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DILJA/1344: EU auf kolonialen Pfaden - Afrikanische Union lehnt Libyen-Intervention ab (SB)


Die Afrikanische Union lehnt jegliche Intervention in Libyen ab

Mit Oberst Ghaddafi soll ein Herausforderer europäischer Suprematie gestürzt werden


Die diplomatischen Maschinen laufen im Rahmen der Europäischen Union wie auch der NATO derzeit auf Hochtouren, tagen doch beide Gremien westlicher Interessenbündelung und -durchsetzung derzeit in Brüssel, um ihre Umsturzbestrebungen gegen den libyschen Revolutionsführer Oberst Muammar al-Ghaddafi taktisch und strategisch zu beraten und durchzusetzen. Wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton am Mittwoch betonte, sei die EU "an vorderster Front der internationalen Bemühungen engagiert, um in Libyen Frieden und Stabilität wiederherzustellen" und werde "nach dem Ende der Gewalt" beim Aufbau eines neuen Libyens "mit demokratisch gewählten Führern helfen". Deutlicher könnte die Absicht der EU, in Libyen eine ihr genehme politische Führung zu installieren, kaum offenbart werden, um von dem eklatanten Mangel an demokratischem Bewußtsein, der diesen Worten zu entnehmen ist, indem die EU-Politikerin nicht einmal realisiert, wie anmaßend sich ihre Worte selbst gegenüber der Ghaddafi kritisch gegenüberstehenden libyschen Bevölkerung ausnehmen, ganz zu schweigen.

Unterdessen wurde im Europaparlament in Straßburg über einen Gemeinsamem Resolutionsentwurf aller Fraktionen mit Ausnahme der Linken zur "Südlichen Nachbarschaft und speziell Libyen" abgestimmt, in dem unter Punkt 10 die Außenbeauftragte Ashton sowie die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert wurden, sich "für eine Entscheidung des UN-Sicherheitsrats bereitzuhalten, einschließlich der Möglichkeit einer Flugverbotszone mit dem Ziel, das Regime davon abzuhalten, die Zivilbevölkerung anzugreifen" [1]. Doch wer, so wäre zu fragen, da die Verhängung eines solchen Flugverbots die kaum noch getarnte Eröffnung eines Luftkrieges gegen Libyen wäre, hält die EU bzw. die NATO davon ab, Libyen und damit auch die libysche Zivilbevölkerung anzugreifen?

Neben den vielen Stimmen, die im Rahmen der westlichen Staatengemeinschaft härtere Maßnahmen bis hin zu militärischen befürworten, nehmen sich die Stellungnahmen deutscher Politiker noch einigermaßen moderat aus. So hatte Bundesaußenminister Guido Westerwelle noch vor dem EU-Gipfeltreffen am heutigen Freitag erklärt, daß er bei "solchen militärischen Einsätzen sehr zurückhaltend" sei. "Da wird kein Verkehrsschild aufgestellt, sondern da wird militärisch eingegriffen, da wird bombardiert, da werden Flugabwehrstellungen ausgeschaltet" [2], erläuterte Westerwelle ganz so, als bestünde die Position der deutschen Bundesregierung zum Libyen-Konflikt in einem bedingungslosen Nein gegenüber der dem Land drohenden Militärintervention durch westliche Streitkräfte. Das dem nicht so ist, geht aus Westerwelles Worten gleichwohl hervor, erklärte er doch ebenso, daß es seine Aufgabe als Außenminister sei, "dafür zu sorgen, dass wir als Deutsche nicht leichtfertig in einen Krieg hineingezogen werden, aus dem wir dann viele Jahre nicht herauskommen können" [2].

Am Donnerstagabend hatte er zur Frage eines gegen Libyen verhängten Flugverbots gesagt, daß Militär "immer nur das letzte Mittel" sei und daß für ein solche Flugverbot als Vorbedingungen sowohl ein UN-Mandat als auch "die Zustimmung aus Ländern der Region und der Arabischen Liga" [3] erforderlich seien. Westerwelle scheint diese Formulierung sehr präzise gewählt zu haben, da er - wohl kaum zufällig - die Afrikanische Union außer acht und unerwähnt gelassen hat. In derselben Nacht hatte diese nämlich jegliches militärisches Eingreifen aus dem Ausland in Libyen abgelehnt. Dieses eindeutige Votum war vom Rat für Frieden und Sicherheit der Afrikanischen Union (AU), dem 15 AU-Staaten angehören, abgegeben worden. Wie ein Sprecher der Union erklärte, sei die AU der "Einheit und territorialen Integrität Libyens" verpflichtet.

