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DILJA/1225: Vorreiterrolle Polens in Europa? Mobilmachung gegen Andersdenkende (SB)


In Polen werden fortan "kommunistische Symbole" strafrechtlich verfolgt

Ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten nehmen Vorreiterrolle in der EU ein


Augenscheinlich steht der Antikommunismus, den der deutsche Literaturnobelpreisträger Thomas Mann inmitten des Zweiten Weltkrieges als "Grundtorheit unserer Epoche" bezeichnet hatte, im Begriff, zur inoffiziellen Staatsdoktrin eines inoffiziellen Staatsgebildes zu werden. Die europäische Zentraladministration, die sich kraft ihres am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen sogenannten "EU-Reformvertrags" eine verfassungsähnliche Konstitution gab, die der Durchregierbarkeit von oben nach unten sowie von ihrem "Kern" in die Peripherie bahn bricht, schickt sich an, die "Grundtorheit" Antikommunismus für die präventive Bekämpfung antagonistischer Ideologien oder auch linksorientierter Sozialproteste als repressives Instrument in ihren Repressionsapparat zu implementieren.

Thomas Mann, beileibe kein Kommunist, könnte 1943 mit seinen Worten zum Ausdruck gebracht haben wollen, daß die Anti-Hitler-Koalition nur mit angezogener Handbremse gekämpft hat auf der Basis einer unausgesprochenen Interessenallianz zwischen den westlichen Alliierten und dem Hitler-Regime gegen die in der Oktoberrevolution von 1917 neu entstandene Sowjetunion und damit den ersten Großversuch, die Gesellschaftsutopie Sozialismus ihrem kreatürlichen Widersacher, sprich der bestehenden, kapitalistisch organisierten Verfügungsgewalt, abzuringen und von der bloßen Idee in eine greifbare, wenn auch mit immensen Widersprüchen und Schwierigkeiten behaftete Realität überzuführen. Über die Ergebnisse dieser unter latenter Kriegsgefahr von seiten Deutschlands wie auch der verhohlenen Feindschaft der übrigen kapitalistischen Führungsstaaten Europas und Nordamerikas vollzogenen Anstrengungen, einen sozialistischen Staat aufzubauen, ließe sich gewißlich streiten. Ganz sicher jedoch hatten und haben die Verteidiger der althergebrachten Raubordnung ein profundes Interesse daran, daß Experimente dieser Art, die angesichts erster, vorzeigbarer Ergebnisse womöglich Nachahmer in der eigenen Hemisphäre zu finden drohten, nicht am Leben bleiben.

Der Begriff "Antikommunismus" stellt in diesem Kontext einen Euphemismus dar, da er einen von Meinungspluralität und dem Gebot, Andersdenkenden um des demokratischen Diskussions- und Willensbildungsprozesses willen höchsten Respekt zu zollen und volle Entfaltungsmöglichkeiten zu garantieren, bestimmten Diskurs suggeriert, in dem antikapitalistische und antikommunistische Positionen in einen konstruktiven Wettstreit geführt werden können. Dies käme der Erfüllung des demokratischen Auftrags, basierend auf der Idee einer pluralistischen Volksherrschaft, in der sich das gesamte Volk als der eigentliche und einzige Souverän die seinen Interessen adäquateste politische Organisationsform verleiht, gleich. Mit der Realität jener Vorgänge, die gemeinhin unter "Antikommunismus" zu fassen sind, haben derlei Gedanken nicht nur keine Berührungspunkte; sie stehen einem solchen Vorgehen, das als zutiefst demokratisch bezeichnet werden könnte, diametral entgegen.

Der Frage nachzuspüren, ob die Anti-Hitler-Koalition nicht von Beginn an eine "Mogelpackung" gewesen ist, weil sich die westlichen Alliierten nur zum Schein und in Verfolgung bestimmter strategischer Absichten mit der Sowjetunion als ihrem eigentlichen Systemfeind zusammengeschlossen haben und sehr wohl daran interessiert gewesen sein könnten, den deutschen Diktator in seinem Bestreben, die Sowjetunion wenn nicht zu schlagen, so doch entscheidend zu schwächen, gewähren zu lassen, ohne sich als dessen Helfershelfer zu erkennen zu geben, würde an dieser Stelle zu weit führen. Eine solche Anmerkung mag gleichwohl genügen, um den Nährboden, auf dem noch heute unter dem Label "Antikommunismus" Front gemacht wird gegen Andersdenkende links, in seiner historischen Bedeutung anzudeuten. In Europa, das von den EU-Kernstaaten und den sie dominierenden Kräften in einen unumkehrbaren Zentralisierungsprozeß zulasten seiner demokratischen Kultur manövriert wurde, wird der "Antikommunismus" schon seit Jahren groß geschrieben.

