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DILJA/1259: Drohender Bürgerkrieg? Demokratiebewegung Thailands stellt die Machtfrage (SB)


Über 20 Tote bei militärischer Niederschlagung der Proteste in Bangkok

Die Anhänger des 2006 durch einen Militärputsch gestürzten Präsidenten Thaksin gehen für die Forderung nach Neuwahlen auf die Barrikaden


Thailand gilt als einer der traditionell engsten Verbündeten der USA in Asien und wird in der sogenannten internationalen Gemeinschaft, einer Chiffre für den Interessenzusammenschluß der weltweit führenden westlich-imperialistischen Staaten, wie selbstverständlich als ein fester Aktivposten angesehen, wenn es gilt, in der südostasiatischen Region die westliche Fahne hochzuhalten oder doch im Minimum den Fortbestand politisch stabiler Verhältnisse nach Maßgabe Washingtons zu garantieren. Wie groß das strategische Interesse der "Global Player" an Thailand sein mag, läßt sich an der militärischen Unterstützung für die jeweiligen Regime in Bangkok ablesen. So stammt die militärische Ausrüstung Thailands zum überwiegenden Teil aus den USA und Britannien, aber auch aus China. Mit Washington unterhält Thailand enge militärische Beziehungen, von denen bilaterale Abkommen und in den zurückliegenden Jahren geleistete US-amerikanische Finanzspritzen in Höhe von mehreren Millionen Dollar ebenso zeugen wie die Truppenstellung Bangkoks für den Irakkrieg.

Und eben dieses Militär setzte seine Waffen nun gegen die eigene Bevölkerung ein. Wäre dies in einem anderen südostasiatischen Staat geschehen, beispielsweise im benachbarten Myanmar, das wegen der US-kritischen Haltung seiner Regierung längst zum Ziel einer auf einen Regierungsumsturz hinarbeitenden internationalen Kampagne erklärt wurde, wären die Reaktionen der westlichen Staaten nicht annähernd so verhalten ausgefallen wie jetzt angesichts der militärischen Niederschlagung der Massenproteste in Thailand. Am vergangenen Samstag kam es bei einer Großkundgebung in Bangkok zu einer stundenlangen Straßenschlacht zwischen oppositionellen Demonstranten und dem Militär, in deren Verlauf mindestens 21 Menschen getötet und 825 verletzt wurden. Die Regierung von Ministerpräsident Abhisit Vejjajiva hatte am vergangenen Mittwoch den Ausnahmezustand verhängt, um die bereits seit Wochen immer wieder aufkommenden Massenproteste mit repressiven Mitteln unter Kontrolle zu bringen.

Aktueller Anlaß war die Besetzung des Parlamentsgebäudes durch die "Rothemden", wie die tatsächlich rotgekleideten Oppositionellen genannt werden, bei denen es sich um Anhänger des 2006 durch einen Militärputsch gestürzten früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra handeln soll, im Unterschied zu den "Gelbhemden" der People's Alliance for Democracy (PAD, "Volksallianz für Demokratie"). Die demokratische Partei ist das Aushängeschild westlicher, um nicht zu sagen westeuropäischer Interessen und kann sich der besonderen Wertschätzung auch der bundesdeutschen Sozialdemokratie erfreuen. So ehrte die SPD die bereits 1946 gegründete und damit mit Abstand älteste Partei Thailands 2006 mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung. Am 19. September 2006 war der damalige Ministerpräsident Thaksin durch das Militär gestürzt worden, ohne daß die westlichen Verbündeten des Landes oder genauer gesagt die PAD dagegen deutlich Stellung bezogen oder gar Sanktionsmaßnahmen ergriffen hätte.

