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DILJA/1122: Afghanistan-Krieg - Militärische Niederlage der Besatzer nicht undenkbar (SB)


Signale der Verhandlungsbereitschaft gegenüber "gemäßigten" Taliban

Droht den westlichen Besatzern eine militärische Niederlage?


Die tatsächliche militärische Lage in Afghanistan scheint eines der bestgehütetsten Geheimnisse in der westlichen Welt zu sein. Anläßlich des dreitägigen Truppenbesuchs von Bundesverteidigungsminister Jung kommt die hiesige Presse nicht umhin, diesem prekären Thema einige Worte zu widmen, wobei man es bei auffällig pauschalen Angaben beließ etwa derart, daß die Taliban "wieder an Bedeutung" gewonnen hätten. Auffällig ist, daß die westlichen Invasoren seit dem Amtsantritt Präsident Obamas eine doppelte Strategie verfolgen. So wurde die Truppenverstärkung der US-Streitkräfte um zusätzliche 17.000 Soldaten unmittelbar nach Obamas Amtsantritt angekündigt; gleichermaßen sind die US-Verbündeten recht eindringlich gefragt worden, ihrerseits ihre Truppenkontingente zu erhöhen. An eine Beilegung oder auch nur militärische Eindämmung dieses Krieges scheint demnach in Washington und Brüssel nicht gedacht zu werden. Eher das Gegenteil scheint der Fall zu sein, machte doch die neue US-Administration bereits deutlich, daß sich der Schwerpunkt der militärischen Auseinandersetzungen ihrer Auffassung nach eindeutig in die Region Afghanistan/Pakistan verlagern wird.

In Afghanistan allerdings scheint sich die militärische Lage aus Sicht der westlichen Staaten kontinuierlich und unaufhaltsam zu verschlechtern, weshalb sich die Einschätzungen westlicher Militärexperten, daß es nur noch eine Frage der Zeit und der Umstände sei, wann bzw. wie die NATO-Staaten diesen Krieg verlieren, mehr und mehr bewahrheiten. Nun wäre ein solcher Fall einerseits vollkommen undenkbar, weil mit den Weltmachtsansprüchen, die die USA wie auch die führenden EU-Staaten erheben, völlig unvereinbar, wobei noch erschwerend hinzukommt, daß es in diesem Krieg keineswegs nur darum geht, ein militärische Exempel zu statuieren und eine Letztbegründung für den sogenannten Antiterrorkrieg am Leben zu erhalten. Die strategische Lage - Afghanistan liegt in unmittelbarer Nähe zu den Großmächten des eurasischen Kontinentes Rußland und China, die die westliche Suprematie schon aufgrund ihrer bloßen Existenz in Frage stellen - steht einem faktischen Rückzug entgegen, selbst wenn es gelingen sollte, diesen politisch-moralisch in einen "Sieg" umzudefinieren.

Die Erhöhung militärischer Gewalt scheint das Mittel der Wahl zu sein, um die zunehmend aus Besatzersicht unkontrollierbare Lage in Afghanistan doch noch in den Griff zu bekommen. Die Zahl der Luftangriffe, denen die Taliban militärisch nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen haben und zu deren Abwehr sie ebensowenig in der Lage sind, wurde im vergangenen Jahr mit der Folge erhöht, daß die Zahl der Toten unter der Zivilbevölkerung rapide anstieg. Die Akzeptanz der fremden Okkupanten sank im Land mit jedem weiteren Toten, doch die Warnungen Präsident Karsais, die Bombardierungen müßten unbedingt eingeschränkt werden, wurden nicht beachtet. Der Kampf um die "Hirne und Herzen" der Menschen in Afghanistan ist insofern längst verloren, und es erscheint keineswegs ausgeschlossen, daß sich die westlichen Streitkräfte, wie einst die Sowjetarmee, der westliche Strategen in Afghanistan "ihr Vietnam" bescheren wollten und dies auch getan haben, zum Rückzug gezwungen sehen könnten, weil der politisch-moralische Flurschaden nur noch größer und größer werden könnte.

Der in der Moderation der neuen Weltordnungskriege erfahrene Politstratege Richard Holbrooke, der im Jugoslawienkrieg wesentlich zur "Befriedung" der Lage zugunsten der NATO-Staaten beigetragen hatte und der vom neuen US-Präsidenten zum Sonderbeauftragten für Afghanistan ernannt wurde, sagte einen langen, schweren Kampf voraus und bekannte, über keine magische Formel und keinen Dayton-Vertrag zu verfügen. Die Ankündigung Barack Obamas, mit "moderaten" Taliban unter Umständen verhandeln zu wollen, scheint denn auch einer Gesamtmixtur entsprungen zu sein, wie dieser Krieg entgegen seiner bisherigen Realität für den Westen doch noch zu gewinnen sein könnte. Bundesaußenminister Jung nahm diesen Ball bei seinem Truppenbesuch in Afghanistan sogleich auf und erklärte nun seinerseits, daß es Verhandlungen ausschließlich mit zweifelsfrei gewaltlosen Gruppen geben könne. Von seiten der Taliban wurden die unschwer als Spaltungsversuche zu deutenden, vermeintlichen Verhandlungsangebote bereits als unlogisch bezeichnet, da sie von falschen Voraussetzungen ausgingen.

Bundesverteidigungsminister Jung verlangte zudem vom afghanischen Präsidenten Karsai, daß dieser vor etwaigen Verhandlungen dafür Sorge tragen müsse, daß die Gesprächspartner der Taliban sich zuvor eindeutig von jeglicher Gewalt distanziert hätten. Ein solcher Vorschlag verstärkt den Eindruck, daß die westlichen Staaten keineswegs mit den Taliban verhandeln, sondern bestenfalls ihre Gegner durch Spaltungsmanöver dieser und ähnlicher Art schwächen wollen und sich noch dazu erhoffen, ihren massiven Ansehensverlust in Afghanistan zu kompensieren. Ein Mißerfolg ist vorprogrammiert, haben doch die Taliban längst deutlich gemacht, daß es für sie mit dem Westen nichts zu verhandeln gebe, sieht man einmal von den Modalitäten des Truppenrückzugs im Zuge der von ihnen alternativlos geforderten Beendigung der Besatzung ab. Jungs Versuch, für den Fall des absehbaren Scheiterns einmal mehr den von den westlichen Besatzern eingesetzten Präsidenten Karsai in die Pflicht zu nehmen, ist ein weiterer Beweis für die Überheblichkeit der Okkupanten, die noch immer ihre militärische Überlegenheit mit der Fähigkeit, ein fremdes Land mit seiner ihnen ablehnend bis feindlich gegenüberstehenden Bevölkerung kontrollieren zu können, verwechseln.

10. März 2009