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DILJA/1269: Thailand im beginnenden Bürgerkrieg - Auf Demonstranten wird geschossen (SB)


Die Proteste der Regierungsgegner sollen militärisch bezwungen werden

Im Falle Thailands akzeptiert die internationale Gemeinschaft den Einsatz des Militärs gegen die Bevölkerung als "innere Angelegenheit"


In Thailand haben sich innerhalb der letzten Tage und Stunden die innenpolitischen Spannungen und Auseinandersetzungen in einem Ausmaß zugespitzt, daß von einem bereits begonnenen Bürgerkrieg gesprochen werden muß. Nachdem bereits im März mindestens 33 Menschen getötet und über eintausend verletzt worden waren bei Demonstrationen und Kämpfen zwischen Sicherheitsorganen und Regierungskritikern, die nichts anderes als den Rücktritt des amtierenden Ministerpräsidenten Abhisit Vejjajiva, die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen fordern, ist die Lage jetzt abermals eskaliert. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, halten die "Rothemden", wie die Regierungskritiker genannt werden, bei denen es sich überwiegend um Anhänger des 2006 durch das Militär gestürzten, durch demokratische Wahlen legitimierten Regierungschefs Thaksin Shinawatra handelt, ein Geschäftsviertel in Bangkok besetzt.

Es ist ein politischer, wenn auch sehr entschlossener Protest und keineswegs eine militärische Kampfansage an die Regierung, die durch die seit nun über zwei Monaten kontinuierlich und konsequent durchgeführten Blockadeaktionen zu einem politischen Einlenken veranlaßt werden soll. Die Regierungsgegner fordern nicht per se den Rücktritt Abhisits, weil sie mit dessen Regierungspolitik nicht einverstanden sind, sondern weil ihm ihrer Meinung nach die demokratische Legitimation fehlt, da er in der Folge des Thaksin-Sturzes ins Amt gekommen ist, ohne daß seinem Amtsantritt freie und faire Wahlen vorangegangen wären. Über diese Einschätzung ließe sich ebenso streiten wie über das Pro und Contra Abhisits, doch da es sich bei der Protestbewegung um eine in einem großen Teil der Bevölkerung, zumeist den ärmeren Menschen, verankerte Opposition handelt, wäre die Erfüllung ihrer Forderungen das demokratische Gebot der Stunde.

Hätte Abhisit als Regierungschef eine mehrheitsfähige (Wähler-) Basis, dürfte es ihm nicht schwerfallen, sich bei den von ihm zwischenzeitlich in Aussicht gestellten und von der Protestbewegung im Prinzip akzeptierten Neuwahlen im November eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Das Vorgehen der Regierung in den zurückliegenden Wochen und Monaten deutet jedoch darauf hin, daß sie ihre Position mit repressiven, wenn nicht gar militärischen Mitteln behaupten will und sich durch eine Protestbewegung herausgefordert und angegriffen sieht, die trotz der bisher gegen sie eingesetzten Aufstandsbekämpfungsmittel nicht weichen will. Die "Rothemden" hatten Ende April sogar versucht, sich einer internationalen politischen Unterstützung zu versichern, um eine weitere Zuspitzung des Konflikts zu verhindern. Ihren Appell an die Vereinten Nationen, nach Thailand UN-Friedenstruppen zu entsenden, hatten diese mit der Aufforderung beantwortet, den Konflikt "im Dialog" zu lösen.

Die Europäische Union wurde daraufhin am 29. April durch einen an ihren Botschafter David Lipman übergebenen Brief dringend gebeten, "Beobachter" nach Thailand zu entsenden, um ein "drohendes Blutbad" und eine "Menschenrechtskatastrophe" zu verhindern. "Die Regierung geht mit Gewalt gegen unschuldige Demonstranten vor, und es ist wahrscheinlich, dass es weitere gewaltsame Niederschlagungen geben wird", hatte Jaran Ditsatapichai, einer der Oppositionsführer, das Ansinnen begründet. Diese Einschätzung wird von internationalen Organisationen durchaus geteilt. So veröffentlichte die International Crisis Group (ICG) am 30. April einen Bericht, in dem davor gewarnt wurde, daß die Auseinandersetzungen in Thailand ohne internationale Vermittlung in einen "unerklärten Bürgerkrieg" umzuschlagen drohen. Das politische System Thailands, so hieß es, sei "zusammengebrochen".