Nach dem Putsch hatte sich SPD-Generalsekretär Hubertus Heil mit dem PAD-Politiker Somsak Kosaisook getroffen, um sich über die Lage informieren zu lassen. Keineswegs stellte die Bundesregierung oder eine andere westliche Regierung die Forderung an die neuen Machthaber, den vorherigen, durch Wahlen demokratisch legitimierten Zustand wiederherzustellen, kurzum Thaksin ins Amt zurückkehren zu lassen ganz unabhängig von der Frage, wie dessen Politik im Unterschied zu der der PAD zu bewerten sein mag. Diese hatte sich in ihrer Regierungszeit, genauer gesagt in den Jahren 1997 und 1998, als willfährige Erfüllungsgehilfin westlicher Finanz- und Wirtschaftspolitik erwiesen, indem sie die Thailand vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgezwungene neoliberale Politik der sogenannten Strukturanpassung im Land durchgesetzt hatte.

In eben diesem Punkt unterscheidet sie sich vom späteren Ministerpräsidenten Thaksin, der keineswegs ein "Roter", also ein Linker im hiesigen Politikverständnis ist, sondern als schwerreicher Unternehmer aus der Telekommunikationsbranche im Politikgeschäft erst 2001 auftrat, als er mit seiner Partei TRT (Thai Rak Thai, "Thais lieben Thais") auf Anhieb die Wahlen gewinnen konnte, weil er eine insbesondere für die ärmere Bevölkerung Thailands glaubwürdige Alternative gegen die im Land verhaßten IWF-Strukturreformen aufzubauen imstande war. Genaugenommen könnte Thaksins TRT als Inkarnation eines sozialdemokratischen Politikverständnisses bewertet werden, da er keineswegs an den Grundfesten der gesellschaftlichen Ordnung rüttelte, aber es durch eine Politik der Armutsbekämpfung durch Subventionen für die dörfliche Landbevölkerung und Kleinstunternehmen wie auch eine für alle erschwingliche Gesundheitsversorgung verstanden hatte, sich die weitere Unterstützung der verarmten Bevölkerung zu sichern.

Dies bescherte ihm 2005 einen zweiten Wahlsieg, rief jedoch seine politischen Kontrahenten, die offensichtlich nicht gewillt waren, eine aus ihrer Sicht inakzeptable Regierung eine weitere Amtsperiode regieren zu lassen, endgültig auf den Plan. Ihm wurden Vorwürfe gemacht, die nicht unbedingt unbegründet gewesen sein müssen, aber wohl kaum zu solchen Konsequenzen geführt hätten, wäre er der Wunschkandidat einheimischer Eliten wie auch gewisser ausländischer Staaten gewesen. Thaksin geriet politisch schwer unter Druck, weil er Steuern umgangen und die im Besitz seiner Familie befindlichen Aktien des Telekomunternehmens Shin Corp an ein Unternehmen in Singapur verkauft haben sollte. Der Ministerpräsident tat daraufhin das denkbar Demokratischste, was ein angeschlagener und kurz zuvor erst gewählter Regierungschef nur hätte tun können: Er setzte für den 2. April 2006 vorgezogene Parlamentswahlen an, um das Volk angesichts der aktuellen Entwicklung neu entscheiden zu lassen.

Doch diese Neuwahlen wurden vereitelt. Die Oppositionsparteien entschieden sich dafür, die Teilnahme zu verweigern, fürchteten sie doch einen abermaligen Wahlsieg Thaksins. Die Opposition bedrängte König Bhumibol Adulyadej, der in Land gemeinhin die Rolle eines neutralen Monarchen einnimmt, der sich weder auf die Seite der einen noch der anderen Partei stellt, Thaksin zu entlassen, was dieser jedoch ablehnte. Erst beim Verfassungsgericht war die Opposition in ihrem Bestreben erfolgreich, einem abermaligen Urnengang auszuweichen und ihren Widersacher unter Zuhilfenahme institutioneller Mittel aus dem Amt zu bringen. Das Gericht annullierte am 8. Mai 2006 den Wahlsieg Thaksins. Da die demokratische Partei bei einer eventuellen Neuwahl nach wie vor einen erneuten Sieg Thaksins fürchten mußte, suchte sie nun dessen Partei verbieten sowie die Wahlkommission absetzen zu lassen.