Bereits vor vier Jahren hatte die Politische Kommission der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) ein Papier mit dem Titel "Die Notwendigkeit der internationalen Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime" verabschiedet. Dem war der am 24. Februar 2005 von den EU-Justizministern gefällte Beschluß, über eine gemeinsame Strategie gegen Antirassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit zu diskutieren, vorausgegangen, christdemokratische Europa-Abgeordnete aus einigen ehemals sozialistischen Staaten Osteuropas hatten ihn jedoch zum Anlaß oder vielmehr Vorwand genommen, um europaweit ein Verbot kommunistischer Symbole zu fordern. Das Europäische Parlament (EP) verabschiedete im Mai 2005 anläßlich des 60. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges eine Entschließung, die aus der Feder des deutschen Christdemokraten Elmar Brok stammte und in der die Befreiung der von Nazi-Deutschland besetzten und mit Krieg überzogenen osteuropäischen Staaten durch die sowjetische Rote Armee als "Besatzung und Sowjetherrschaft" definiert wurde. Begriffe wie "Faschismus" und "Nazismus" waren in dieser Erklärung nicht mehr zu finden, wohl aber "kommunistische Diktaturen".

Im Oktober desselben Jahres wurden dem 1949 unter starkem Einfluß der USA gegründeten Europarat, genauer gesamt dem Politischen Ausschuß seiner Parlamentarischen Versammlung (PACE), drei Berichte vorgelegt, in denen es um die "Unannehmbarkeit der Rechtfertigung des Nazismus im gegenwärtigen Europa", die "Notwendigkeit einer internationalen Verurteilung des Franco-Regimes" und die "Verurteilung der Verbrechen unter dem Kommunismus" ging. Zum dritten Punkt war im Dezember 2004 unter Mitwirkung des Autoren des "Schwarzbuchs Kommunismus", Stéphane Courtois, in Paris eine parlamentarische Anhörung durchgeführt worden, auf der die "Grundtorheit" Antikommunismus (Thomas Mann) im europäischen Rahmen auf die nächsthöhere administrative Stufe gehoben wurde. Die Organisatoren der Anhörung machten in ihren Zielvorstellungen deutlich, daß sie keineswegs (nur) an einer ihren Vorgaben gemäßen Geschichtsschreibung interessiert sind, sondern eine ideengeschichtliche Säuberung vornehmen wollen, um der möglichen Attraktivität sozialistischer und/oder kommunistischer Anschauungen und Standpunkte gerade auch in Hinsicht auf jüngere Menschen durch deren Kontaminierung mit dem Ur-Bösen entgegenzuwirken:

Es ist an der Zeit, eine Bestandsaufnahme der zahlreichen Verbrechen des totalitären Kommunismus in der Vergangenheit vorzunehmen und diese formell zu verurteilen. Wenn wir dies unterlassen, könnte eine illusorische Nostalgie im Bewußtsein junger Generationen entstehen, die in diesem Regime einen möglichen Ersatz für die liberale Demokratie sehen könnten.

