurde das Wetter als vermeintliche Hungerursache bemüht: Als in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhundert in Indien schwerste Hungersnöte ausbrachen, der zig Millionen Menschen zum Opfer fielen, wurden dafür die ausbleibenden Monsunniederschläge verantwortlich gemacht. Zwar wurde damals der indische Subkontinent tatsächlich von Dürre heimgesucht, aber in eben dieser Zeit hatte die britische Kronkolonie weiterhin Nahrung ins Stammland des Britisch Empire exportiert.

Mit diesen Beispielen soll verdeutlicht werden, daß, wer den inakzeptablen Verhältnissen von heute eine gerechtere Verteilung der Nahrungsmenge als Lösung des Hungerproblem gegenüberstellt, sich im klaren darüber sein sollte, daß erstens mit Recht und Gerechtigkeit all jene Hungersnöte und Mangellagen begründet wurden und zweitens mit "Nahrungsverteilung" tiefergehende und weitreichendere Eingriffe in das gesellschaftliche Zusammenleben vorgeschlagen werden, als die Profiteure der Verteilungsordnung dies jemals zuzulassen bereit wären. Das System der Nahrungsverteilung von heute beseitigt nicht den Hunger, sondern verwaltet ihn. Wohin die Reise geht, wenn noch ein Schuß Gerechtigkeit dazukommt, bleibt offen.

Einmal angenommen, die Nahrungsproduktion wäre nicht mehr den marktwirtschaftlichen Kräften, die systembedingt auf eine Bereicherung von wenigen und Mangel von vielen Menschen hinauslaufen, ausgesetzt. Vielleicht könnte eine Globaladministration, die nicht nach Profiten strebte, die Nahrungsverteilung übernehmen. Dann würde sich womöglich eine noch viel gräßlichere Fratze als die der Spekulanten, Bankiers und sonstigen Profiteure des vorherrschenden Wirtschaftssystems zeigen! Um ein Bild aus "Farm der Tiere" von George Orwell abzuwandeln: Alle Menschen sind gleich, nur die Schweine sind gleicher. Oder: Wer verteilt? Nach welchen Kriterien? Welcher Mensch wollte ernsthaft behaupten, er sei vollkommen frei davon, jemals Vorteile für sich angestrebt zu haben oder anzustreben. Was bedeutet das für eine globalgesellschaftliche Funktion des Verteilens?

Eine wie auch immer geratene "gerechtere Verteilung" als Lösungskonzept für die Hungerkrise wirft grundlegende Fragen auf. Das muß nicht bedeuten, sich ihnen nicht zu stellen. Im Gegenteil. Gerade weil die Welt derzeit vor gewaltigen Umbrüchen zu stehen scheint, die möglicherweise vielen Menschen zum Schaden gereichten, könnte das eine Gelegenheit sein, innezuhalten, entschieden Nein zu sagen, und sich dieses Nein von keinerlei Beteiligungsangeboten und Pseudolösungen nehmen zu lassen.

16. Oktober 2011