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LAIRE/1330: Japan - an der Schwelle zu züchten ... (SB)



Die japanische Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Manipulation menschlicher Embryonen mit Hilfe der Genom-Editing-Methode CRISPR-Cas9 vorgelegt. Die dabei vorgenommene Einschränkung, daß keine Embryonen zur Reproduktion verwendet werden sollen, ist rechtlich nicht bindend, bietet also eher ein Scheunentor, denn ein Schlupfloch für eben genau solche Anwendungen.

Japan hat zwar längst Bestimmungen zur Nutzung menschlicher Embryonen für Forschungszwecke erlassen, aber bislang gibt es noch keine spezifischen rechtlichen Regeln, wie man mit dem Werkzeug CRISPR-Cas9 umgehen darf. Bislang sei Japans Haltung zum Genom-Editing von menschlichen Embryonen neutral, sagte der Bioethiker Tetsuya Ishii von der Hokkaido-Universität in Sapporo laut einer Meldung des Journals "Nature". "Der Gesetzentwurf ermutigt nun zu dieser Art der Forschung." [1]

Vom kommenden Monat an ist die japanische Öffentlichkeit aufgerufen, sich zu dem Gesetzentwurf zu äußern. Voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2019 dürfte ein entsprechendes Gesetz in Kraft treten. Man kann davon ausgehen, daß Japan mit diesem Schritt seine Position in der Spitzengruppe der weltweiten CRISPR-Cas9-Forschung behaupten will.

Bei der Debatte über ethische Standards für den genomischen Eingriff in menschliche Embryonen wird häufig die Befürchtung geäußert, daß CRISPR-Cas9 auch für "nicht-medizinische Anwendungen" gebraucht werden könnte. Diese Bedenken unterstellen von vornherein die Akzeptanz des genomischen Eingriffs, sofern er nur im Zeichen der Medizin stattfindet. Ganz so, als hätte diese Zunft keine Experimente an Menschen durchgeführt und als würden heute nicht ebenfalls Versuche an Menschen durchgeführt - selbstverständlich von Ethikkommissionen abgesegnet. Man denke nur an die 4. Novelle des deutschen Arzneimittelgesetzes, die unter gewissen Voraussetzungen mittels des Rechtsbegriffs der "Gruppennützigkeit" medizinische Versuche an Menschen ohne deren konkrete Einwilligung und ohne daß sie einen individuellen Nutzen davon haben, gestattet. Die im November 2016 vom Bundestag verabschiedete Novelle war nicht die erste medizinisch-ethische Frage, die seitens ihrer Kritikerinnen und Kritiker als "Dammbruch" gewertet wurde, und dürfte auch nicht der letzte dieser Art gewesen sein.

Es wird zwar gerne gesagt, daß Deutschland aufgrund seiner Geschichte besonders restriktive Bestimmungen erlassen hat, doch dieser Eindruck entsteht vor allem deshalb, weil sich andere Staaten geringere Einschränkungen auferlegen. Das gilt auch für die Genom-Editierung. Länder wie zum Beispiel China, USA, UK und Japan sind sicherlich sehr viel freizügiger. Ob aber die Bundesrepublik Deutschland auf alle Ewigkeiten hinaus ein vermeintlich striktes Verbot des Eingriffs in die menschliche Keimbahn aufrechterhalten wird, ist ungewiß. Schon heute weist das Embryonenschutzgesetz Lücken auf, beispielsweise wenn behauptet und rechtlich durchgesetzt würde, daß der Einsatz der CRISPR-Cas9-Methode bei menschlichen Embryonen hinreichend sicher für die Nachkommen durchgeführt werden könnte.

Allerdings wurde festgestellt, daß die Analogie von CRISPR-Cas9 als Schere, mit der kurzerhand die unerwünschten Genabschnitte herausgeschnitten werden, nicht zutrifft. Beim "Herausschneiden" kann es an zahlreichen anderen Stellen des Genoms zu Veränderungen kommen, und es besteht das Risiko, daß durch den Eingriff ausgerechnet ein natürlicher Krebsbekämpfungsmechanismus der Zelle eliminiert wird (Off-target-Effekte). Aber falls eines Tages solche "Kinderkrankheiten" dieser neuen biotechnologischen Methode behoben sind, wer weiß, ob nicht dann sogar das deutsche Embryonenschutzgesetz wieder auf den Prüfstand kommt.

Man denke nur an den Testballon, den Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor kurzem losgelassen hat, als er sich für die Widerspruchslösung bei der Organspende aussprach. Er möchte dem Medizinbetrieb eine größere Verfügungsmasse an Organen zukommen lassen und strebt eine gesetzliche 180-Grad-Kehrtwende an, weg von der Freiwilligkeit der Organspende hin zur Spendenpflicht. Ausgenommen sind dann nur Personen, die aktiv offiziellen Widerspruch gegen die Organentnahme eingelegt haben.

Forschungen an Embryonen sind in Deutschland verboten. Zuwiderhandlungen werden bestraft. Wie lange wird dieses - vergleichsweise - strikte Verbot gelten, wenn der deutsche Medizin- und Wissenschaftsbetrieb reklamiert, im internationalen Vergleich schwerwiegende Nachteile zu erleiden? Oder wenn der Brain-drain zunimmt und Fachkräfte in Scharen ins Ausland abwandern? Dann würde die Frage nach einer Lockerung der gesetzlichen Bestimmungen erneut aufgeworfen - und wenn es eine Berufsgruppe gibt, die in 180-Grad-Wendungen geübt ist, dann die des Politikers.

Der weltweite Hype um CRISPR-Cas9 hält seit einigen Jahren an. Vielleicht sind es allein die rechtlichen, vor Gericht ausgetragenen Streitigkeiten unter denjenigen, die reklamieren, die Methode erfunden zu haben, die das Nobelpreiskomitee bislang davon abgehalten hat, die beteiligten Personen mit dem Medizinnobelpreis auszuzeichnen. Japan und andere Länder liebäugeln mit der Manipulation der menschlichen Keimbahn und sind im Begriff, Menschenzüchtung zu betreiben.

Die dystopische Vorstellung, daß mit CRISPR-Cas9 und seinen vielfältigen Möglichkeiten zur Manipulation des Erbguts von Pflanzen, Tieren und eben auch Menschen ein weiterer Schritt in Richtung einer diktatorisch organisierten Gesellschaft vollzogen wird, bei der die herrschenden Kräfte auf der einen Seite Menschen mit unerwünschten Eigenschaften ausmerzen und auf der anderen Seite paßgenaue, also zwecks späterer Verwertung arbeitswillige, produktive und höchst leistungsfähige Menschen (kräftig, ausdauernd, reaktionsschnell, folgsam, etc.) züchten könnten, greift insofern zu kurz, als daß Menschen freiwillig dazu bereit wären, nicht nur ihren Nachkommen, sondern auch sich selbst solch einem Enhancement zu unterziehen, um fremdnützige Interessen zu gefallen, die sie längst zu ihren eigenen erklärt und angenommen haben.


Fußnote:

[1] https://www.nature.com/articles/d41586-018-06847-7

5. Oktober 2018


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