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DILJA/1400: Ermächtigungssprache und Kriegsgründe (SB)


Mali unter Feuer

Nächster Frontabschnitt im Weltordnungskrieg eröffnet



Als vor über elf Jahren, am 12. September 2001, der Verteidigungsfall der NATO ausgerufen wurde in Reaktion auf einen militärischen Angriff gegen die USA am Tag zuvor - so die damals vorherrschende Deutung -, waren Öffentlichkeit und Medien viel zu sehr in einen auch emotionalen Ausnahmezustand versetzt worden durch die Schreckensmeldungen und -bilder über 9/11, als daß die Frage, ob ein solcher, bis heute einmaliger Schritt in der Geschichte des westlichen Militärbündnisses, durch den die gesamte NATO in den aktiven Kriegszustand versetzt wurde, wirklich angemessen und sinnvoll sein könne, öffentlich gestellt worden wäre. Das Entsetzen in den USA über die vielen Todesopfer im eigenen Land wurde in den übrigen Staaten des westlichen Bündnisses geteilt. Man wähnte sich Schulter an Schulter stehend gegen einen gemeinsamen, wenn auch irgendwie unsichtbaren Feind, für den die Metapher "islamistische Kämpfer" genauso schnell zur Hand war wie die Behauptung, der unter extrem hohem logistischen Aufwand und mit nahezu geheimdienstlichem Knowhow durchgeführte Terroranschlag sei aus den Bergen Afghanistans initiiert und ferngesteuert worden, von den das Meinungsbildungsgeschäft dominierenden Medien kolportiert wurde.

In Washington wurde das seinerzeit soeben angebrochene neue Jahrhundert zu einem "Amerikanischen" erklärt. Der "Krieg gegen den Terror" wurde angekündigt und mit dem Zusatz versehen, er werde zeitlich wie geographisch unbegrenzt sein. All dies ist sattsam bekannt und wäre der Erwähnung in diesen Tagen kaum wert, wäre da nicht der jüngste Krieg der westlichen, nach globaler Hegemonie auch mit militärischen Mitteln strebenden Ordnungsmächte in einer der vielen Hunger- und Armutsregionen der Welt. Im Westen Afrikas wird mit Mali ein Staat durch die Luftwaffe seiner ehemaligen Kolonialmacht Frankreich angegriffen. Dieser Krieg, wenngleich keineswegs der erste dieser Art, weist alle Kennzeichen einer gewaltsamen Aufstandsregulation und Einflußsicherung auf, die ohne die 2001 erfolgte Transformation in einen weltweiten Kriegszustand "gegen den Terror" aus Sicht seiner Betreiber wohl kaum so reibungsverlustfrei hätte durchgeführt werden können.

In Mali, so stellt sich die Lage für die Konsumenten der vorherrschenden Medien dar, herrscht seit über einem Jahr Bürgerkrieg zwischen der regulären Armee des westafrikanischen Landes und islamistischen Kämpfern wie auch Tuareg-Rebellen, die einen unabhängigen, von den übrigen Ländern der Welt jedoch nicht anerkannten Staat Azawad ausgerufen haben. Die Tuareg im Norden Malis wurden erheblich verstärkt durch oftmals gutausgerüstete Tuareg- Kämpfer, die infolge des NATO-Krieges gegen Libyen weiter nach Süden in die Sahelzone gezogen sind. In der übrigen malischen Bevölkerung sollen die Aufständischen des Nordens über keinen Rückhalt verfügen. Sollten Meldungen darüber, daß islamistische Kämpfer Einheimische terrorisieren mit harten Strafen wie Hand-Amputationen, zutreffend sein, wäre vorstellbar, daß sich eine Volkserhebung gegen die Verhaßten Bahn bricht, was durch die französischen Luft- und Bodenangriffe möglicherweise sogar eher behindert denn gefördert werden würde.

Aus Sicht der deutschen Bundesregierung stellt sich, wie einer ihrer Veröffentlichungen zu entnehmen ist, der Hintergrund dieses Konflikts folgendermaßen dar [1]:

Das westafrikanische Mali befindet sich seit Anfang 2012 in einer tiefen Krise. Im Norden des Landes waren im Januar 2012 Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Tuareg-Rebellen ausgebrochen. Die Lage verschärfte sich weiter im März 2012 durch einen Putsch von Teilen des Militärs gegen den damaligen Präsidenten Touré. Im Zuge dieses Putsches und der damit zusammenhängenden Unruhen gelang es islamistischen Gruppen, weite Teile Nordmalis unter ihre Kontrolle zu bringen.

