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DILJA/1340: Informationskrieg in Libyen - Auslandseinfluß darf nicht erkennbar sein (SB)


Libyens Bevölkerung würde keine Fremdherrschaft akzeptieren

Die Erfolgsaussichten auslandsunterstützter Umsturzbewegungen hängen entscheidend von ihrer Tarnung ab


Auf die Frage nach der "Lage" in dem Krisen- bzw. Bürgerkriegsland Libyen läßt sich derzeit keine verläßliche Antwort geben, ist doch nicht einmal mit einiger Plausibilität festzustellen, ob die gewaltsamen bzw. militärischen Auseinandersetzungen, über die in internationalen Medien berichtet wird, als innere Unruhen oder bereits als Bürgerkrieg zu bewerten sind oder ob es sich sogar um einen verdeckten Putsch- bzw. Umsturzversuch ausländischer Staaten und Staatengruppen handeln könnte, die sich libyscher Oppositionsgruppen bedienen bzw. diese für ihre Zwecke instrumentalisiert haben könnten. Die tatsächliche Nachrichtenlage kann als solche nicht bezeichnet werden, da jede vermeintliche Information, die ihren Weg in die Medienkanäle gefunden hat bzw. dorthin lanciert wurde, in dem Verdacht steht, ihrerseits Bestandteil eines Informationskrieges zu sein, in dem jede der beteiligten Konfliktparteien versucht, sich die Oberhoheit über die internationale Berichterstattung zu erwirtschaften.

Längst haben die führenden westlichen Staaten - die Europäische Union, die USA sowie die Vereinten Nationen - ihre vermeintliche Neutralität aufgegeben und durch die Verhängung härtester Sanktionen gegen die libysche Führung um Oberst Muammar Al-Ghaddafi zu erkennen gegeben, daß sie im Falle Libyens gegenüber den vielen, im Aufruhr befindlichen Staaten des Nahen und Mittleren Ostens von ihrer bisherigen Linie abweichen. Während in Tunesien und Ägypten die in der Bevölkerung verhaßten Präsidenten nach relativ kurzer Zeit politischer Unruhen und gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und Sicherheitskräften aus ihren Ämtern entfernt wurden, ohne daß sich an der politischen Grundpositionierung dieser vorher wie nachher gegenüber dem Westen kooperationswilligen, um nicht zu sagen unterwerfungsbereiten nationalen Führungseliten auch nur das Geringste geändert hätte, stehen in Libyen alle Zeichen auf Sturm. Laut Tagesschau-Informationen vom heutigen Dienstag hat es "Wieder Tote bei Angriffen auf Demonstranten" gegeben [1]:

Wie ist die Lage in Libyen? Darüber gesicherte Informationen zu bekommen, ist weiterhin schwierig. Laut Augenzeugen soll es in mehreren Städten Kämpfe zwischen Aufständischen und Gaddafi-Truppen gegeben haben. Unterdessen wurde bekannt, dass Gaddafi möglicherweise Waffen aus Weißrussland bekommen hat.

Westliche bzw. internationale Medien vollziehen derzeit einen Spagat, verbreiten sie doch Informationen, zu denen sie, um ihre Seriosität nicht auf Spiel zu setzen, selbst anmerken, daß sie nicht gesichert sind. Noch einmal tagesschau.de [1]:

Wie viele Demonstranten bei den Protesten in Tripolis gestern Abend ums Leben gekommen sind, darüber gibt es keine gesicherten Informationen. Regimetreue Sicherheitskräfte sollen nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters auf unbewaffnete Demonstranten geschossen und dabei mehrere Jugendliche getötet haben. In Tadschura, einem Stadtviertel der Hauptstadt seien nach einer Beerdigung knapp 10.000 Demonstranten zusammengekommen, um gegen Gaddafi zu protestieren. Erst hätten die Sicherheitskräfte versucht, mit Schüssen in die Luft die Menge auseinander zu treiben, dann aber angeblich gezielt gefeuert, berichteten Augenzeugen. Eine unabhängige Bestätigung der Ereignisse liegt bislang nicht vor.

Umso befremdlicher wirkt die große Eile, mit der am Wochenende gegen Libyen Sanktionen verhängt und umgesetzt wurden, können doch auch die hier in Aktion getretenen internationalen Akteure über keine verläßlicheren Informationen verfügen. Libyens "Revolutionsführer" Ghaddafi war lange Zeit wenn auch kein enger Verbündeter, so doch ein wohl- oder auch schlecht gelittener "Partner" des Westens, der die Ideale seines in dem von ihm selbst verfaßten "Grünen Buch" niedergelegten Gesellschaftsmodells einer auf die spezifische Situation und Beduinenkultur Libyens abgestellten Mischung aus Elementen einer Volksdemokratie und sozialistischen Wirtschaftsvorstellungen um der Bewahrung der staatlichen Souveränität Libyens willen preiszugeben bereit war. Spätestens nach dem Eroberungs- und Okkupationskrieg der westlichen Staatenelite gegen den Irak scheint Muammar al Ghaddafi in dem Glauben, dadurch eine auch seinem Land drohende Aggression abwenden zu können, politische wie wirtschaftliche Zugeständnisse zulasten der eigenen Bevölkerung gemacht zu haben.