Allem Anschein nach ist die thailändische Regierung in ihrem Bestreben, die langanhaltenden Proteste niederzuschlagen, ohne auf die Kernforderung der "Rothemden" nach einem Rücktritt des Ministerpräsidenten, einer Parlamentsauflösung und alsbaldigen Neuwahlen einzugehen, keineswegs unsensibel gegenüber möglicher Kritik aus dem westlichen Ausland. So hatte Premier Abhisit am 3. Mai einen "Versöhnungsplan" vorgelegt, mit dem er unter der Voraussetzung, daß alle Parteien, also auch die Oppositionellen, ihm zustimmten, Neuwahlen im November ermöglicht hätte. Desweiteren hatte der Regierungschef eine Bestandsgarantie für die Monarchie verlangt. Die Anführer der Rothemden erklärten sich mit diesem Plan in den Grundzügen einverstanden, verlangten jedoch eine ausdrückliche Erklärung Abhisits, wann er das Parlament auflösen werde, da laut Verfassung 60 Tage später Neuwahlen stattzufinden hätten.

Die Vorbehalte der Oppositionellen gegenüber dem Versöhnungsplan, mit dem die Regierung, wie es hieß, ein "gutes Klima" schaffen und die Proteste beenden wolle, sollten sich binnen weniger Tage und Wochen als nur zu begründet erweisen. Keineswegs stehen sich Regierung und (Rothemden-) Opposition auf gleicher Augenhöhe gegenüber. Die Protestbewegung hält seit Wochen das Geschäftsviertel von Bangkok "besetzt", um durch eine solche Blockade des ortsüblichen Geschäftsbetriebs ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dies sind politische, doch keineswegs militärische Mittel, die allein auf der Seite des Staatsapparates liegen auch dann, wenn sich die Demonstranten in ihrer Zone inzwischen, um ein Vorrücken des Militärs zu verhindern oder zu erschweren, hinter Autoreifen und Stacheldraht verbarrikadiert haben. Die "Rothemden" haben nichts anderes in der Hand als ihren politischen Protest, und so haben ihre Anführer angesichts der ihnen gemachten insgesamt eher vagen Zusicherungen doch davon Abstand genommen, ihr einziges Faustpfand, sprich die Aufrechterhaltung der Demonstrationszone, aus der Hand zu geben.

Chinawat Haboonpad, einer der Anführer der Protestierenden, hatte dies folgendermaßen begründet: "Zunächst haben wir zugestimmt, die Demonstration zu beenden, denn die politischen Unruhen haben Menschenleben gefordert. Wir konnten letztlich aber nicht zu einer Einigung kommen, weil keiner von uns ins Gefängnis gehen will, ohne fair behandelt zu werden." So wurde aus Regierungskreisen zwar verlautbart, es würde eine Amnestie für die Anführer der "Rothemden" geben. Tatsächlich jedoch herrscht in Bangkok seit Anfang April der Ausnahmezustand, der dem Militär weitreichende Befugnisse einräumt und der am 13. Mai auf fünfzehn weitere Provinzen vornehmlich im Norden des Landes und damit die Region, aus der das Gros der Oppositionsbewegung in die Hauptstadt gekommen ist, ausgeweitet wurde. Die Beibehaltung des Ausnahmezustandes, der es der Polizei ermöglicht, Oppositionsführer 84 Tage lang zu inhaftieren, stellte nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme der Regierung dar, die gegenüber der "Rothemden"-Opposition Kompromißbereitschaft entwickelt hätte.