Da alle Symptome eines Phänomens, das als "islamistischer Terrorismus" keiner weiteren Rechtfertigung für Militärinterventionen und Kriegseinsätze auch ausländischer Truppen bedarf, gegeben zu sein scheinen, bricht sich nach dem immergleichen Muster des sogenannten Antiterrorkrieges eine Dramaturgie bahn, deren eigentlich Leidtragende wie in all den übrigen Kampfstätten dieses Krieges die Bevölkerung ist. Mali darf nicht islamistisch werden, so das Credo einer internationalen Kriegsgemeinschaft, in der die westlichen Führungsstaaten tonangebend und die Streitkräfte der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich seit dem 11. Januar im Einsatz sind.

Die französischen Luftangriffe wirken sich massiv auf die Bevölkerung aus, die sich in ungleich größerer Zahl als schon während des seit über einem Jahr andauernden Bürgerkriegs zur Flucht gezwungen sieht. Wie der "Standard" am 18. Januar unter Berufung auf Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtete, wird mit einem Flüchtlingsstrom von über 700.000 Menschen gerechnet. Melissa Fleming, Sprecherin des UNHCR in Genf, habe erklärt, daß ihre Planungen auf 300.000 Menschen eingestellt seien, die innerhalb Malis Zuflucht suchen, und über 400.000, die in eines der benachbarten Länder fliehen [2]. Laut Evangelischem Pressedienst (epd) sollen nach Angaben des UNHCR seit dem Beginn der französischen Luftangriffe mehr als 2.700 Malier ins Ausland geflohen sein, die meisten von ihnen Tuareg [3]. Da die Zufahrtsstraßen nach Konna und in den Norden des Landes den Angaben zufolge von der regulären Armee Malis gesperrt worden sein sollen, steht zu befürchten, daß die Flüchtlinge, ob sie nun den Luftangriffen, den Kämpfen oder den Übergriffen der Milizen zu entkommen suchen, im engsten Wortsinn gar keinen Ausweg finden können.

Zu der Frage, wie weit denn die deutsche "Hilfe" gehen könne, stellte Bundesaußenminister Westerwelle in einem am 17. Januar veröffentlichten Interview klar [4]:

Wir Deutsche werden nicht mit kämpfenden Truppen eingreifen, aber Frankreich und die afrikanischen Nachbarstaaten bei der europäischen Mission unterstützen: mit zwei Transportflugzeugen der Bundeswehr für die afrikanischen Truppen von ECOWAS, aber auch mit humanitärer Hilfe für die Menschen in Mali, die auf der Flucht sind. Wir dürfen bei den wichtigen strategischen und militärischen Erwägungen die Not der Menschen nicht vergessen.

Dies mutet nachgerade zynisch an, wäre doch der einzig wirksame Schutz der durch Bürgerkrieg und nun auch französische Luftangriffe womöglich extrem gefährdeten Zivilbevölkerung die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen, was zu fordern der deutschen Bundesregierung offensichtlich nicht in den Sinn kommt.

Als völkerrechtliche Grundlage für ein internationales Eingreifen in Mali führt das Auswärtige Amt die Resolution 2085 des Weltsicherheitsrats vom 20.12.2012 an, durch die eine internationale Unterstützungsmission für Mali unter afrikanischer Führung genehmigt und ECOWAS ermächtigt worden sei, die territoriale Integrität Malis wiederherzustellen [5]. Dem widersprachen bereits in einer gemeinsamen Stellungnahme der AG Friedensforschung und des Bundesausschusses Friedensratschlags Prof. Dr. Werner Ruf und Dr. Peter Strutynski [6], die geltend machten, daß das militärische Vorgehen Frankreichs nicht auf Resolution 2085 gestützt werden könne, da diese in Ziffer 11 ausdrücklich verlange, "dass die militärische Planung vor dem Beginn der offensiven Operation weiter präzisiert werden" müsse [6] - was nach Angaben der Friedensforscher nicht geschehen sei.

Die internationale Werte- oder vielmehr Interessengemeinschaft ficht dies nicht an. Die Kriegführung Frankreichs findet Anerkennung und tatkräftige Unterstützung, die deutsche Bundeswehr sendet zwei Transall-Transportmaschinen, damit weitere Soldaten, nämlich Truppen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, nach Mali gebracht werden können. Vor zwanzig, vielleicht dreißig Jahren wäre das Tempo und die Reibungslosigkeit eines solchen Kriegseinsatzes, der alle Kennzeichen eines imperialistisch-kolonialistischen Manövers aufweist und in seinem Rechtfertigungskonstrukt dem Vietnamkrieg ähnelt, kaum vorstellbar gewesen. Natürlich hinkt ein solcher Vergleich, da die jeweiligen Umstände viel zu unterschiedlich sind, als daß diese Kriege mit schneller Feder über einen Kamm geschoren werden könnten. Eine gewisse Parallele könnte gleichwohl darin gesehen werden, daß die Intervention der USA auf Wunsch und Bitte der mit ihr verbündeten südvietnamesischen Regierung eingeleitet wurde, um der im Norden drohenden kommunistischen Gefahr Herr zu werden.