Dies könnte ihn einiges an Unterstützung in der eigenen Bevölkerung und Anhängerschaft gekostet haben, sind doch inzwischen auch die Menschen in Libyen von Preissteigerungen und einer hohen Arbeitslosigkeit betroffen, auch wenn das Land infolge seiner auf den Errungenschaften der weiter zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte stammenden Regierungspolitik für (nord-) afrikanische Verhältnisse noch immer vergleichsweise gute Sozialverhältnisse aufweist. Da die Tendenz jedoch unverkennbar ist und bereits zu spürbaren und einschneidenden Kürzungen und Verschlechterungen geführt hat, sind die Proteste der libyschen Bevölkerung alles andere als unbegründet oder ungerechtfertigt. Das möglicherweise Verheerende an der gegenwärtigen Situation bestünde dann nicht in dem sozialrevolutionären Potential dieser Proteste, wenn es ein solches denn tatsächlich gäbe, sondern könnte darin bestehen, daß dieser Volkswiderstand von ausländischen Interessengruppen vereinnahmt, angeheizt, instrumentalisiert oder gar initiiert worden sein könnte aus Gründen und zu Zwecken, die nicht das Geringste mit der Situation und dem Wohlergehen der libyschen Bevölkerung zu tun haben.

Angeblich sollen die libyschen Oppositionsgruppen sehr darauf bedacht sein deutlich zu machen, daß sie über keinerlei Kontakte zum Ausland verfügen und auch nicht um Hilfe aus dem Ausland gebeten haben [2]. Selbstverständlich kann auch diese Behauptung nicht verifiziert werden. Um ihre Glaubwürdigkeit ist es keineswegs gut bestellt, hat doch die US-amerikanische Außenministerin Hillary Clinton am Sonntag vor ihrem Abflug nach Genf zu Beratungen mit den Partnern in EU und NATO zur weiteren Abstimmung des gemeinsamen Vorgehens gegen Ghaddafi der libyschen Opposition "jede Art von Hilfe" angeboten [2]. Da die US-Armee inzwischen bereits militärische Bewegungen unternommen hat, um im Falle einer Entscheidung (über ein militärisches Ein- bzw. Angreifen) in einer für sie günstigen Position zu sein, ist die militärische Drohkulisse nicht zu übersehen. Ob mit der in Aussicht gestellten "Hilfe" für die Oppositionsgruppen auch militärische Maßnahmen gemeint seien, ließ Außenministerin Clinton offen.

Doch weit unterhalb der Schwelle der nun möglicherweise bevorstehenden und zumindest angedrohten Militärintervention zum Sturz Ghaddafis ist eine massive Einflußnahme Washingtons und eventuell auch der EU-Staaten nicht auszuschließen. Darauf deuten nicht nur die Verbindungen diverser Oppositionsgruppen der arabischen Revolte zur in Serbien ansässigen und aus der Anti-Milosevic-Umsturzbewegung "Otpor" entstandenen globalen "Umsturz GmbH", wie die Süddeutsche Zeitung titelte [3] hin, die bereits in Ägypten, Tunesien und dem Iran in Aktion getreten sind und augenscheinlich auch in die Entwicklungen in Libyen und weiteren Staaten involviert sein könnten [4]. Washington fördert - ganz offiziell - Demokratie und Demokratiebewegungen in der ganzen Welt, möchte dieses Engagement allerdings gern als ein altruistisches verstanden wissen, das mitnichten darauf abziele, auf diesem Wege eine Weltführungsposition zu beanspruchen bzw. durchzusetzen.

Eben dies stellen Kritiker in Frage, spricht doch die tatsächliche US-Politik und namentlich der Fluß amerikanischer Gelder eine andere Sprache. Das "Bureau of Near Eastern Affairs (NEA)" der amerikanischen Regierung befaßt sich unter Leitung von Staatssekretär Jeffrey Feltman mit der amerikanischen Außenpolitik und den auswärtigen Beziehungen und benennt auf seiner eigenen Website [5] unter anderem auch Libyen als einen der Staaten, dem diese vorgeblich dem Frieden im Mittleren Osten, aber auch politischen wie wirtschaftlichen Reformen gewidmeten Tätigkeiten gelten. Das "National Endowment for Democracy (NED)" soll eine private Nichtregierungsorganisation sein, die allerdings vom US-Kongreß finanziert wird, wie ihrer Website zu entnehmen ist [6]. Sie unterstützt weltweit über 1000 Projekte von Nichtregierungsgruppen in über 90 Staaten, die für demokratische Ziele arbeiten - und unter ihnen befinden sich auch libysche Organisationen, die dem 2010 veröffentlichten Jahresbericht 2009 zufolge auf diesem Wege Gelder aus Washington erhalten haben.



Anmerkungen

[1] Lage in Libyen. Wieder Tote bei Angriffen auf Demonstranten. Von Peter Steffe, ARD-Hörfunkstudio Kairo, 1.3.2011,
http://www.tagesschau.de/ausland/libyen378.html

[2] "Hilfe" aus Washington. Clinton bietet Aufständischen in Libyen Unterstützung an - die wollen davon aber nichts wissen. Straffreiheit für Ghaddafi-Söldner dank den USA. Von Rainer Rupp, junge Welt, 01.03.2011, S. 3

[3] Proteste in der arabischen Welt. Die Umsturz GmbH. Von Enver Robelli, 17.02.2011, Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.
http://www.sueddeutsche.de/politik/proteste-in-der-arabischen-welt-die-umsturz-gmbh-1.1061251

[4] Siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> POLITIK -> MEINUNGEN (24.02.2011):
DILJA/1338: Cui bono? Bürgerkrieg in Libyen nach dem Muster "bunter Revolutionen" (SB)

[5] http://www.state.gov/p/nea/index.htm

[6] http://www.ned.org/

1. März 2011