Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → MEINUNGEN

DILJA/1215: Paraguay - Demokratie und Sozialreformen durch Putschgefahr bedroht (SB)


Nach dem gelungenen Militärputsch in Honduras droht der nächste Staatsstreich gegen eine linke Regierung in Lateinamerika

Paraguays Präsident Fernando Lugo versucht der Putschgefahr durch Entlassungen hochrangiger Militärs zu begegnen


In Lambaré nahe Asuncion, der Hauptstadt Paraguays, stieß der paraguayanische Richter José Fernandéz am 22. Dezember 1992 auf einen grausigen Fund. In einer Polizeistation, in der er die Akte eines früheren politischen Gefangenen zu finden hoffte, konnte er ein umfangreiches Archiv der "Operation Condor" sicherstellen, wie das länderübergreifend agierende geheimdienstliche Terrornetzwerk in den 1970er und 1980er Jahren genannt wurde, durch das unter maßgeblicher Beteiligung des US-amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA die Linksentwicklung in den damaligen lateinamerikanischen Staaten gewaltsam unterbunden werden sollte und auch wurde. Die Dokumente, unter ihnen Akten, Pässe, Fotos und Auslieferungspapiere, gaben Aufschluß über die Schicksale linker Aktivisten, die in den Condor-Staaten, den damaligen Militärdiktaturen Südamerikas, durch diesen Geheimdienst- und Polizeikomplott verfolgt, entführt und nicht selten gefoltert und getötet worden waren. So enthielt allein das von Richter Fernandéz aufgefundene Archiv Informationen über 50.000 ermordete, 30.000 "verschwundene" und 400.000 inhaftierte Menschen [1].

All dies ist mittlerweile sattsam bekannt, und so gelten die 1970er und 1980er Jahre als die Zeit blutiger Militärdiktaturen in Lateinamerika, die vor allem eine Handschrift trugen - die der "School of the Americas" (SOA), wie die USA ihre eigens für die Militärausbildung befreundeter lateinamerikanischer Staaten eingerichtete Folterschule genannt hatten. Sie war 1946 mit der Behauptung gegründet worden, auf diese Weise die Demokratie fördern und die Militärs in der Respektierung der Menschenrechte unterweisen zu wollen. 60 Jahre später konnte die US-amerikanische Folterschule auf eine beachtliche Leistung zurückblicken, hatte sie doch insgesamt rund 62.000 Offiziere ausgebildet, zu denen die berüchtigsten Diktatoren und ihre Helfershelfer zählen sollten. Zu den Absolventen gehörten neben dem chilenischen Putschgeneral Augusto Pinochet gleich zehn weitere Diktatoren lateinamerikanischer Staaten.

Durch die in der SOA ausgebildeten Offiziere gelang es der CIA, ein dichtes Netz aus Einflußagenten in den Polizei- und Geheimdienstapparaten der maßgeblichen Staaten Südamerikas aufzubauen und somit eine Basis für die Operation Condor zu schaffen. Mit dem Ende der offenen Militärdiktaturen Lateinamerikas wurde auch das (vermeintliche?) Ende Condors eingeläutet. Die letzte dokumentierte Operation datiert vom 13. April 1981, doch erst seit dem Ende der Militärdiktatur Argentiniens im Jahre 1983 gilt sie als aufgelöst. Die berüchtigte SOA war 1984 nach Fort Benning im US-Bundesstaat Georgia verlegt und dort in der "US Army Training and Doctrine Command" integriert worden. Da die öffentlichen Proteste gegen die Folterschule nicht nachließen, wurde sie am 15. Dezember 2000 geschlossen, wobei allerdings angemerkt werden muß, daß keine drei Wochen später, am 17. Januar 2001, ebenfalls in Fort Benning das "Western Hemisphere Institute for Security Cooperation" (WHISC, Institut der westlichen Hemisphäre für Sicherheitskooperation) aus der Taufe gehoben wurde - alter Wein in neuen Schläuchen.