Die von der Demokratiebewegung gebildete "Einheitsfront für Demokratie gegen Diktatur" (UDD), bei der es sich mehrheitlich um Anhänger des früheren und 2006 gestürzten Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra handelt, ließ ein erstes, ihr von der Regierung bis zum 12. Mai gestelltes Ultimatum, die Blockade aufzulösen, verstreichen. Der vermeintliche Versöhnungsplan Abhisits stellte sich alsbald als Zuckerbrot heraus bzw. eine Aufforderung zur Kapitulation mit der Androhung, daß bei jedwedem Zuwiderhandeln die Peitsche herausgeholt werden würde. Dies hatte sich bereits bei dem ersten Ultimatum abgezeichnet, das die Oppositionellen mit Ablauf des 12. Mai verstreichen ließen, war es doch mit der Drohung verknüpft worden, daß die Versorgung der Demonstranten mit Strom, Wasser und Lebensmitteln unterbrochen werden würde, wovon auch die übrigen Bewohner der Demonstrationszone betroffen wären. Da sich in dem Gebiet auch Schulen, Krankenhäuser und Botschaften befinden, war zunächst unklar, ob die Behörden ihre Androhungen, die auch den öffentlichen Nahverkehr und die Kommunikationsmittel betreffen sollten, wahr machen würden.

Die Entscheidung zur gewaltsamen Niederschlagung des politischen Protestes schien bereits gefallen zu sein. Am vergangenen Donnerstag wurden in besagtem Geschäftsviertel nicht nur Strom und Wasser abgestellt, sondern auch weitere militärische Maßnahmen ergriffen. Die Armee riegelte das Gebiet mit gepanzerten Fahrzeugen ab. Die Demonstranten dürften das Gebiet verlassen, nicht jedoch wieder betreten, hatte ein Armeesprecher am Donnerstagmorgen erklärt. Zudem wurde bekanntgegeben, daß es den Soldaten erlaubt wurde, zur "Selbstverteidigung" und gegen "bewaffnete Terroristen" von ihren Schußwaffen Gebrauch zu machen. Dazu muß man wissen, daß die Regierung Abhisit die Todesfälle vom April, bei denen bei Zusammenstößen zwischen dem Militär und Demonstranten 27 Menschen getötet und über eintausend verletzt worden waren, damit zu rechtfertigen versucht hatte, daß sich "Terroristen" unter die Protestierenden gemischt und von da aus die Soldaten angegriffen hätten.

Seit vergangenem Donnerstag sind bei den Vorstößen der Streitkräfte gegen die protestierende Bevölkerung noch mehr Menschen getötet worden. Mindestens 36 Todesopfer, unter denen sich ein einziger thailändischer Soldat befinden soll, sind in nur wenigen Tagen zu verzeichnen. Einer der populärsten Anführer der "Rothemden", General Khattiya Sawasdipol, wurde gleich am Donnerstag auf offener Straße im Demonstrationsviertel von Scharfschützen getroffen. Der General, auch Seh Daeng genannt, galt als Vertrauter des gestürzten Präsidenten Thaksin und war, nachdem er Regierung und Armeeführung öffentlich kritisiert hatte, 2008 aus der Armee entlassen worden. Für die "Rothemden", deren Lager im Zentrum Bangkoks sich über ein Gebiet von mehreren Kilometern erstreckt, war er in Sicherheitsfragen beratend tätig. Am vergangenen Donnerstag stand er innerhalb der Barrikaden in der Nähe des Lumpini Parks und wurde, während er sieben ausländischen Journalisten ein Interview gab, plötzlich durch einen Schuß in den Kopf niedergestreckt. Die an ihn gerichtete Frage, ob denn das Militär in der Lage sein würde, in das besetzte Gebiet einzudringen, soll er unmittelbar zuvor noch mit den Worten "Das Militär kann hier nicht reinkommen" beantwortet haben. General Khattiya Sawasdipol wurde notoperiert und starb am Montag, ohne aus dem Koma noch einmal erwacht zu sein.

Zu diesem Zeitpunkt war die Zahl der jüngsten Welle der Todesopfer bereits auf 35 angestiegen. Tausende Soldaten haben das Viertel durch einen Ring von Straßensperren abgeriegelt. Sie lassen weder Journalisten noch Zivilpersonen hinein, so daß die unabhängige Berichterstattung aus dem vom Militär zu einer Zone, in der von den Schußwaffen Gebrauch gemacht wird, erklärten Bereich deutlich erschwert wird und lediglich von den wenigen zuvor bereits anwesenden Pressevertretern aufrechterhalten werden kann. Schon am Donnerstag wurde nicht nur das Attentat auf den oppositionellen General verübt. Bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen der Protestbewegung und scharf schießenden Sicherheitskräften wurden ein Demonstrant durch einen Kopfschuß, wie ein Kameramann der Nachrichtenagentur afp berichtete, getötet und sieben weitere verletzt. Am Freitag wurde ein ausländischer Journalist von einem Schuß getroffen. Die Armee rückte vor, um, wie es hieß, das Gebiet zu räumen. Nach Angaben von afp-Reportern rückten die Soldaten nicht nur unter Einsatz von Tränengas gegen die protestierende Menge vor, sondern feuerten Gewehrsalven in sie hinein. Am Freitag wurden insgesamt mindestens 16 Menschen erschossen und über 150 verletzt. Am Samstag kamen mindestens drei weitere Oppositionsangehörige ums Leben.