Mit einem solchen Ansatz disqualifizieren, dies nur nebenbei bemerkt, liberale Demokraten ihre eigene Ideologie, von deren Anziehungskraft und Glaubwürdigkeit sie selbst nicht überzeugt zu sein scheinen, wenn sie einen "möglichen Ersatz" fürchten müssen. Wären Liberale liberal und Demokraten demokratisch, müßte ihnen aufgrund ihrer eigenen Überzeugungen ein möglicher Herausforderer geradezu hochwillkommen sein. Andersdenkende zu verteufeln, ihre Ideen mit Verbrechen zu identifizieren, die dem Kommunismus zuzulasten seien und zu Millionen Todesopfern geführt hätten, zeugt von einer Haltung, wie sie undemokratischer kaum sein könnte. Mit dem Inkrafttreten des sogenannten EU-Reformvertrags am 1. Dezember 2009 wurde ein weiterer Meilenstein in Sachen Antikommunismus realisiert, weil nun im gesamten Bereich der EU Prinzipien der liberalen Demokratie konstituiert worden sind, wodurch der Gestaltungsspielraum, den die Mütter und Väter des deutschen Grundgesetzes, in dem in Art. 20 lediglich festgelegt wurde, daß die Bundesrepublik Deutschland ein demokratischer und sozialer Bundesstaat ist, wohlweislich eingeräumt haben, erheblich reduziert wurde.

Die Drangsalierung von Kommunisten oder weiteren Andersdenkenden, die zum Zwecke ihrer Diskreditierung und strafrechtlichen Verfolgung zu solchen erklärt werden, ist in Europa längst wieder auf dem Vormarsch. In vielen osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten sind die rechtlichen Voraussetzungen dafür längst geschaffen worden. In den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wie auch in Rumänien und in der Türkei sind kommunistische Parteien schon seit langem gesetzlich verboten bzw. an legaler politischer Arbeit gehindert. In der Tschechischen Republik und Ungarn ist bereits die Verwendung sozialistischer Symbole verboten, sie erfüllt einen Straftatbestand.

Nun hat auch Polen nachgezogen. Am 27. November 2009 unterzeichnete Präsident Lech Kaczynski ein Gesetz, das den Erwerb, den Besitz und den Handel mit kommunistischen Symbolen unter Strafe stellt. Ausgenommen sind Verwendungen in Kunst, Bildung und Museen, in allen anderen Fällen drohen Haftstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen. Den Gesetzentwurf eingebracht hatte der Zwillingsbruder des Präsidenten, Jaroslaw Kaczynski, von der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS). Dazu merkte die Kommunistische Partei Polens in einer zum Verbot kommunistischer Symbole veröffentlichten Erklärung an [2]:

Die antikommunistische Hysterie in Polen hat schon vor langer Zeit die Grenzen des gesunden Menschenverstandes überschritten, jetzt auch die zur Absurdität. Jaroslaw Kaczynski, der frühere Premierminister und Führer der ehemals regierenden Partei, erklärte öffentlich, der Kommunismus sei für Dutzende Milliarden Opfer verantwortlich. Hat die Lüge einen antikommunistischen Charakter, ist jede Maßlosigkeit erlaubt. Alles ist gut, Hauptsache, öffentlich wird Haß gesät. Erklärungen dieser Art können ohne jede Folgen abgegeben werden. Niemand stellt eine kritische Frage, auch wenn er die Zahl der Weltbevölkerung kennt.

Die Kommunistische Partei Polens machte in ihrer Erklärung zudem darauf aufmerksam, daß in dem nun in Polen erlassenen Gesetz nicht definiert wird, "was ein kommunistisches Symbol ist und was nicht". Jede unliebsame politische Opposition, so sie nur irgendwie antikapitalistisch anmutet, läßt sich somit unter einen Straftatbestand subsumieren, der alles andere als eine Straf-Tat, nämlich eine politische Gesinnung, unter Strafe stellt. Damit dürfte Polen wie schon etliche andere ehemals dem Warschauer Pakt angehörenden osteuropäischen EU-Mitglieder eine Vorreiterrolle angenommen haben, um den EU-Oberen dabei behilflich zu sein, einer allgemeinen Strafverfolgung linksoppositioneller Positionen, Parteien und Bewegungen in der gesamten EU den Weg zu ebnen.

Anmerkungen

[1] zitiert aus: Klassenkampf von oben, Das Gespenst des Kommunismus sorgt weiter für Verfolgungswahn, von Herwig Lerouge, junge Welt, 25. Januar 2006

[2] zitiert aus: Antikommunistische Hysterie. Die Kommunistische Partei Polens erklärte am Freitag zum Verbot kommunistischer Symbole in ihrem Land, aus dem Englischen übersetzt von Arnold Schölzel, junge Welt, 7. Dezember 2009, S. 8

9. Dezember 2009