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DILJA/1302: Venezuela - Hungerstreiktod eines Regierungsgegners und Gutsbesitzers (SB)


Gutsbesitzer Franklin Brito nach mehrfachem Hungerstreik verstorben

Durch seinen Tod soll, passend vor den Parlamentswahlen, Venezuelas Präsident Hugo Chávez als "Mörder" verunglimpft werden


Am 25. August wurde in Venezuela offiziell der Wahlkampf eröffnet. Bis zum 23. September, also drei Tage vor den politisch richtungsweisenden Parlamentswahlen, können die politischen Parteien mit Aktionen aller Art für ihre Sache und ihre Kandidaten werben. Der venezolanische Gutsbesitzer Franklin Brito hat den Beginn der "heißen" Wahlkampfphase für einen Urnengang, der nach Ansicht und Wunschdenken der rechten Opposition das Ende wenn schon nicht der Regentschaft von Präsident Hugo Chávez, so doch der parlamentarischen Basis der ihr so verhaßten sozialistischen Entwicklung namens Bolivarianische Revolution bringen soll, nicht mehr bewußt miterlebt. Der 49jährige lag seit dem 20. August infolge eines Hungerstreiks, an dessen Folgen er in der Nacht vom 30. auf den 31. August verstarb, im Koma. Die offizielle Todesursache lautet Herzversagen. Am Ende seiner insgesamt dritten, anderen Angaben zufolge sogar sechsten und bis zu seinem Tod 86 Tage währenden Nahrungsaufnahmeverweigerung verstarb mit Franklin Brito ein erklärter Chávez-Gegner.

Im Zuge der Berichterstattung über diesen Todesfall mischten sich Erklärungsversuche, Bezichtigungskonstrukte und politische Anschuldigungen, die vor den Bemühungen und Anstrengungen der Regierung Chávez, auf der Basis des 2001 erlassenen Gesetzes für die landwirtschaftliche Entwicklung (Ley de Tierras y Desarrollo Agrario) brachliegende oder unzureichend genutzte Flächen keineswegs zu enteignen, sondern "rückzugewinnen" und landlosen Kleinbauern zu übergeben, um auf diese Weise die Produktion von Nahrungsmitteln zu steigern, nicht halt machten und nicht halt machen konnten. Die langjährige Auseinandersetzung, die der nun verstorbene Brito mit den venezolanischen Behörden geführt hatte, hing unmittelbar mit dieser Landreform bzw. -umverteilung zusammen. Ihr wie auch generell der chavistischen Regierung hatte Britos ganzer Protest gegolten. Präsident Chávez hatte Anfang 2009 erklärt, das Land befände sich in der "Dritten Phase der Bolivarianischen Revolution", deren zentrale Aufgabe die Erlangung der Ernährungssouveränität sei.

Der Schweizer Blick (Blick.ch) lieferte unterdessen ein signifikantes Beispiel für die politische wie mediale Instrumentalisierung dieses tödlich geendeten Hungerstreiks. Am 31. August berichtete er unter der Zwischenüberschrift "Chávez ist ein Mörder" [1]:

Der Sohn von Franklin Brito bestätigte den Tod seines Vaters gegenüber der Zeitung "El Universal". Sein Vater sei an einem Herzinfarkt gestorben.

Auch wenn sein Vater tot ist, weiss der junge Brito Franklin, dass er es so gewollt hatte. "Solange mein Tod aufzeigt, dass Präsident Chávez ein Mörder und korrupt ist, bin ich bereit zu sterben."