Zu diesem Zeitpunkt sahen sich sowohl die Vereinten Nationen als auch die USA zu Reaktionen veranlaßt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon appellierte an Regierung und Demonstranten gleichermaßen, zum Dialog zurückzukehren, um zu einer friedlichen Lösung zu kommen. Mit diesem Appell ignoriert Ban die Weigerung Abhisits, mit den Demonstranten in Verhandlungen zu treten, wofür diese ihre Bereitschaft signalisiert hatten. So hatte Kokaew Pikulthong, einer ihrer Anführer, unter Vermittlung der Vereinten Nationen Gespräche mit der Regierung angeboten, wenn nur das Militär aufhöre zu schießen und die Soldaten aus dem besetzten Viertel zurückziehe. Ministerpräsident Abhisit unterstrich hingegen am Samstag in einer Fernsehansprache, daß die Sicherheitskräfte ihren Einsatz trotz der Trauer über die "große Anzahl" von Todesfällen fortsetzen werde, denn er sei "höchst angemessen" und ziele darauf ab, "den Frieden im Land wiederherzustellen".

Am Montag hieß es, die Armee würde die gesamte Zone "so bald wie möglich räumen", was eine abermalige Zuspitzung der vornehmlich für die oppositionelle Bevölkerung verheerenden Auseinandersetzung befürchten läßt. "Die Lage kommt minütlich einem Bürgerkrieg näher", hatte Jatuporn Prompan, einer der Anführer der "Rothemden", erklärt. Überall auf den Dächern sind Scharfschützen der Armee postiert. Wie die Regierung verlautbarte, boten die Oppositionellen durch ihren Anführer Nattawut Saikuar in einem Telefongespräch mit dem Chefunterhändler der Regierung, Korbsak Sabhavasu, einen Waffenstillstand an und erklärten, die Demonstranten würden von den Straßen Bangkoks in das besetzte Geschäftsviertel zurückgerufen werden, wenn die Soldaten aufhörten zu schießen. Die Regierung allerdings ist nach wie vor nicht verhandlungsbereit und verbittet sich jede "Einmischung" aus dem Ausland.

Am Montag hatten die "Rothemden" abermals ein ihnen gestelltes Ultimatum nicht befolgt. Wie die Regierung auf Flugblättern, die über dem Viertel abgeworfen worden waren, angedroht hatte, müßten alle Oppositionellen, die bis 15.00 Ortszeit die Zone nicht verlassen hätten, mit Gefängnisstrafen von bis zu zwei Jahren rechnen. Die Oppositionellen reagierten auf diese Androhung nicht. Zunächst blieb alles ruhig. Wie die "Bangkok Post" berichtete, soll es zu Differenzen zwischen Regierungschef Abhisit und Armeechef Anupong Paochinda gekommen sein. Während der Premier die Erstürmung des Viertels durch das Militär (und damit ein weiteres Blutbad) fordert, will der Armeeführer die hohen Verluste unter Soldaten und Demonstranten vermeiden und stattdessen behutsam vorgehen. Dies könnte als ein Zeichen verstanden werden dahingehend, daß innerhalb des Militärs mehr noch als in der Regierung Klarheit darüber besteht, daß eine fortgesetzte Kriegführung gegen die eigene Bevölkerung unkalkulierbare Risiken in sich birgt, weil es zu Befehlsverweigerungen oder gar offener Auflehnung in den Reihen der Soldaten, Offiziere und sogar Generäle kommen könnte, je mehr ihnen ein Krieg gegen die eigenen Landsleute abverlangt wird.

18. Mai 2010