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DILJA/1113: Afghanistan-Krieg - An einem Waffenstillstand ist der NATO nicht gelegen (SB)


NATO goes east - und will nicht umkehren

Ohne den Krieg in Afghanistan gäbe es keine Vorwandslage für die Stationierung westlicher Truppen am Hindukusch


Ende vergangenen Jahres belief sich die Zahl der in Afghanistan stationierten ausländischen Truppen nach Angaben des NATO-Oberkommandeurs, des US-Generals Bantz J. Craddock, auf rund 60.000 Soldaten. Im Januar wurden zusätzlich zu den 30.000 bereits im Land stationierten US-Soldaten weitere 6.000 nach Afghanistan verlegt, eine weitere Truppenaufstockung um 17.000 US-Soldaten bewilligte US-Präsident Barack Obama in diesen Tagen. Den Verlautbarungen militärischer Experten zufolge wird der von US- und NATO-Truppen in Afghanistan geführte Krieg in dem bereits achten Jahr seines Bestehens noch härter und aller Voraussicht nach auch für die eigenen Kräfte verlustreicher geführt werden.

Nach Ansicht des außenpolitischen Sprechers der Linken im Bundestag, Norman Paech, wird die Truppenaufstockung - neben der bevorstehenden Stationierung von 17.000 weiteren US-Soldaten sind auch die übrigen truppenstellenden NATO-Staaten gefordert, ihr "Engagement" zu erweitern - zu einer Ausweitung des Krieges und damit zu noch mehr zivilen Opfern als bisher führen. Daraus leitete der Linkspolitiker die Forderung ab, daß die Bundesregierung - Deutschland ist mit derzeit 3.500 Soldaten drittstärkster Truppensteller und könnte laut Bundestagsmandat bis zu 4.500 Soldaten nach Afghanistan entsenden - der Bitte nach mehr Truppen auf keinen Fall nachkommen solle.

Mit dem Amtsantritt Obamas wurde jedoch nicht nur die militärische Ausweitung des Krieges in Afghanistan, sondern auch dessen geographische Ausdehnung auf das mit den USA verbündete Nachbarland Pakistan offizielle Leitlinie US-amerikanischer Außenpolitik. Zudem ist seit der Ära Obama im transatlantischen Verhältnis von einer neuen Einigung über die Kriegsstrategien in Afghanistan die Rede, und so wird aus Washington wie aus Brüssel gleichermaßen verlautbart, daß dieser Krieg nicht (nur) militärisch zu gewinnen sei, weshalb den "zivil-militärischen" Begleitprogrammen, wie es in Berlin heißt, eine größere Bedeutung zukomme.

In dankenswerter Offenheit stellte die einflußreiche Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) dazu klar, daß die "zivil-militärische" Kooperation mit humanitärer oder Entwicklungshilfe wenig zu tun habe; sie solle vielmehr zur Akzeptanz der Kriegführung sowie zur Operationsplanung und -führung beitragen. Von einer neuen Strategie kann bei Lichte besehen bei den Vorhaben, die zivile Seite der Kriegführung zu intensivieren, angesichts der großen und im Land selber wie auch in den truppenstellenden Staaten stetig anwachsenden Akzeptanzprobleme nicht die Rede sein. Schließlich wurden die militärischen Operationen der NATO von Beginn an mit der Legende versehen, es würde sich bei den NATO-Soldaten um bewaffnete Aufbauhelfer handeln, die den vom Westen forcierten Wiederaufbau des Landes absichern, doch mitnichten das Land selbst besetzt halten wollen.

