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LAIRE/1379: Trumps Pressekrieg ... (SB)



US-Präsident Donald Trump weitet seinen Krieg gegen die Presse inzwischen auch auf sein Lieblingsmedium aus: Twitter. Ganz nach dem Motto, daß nur er das Recht hat, anderen "Fake News" an den Kopf zu werfen, bezichtigt er den Kurznachrichtendienst der Zensur. Dieser hatte es vor kurzem gewagt, eine Kurznachricht Trumps mit der Anmerkung "Faktencheck" zu versehen und darin zu erklären, daß die Behauptung Trumps, Briefwahl leiste Wahlbetrug Vorschub, "irreführend" ist. Später wurde ein weiterer Tweet Trumps mit einem "Faktencheck" markiert.

Alle US-Präsidenten hatten ihre Kanäle, Medien und Hofberichterstatter, denen sie Informationen zuspielten, damit sie diese weiterverbreiten, und ließen umgekehrt unliebsame Presseleute gar nicht erst in ihre Nähe. Trump treibt dies jedoch auf die Spitze, indem er Pressekonferenzen verläßt, wenn ihm die Fragen nicht gefallen, und bei Wahlveranstaltungen sogar seine Anhänger gegen die Presse aufwiegelt, so daß sie aus Sorge um ihre Sicherheit sich genötigt sehen, das Feld zu räumen. Wenn nun Trump von der "Freiheit des Internets" fabuliert, die er durch Twitter gefährdet sieht, dann bedient er sich lediglich des Vokabulars einer Bewegung, die gegen jede Regulation im Internet plädiert. Trumps "Freiheit" dagegen würde auf ein Internet hinauslaufen, das so sehr eingeschränkt wäre, daß nur noch ihm wohlgesonnene Meinungen propagiert werden.

Bei dem Streit zwischen Twitter und Trump stehen sich nicht zwei Kontrahenten diametral gegenüber. Man hat gemeinsame Interessen. Unter dem Account "The Real Trump" bedient sich der US-Präsident dieses sozialen Mediums als seiner wichtigsten "Trumpete" für Verlautbarungen aus dem Weißen Haus, was wiederum Twitter enorm aufgewertet hat. Und 81,1 Millionen Follower des "Real Trumps" können sich bekanntlich so wenig irren wie ein Schwarm Fliegen beim Anblick ihrer Lieblingsspeise ...

Die Plattform Twitter verschafft dem US-Präsidenten die Möglichkeit, seine kindliche Selbstbezogenheit auszuleben, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er hat es geschafft, Sprunghaftigkeit und eklatante Widersprüchlichkeit zu seinem Markenzeichen zu machen - womit nicht unterstellt werden soll, daß er sich dafür sonderlich anstrengen mußte. Gestern noch droht er dem nordkoreanischen Staatsführer Kim Jon-un mit der totalen Vernichtung, heute schmeichelt er ihm als einem guten Freund; gestern noch war für ihn Covid-19 nur eine leichte Erkältung, heute stimmt er die USA auf schwere Zeiten im Kampf gegen das Coronavirus ein; gestern noch läßt er sich den Atomkoffer geben und drückt mit gewichtiger Miene den roten Knopf, heute bedauert er die vielen Opfer ... ach nein, das letzte Beispiel steht erst noch bevor.

Widersprüchlichkeit im eigenen Handeln ist eine bewährte Herrschaftstechnik, sie wurde nicht von Trump erfunden. Das hat in seiner Amtszeit schon viele, die ihm politisch nahe standen und nicht schnell genug waren, um seine Kehrtwendungen mitzuvollziehen, verschlissen, ist aber keine Schwäche, sondern Programm. Hätte Trump dagegen seine manchmal inhaltlich einander diametral gegenüberstehenden Verlautbarungen als offizielle Presseerklärungen mit Briefkopf und Siegel des Weißen Hauses abgegeben, hätte ihn das vermutlich längst den Stuhl gekostet. So aber kann er sagen, ohne es jemals aussprechen zu müssen: War ja nur ein Tweet.

Diese Kurznachrichten haben eine noch kürzere Halbwertszeit als das Erinnerungsvermögen ihrer Adressaten. Twitter dient als wichtigstes, extrem nützliches Medium für präsidiale Ankündigungen, Auslassungen, Ein- oder Ausfälle und dergleichen Absonderungen mehr. Darauf dürfte Trump nur ungern verzichten, auch wenn er sich schon mal, wen wundert's, gegenteilig dazu geäußert hat. Jedenfalls wandte der ehemalige New Yorker Hausverkäufer in seinem Wahlkampf viel Geld auf, um Werbung für sich in den sozialen Medien zu schalten. Das dürfte einer der wesentlichen Faktoren gewesen sein, weswegen er 2016 die Wahl gegen Hillary Clinton gewonnen hat - neben ihrer eigenen extremen Unbeliebtheit, versteht sich.

