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LAIRE/1315: Neues von der Propagandafront ... (SB)


Pakistans Verteidigungsminister sitzt mutmaßlichen Fake News auf und erinnert Israel daran, daß sein Land ebenfalls Atomwaffen besitzt

Während in Deutschland und anderen Ländern noch eine Debatte über sogenannte Fake News geführt wird, ist die reale Entwicklung zum Ausbau der eigenen Propagandaabteilungen längst einen Schritt weiter


Pakistan droht Israel mit einem Atomschlag aufgrund einer Falschmeldung im Internet? Diese Meldung ging zur Weihnachtszeit rund um die Welt, und nicht nur im Bundesinnenministerium dürfte man sich bestätigt sehen. Passender hätte es nicht kommen können. Von dort war nämlich zuvor der Vorschlag aufgebracht worden, möglichst rasch ein neues Zentrum zur Bekämpfung sogenannter Fake News in den sozialen Medien einzurichten. Und in den USA wurde im Haushaltsgesetz 2017 für das Verteidigungsministerium auf den letzten Drücker noch ein Gesetzesvorschlag zur Bildung einer Gegenpropagandabehörde (Countering Disinformation and Propaganda Act) eingefügt. [1] Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker strengt eine Medienzensur an, stellt dies allerdings unter die Aufforderung an soziale Medien wie Facebook und Google, für mehr "Glaubwürdigkeit" zu sorgen. [2]

An dieser Stelle soll von vornherein unmißverständlich klargestellt werden, daß sich die Tätigkeiten des in einem Vermerk des Bundesinnenministeriums ins Gespräch gebrachten "Abwehrzentrums gegen Desinformation" prinzipiell nicht von denen eines (historisch realen) Propagandaministeriums oder (fiktionalen) Wahrheitsministeriums unterscheiden werden. So eine Institution verdient daher im Umkehrschluß die Bezeichnung "Angriffszentrum zur Verbreitung von Informationen" und geht nahtlos über zu den Aktivitäten der Bundeswehr im Cyberraum.

Im wesentlichen werden mit solch einer Einrichtung zwei bloße Behauptungen unhinterfragt festgeschrieben: Erstens, falsche Nachrichten sind eindeutig von richtigen zu unterscheiden, und zweitens, man hat den Alleinvertretungsanspruch auf Wahrheit.

Was war geschehen? Die rechtslastige Website AWD-News hatte ein gefälschtes Dokument ins Internet gestellt, in dem der israelische Verteidigungsminister Moshe Jaalon laut Zeit online [3] mit der Aussage zitiert wird, Israel werde Pakistan "nuklear zerstören", sollte das Land "unter dem Vorwand, den IS zu bekämpfen", Truppen nach Syrien schicken. Daraufhin habe Pakistans Verteidigungsminister Khawaja Asif einen Tweet abgesetzt, in dem er Israel daran erinnert, daß auch Pakistan eine Nuklearmacht ist. Das wurde in Medien wie BILD als "diplomatisches Säbelrasseln" [4] und laut dem Magazin stern als Androhung eines "Nuklearschlags" [5] bezeichnet.

Die massenmediale Interpretation des Gezwitschers Asifs und die Überhöhung der Bedeutung eines maximal 160 Zeichen langen Tweets als "diplomatisches Säbelrasseln" kommt für sich genommen der Verbreitung von Fake News schon sehr nahe, wenn man bedenkt, daß Israel kein bißchen mit dem Säbel gerasselt hat. Dessen Klarstellung war sachlich und wirkte glaubwürdig.

Im übrigen lautet der Name des israelischen Verteidigungsministers nicht, wie in dem von AWD News veröffentlichten Dokument angegeben, Moshe Jaalon, sondern Avigdor Lieberman. Er hat vor mehr als einem halben Jahr dieses Amt übernommen. Auch ist es vollkommen unüblich, daß israelische Politiker mit den Atomwaffen ihres Landes drohen, da sie es vermeiden, deren Existenz überhaupt zuzugeben.

Dennoch läßt sich an diesem Beispiel zeigen, wie haltlos die Vorstellung ist, Falschmeldungen seien eindeutig zu identifizieren. So könnte man sich fragen, ob das Dokument vielleicht doch echt ist, aber die israelische Regierung dies aus welchen Gründen auch immer dementiert. Dann fiele zwar das Dementi nicht unter Fake News, doch bliebe der gesamte Vorgang dennoch eine Täuschung. Wer will das beurteilen?

Im April 2009 hat Avigdor Lieberman, damals noch Außenminister Israels, Pakistan (sowie Afghanistan und Irak) zu den "größten strategischen Bedrohungen" seines Landes gezählt. Nicht den Iran, dessen Atomprogramm von Israel immer wieder angegriffen wurde und wird. Nachzulesen in der anerkannten Zeitung "The Nation". [6] Das angespannte Grundverhältnis zwischen Israel und Pakistan wurde also in dem mutmaßlich gefälschten und von AWD News veröffentlichten Dokument sehr wohl getroffen. Was ist Wahrheit, was eine Täuschung?

