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DILJA/1301: Legal oder illegal - US-Stützpunkte in Kolumbien sind verfassungswidrig (SB)


Das kolumbianische Verfassungsgericht erklärt Abkommen über die Stationierung US-amerikanischer Stützpunkte für verfassungswidrig

Vorbereitungen für US-Militärinterventionen in Lateinamerika sollen juristisch besser abgesichert werden


Unter ihrem neuen Präsidenten Juan Manuel Santos tut die regierende Rechte Kolumbiens alles nur erdenklich Mögliche, um ihr international arg strapaziertes Ansehen nach besten Kräften aufzufrischen. Amtsvorgänger Álvaro Uribe hatte zum Ende seiner Amtszeit immer mehr diplomatische Hüllen und politisch-taktische Vorsichtsmaßnahmen fallen lassen und seinem Nachfolger einen vermeintlichen Scherbenhaufen hinterlassen. Die Beziehungen zum Nachbarland Venezuela waren bis an den Rand einer drohenden Kriegsgefahr belastet und vorübergehend ausgesetzt worden; unter Santos konnten die Präsidenten beider Staaten zum Status quo ante zurückkehren, wobei das kolumbianische Staatsoberhaupt international schon allein deshalb punkten konnte, weil er im Kontrast zu Uribe als politisch besonnen, kompromißbereit und dialogfähig präsentiert werden kann.

Auch im innenpolitischen Rahmen ist der neue Amtsinhaber bestrebt, zwischen sich und seinen Amtsvorgänger einen Graben zu ziehen, ohne sich im mindesten von diesem zu distanzieren. Was wie die Quadratur des Kreises anmutet, entblättert seinen politischen Zweck unter der Annahme, daß Santos genau dieselben politischen Ziele wie Uribe verfolgt bzw. denselben ausländischen Geldgebern verpflichtet ist, doch gewitzt genug ist, um den Wechsel im Präsidentenamt zu nutzen für einen vermeintlichen Schlußstrich, den die kolumbianische Führung unter ihre paramilitärische Vergangenheit, wenn es denn eine wäre, gezogen hätte. So traf Präsident Santos am Montag mit Vertretern der Justiz zusammen, um das unter Uribe extrem strapazierte Verhältnis zwischen diesen beiden Säulen staatlicher Gewalt zu glätten.

"Zwischen den verschiedenen Zweigen der Justiz und der Exekutive muß Harmonie herrschen", so verlautbarte Santos, wohl um plausibel zu machen, die Justiz künftig respektieren zu wollen. Die von ihm beanspruchte Harmonie steht dem Demokratieverständnis westlicher Staaten allerdings entgegen, da in diesem die Unabhängigkeit der Justiz als tragende Säule gilt, was schlecht mit einem seitens der Exekutive formulierten Harmonieanspruch in Übereinstimmung zu bringen ist. Innenminister Germán Vargas Lleras unterstützte seinen Chef in dessen Anbandelungskurs gegenüber der Justiz und erklärte: "Sie werden nie wieder einen Regierungsvertreter hören, der Entscheidungen der Judikative außerhalb der Instanzen in Frage stellt."

Die Justiz hatte sich in jüngster Vergangenheit als ein Machtfaktor erwiesen, der sich nach dem Geschmack Uribes allzu viel Freiheiten herausgenommen hat. So werden derzeit von der Justiz Ermittlungen gegen 91 Abgeordnete des Senats geführt wegen des Verdachts, Verbindungen zu paramilitärischen Organisationen zu pflegen. Bereits 19 Abgeordnete oder frühere Parlamentarier wurden wegen derartiger Verbindungen bereits verurteilt. Nun hat am vergangenen Dienstag die kolumbianische Justiz abermals eine Unabhängigkeit beansprucht, die ihr nach Auffassung des führenden Clans des Landes, der durch Uribe repräsentierten Elite der Großgrundbesitzer mit ihren direkten Verbindungen zu den Paramilitärs sowie der durch den jetzigen Präsidenten verkörperten führenden Medienkonzerne, vermutlich nicht zusteht.

Das Verfassungsgericht Kolumbiens in Bogotá und somit der Oberste Gerichtshof des Landes hat der Klage der Menschenrechtsaktivistin Lilia Solano zumindest in Teilbereichen Recht gegeben und das im vergangenen Herbst zwischen Kolumbien und den USA geschlossene Abkommen über die Errichtung von sieben US-Stützpunkten für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, daß dieser Vertrag ein internationales Abkommen sei und als solcher vom kolumbianischen Parlament ratifiziert werden müsse, was die Regierung Uribe tunlichst vermieden hatte. Dieser Richterspruch bedeutet im Prinzip das Aus für die US-Stützpunkte, die in der gesamten Region für erheblichen Unmut gesorgt haben, weil etliche Länder, nicht nur Venezuela, sondern auch Brasilien und Argentinien, darin eine Gefahr für Sicherheit und Stabilität in Lateinamerika sahen.

Die kolumbianische Führung hat nun ein Jahr Zeit, einen entsprechenden Gesetzentwurf dem Parlament vorzulegen, um die fehlende Ratifizierung nachzuliefern. Da Präsident Santos im Kongreß über eine respektable Mehrheit verfügt, ist keineswegs anzunehmen, daß die US-Streitkräfte diese Brückenpfeiler für etwaige Militärinterventionen in der Region räumen müßten. Solano kündigte unterdessen in diesem Jahr eine großangelegte Kampagne an, um die Stationierungen doch noch zu verhindern. "Wenn das Gericht dem Kongreß ein Jahr gibt, dann haben wir ein Jahr intensiver Arbeit vor uns, um die Welt zu sensibilisieren", kündigte die Aktivistin gegenüber dem lateinamerikanischen Fernsehsender TeleSur an [2]. Präsident Santos allerdings ließ bei dieser Gelegenheit das so sorgsam aufgebaute neue Image fallen. Der Forderung Solanos nach einem Friedensabkommen, Gerechtigkeit, Demokratie und Gleichberechtigung, was ihrer Meinung nach in einem Land wie Kolumbien, das sich in einem Krieg befindet, erforderlich wäre, erteilte er eine klare Absage.

Santos stellte klar, wes Geistes Kind er war und geblieben ist. Als Verteidigungsminister unter Uribe war er selbst an den Verhandlungen über das jetzt für verfassungswidrig erklärte Abkommen beteiligt gewesen. Nach dem jetzigen Urteilsspruch des Verfassungsgerichts stellte er klar, daß er nach wie vor ausschließlich auf eine militärische "Lösung" setzt. Noch am selben Tag forderte er von hochrangigen Offizieren der Armee "Ergebnisse an der militärischen Front" [2], weil nur diese - und keine Verhandlungen mit den Aufständischen - dem Land "Frieden" bringen könnten. Das Gericht hatte neben der fehlenden Ratifizierung auch beanstandet, daß nach dem mit den USA geschlossenen Abkommen ausländische Soldaten in Kolumbien Waffen tragen und benutzen dürfen. Einen Schritt in Richtung "Frieden" in diesem Gerichtsurteil zu sehen, hieße allerdings, die unveränderte Lage in Kolumbien zu ignorieren.

Anmerkungen

[1] Santos räumt die Trümmer weg. Neuer Präsident Kolumbiens will von seinem Vorgänger hinterlassene Probleme lösen, von André Scheer, junge Welt, 11.08.2010, S. 2

[2] Richter stoppen Militärs, von André Scheer, junge Welt, 19.08.2010, S. 1

19. August 2010