Der frühere US-Außenmininister und Friedensnobelpreisträger Henry Kissinger, zur Zeit der Operation Condor als Sicherheitsberater involviert, sollte in seinen Memoiren in dankenswerter Offenheit klarstellen, aus welchen Motiven heraus die US-Administrationen jener Jahrzehnte eine so blutige politische Repression in ihrem Nachbarkontinent organisierten [2]: "Ich sehe nicht ein, dass wir zulassen sollten, dass ein Land marxistisch wird, nur weil die Bevölkerung unzurechnungsfähig ist." Bezogen auf den Putsch in Chile schrieb Kissinger [2]: "Wir glaubten, dass ein Sieg Allendes unsere Interessen in der westlichen Hemisphäre gefährden würde." Daraus ließe sich ableiten, daß die USA bzw. die von ihr ausgebildeten und beeinflußten militärischen Führer lateinamerikanischer Staaten so lange stillhalten bzw. in ihren Kasernen bleiben würden, wie die politischen Verhältnisse in jenen Ländern aus ihrer Sicht stabil sind.

Im Umkehrschluß bedeutet dies nichts anderes, als daß Staatsstreiche, Miltärdiktaturen, politische Morde, rechter Terror, Todesschwadrone und Folterregime stets dann zu grausiger Realität gebracht zu werden drohen, wenn in einem Land Lateinamerikas eine politische Linksentwicklung an Einfluß gewinnt zu Lasten der stillen Vorherrschaft Washingtons. Dies war zuletzt am 28. Juni dieses Jahres der Fall, als der demokratisch gewählte Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, aus dem Amt geputscht und außer Landes gebracht wurde, nur weil er soziale Reformen zugunsten der Armen betrieben hat und weil Honduras dem Bündnis linker Staaten der Region, der "Bolivarianischen Allianz für Amerika" (ALBA), beigetreten ist. Nachdem ein Putschversuch gegen den 1998 erstmals gewählten Linkspräsidenten Venezuelas, Hugo Chávez, 2002 gescheitert war, weil die Fortschritte nach nur wenigen Amtsjahren bereits soweit vorangeschritten waren, daß sich die Bevölkerung "ihren" Präsidenten zurückgeholt hat, wurde augenscheinlich daraus die Lehre gezogen, lieber früher als zu spät zu solchen Maßnahmen zu greifen.

Der Putsch in Honduras konnte bis heute nicht rückgängig gemacht werden, obwohl die Verurteilung dieser undemokratischen Maßnahme allem Anschein nach weltweit einhellig ausgefallen ist und obwohl der rechtmäßige, inzwischen zurückgekehrte Präsident auf die Unterstützung der nach wie vor Widerstand leistenden Bevölkerung setzen kann. Da auf dem gesamten Kontinent eine Entwicklung zu verzeichnen ist, die es Washington, aber auch den EU-Staaten, mehr und mehr unmöglich macht, ihre Vormachtstellung zu behaupten bzw. zu restaurieren, scheint der Einsatzlevel zur Durchführung eines Militärputsches mit allen damit verknüpften Folgen noch weiter herabgesenkt worden zu sein. Allem Anschein nach soll nun nicht nur verhindert werden, daß weitere Staaten eine Entwicklung nehmen wie Venezuela, Bolivien und Ecuador. Nun könnte sogar, da der Putsch in Honduras keineswegs reibungslos verlaufen ist und die USA durchaus in gewisse Erklärungsnöte gebracht hat, noch frühzeitiger interveniert werden.

Jüngstes Beispiel für eine möglicherweise drohende Intervention des Militärs ist Paraguay. Putschgerüchte, nein, genauer gesagt sogar Informationen über einen drohenden Putsch gab es in diesem Land schon vor einem Jahr. Wenige Monate nach seinem Wahlerfolg, am 1. September 2008, hatte Präsident Fernando Lugo Pläne veröffentlicht, denenzufolge ein Staatsstreich durchgeführt werden sollte. Involviert in die Umsturzbestrebungen sollen Nicanor Duarte Frutos, letzter Präsident einer über 60jährigen Dauerherrschaft der Colorado-Partei, sowie Lino Oviedo, unterlegener Präsidentschaftskandidat und General im Ruhestand, gewesen sein. Präsident Lugo hatte Duarte nach seinem Wahlerfolg im August vergangenen Jahres abgelöst und sofort ein Kooperationsabkommen mit Venezuela geschlossen. Lugo, der sein Amt als katholischer Bischof in Absprache mit dem Vatikan ruhen ließ, um "in die Politik" zu gehen, gilt als linksgerichteter Präsident.