Schließlich wurden für den 15. Oktober 2006 erneute Parlamentswahlen angesetzt. Doch auch zu diesen sollte es nicht kommen, putschte doch zuvor das Militär. Am 19. September 2006 wurde die Regierung von Ministerpräsident Thaksin gestürzt und das Land einer Diktatur unterworfen, ohne daß dies im westlichen Ausland zu nennenswerten Protesten geführt hätte. Diesmal spielte auch der König mit. Bhumibol Adulyadej beauftragte zwei Tage nach dem Putsch den muslimischen General Sonthi Boonyaratglin mit der Regierungsbildung. Die Putschmilitärs formierten sich selbst in einem "Regierenden Rat für Verwaltungsreform" (CDRM). Sie setzten die Verfassung außer Kraft und verhängten über das ganze Land das Kriegsrecht. Beide Kammern des Parlaments wie auch das Verfassungsgericht wurden aufgelöst.

Das politische Leben Thailands kam zum Erliegen, wurden doch durch die Militärjunta sämtliche politische Aktivitäten verboten. Versammlungen in der Öffentlichkeit standen unter schwerster Strafandrohung, sobald mehr als fünf Personen zusammenstanden. General Sonthi Boonyaratkalin, Diktator, Armeechef, Putschistenführer und Vorsitzender des "Regierenden Rates für eine Verwaltungsreform" in einer Person, bestellte sämtliche Medienvertreter des Landes ein, um ihnen eine totale, sämtliche Druck-, Rundfunk- und Fernsehmedien betreffende Zensur zu verkünden. Ein Sprecher der Junta, Generalleutnant Palanggoon Klaharn, unterstellte sodann alle Bürger der Zensur. "Jene, die eine andere politische Meinung vertreten", forderte er auf, "ihre Aktivitäten vorläufig einzustellen", das Militär habe alles verboten, was "dem Frieden und der Moral abträglich ist".

Nicht einmal der Monarch selbst durfte noch erwähnt werden und schon gar nicht die Tatsache, daß sich König Bhumibol Adulyadej am Abend des Staatsstreiches mit den Putschmilitärs getroffen hatte. Auf Ablehnung stieß dieser Staatsstreich bei den westlichen Staaten keineswegs. Die SPD erklärte seinerzeit lediglich, Thailand müsse nun "so bald wie möglich wieder zur zivilen und demokratischen Herrschaft des Landes zurückkehren und Neuwahlen anberaumen". Gerade letzteres ist allerdings entlarvend für die seinerzeit regierungsbeteiligte SPD, war doch gerade durch den Putsch die für den 15. Oktober 2006 bereits vorgesehene Parlamentsneuwahl verhindert worden.

Durch den Staatsstreich wurde mit Thaksin der gewählte, wenn auch nicht unumstrittene Ministerpräsident Thailands gestürzt und seine Partei TRT aufgelöst. Die 1997 eingeführte und in ganz Südostasien als demokratisch vorbildlich anerkannte vorherige Verfassung, die dem Volk gegenüber der Regierung gewisse Kontrollmöglichkeiten eingeräumt und die bürgerlichen Freiheiten garantiert hatte, wurde 2007 durch eine von den Putschmilitärs erarbeitete und unter ihrer Kontrolle per Referendum "angenommene" Verfassung ersetzt. Da sich die neue Verfassung als weitaus undemokratischer erwies als die vorherige, besteht eine der Kernforderungen der bis heute gegen die Regierung protestierenden "Rothemden" darin, zu der früheren Verfassung zurückzukehren. Bei den unter den noch restriktiveren Bedingungen am 23. Dezember 2007 schließlich abgehaltenen Wahlen kam es gleichwohl zu einem abermaligen Sieg der Thaksin-Anhänger.

Die Nachfolgepartei People Power Party (PPP) wurde mit der Regierungsbildung beauftragt. Thaksin selbst kehrte aus dem Exil zurück, wurde jedoch bei seiner Ankunft umgehend verhaftet und später gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Zum Ministerpräsidenten wurde am 29. Januar 2008 Samak Sundaravej ernannt. Die neue Regierung war bestrebt, abermals Verfassungsänderungen vorzunehmen, also die tiefen Einschnitte aus der Zeit der vorherigen, 15monatigen De-facto-Diktatur unter einer von den Militärs direkt eingesetzten Regierung wieder zurückzuschrauben, was selbstverständlich dieselben gesellschaftlichen Kräfte, die 2006 den Thaksin-Sturz bewirkt hatten, abermals auf den Plan rief.