Irgendwann habe, so heißt es in der Schweizer Zeitung, "der venezolanische Bauer Franklin Brito genug vom kommunistischen Regime des Präsidenten Hugo Chávez" gehabt. 24 Hektar seines im Süden Venezuelas gelegenen Landbesitzes seien 2003 verstaatlicht worden, wogegen er 2009 mit seinem ersten Hungerstreik zu protestierten begonnen hätte. Der Kampf um das Land gleicht einem politischen Wespennest, stoßen hier doch die Interessen besitzender und besitzloser Venezolaner in besonders krasser Form auf- bzw. gegeneinander. Die Regierung Chávez hat sich im Unterschied zu all ihren Vorgängerinnen in dieser wie in allen anderen sozialen Fragen eindeutig positioniert und sich einer Politik und, mehr noch, einem von ihr als revolutionär bezeichneten Transformationsprozeß verschrieben, durch den eine deutliche und festverankerte Besserstellung der in Armut lebenden Bevölkerungsschichten - sei es auf dem Land oder in den Städten - systematisch und mit Nachdruck durchgesetzt wird.

Konkret bedeutete dies beispielsweise im Herbst vergangenen Jahres, daß das venezolanische Agrarinstitut INTI fast 20.000 Hektar Großgrundbesitz durch Sicherheitskräfte besetzen ließ. Von dieser aus Sicht der Großgrundbesitzer äußerst drastischen Maßnahme waren erstmals auch Vertreter der einheimischen Elite betroffen, so beispielsweise der ehemalige Oppositionskandidat Manuel Rosales, der wegen der gegen ihn erhobenen Korruptionsvorwürfe nach Peru geflohen ist, wo ihm die dortige Rechtsregierung "Asyl" gewährte. Rosales verlor bei den Ende November 2009 durchgeführten Maßnahmen rund 300 Hektar seiner Ländereien im Bundesstaat Zulia, die über einhundert Kleinbauern zur Bewirtschaftung überlassen wurden. Gustavo Cisneros, der als der reichste Mann Venezuelas gilt, soll Medienberichten zufolge ebenfalls von diesen Maßnahmen betroffen sein, die je nach Standpunkt als Enteignung oder Rückgewinnung bezeichnet werden.

Im Fall des jetzt an den Folgen seiner vielen Hungerstreiks verstorbenen Gutsbesitzers stellt sich diese Lage keineswegs als so eindeutig dar, wie es den vorherrschenden Medien zu entnehmen ist, in denen ohne weitere Berücksichtigung der gesamten Problematik und ihrer Hintergründe behauptet wird, Franklin Brito sei von den venezolanischen Behörden enteignet worden. Brito hatte der Regierung die Enteignung, wie er es nannte, seiner etwa 290 Hektar umfassenden Ländereien im südlichen Bundesstaat Bolívar zum Vorwurf gemacht. Dem steht entgegen, wie der lateinamerikanische Fernsehsender Telesur berichtete, daß Britos Großgrundbesitz La Iguaraya diesem 1999 vom Staat überschrieben worden sei, obwohl Brito keine Besitzurkunden habe vorlegen können [2]. Das venezolanische Agrarinstitut INTI habe Britos Bodenrechte 2005 noch einmal bestätigt und ins Grundbuch eingetragen, ihm sei desweiteren bei der infrastrukturellen Erschließung seines Besitzes geholfen worden; so habe er kostenlos einen Traktor und weiteres landwirtschaftliches Gerät nutzen können.

Der Konflikt zwischen ihm und den zuständigen Behörden habe sich daran entzündet, daß, so die Darstellung des Venezuela-Korrespondenten der Nachrichtenagentur IPS, Humberto Márquez, Brito darauf bestanden habe, daß diese Unterstützung als "Entschädigung" für das ihm zugefügte "Unrecht" anerkannt werde. Doch davon kann nach Ansicht des zuständigen Ministers für Landwirtschaft und Boden, Juan Carlos Loyo, nicht die Rede sein. Dieser erklärte nach Britos Tod, es habe in diesem seit fünf Jahren schwelenden Konflikt "nie ein Verfahren zur Enteignung des Bodens von Herrn Brito gegeben" [2]. Wie Brito hatten viele Landbesitzer gegen die Maßnahmen der Regierung protestiert, um nicht zu sagen revoltiert. Lope Mendoza, erster Vizepräsident des Unternehmerverbandes Fedecamaras, hatte auf einer Pressekonferenz Ende November vergangenen Jahres die "Enteignungen" von 31 Ländereien als "illegal" bezeichnet und als einen "Angriff auf die Versorgungssouveränität Venezuelas" gewertet [3].