Die Debatte, die über den Vorgang losgetreten wurde bzw. einen weiteren Schub erfahren hat, dreht sich auffälligerweise nicht um die Abschaffung von Atomwaffen, sondern darum, wie man sogenannte Fake News verhindern kann. Dabei wäre zu fragen, ob nicht die bloße Existenz solcher ultimativen Zerstörungsmittel, mit denen ganze Städte in Schutt und Asche gelegt werden können, eine weitaus größere Bedrohung des Gemeinwohls darstellt als es eine Twittermeldung je erreichen kann. Zumal die Vorwarnzeit, die der Gegenseite für die Entscheidung bleibt, ob gerade ein Nuklearangriff stattfindet, der mit einem nuklearen Gegenschlag beantwortet werden müßte, nur wenige Minuten beträgt. Und es hat auf den Monitoren der Radaroperateure schon häufiger Fehlmeldungen - auch eine Art Fake News - gegeben, die erst im letzten Moment als solche identifiziert wurden. [7]

Indem jetzt die traditionellen Medien eine Nachricht aus den sozialen Medien zum Gegenstand ihrer eigenen Berichterstattung machen, messen sie ihr mehr Gewicht bei, als sie hat. Wobei der pakistanische Außenminister sicherlich kein gutes Bild abgibt, wenn er auf eine AWD-News reagiert und offenbar die Quelle nicht überprüft hat. Es zeigt aber auch, wie leichtfertig Politiker mancher Atomwaffenstaaten mit der ganz großen Keule drohen. Der Verteidigungsminister Pakistans zum Beispiel hat schon häufiger mit dem Einsatz von Atomwaffen "gedroht", zuletzt im September 2016 gegen den Erzrivalen Indien. [8] Umgekehrt genauso. Da ist Asif nicht der einzige. Der designierte US-Präsident Donald Trump hat vor wenigen Tagen auf dem gleichen Kurznachrichtendienst über den Ausbau von Atomwaffen seines Landes gezwitschert. [9]

Welche Gewähr haben Leserinnen und Leser, daß sich ihr nachvollziehbarer Wunsch, weder Falschmeldungen noch Täuschungen serviert zu bekommen, erfüllt? Gar keine. Auch nicht, bzw. besonders dann nicht, wenn sie in Zukunft von einer staatlichen Einrichtung, die sich der Gegenpropaganda verschrieben hat, verbreitet wird. Die Nutzerinnen und Nutzer der sozialen Medien sind genauso darauf angewiesen, sich eine eigene Meinung zu bilden, wie bei den traditionellen Medien. Man weiß schließlich, was man von der rußlandfreundlichen Sputnik News, Fox News in den USA, dem britischen Revolverblättchen Sun und der deutschen BILD zu halten hat.

Spätestens seit der Ermordung Benno Ohnesorgs vor rund 50 Jahren bei einer Demonstration in Berlin durch einen von der Boulevardpresse aufgestachelten Polizisten müßte eigentlich klar sein, daß jede Zeitung eigene Interessen verfolgt. So nutzen hochrangige deutsche Politiker wie Kanzlerin Merkel, Außenminister Steinmeier und Vizekanzler Gabriel ausgerechnet die BILD-Zeitung als Sprachrohr, um ihre Botschaften zu verbreiten, obgleich man doch dieses Blatt fast schon synonym mit Fake News setzen könnte. Die Zahl an Falschmeldungen, die allein Bildblog in den letzten Jahren aufgespürt hat, geht in die Hunderte. [10] Doch daß das Bundesinnenministerium auch eine Zentrale zur Korrektur von Falschmeldungen in der Boulevardpresse einrichten will, ist nicht bekannt. Sollte jemals eine solche Meldung verbreitet werden, wird es sich dabei mit Sicherheit um Fake News handeln.


Fußnoten:

[1] https://www.heise.de/tp/features/Pentagons-neue-Wahrheitsbehoerde-im-US-Aussenministerium-3582005.html

[2] http://www.waz.de/politik/juncker-appelliert-an-glaubwuerdigkeit-sozialer-netzwerke-id209085531.html

[3] http://www.zeit.de/news/2016-12/26/konflikte-nach-fake-news-pakistan-droht-israel-mit-nuklearschlag-26092606

[4] http://www.bild.de/politik/ausland/pakistan/fake-news-israel-pakistan-49483362.bild.html

[5] http://www.stern.de/politik/ausland/wegen-fake-news--pakistan-droht-israel-mit-atomschlag-7256124.html

[6] http://nation.com.pk/politics/23-Apr-2009/Israeli-FM-sees-Pakistan-biggest-threat

[7] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0113.html

[8] http://www.huffingtonpost.in/2016/09/27/pakistans-defence-minister-khawaja-asif-threatens-to-nuke-india/

[9] https://www.tagesschau.de/ausland/trump-atomwaffen-101.html

[10] http://www.bildblog.de/

27. Dezember 2016


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