Gegen die Regierung Samak wurden Korruptionsvorwürfe erhoben und zum Teil gewaltsame Proteste organisiert. Im August 2008 besetzten die Oppositionellen des Lagers der demokratischen Partei den Regierungssitz. Einen Monat später wurde Ministerpräsident Samak infolge eines Gerichtsbeschlusses seines Amtes enthoben. Da dadurch jedoch noch immer die PPP Regierungspartei geblieben war, konnte ein weiterer Thaksin-Anhänger, Somchai Wongsawat, das Präsidentenamt übernehmen. Da sich dieses Manöver aus Sicht der Thaksin-Gegner somit nicht als vollständig zielführend erwiesen hatte, mußte nachgelegt werden. Die PPP wurde im Dezember 2008 kurzerhand verboten, was Somchai zum Rücktritt zwang. Mit demokratischen Gepflogenheiten ist all dies schwerlich in Übereinstimmung zu bringen, zumal seit dem Militärputsch von 2006, dem 16. in der diesbezüglich langen Geschichte militärischer Machtergreifungen Thailands, eigentlich keine demokratisch legitimierte Regierung amtierte.

Am 15. Dezember 2008 wurde infolge des PPP-Verbots und Somchais Rücktritt mit Abhisit Vejjajiva von der Demokratischen Partei dessen politischer Gegner ins Amt des Ministerpräsidenten gespült, weshalb es in der Folgezeit verstärkt zu Demonstrationen und Protesten der Thaksin-Anhänger kam. Internationales Aufsehen erregten diese kurzfristig, als sie im April 2009 den ASEAN-Gipfel in Pattaya störten und stürmten. Aus seinem Londoner Exil forderte Ex-Premier Thaksin seine Anhänger auf, die amtierende Regierung durch eine "Volksrevolution" zu stürzen. Abhisit verhängte den Ausnahmezustand. Das Militär ging massiv gegen die "Rothemden" vor und brachte die Situation unter seine Kontrolle. Der ASEAN-Gipfel allerdings mußte abgebrochen werden, mehrere Staatschef mußten zu ihrer Sicherheit ausgeflogen werden.

Am 26. März 2009 hatten sich Regierungsgegner in der Nähe des Regierungssitzes verschanzt, um den Rücktritt Abhisits und Neuwahlen zu erzwingen. Die nach dem PPP-Verbot abermals von Thaksin-Anhängern gebildete "Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur" (UDD) setzte ihre Proteste ungeachtet des in fünf Provinzen verhängten Ausnahmezustands fort. Die Oppositionellen besetzten die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Bangkoks. Schon im April vergangenen Jahres war es zu scharfen Auseinandersetzungen und stundenlangen Straßenschlachten zwischen Demonstranten und dem Militär in der thailändischen Hauptstadt gekommen.

Thaksin selbst wies gegenüber CNN die Behauptungen der Regierung, die zum Teil mit scharfen Waffen geführten Auseinandersetzungen seien zwischen Demonstranten und Anwohnern eines muslimischen Stadtteils erfolgt, als Lüge zurück und beschuldigte seinerseits die Regierung Abhisit: "Sie haben auf Leute geschossen. Viele sind tot. Viele wurden verwundet." Schon im Frühjahr vergangenen Jahre waren seine Anhänger besonders erbost darüber, daß sich die Machtfaktoren der herrschenden Eliten Thailands, genauer gesagt ein Komplott aus Militär, Justiz, dem Monarchen und der Staatsbürokratie, zu einem kalten Staatsstreich zusammengefunden und abermals die von ihnen gewählte PPP-Regierung zu Fall gebracht hatten. Die führenden westlichen Staaten stellten sich weiterhin auf die Seite der von ihnen unterstützten Demokratischen Partei, umgaben sich jedoch mit einem Flair der Neutralität, da sie sich nicht in aller Offenheit als Stützpfeiler der Abhisit-Regierung zu erkennen geben wollten.