Der Befreiungstheologie hatte am 20. April 2008 die Präsidentschaftswahl in Paraguay durch das Versprechen, sich für die Armen und Schwachen des Landes einsetzen und die Korruption bekämpfen zu wollen, gewinnen können. Seine politische Basis besteht aus einem Mitte-Links-Bündnis, dem insgesamt zehn Parteien und ein Dutzend Sozialbewegungen angehören. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Programme, unter ihnen auch eine Landreform, sind nicht unbedingt einer etwaig mangelnden Entschlosssenheit des neuen Präsidenten zuzuschreiben, sondern in erster Linie dem Widerstand der alten Oligarchie, die in beiden Kammern des Parlaments immer noch über eine Mehrheit verfügt und Lugos Reformbestrebungen durchaus torpedieren kann. Daß die Zustimmungswerte für Lugo gesunken sind, ist insofern nicht verwunderlich, ohne daß daraus der Rückschluß gezogen werden könnte, Lugo sei gar nicht gewillt, die versprochenen Sozialreformen durchzuführen. Im Dezember vergangenen Jahres brachte seine Regierung eine Alphabetisierungskampagne nach venezolanischem und bolivianischem Vorbild auf den Weg, um auch in Paraguay die gesellschaftliche Ausgrenzung der verarmten Bevölkerung durch mangelnde Bildung zu beenden.

Nach den veröffentlichten Putschgerüchten des vergangenen Jahres hatte es eine Vielzahl Solidaritäts- und Unterstützungserklärungen der übrigen Staaten Lateinamerikas für Präsident Lugo gegeben. Nun jedoch scheint die Gefahr eines Militärputsches in Paraguay abermals virulent geworden zu sein. Am 6. November dieses Jahres entließ der Präsident den Oberkommandierenden der Armee, Admiral Cíbar Benítez, und brachte General Juan Oscar Velásquez, der als sein Vertrauter gilt, auf diesen Posten. Zwei Tage zuvor hatte er auch die Oberkommandierenden des Heeres, der Marine und der Luftwaffe ausgetauscht mit der Begründung, auf diese Weise auf die Putschgerüchte zu reagieren. Die politische Lage in Paraguay ist gleichwohl insgesamt recht angespannt. Die rechte Opposition versucht ihre parlamentarischen Mittel zu nutzen, um den ihr unbequemen Präsidenten per Amtsenthebungsverfahren aus dem Amt zu manövrieren. Für Lugo gingen seine Anhänger von der "Alianza Patriótica para el Cambio" (APC, Patriotische Allianz für den Wechsel) auf die Straße, um ihn zu unterstützen, aber auch, um die Einlösung der wichtigsten Wahlversprechen zu verlangen.

Die eigentliche Konfrontation in Paraguay wie auch in vielen anderen Staaten Lateinamerikas verläuft zwischen einer politischen Emanzipations- und Demokratisierungsbewegung, die zugunsten sozialer Reformen der alten Privilegienordnung den Kampf angesagt hat, und einer rechten Oligarchie, die traditionsgemäß über beste Beziehungen zum Militär verfügen dürfte. Präsident Lugo steht keineswegs dazwischen, sondern hat sich, wenn auch in moderatem Tempo, gegen die alte Raubordnung positioniert. So scheint der Beitritt Paraguays zu dem linken Staatenbündnis ALBA noch in diesem Jahr bevorzustehen, und womöglich könnte gerade dieser Schritt für die Gegenseite das Signal zum Losschlagen darstellen, weil sie - nicht ohne Grund für ihre gefährdeten Interessen - annehmen könnte, daß mit einer zunehmenden Solidarisierung dieser Staaten die Möglichkeiten schwinden, einzelne Mitglieder, zumeist die vermeintlich schwächsten, mit Gewalt heraustrennen und ihrer Vorherrschaft abermals unterwerfen zu können.

Anmerkungen

[1] Terror gegen Linke. Hintergrund: Die "Operation Condor" war eine internationale Einrichtung zur brutalen Verhinderung demokratischer Strukturen, von Klaus Eichner, junge Welt, 04.05.2009, S. 10

[2] Der CIA-Putsch in Chile. Am 11. September vor 36 Jahren wurde eine ganze Demokratie weggebombt, von Wolfgang Effenberger, Neue Rheinische Zeitung, Online-Flyer Nr. 214 vom 16.09.2009,
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14238

11. November 2009