Im Twitterstreit hat Trump per Dekret Handelsminister Wilbur Ross aufgefordert, sich mittels der von seinem Ministerium beaufsichtigten Medienregulierungsbehörde FCC (Federal Communications Commission) um eine "Klarstellung" der Sektion 230 des Communications Decency Acts (CDA) zu kümmern. Jene Sektion sollte nicht eine Handvoll Unternehmen zu Titanen wachsen lassen, schreibt Trump - in diesem Fall in keinem Tweet, sondern in einem präsidialen Dekret. Und Justizminister William Barr wurde angewiesen, eine entsprechende Gesetzgebung zur Einschränkung der Machtbefugnis der sozialen Medien auszuarbeiten.

Section 230 des CDA war ein Meilenstein im Aufstieg der neuen sozialen Medien zu globalen Kommunikations- und Informationsplattformen. Da diese Medien selbst keine Inhalte verbreiten, sondern nur die Matrix bereitstellen, sollten sie nicht haftbar gemacht werden für Aussagen bzw. Inhalte ihrer Nutzerinnen und Nutzer, lautet die Idee hinter diesem Gesetz. Amtlich heißt es unter Paragraph 230(c)(1), daß "kein Provider oder User eines interaktiven Computerdienstes als Herausgeber oder Sprecher irgendeiner Information behandelt werden" darf, "die von einem anderen Anbieter von Informationsinhalten bereitgestellt wird". Diese und weitere Bestimmungen ermöglichten es Facebook, Twitter und Co zu wachsen, ohne damit rechnen zu müssen, wegen irgendwelcher Inhalte verklagt zu werden. Dennoch sind die Social-Media-Plattformen angehalten, bestimmte Inhalte (copyrightverletzend, terroristisch, gewaltverherrlichend, sexistisch und ähnliches) zu löschen. Die US-Regierung verläßt sich darauf, daß die Unternehmen "in gutem Glauben" danach handeln, das Internet sauber zu halten.

Den sozialen Medien kommen also zwei Aufgaben zu: Bereitstellung einer Plattform für sozialen Austausch und Zensur unerlaubter Inhalte. Hier nur setzt Trump an, der vorgibt, Meinungsfreiheit und Demokratie schützen und "Bedrohungen der Freiheit" abwenden zu wollen. Wenn er aus Anlaß eines seinem Tweet zugeordneten "Faktenchecks" kritisiert, daß die sozialen Medien keineswegs neutral sind und "unkontrollierte Macht" besitzen, dann führt er den Schlag weniger gegen die "Macht" des Kurznachrichtendienstes als gegen "unkontrolliert". Mit anderen Worten, sie unterliegen nicht genügend seiner Kontrolle.

Trump nutzt Twitter, weil die traditionellen Presseorgane seiner Meinung nach nicht "fair" sind. Sollte er aber jemals sein Twitterkonto schließen, wie ihm schon mal vorgeschlagen worden war, dann wohl nur deshalb, weil er darauf verzichten kann, und das wird er nur können, wenn er eine bessere Alternative hat. Das kann ein anderes soziales Medium sein, ein Fernsehkanal aus dem Weißen Haus oder eine heute noch gar nicht bekannte Form der medialen Verbreitung. Selbst eine weitgehende Funkstille seitens Trumps wäre wohl insofern nicht ausgeschlossen, als daß eine mögliche Konsequenz seines ausgeprägten Egos lauten könnte: The Real Trump erklärt sich nicht, er handelt.

Der Krieg gegen die Presse wäre damit auf die Spitze getrieben: Keine Informationen aus dem Zentrum des Weißen Hauses. Nur noch Vollzugsmeldungen. Das wird sich ein Präsident, der maximal noch viereinhalb Jahre an der Macht ist, nicht leisten können. Es müßten statt dessen dynastische Verhältnisse geschaffen werden, die dann nicht mehr auf den turnusmäßig aufgeführten Wahlzirkus angewiesen wären, bei dem das Volk seine Stimme abgeben darf, so daß es vier Jahre lang nicht mehr gehört zu werden braucht. In seiner bisherigen Amtszeit hat Trump an vielen heiligen Säulen gesägt, warum also nicht auch die heilige Verfassung aufs Korn nehmen und beispielsweise den Ausnahmezustand ausrufen, um die nächsten Wahlen zu verschieben? Wir werden es erfahren, von Twitter, ohne Faktencheck.

2. Juni 2020


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