Das Mittel oder vielmehr die Formulierung der Wahl bestand dann auch - wohlbemerkt im April vergangenen Jahres - in der vom US-Außenministerium verurteilten "unakzeptablen Gewalt der Demonstranten", während die damals von Tschechien geführte EU-Ratspräsidentschaft die Demonstranten aufforderte, "von weiteren gewalttätigen Ausschreitungen auf den Straßen Abstand zu nehmen". Die Forderungen der Demonstranten, die nichts anderes als die Aufhebung eines nach demokratischen Maßstäben inakzeptablen Zustands sowie dessen Heilung durch baldige Neuwahlen verlangten, machten sich weder die USA noch die EU zu eigen. An der Grundkonstellation des Konfliktes änderte sich nicht das Geringste. Abhisit weigerte sich schon im vergangenen Jahr, der Forderung der Thaksin-Anhänger nach Neuwahlen nachzukommen, mußten und müssen doch auch er und die durch ihn repräsentierten nationalen und möglicherweise auch internationalen Interessengruppen eine Wahlniederlage fürchten. Am 12. April 2009 hatte Abhisit sogar jegliche Verhandungen mit Thaksin abgelehnt und erklärt, er kämpfe "auf Leben und Tod um Recht und Ordnung".

Dies ist selbstverständlich nicht wörtlich zu verstehen, weil es Angehörige des Militärs und der Sicherheitsdienste sind, die - auf Leben und Tod - gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt und gezwungen werden, auf Landsleute zu schießen. Dies birgt für die Abhisit-Regierung inzwischen Risiken, die sich als unkalkulierbar erweisen könnten, weil bei den diesjährigen, angesichts von bislang über 21 Toten und weit über 800 Verletzten noch folgenschwereren Straßenkämpfen und Auseinandersetzungen bald ein Siedepunkt erreicht werden könnte, an dem sich das Militär, eigentlich die Stütze der Regierungsgewalt, für diese als die größtmögliche Gefahr erweisen könnte. Längst macht in Bangkok das Wort von den "Wassermelonen"-Soldaten die Runde, womit gemeint ist, daß diese zwar dem äußeren Anschein nach der Regierung treu ergeben sind, in ihrem Innern jedoch mit den "Rothemden" sympathisieren und deshalb keineswegs bereit wären, Krieg gegen diese zu führen.

Mittlerweile lehnt die Opposition Verhandlungen mit der Regierung Abhisit ab. Dafür sei es viel zu spät, wurde verlautbart, und im übrigen verhandle man nicht mit Mördern, wie einer ihrer Anführer gegenüber der ARD erklärte. In Hinsicht auf die Forderung nach Neuwahlen erhält die Opposition inzwischen sogar Unterstützung durch die Wahlkommission, die die Auflösung der faktisch regierenden Demokratischen Partei empfahl, weil diese gegen das Parteispendengesetz verstoßen habe. Eine solche Auflösung könnte, wie in der Vergangenheit stets mit den Parteien des Thaksin-Lagers geschehen, einzig vom Verfassungsgericht bestimmt werden. Wer wollte da nicht argwöhnen, daß sich hinter dem monierten Verstoß gegen das Parteispendengesetz die Tatsache einer finanziellen Unterstützung durch westliche Quellen verbergen könnte?

Es bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung, daß auch angesichts der aktuellen, gegenüber dem Vorjahr noch weiter eskalierten Auseinandersetzung, die den Gedanken an das Ausbrechen eines möglichen Bürgerkrieges gar nicht mehr so absurd erscheinen läßt, weder die USA noch die EU die nur zu begründete Forderung nach Neuwahlen erheben. Dies wäre die einzig folgerichtige Konsequenz, wäre es den selbstmandatierten Hütern von Demokratie und Menschenrechten ernst mit ihrem Anliegen, am demokratischen Wesen ihrer eigenen Kultur auch den Rest der Welt genesen zu lassen. Für Thailand allerdings scheinen die in Washington, Brüssel oder auch Berlin entfalteten Lösungskonzepte alles andere als Neuwahlen vorzusehen. Die USA riefen stattdessen beide Konfliktparteien "zur Zurückhaltung auf" ganz so, als stünden sich zwei Streithähne auf gleicher Augenhöhe gegenüber und als würde es sich nicht um einen asymmetrischen Konflikt zwischen einem militarisierten Staatsapparat und weiten Teilen der Bevölkerung handeln.