Während europäische Staaten offen den Rücktritt Ghaddafis fordern und Frankreich sogar noch vor der EU den Alleingang wagte, den sogenannten Übergangsrat der libyschen Aufständischen als einzige legitime Regierung des Landes anzuerkennen, ist die Haltung der Afrikanischen Union gegenüber dem AU-Mitgliedsstaat eine ganz andere. Die vorgebliche Zurückhaltung des deutschen Außenministers könnte dem Kalkül geschuldet sein, in den Augen der afrikanischen und arabischen Staaten nicht als Repräsentant westlicher Okkupanten erkannt zu werden, verlangte Westerwelle doch bei der Durchsetzung der noch umstrittenen Flugverbotszone eine aktive Beteiligung der Arabischen Liga, weil es andernfalls heißen würde, der Westen wolle den Norden Afrikas angreifen, was zur Folge haben könnte, daß die "Freiheits- und Friedensbewegungen" in Tunesien, Ägypten und Marokko "kippen" könnten.

Wären die Bedenken Westerwelles diesbezüglich nicht nur taktischer Natur, hätte er sich bedingungslos das Nein der Afrikanischen Union zu eigen machen müssen, handelt es sich bei dieser doch um einen erklärten Partner der Europäischen Union. Die Afrikanische Union wurde am 26. Mai 2001 von 53 Staaten konstituiert mit dem Ziel, die Einheit des Kontinents und die Solidarität ihrer Mitgliedstaaten zu fördern. Sie ist eine Nachfolgeorganisation der 1963 ins Leben gerufenen Organisation für die Afrikanische Einheit (OAU) und dieser gegenüber mit mehr Kompetenzen ausgestattet. Zu ihren wichtigsten Organen gehört der bereits erwähnte Friedens- und Sicherheitsrat (PSC), der aus 15 rotierenden Mitgliedern besteht, die kontinuierlich in Addis Abeba tagen. Der PSC ist ein operatives Entscheidungsgremium mit weitreichenden Kompetenzen im Bereich der Friedens- und Sicherheitspolitik.

Bei der Gründung der AU im Jahre 2002 wurden auch die Grundlagen für eine gesamtafrikanische Friedens- und Sicherheitspolitik gelegt, um dem Anspruch Ausdruck zu verleihen, daß die afrikanischen Staaten die Verantwortung für Frieden und Sicherheit auf ihrem Kontinent selbst übernehmen. Bei schweren Menschenrechtsverletzungen oder einem drohenden Völkermord hat sich die AU zum Eingreifen verpflichtet; desweiteren hat sie sich zu dem Grundsatz bekannt, verfassungswidrig an die Regierungsmacht gekommene Regime zu ächten und zu sanktionieren. Die AU versteht sich als kollektives Frühwarn- und Sicherheitssystem, um gemäß Kapitel VIII der UN-Charta in Krisen- und Konfliktfällen zu reagieren. In Burundi, Darfur und Somalia ist die Afrikanische Union seit 2003 mit eigenen Friedenstruppen zur Konfliktbewältigung involviert. In Libyen ist von einer eigenen Intervention nicht die Rede, eine ausländische wird ohne Wenn und Aber abgelehnt.

Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland unterstützt nach eigenen Angaben die Afrikanische Bereitschaftstruppe (ASF), die das Kernstück der künftigen Sicherheitsarchitektur der AU bilden soll. Zur Zusammenarbeit zwischen EU und AU ist beim Auswärtigen Amt unter anderem folgendes nachzulesen [4]:

Die EU ist der wichtigste Partner der AU im Hinblick auf die finanzielle Unterstützung und den Kapazitätenaufbau der AU. Die Kommissionen beider Organisationen arbeiten eng zusammen und treffen sich regelmäßig. Die EU ist auch der wichtigste Partner für den Aufbau der afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur. Um der wachsenden Bedeutung Afrikas für Europa Rechnung zu tragen, wurde beim 2. EU-Afrika-Gipfel in Lissabon 2007 die Gemeinsame Afrika-EU-Strategie und ein Aktionsplan verabschiedet. Die Strategie soll das Verhältnis der Nachbarkontinente auf eine neue Grundlage stellen und als politische Strategie über Entwicklungsfragen hinausgehen. Der 2. EU-Afrika-Gipfel soll im November 2010 in Libyen stattfinden.