Gespräche mit den Kriegsgegnern, sprich den sogenannten "Taliban", aber auch weiteren Milizen und Stämmen, die weder mit der Besetzung Afghanistans durch die USA bzw. die NATO noch mit der Regentschaft von Präsident Karsai einverstanden sind, der im Land als ein Mann des Westens gilt und spöttisch als König von Kabul bezeichnet wird, weil weite Teile des Landes de facto seiner Kontrolle bzw. der der westlichen Streitkräfte längst entzogen sind, sind zu keinem Zeitpunkt eine Option in diesem Krieg gewesen. Dies gilt mit Sicherheit für die Entscheidungsträger des Westens, die unangeachtet der aus ihrer Sicht beunruhigenden Ergebnisse des International Council on Security and Development (ICOS), eines britischen Thinktanks, bedingunglos an der Fortsetzung dieses Krieges festhalten. Der Londoner Thinktank war bereits Ende 2007 bei seinen Untersuchungen zu der Frage, wie groß der faktische Einfluß der Taliban in Afghanistan ist, zu der Schlußfolgerung gelangt, daß es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis diese auch Kabul zurückzuerobern könnten.

Jede vernünftige, das heißt Kosten und Nutzen abwägende Militärstreitmacht würde bei einem solchen Besatzungskrieg, zumal wenn ihr eine Niederlage mit einem schweren politischen Gesichtsverlust drohen könnte, Verhandlungen mit der gegnerischen Seite in Erwägung ziehen, um sich so reibungslos und verlustarm wie möglich aus der Affäre zu ziehen. Überlegungen dieser oder ähnlicher Art mögen den afghanischen Präsident Hamid Karsai dazu veranlaßt haben, eine Aussöhnung mit den von ihm als "gemäßigt" definierten Teilen der Taliban anzustreben und zu diesem Zweck Verhandlungen zu führen. Angesichts der Tatsache, daß die Unterstützung für die NATO-Streitkräfte in der afghanischen Bevölkerung nach über siebenjähriger Besatzungszeit und mehreren tausend getöteten Zivilisten auf dem Nullpunkt angelangt ist, scheint Karsais Einschätzung, auf lange Sicht sei ein Frieden in Afghanistan nur durch eine Aussöhnung mit der gegnerischen Seite herzustellen, nur folgerichtig zu sein, zumal die Taliban gegenüber 2007 noch weitere Gebietsgewinne zu verzeichnen haben. Die Hauptstadt Kabul ist derzeit nur noch über eine von fünf Straßen zu erreichen, weil die vier anderen wegen der ständig anwachsenden Rebellenangriffe als unpassierbar gelten.

Es darf zudem vermutet werden, daß auf seiten der den Besatzungswiderstand tragenden und leistenden Stammesorganisationen und Milizen eine Bereitschaft für eine alle Kräfte des Landes einschließende Verhandlungskonferenz vorhanden ist. Einem vom Aachener Friedenspreis e.V. am 18. Februar verbreiteten und von der jungen Welt am darauffolgenden Tag nachgedruckten Vorschlag [1] der "Nationalen Friedensdschirga Afghanistans", unter deren 3000 Mitgliedern sich eine große Zahl der Stammesältesten aus den paschtunischen Gebieten im Süden des Landes befinden soll, zufolge könnte eine internationale oder traditionell afghanische Konferenz zur politischen Lösung abgehalten werden. Darin hieß es:

Die Afghanische Nationale Friedensdschirga stellt folgende Friedensstrategie vor: Für die Lösung des afghanischen Konfliktes sollte entweder eine internationale Konferenz oder eine traditionelle Loja Dschirga einberufen werden. Diese (internationale) Konferenz oder eine traditionelle Loja Dschirga sollte die Regierung, Gegner der Regierung (Taliban, Hekmatyar Partei), politische und nationale Vertreter und andere Persönlichkeiten mit einbeziehen. Die obenerwähnte (internationale) Konferenz oder die traditionelle Loja Dschirga sollte unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen und der Mediation der Organisation der Islamischen Konferenz den friedenschaffenden Prozeß durchführen, und ihre Beschlüsse sollten garantiert werden. Die Konferenz sollte in einem Land organisiert werden, das für alle Gruppierungen akzeptabel ist.