Dem hatte Landwirtschaftsminister Elías Jaua entgegengehalten, daß die Übernahmen der nicht ausreichend genutzten Ländereien "auf Grundlage geltender Gesetze" erfolgt sei. Die betroffenen Gebiete seien seit Anfang 2009 vom Agrarinstitut beobachtet worden mit dem Ergebnis, daß eine ernstzunehmende Produktivitätsaktivität nicht habe festgestellt werden können, wodurch die staatlichen Eingriffe gerechtfertigt seien [3]. An die Adresse der sich als enteignet betrachtenden vermeintlichen Vorbesitzer gerichtet fügte er hinzu, daß viele von ihnen keine regulären Besitzurkunden hätten nachweisen können und es ihnen im übrigen frei stünde, bei den zuständigen Institutionen und Gerichten Einspruch einzulegen. Jaua zufolge stellen die Maßnahmen keine Enteignungen dar, sondern stünden im Zusammenhang mit einem "Prozeß der Rückgewinnung" nationalen Landes, das "Privatleute besetzt" [3], aber nicht genutzt hätten.

Im übrigen sei der Vorwurf, durch diese Landumverteilungspolitik werde die Ernährungssouveränität Venezuelas gefährdet und nicht, wie die Regierung betont, gestärkt, leicht zu widerlegen. So konnte ungeachtet gewisser Produktionsrückschläge in den bisherigen zehn Jahren dieser Landumverteilungspolitik nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums eine Ertragssteigerung von über 50 Prozent erzielt werden, was auf die landwirtschaftliche Nutzung der übertragenen Gebiete durch Kleinbauern, Kooperativen und den Staat zurückgeführt werden kann. Nach Darstellung der Regierung hat es im Fall Brito in den zurückliegenden Jahren zahlreiche Vermittlungsversuche gegeben. Dies läßt sich anhand der widersprüchlichen Faktenlage bzw. -wiedergabe kaum einwandfrei klären. Nach dessen erstem Hungerstreik soll Präsident Chávez persönlich angeordnet haben, daß der nun verstorbene Gutsbesitzer angehört werden solle.

Dies hatte offenbar zur Folge, daß eine 2005 gegen ihn ergangene Anordnung im darauffolgenden Jahr widerrufen wurde. Der hiesigen Presse ist zu entnehmen, daß Brito Ende vergangenen Jahres erneut in den Hungerstreik trat, da eine offizielle Bestätigung für den Widerruf sowie eine Entschädigung gefehlt habe [4]. Einmal unterstellt, daß sich dies alles so oder ähnlich zugetragen hat, kommt doch der zeitlichen Nähe zu den vielen, Ende November 2009 durchgeführten Landübernahmen ein besonderer Augenmerk zu. Zu diesem Zeitpunkt soll es um den Gesundheitszustand Britos infolge der vorherigen Nahrungsverweigerungen schon schlecht bestellt gewesen sein. Gleichwohl begann er Ende des vergangenen Jahres mit einem weiteren Hungerstreik, der nun zu seinem Tode führte.

Amnesty international hatte ihm am 15. Januar 2010 eine Dringlichkeitsaktion gewidmet, weil er als "vermißt" galt und seine Angehörigen um seine Sicherheit in höchster Sorge waren [5]. Demnach war Franklin Brito seit dem 9. Januar aus einem Militärkrankenhaus in Caracas verschwunden, nachdem das Krankenhauspersonal ihn ruhiggestellt und aus dem Bett geholt hätte. In das Militärkrankenhaus war er auf der Basis eines Gerichtsbeschlusses vom 10. Dezember 2009 gebracht worden. Gegen seinen Willen und den seiner Familie - ein Einspruch gegen den Gerichtsbeschluß war am 21. Dezember abgelehnt worden - war er auf Antrag der Staatsanwaltschaft wegen seiner Nahrungsverweigerung für unmündig erklärt worden aus Sorge um seine Gesundheit, wie es seitens der Behörden hieß. Von nun an stand Brito unter ärztlicher Aufsicht. Im Juni hatte sich sein Gesundheitszustand nach Angaben seiner Tochter Angelo Brito dramatisch verschlechtert, was sie "auf die schlechte Behandlung im Krankenhaus" [6] zurückführte.

