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LAIRE/1342: Ernährung - Welthungerhilfe ein Teil des Problems ... (SB)



Die weltweite Hungerhilfe globaladministrativer Institutionen lindert regelmäßig den Nahrungsmangel von Millionen Menschen, dient aber zugleich als Feigenblatt einer gesellschaftlichen Ordnung, in der laufend weiter Hunger produziert wird.

Am heutigen Dienstag ist der Globale Bericht über akute Nahrungsmittelkrisen (Global Report on Food Crises) erschienen [1]. Wie in den letzten zwei Jahren seit Erscheinen des ersten Berichts dieser Art handelt es sich um eine Mischung aus Schilderungen des Ist-Zustands, Mahnungen, daß noch viel zu wenig gegen den Hunger getan wird, und Perspektiven, daß immerhin schon einige Anstrengungen in die richtige Richtung unternommen werden. Doch niemals wird der akute Hunger auch nur annähernd als systemische Folge einer von Vorteilsnahme getriebenen, die Vorherrschaft der bestehenden Produktionweisen und Wertschöpfungsketten sichernden Gesellschaftsordnung beschrieben, sondern stets nur als angeblicher Ausnahmefall aufgrund von bewaffneten Konflikten, klimatischen Faktoren und wirtschaftlichen Schocks. So versteht sich dieser Report als Gegenstück zum State of Food and Nutrition Security in the World (SOFI) 2018, einem Zustandsbericht über chronischen Hunger, der die Zahl der absolut unterernährten Menschen mit 821 Millionen angibt. [2]

Indem sich das Global Network Against Food Crises, an dem unter anderem die UN-Institutionen FAO (Organisation für Lebensmittel und Landwirtschaft) und WFP (Welternährungsprogramm) beteiligt sind, als Initiator dieses Berichts über Welthunger und Welthungerhilfe zum Adressaten der Notleidenden anbietet, erweist es sich als Sachwalter dieser Ordnung und nicht etwa als deren grundlegendes Korrektiv.

Im vergangenen Jahr waren mehr als 113 Millionen Menschen in 53 Ländern von "akutem Hunger" betroffen und auf Lebensmittelhilfe angewiesen. Am meisten gehungert wurde, in dieser Reihenfolge, in Jemen, Demokratische Republik Kongo, Afghanistan, Äthiopien, Syrien, Sudan, Südsudan und Nigeria (der nördliche Teil). Auf diese acht Länder entfallen zwei Drittel der Menschen, die unter akutem Nahrungsmangel litten.

Bewaffnete Konflikte erweisen sich demnach als mit Abstand wichtigster Grund für Hunger. Was der Report nicht dazu sagt: Stets handelt es sich um Konflikte, die auf mehreren, miteinander verwobenen Ebenen ausgetragen werden und auf denen unter anderem auch der privilegierte westliche Lebensstil beruht. Beispielsweise könnte die Militärallianz, die Saudi-Arabien um sich geschart hat, keinen so vernichtenden Krieg gegen die jemenitische Bevölkerung führen, wenn ihr dafür nicht Waffen unter anderem aus deutscher Fertigung ausgehändigt worden wären. Die Rüstungslieferanten sind genauso an diesem größten akuten Hungernotstand der Welt beteiligt wie diejenigen, die diese Waffen einsetzen. Ist es nicht perfide, daß nicht etwa der Hungertod von vielen zu einem befristeten Waffenexportstopp der BRD an Saudi-Arabien geführt hat, sondern die medial breitgewalzte Ermordung einer einzigen Person in der Botschaft dieses Landes in der Türkei?

In der Demokratischen Republik Kongo werden seit mehreren Jahrzehnten erbitterte Ressourcenkriege geführt. Sklavenarbeit und sklavereiähnliche Arbeit reichen sich im rohstoffreichen, jedoch völlig verarmten Ostkongo die Hand. Dort führen lokale Handlanger, die am unteren Ende von Seilschaften stehen, welche sich bis in die Nachbarländer und von dort weiter hinaus bis in die Verwertungsstätten von Coltan, Kupfer, Gold, Diamanten und anderen Rohstoffen auf anderen Kontinenten erstrecken, einen Dauerraubzug aus. Auch für unsere Handys verenden Menschen in den Minen oder werden umgebracht, weil sie irgend jemandem im Wege stehen.

In Afghanistan, dem an dritter Stelle genannten Land mit akutem Nahrungsmangel, führt die Bundeswehr schon länger Krieg als die Deutsche Wehrmacht in den beiden Weltkriegen zusammen. Deutschland wird auch am Hindukusch "verteidigt", sagte der frühere deutsche Verteidigungsminister Peter Struck. Wie recht er hat! Das Ergebnis spricht eine deutliche Sprache: Dort wird gehungert, hier nicht.

Vermutlich wäre es auch ohne die Beteiligung internationaler Waffenhändler zu all den bewaffneten Konflikten und Stellvertreterkriegen um Ressourcen und Lebensraum gekommen, wie sie in dem Report genannt werden. Aber sicherlich werden jene Konflikte nicht aufzulösen sein, wenn sie weiter wie bisher von außen befeuert werden. Ein Stopp aller Waffenexporte wäre schon mal ein Anfang, der Rückzug der Bundeswehr aus Konfliktgebieten ein zweiter Schritt. Durchsetzung von Maßnahmen, die unter dem Stichwort Klimagerechtigkeit behandelt werden, Beseitigung des Wohlstandsgefälles zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden könnten folgen.

Es geht hier nicht darum, die Welthungerhilfe ersatzlos zu streichen und die Menschen dem Hunger zu überantworten. Im Gegenteil, die Mittel sollten sogar noch aufgestockt werden, da diese bisher nur zur partiellen Hungerbeseitigung reichten. Allerdings wären zeitlich parallel dazu die Voraussetzungen zu schaffen, um eben diese Hilfe nicht zum institutionellen Feigenblatt verkommen, sondern schnellstmöglich überflüssig werden zu lassen. Wer den Global Report on Food Crises liest, könnte sich nach der Lektüre die Frage stellen, ob er glaubt, daß aus diesem Bericht heraus eine Initiative und Bewegung entstehen könnten, die erforderlich sind, um den Hunger in der Welt zu beenden, oder ob der Bericht eher Bestandteil der Verwaltung des Hungers ist.


Fußnoten:

[1] http://www.fsinplatform.org/sites/default/files/resources/files/GRFC_2019-Full_Report.pdf

[2] http://www.fao.org/3/i9553en/i9553en.pdf

2. April 2019


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