Käme es jemals zu einer solchen Friedensverhandlung und würde sie, schlimmer noch für die NATO, zu konkreten Ergebnissen, sprich einer politischen Einigung aller afghanischen Kräfte und Organisationen führen, gäbe es für die westlichen Streitkräfte absehbar keinen Grund mehr, weiterhin in Afghanistan Truppen stationiert zu halten. Die Afghanische Nationale Friedensdschirga benannte in ihrem Vorschlag drei Punkte, die ihrer Meinung nach beachtet werden müßten, damit eine solche Friedenskonferenz erfolgreich sein, das heißt zu einer Friedenslösung führen könnte [1]:

A: Für einen Friedensprozeß mit positiven Ergebnissen müßten notwendige Anstrengungen unternommen werden, um den Beschluß der Vereinten Nationen zu ändern, der die Aktivitäten der Taliban-Bewegung und anderer politischer Führer untersagt und verboten hat; die Namen von afghanischen Taliban und anderer politischer Führer müßten von der schwarzen Liste gestrichen werden, und ihre Sicherheit müßte aufgrund ihrer politischen Identität garantiert werden.

B: Mit Hilfe der Vereinten Nationen und der Mediation der Organisation der Islamischen Konferenz sollten Friedensgespräche mit dem Ziel von Friedensverhandlungen beginnen; eine unabhängige, unparteiische und bündnisfreie afghanische Friedenskommission müßte gebildet werden, die für alle Gruppen akzeptabel ist (...).

C: Als ein Zeichen des guten Willens und als vertrauensbildende Maßnahme sollte eine bedingungslose Einstellung der Kampfhandlungen zwischen den kriegsführenden Parteien verkündet werden.
(...)

Eine Einstellung der Kampfhandlungen wäre gewiß auch für den "zivilen" Aufbauprozeß nicht nur förderlich, sondern unabdingbar. Es versteht sich allerdings so gut wie von selbst, daß die NATO-Staaten eine solche Entwicklung nicht nur nicht tolerieren, sondern unter keinen Umständen zulassen werden. Wenn die USA und die EU-Staaten von einer neuen Taktik im Afghanistan-Krieg sprechen, meinen sie die militärische Nutzung nicht-militärischer Operationen - soll heißen, die vollständige Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Aufbauprojekte in die Kriegführung, um die afghanische Bevölkerung durch Entwicklungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen bei der Schaffung einer funktionierenden Verwaltung auf die Seite der Besatzer zu ziehen. Um in ländlichen Regionen längst verlorenes Terrain zurückzuerobern, sollen bestimmten Stammesfürsten Bestechungsgelder angeboten werden, damit sie Informationen über die Taliban an die NATO weitergeben.

Die tatsächlichen Gründe dafür, sich auch nach über siebenjähriger Besatzungszeit nicht aus Afghanistan zurückzuziehen, sondern die Okkupation dieses Landes scheinbar wider jede militärische Logik aufrechtzuerhalten, könnten indes in einer gänzlich anderen Konfliktlinie zu verorten sein. Es ist die feste Überzeugung namhafter US-amerikanischer Geostrategen, die nichts anderes als die (alleinige) Vorherrschaft Washingtons anstreben, daß die Kontrolle über die eurasische Landmasse der Schlüssel zur Weltherrschaft sei. Die US-amerikanische Außenpolitik ist seit langem von dem Kernanliegen bestimmt, daß kein weiterer Staat, auch keine Regionalmacht, eines Tages den USA und/oder ihren europäischen Verbündeten den Rang streitig machen könnte. Da unter diesen Voraussetzungen die feindliche Übernahme der noch bestehenden und die eurasische Landmasse mitdominierenden Großmächte Rußland und China ein zwingendes Muß wäre, verrät ein Blick auf die Landkarte, welchen strategischen Interessen die Ausweitung des Krieges in Afghanistan und zunehmend auch in Pakistan fern der Kriegslegende, gegen die "Taliban" und "Al Kaida" einen "Antiterrorkampf" zu führen, tatsächlich dienen könnte.

[1] Vorschlag der Nationalen Friedensdschirga Afghanistans, junge Welt, 19.02.2009, S. 8

20. Februar 2009