Wie kann in einer Krise wie der gegenwärtigen der Standpunkt der Afrikanischen Union seitens der EU-Staaten so vollständig ignoriert werden? Anhaltspunkte dazu liefert der EU-Afrika-Gipfel, der im vergangenen Jahr tatsächlich in der libyschen Hauptstadt Tripolis stattfand und auf dem der nun zum Diktator erklärte und zum Putsch freigegebene Oberst Ghaddafi harsche Kritik an der EU übte. In seiner Eröffnungsrede auf dem dritten EU-Afrika-Gipfel hatte Ghaddafi den Europäern gedroht, ihnen nicht länger bei der Eindämmung und Abwehr unerwünschter Migranten zu helfen, sollten seine Bemühungen nicht in finanzieller und technischer Hinsicht unterstützt werden. Konkret hatte Ghaddafi fünf Milliarden Euro von der EU gefordert, um die von libyschen Küsten aufbrechenden Flüchtlingsboote abzuwehren [5]. Sollte die gegenwärtige Krise, die vom Bürgerkrieg in einen offenen Krieg gegen ausländische Streitkräfte übergeführt zu werden droht, die Absicht der EU, sich einen paßförmigeren Erfüllungsgehilfen in Tripolis zu verschaffen, eine Rolle spielen?

Guido Westerwelle hatte auf diesem Gipfel vor wenigen Monaten noch kein Wort der Kritik an "Diktator" Ghaddafi oder den Verhältnissen im Gastgeberland Libyen fallenlassen. In seiner Gipfelrede war er auf die Konfliktherde Sudan, Somalia und Piraterie eingegangen, und im übrigen hatte er mit wohlfeilen Worten die Bereitschaft Deutschlands erklärt, die Afrikanische Union zu unterstützen [6]:

Deutschland hat die Afrikanische Union in der Vergangenheit vielfältig unterstützt. Ich nenne nur den Bau des Gebäudes für die Abteilung Frieden und Sicherheit der AU. Wir werden Sie auch weiterhin unterstützen.

Angesichts der aktuellen Haltung der deutschen Regierung gegenüber Ghaddafi, den Westerwelle beim Gipfel noch als "Sehr geehrter Herr Oberst Gaddafi" [6] begrüßt hatte, könnte man sich allerdings fragen, wie es nun um die der AU noch im November versprochene Zusammenarbeit aussieht.



Anmerkungen

[1] Linke fliegen auf NATO, von Arnold Schölzel, junge Welt, 10.03.2011, S. 1

[2] News-Ticker zu Libyen: USA will Diplomaten entsenden, Freitag, 11. März 2011, 2:19 Uhr, Aktualisiert 11:07 Uhr; hier: 09:35 Westerwelle sehr zurückhaltend zu Flugverbotszone,
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/03/11/International/Aufstand-in-Libyen/News-Ticker-zu-Libyen-USA-will-Diplomaten-entsenden

[3] News-Ticker zu Libyen: Libyen: Frankreich anerkennt Übergangsregierung, Donnerstag, 10. März 2011, 2:43 Uhr, Aktualisiert 11.03.2011, 2:11 Uhr, hier: 22:33 - Westerwelle mahnt zur Vorsicht,
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2011/03/10/International/Aufstand-in-Libyen/Libyen-Frankreich-anerkennt-Uebergangsregierung

[4] Beziehungen EU - Afrikanische Union. Auswärtiges Amt, Stand: 20.07.2010,
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/RegionaleSchwerpunkte/Afrika/Afrikanische_Union_node.html

[5] Ghadhafi droht Europäern am EU-Afrika-Gipfel, NZZ Online, 29.11.2010

[6] Ansprache von Außenminister Westerwelle beim dritten EU-Afrika-Gipfel am 30. November 2010 in Tripolis, Libyen. Auswärtiges Amt,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_445FF291AE28E5E06EF5A792588CE30E/DE/Infoservice/Presse/Reden/2010/101130-BM-EU-Afrika-Gipfel-Rede.html?nn=357230

30.11.2010


11. März 2011