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LAIRE/1319: Hunger, Bomben, Kopfabschneider (SB)


Wenn Merkel zum Mittagessen nach Dschidda reist, ist das nicht so harmlos, wie es klingt


Das nennt man Druck aus dem Kessel nehmen, ohne zugleich das Feuer zu dämpfen: Saudi-Arabien verzichtet auf weitere Waffenlieferungen aus Deutschland, dafür wird die Bundeswehr Soldaten Saudi-Arabiens ausbilden. Kurz vor dem Besuch Merkels am Sonntag hatte der Vizewirtschaftsminister des saudischen Herrscherhaus erklärt, es verzichte zukünftig auf Waffenlieferungen aus Deutschland. [1] Damit kommt Saudi-Arabien der Kanzlerin entgegen, wird doch die Bundesregierung seit Jahren aus Kreisen der Zivilbevölkerung und der Opposition für Waffenlieferungen an das Land kritisiert.

Die militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Wahhabitenreich wird jedoch nahtlos fortgesetzt. Das ist die eigentliche Botschaft, die Kanzlerin Angela Merkel von ihrem Besuch in Saudi-Arabien mitbringt. Weitere Ausbildungsprogramme wurden auch für Polizei und Bahnpolizei sowie Grenzschutz und Luftsicherheit vereinbart. Außerdem wird der deutsche Siemens-Konzern am saudischen Wirtschaftsprogramm Vision 2030 beteiligt.

"Auch der gemeinsame Kampf gegen den islamistischen Terrorismus stand auf dem Programm. Saudi-Arabien ist ein wichtiger politischer Akteur im Nahen und Mittleren Osten. Deshalb spielte auch der Bürgerkrieg in Syrien sowie die Situation in Libyen und im Jemen eine Rolle", erklärt die Bundesregierung auf ihrer Internetseite. [2]

Was dort nicht steht: Saudi-Arabien unterstützt die dschihadistische Organisation Daesh, die sich Islamischer Staat nennt, und führt seit Jahren im Nachbarland Jemen einen Krieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen sowie gegen die Zivilbevölkerung. Die Menschen dort leiden unter den vielen Bombenangriffen und dem grassierenden Hunger im ganzen Land. Das bezeichnet die Bundesregierung abstrakt als "Situation".

Auf der arabischen Halbinsel, ebenso wie an anderen Brandherden der Region, werden Waffen aus Deutschland eingesetzt. Nicht an vorderster Stelle, aber auch. So wird der Begriff "Gewaltenteilung" auf seine wesentliche Bedeutung zurückgeführt: Man teilt sich die Gewalt, das heißt, der eine baut eine Waffe und drückt sie dem anderen in die Hand, damit er das tut, was man mit Waffen eben so tut. Insofern hat hier nicht die Regierungschefin eines lupenreinen demokratischen Staates mit dem König eines autoritären Regimes, das das Völkerrecht mit Füßen tritt, in Dschidda besucht und mit ihm Mittag gegessen, sondern hier haben sich zwei strategische Partner getroffen.

"Im Jemen setzt sich Deutschland für einen Waffenstillstand und eine Rückkehr zum politischen Prozess ein. Eine Lösung des Konflikts ist für die Bundesregierung nur unter Einbindung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate möglich", teilte die Bundesregierung mit. Damit erkennt Deutschland die genannten Staaten als Ordnungsmacht in der Region an und versucht, die militärischen Angriffe auf Jemen zu legitimieren.

Gleichzeitig werden Perspektiven eröffnet. Eine unmittelbare Intervention oder Beteiligung der Bundeswehr auf der arabischen Halbinsel ist gar nicht erforderlich, um dennoch sagen zu können: Deutschland wird auch in Sanaa "verteidigt". Schließlich versuchen Saudi-Arabien und seine Alliierten mit dem dortigen Krieg unter anderem die Interessen Deutschlands zu wahren, indem sie zumindest langfristig Rohstoffsicherung betreiben, Handelswege freihalten und Absatzmärkte schaffen. Die nachhaltige Zerstörung eines Landes steht zu diesen Anliegen in keinem Widerspruch.

Im Anschluß an einen Waffenstillstand, so er jemals zustandekommt, ist bekanntlich Wiederaufbau angesagt. Der würde dann unter saudischer Ägide stattfinden. Da Merkel von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet wird, könnte man vermuten, daß zum Wiederaufbau auch schon Angebote, Absichtserklärungen, Investitionszusagen und ähnliches seitens deutscher Seite abgegeben wurden - auch wenn solche Anliegen vermutlich nicht mal ausgesprochen werden müßten. Man teilt die Beute, bevor das Wild erlegt ist. Das ist nicht unüblich unter Räubern.

Kriege wie der in Jemen erfüllen auch hierzulande eine wichtige ordnungspolitische Funktion. Denn wenn die Welt um "uns" herum dermaßen brennt, wird die vorherrschende Gewaltenteilung mit all ihren fremdnützigen Konsequenzen, wie zum Beispiel die Verrichtung von Lohnarbeit, bereitwillig hingenommen. Sich diesem Diktat "freiwillig" zu unterwerfen erscheint erträglicher als die düstere Aussicht, jenseits der Grenzen dem Bombenhagel saudischer Kampfjets ausgeliefert zu sein, den Kopfabschneidern des Islamischen Staats in die Hände zu fallen oder nicht den dürregeplagten Hungerregionen entkommen zu können. Aus diesem Grund werden Hunger, Bomben und Kopfabschneider von den herrschenden Kräften gebraucht. Die in Deutschland produzierten Waffen werden selbstverständlich nicht abgeschafft, sondern woanders hin exportiert. Krisenregionen gibt es genug, und wenn nicht, werden sie auf diese Weise geschaffen.


Fußnoten:

[1] http://www.spiegel.de/politik/ausland/angela-merkel-in-saudi-arabien-interview-mit-saudischem-vize-wirtschaftsminister-a-1145485.html

[2] https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Reiseberichte/2017-04-27-merkel-in-saudi-arabien-und-vae.html

30. April 2017


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