Regierung und Opposition, so ließ Mike Hammer, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, in Washington wissen, müßten den Konflikt mit friedlichen Mitteln beilegen. Andere Stimmen aus den USA, so etwa die des thailändischen Politikwissenschaftlers Thitinan Pongsudihrak, sagen der Regierung Abhisit ein baldiges Ende voraus und glauben, den Beginn einer Volksrevolution in Thailand erkennen zu können, sofern die Regierung weiterhin mit Gewalt gegen die Rothemden vorgehe. Moderate Töne sind aus dem Abhisit-Lager jedoch nicht zu vernehmen. Im Gegenteil. Unterstützt von der thailändischen Presse, in der die Regierung unverhohlen aufgefordert wird, mit den "härtesten Mitteln" gegen die Demonstranten vorzugehen, wird die Wut der Oppositionellen nur noch weiter angestachelt. So soll Außenminister Kasit Piromya am 12. April während eines USA-Aufenthalts behauptet haben, der exilierte Ex-Premier Thaksin sei "wie ein Al-Kaida-Terrorist" [1]. Der thailändische Regierungsangehörige erhob zugleich Vorwürfe gegen Staaten wie Deutschland, Rußland und Dubai, weil diese Thaksin die Einreise gewährt hätten, was "ein Akt der Einmischung in die Angelegenheiten Thailands" sei. Daß Thaksin, dem Kasit vorwarf, die Demonstrationen angezettelt zu haben, einst gewählt worden sei, bedeute nichts, das könnten Hitler, Mussolini und Stalin schließlich auch von sich sagen.

Die deutsche Bundesregierung wird hier gewiß zu Unrecht attackiert von einem Repräsentanten einer Regierung, der tatsächlich die demokratische Legitimität fehlt, und zwar zur Gänze. Kasit scheint unterdessen nicht verstanden zu haben, daß in diesen Fällen mit äußerster Diplomatie zu Werke gegangen werden muß, weshalb ein Besuch Thaksins in Deutschland geradezu ein Husarenstück erster Güte wäre, weil der eines Tages womöglich aufkommende Vorwurf, Deutschland würde wie auch die gesamte EU und die USA ein vollkommen undemokratisches Regime stützen, damit schon im Vorfeld entkräftet werden könnte. Daß die Positionierung der Bundesregierung in diesem von den Macht- und Gewaltverhältnissen her höchst ungleichen Konflikt längst vollzogen wurde, steht auf einem anderen Blatt und läßt sich nur indirekt erschließen.

Wer sich offiziell um eine Stellungnahme drückt und stattdessen, wie der höchste deutsche Diplomat, Außenminister Guido Westerwelle, "alle Seiten zur Besonnenheit und zur Ruhe" auffordert und erklärt, es dürfe "keine Wiederholung der Gewalt geben", ohne zugleich die Kernforderung der Opposition nach Neuwahlen hinzuzufügen, hat damit voll und ganz die Position der Regierung bezogen und deren Gegner zur Kapitulation aufgefordert. Westerwelles Erklärung, die politischen Auseinandersetzungen müßten mit friedlichen Mitteln und im Dialog geführt werden, geht gezielt und mit sicherem Instinkt an der Tatsache vorbei, daß die in diesem Frühjahr abermals aufgebrochenen heftigen Konflikte niemals so weit eskaliert wären, hätten sich die regierenden Kräfte einer demokratischen Überprüfung ihres Machtanspruchs durch Neuwahlen gestellt.

Anmerkung

[1] Thailändischer Außenminister verliert die Nerven, TIP Zeitung für Thailand, 13.04.2010,
http://www.thailandtip.de/tip-zeitung/nachrichten/news/thailaendischer-aussenminister-verliert-die-nerven//back/208/

15. April 2010