Durch einen "Durst-Streik" ihres Vaters habe dieser schwere Nierenschädigungen davongetragen und litte bereits an Sprachstörungen. Den Angaben der Tochter zufolge werde ihr Vater immer noch gegen seinen Willen auf der Intensivstation des Militärkrankenhauses von Caracas festgehalten. Eine Regierungssprecherin hatte ebenfalls im Juni erklärt, es werde alles unternommen, um das Leben Britos zu retten. Wie auch immer der tragische Tod dieses Menschen zu erklären und zu bewerten sein mag, steht wohl außer Frage, daß die rechte Opposition des Landes ihn politisch auszuschlachten bestrebt ist. So hatte sie schon davor gewarnt, daß der "Fall des Bauern und Biologielehrers zu einer Tragödie werden kann" [6].

Dabei kann nicht einmal ausgeschlossen werden, daß Brito selbst, so er dazu überhaupt noch in der Lage war, mit seinem Leben gepokert und versucht haben könnte, die politischen Konsequenzen, die sein drohender Tod so kurz vor den Parlamentswahlen aller Voraussicht nach haben würde, als Druckmittel gegen die Regierung einzusetzen. Nach Angaben des lateinamerikanischen Fernsehsenders Telesur gibt es ein Video des staatlichen Fernsehkanals VTV, auf dem Brito der Regierung den Abbruch seines Hungerstreikes für umgerechnet rund 550.000 Euro (drei Millionen Bolivares) angeboten haben soll [2]. Dies wäre als ein weiteres Mosaiksteinchen in einer wohlorchestrierten Kampagne zur Destabilisierung und Diffamierung der venezolanischen Regierung zu bewerten im Vorfeld der Parlamentswahlen, die die rechte Opposition jüngsten Umfragen zufolge allerdings bereits zu verlieren im Begriff steht.

Anmerkungen

[1] Tödlicher Hungerstreik. Bauer stirbt in Venezuela - mit nur noch 35 Kilo! Blick.ch, 31.08.2010,
http://www.blick.ch/news/ausland/bauer-stirbt-in-venezuela-mit-nur-noch-46-kilo-154426

[2] Landbesitzer stirbt nach Hungerstreik. Fall des Venezolaners Franklin Brito könnte politische Situation vor Parlamentswahlen anheizen. Regierung verweist auf Lösungsversuche, von Harald Neuber, amerika21.de, 31.08.2010

[3] "Rückgewinnung" von fruchtbarem Land, von Maxim Graubner, amerika21.de, 28.11.2009

[4] Franklin Brito - Symbolfigur der Opposition, Regierungsgegner stirbt bei Hungerstreik, 31.08.2010,
http://www.rp-online.de/panorama/ausland/Regierungsgegner-stirbt-bei-Hungerstreik_aid_900573.html?utm_source=feedburner&utm_medium=feed&utm_campaign=Feed%3A+rp-online%2Fatom%2Fpanorama+(Panorama+%7C+RP+ONLINE)

[5] Franklin Brito Rodriguez - Urgent Action - Landwirt verschleppt - Venezuela. Amnesty international, Sektion der Bundesrepublik Deutschland, 15. Januar 2010,
http://www.amnesty.de/urgent-action/ua-013-2010/landwirt-verschleppt

[6] Gesundheitszustand von Franklin Brito dramatisch verschlechtert, latina-press.com, 06.06.2010,
http://latina-press.com/news/26156-gesundheitszustand-von-franklin-brito-dramatisch-verschlechtert/

1. September 2010