Für kleinere Staaten bot die damalige Konstellation einer Konfrontation zwischen zwei einander feindselig gegenüberstehenden Großmächten, so absurd dies gerade angesichts des Vietnamkrieges klingen mag, noch einen gewissen Schutz, da bedrohte Regionalmächte um Schutz und Beistand bei der jeweils anderen Supermacht nachsuchen konnten. Heute jedoch gibt es diesen Antagonismus nicht mehr, und so ist jedes staatliche Gebilde, so es von internen Spannungen und bürgerkriegsähnlichen Unruhen betroffen ist, den Interessen und Interventionen der westlichen Führungsstaaten schutz- und wehrlos ausgeliefert.

Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheit eines Staates ist heute kaum noch der Erinnerung wert, wirkt verstaubt und antiquiert. Was einmal als ehernes Prinzip internationaler Friedenssicherung apostrophiert worden war, entpuppt sich als das, was es seit jeher gewesen ist - ein bloßes Etappenmanöver einer auf die Kontrolle des gesamten Planeten ausgerichteten, westlich dominierten Interessengemeinschaft, die zu Lebzeiten ihres realsozialistischen Widersachers mit diesem eine solche Vereinbarung getroffen hatte, um die Gefahr einer unkontrollierbaren militärischen Konfrontation zwischen den beiden einander gar nicht so unähnlichen Blöcke einzudämmen. Da sich die westliche Werte- oder vielmehr Interessengemeinschaft nach der sogenannten Zeitenwende von 1989/90 als eine aus dieser Blockkonstellation hervorgegangene, alleinige Siegerin fühlt, wurde das Nichteinmischungsprinzip auf den Müllhaufen einer Geschichte geworfen, deren Schreibung - wie immer so auch in diesem Fall - ebenfalls in den Händen der Siegermächte liegt.

Dies ging so weit, daß der Anbruch eines postideologischen Zeitalters behauptet wurde aus dem einfachen, wenn auch wunschdenkengestützten Grund, daß mit der Zäsur von 1989/90 auch linke Bewegungen, Staaten und Ideologien bereits weitgehend hätten entsorgt werden können. Einer der wohl einflußreichsten Vordenker und Stichwortgeber der US-amerikanischen Außenpolitik, der Harvard-Professor Samuel Huntington, veröffentlichte in dem US-amerikanischen Journal für internationale Politik, Foreign Affairs, wenig später, im Jahre 1993, einen Aufsatz zum Thema "Neugestaltung der Weltpolitik", in dem er den vermeintlichen Kampf der Kulturen als eine Vorhersage auf das weitere Weltgeschehen plazierte. Der von ihm kreierte Begriff "Clash of Civilizations" steht seitdem in dem Ruch, zu propagandistischen Zwecken kolportiert zu werden, liefert er doch aus Sicht der westlichen Hegemonialkräfte eine Antwort auf ein Problem, das im Onlinemagazin telepolis zehn Jahre später folgendermaßen ausformuliert werden sollte [7]:

Mit dem Ende des kalten Krieges war dem Westen der Feind verloren gegangen: "Es war: Wir gegen die, und es war klar, wer 'die' waren. Heute sind wir nicht so sicher, wer "die" sind; aber wir wissen, es gibt sie." So brachte George W. Bush die Orientierungslosigkeit in den frühen 90er Jahren einmal auf den Punkt. Huntington bot darauf eine Antwort. Wir, das ist der Westen, und "die", das sind alle Anderen. Was uns unterscheidet, sind unsere Kulturen.
Die Kultur ist für Huntington die Grundlage der Neuen Weltordnung. Menschen definierten sich im post-ideologischen Zeitalter wieder über ihre Kultur und identifizierten sich dementsprechend mit kulturellen Gruppen. Merkmale für Kultur sind für Huntington das, was nach seiner Ansicht die Alltagskultur prägt: vor allem Religion, aber auch Sprache, Werte, Sitten und Gebräuche.

Eine solche Lesart hat inzwischen zu kriegerischen Realitäten geführt bzw. sich als mediale Begleitung einer Entwicklung entpuppt, die frei nach führenden US-amerikanischen Neokonservativen als "Vierter Weltkrieg" bezeichnet werden könnte - so der Begriff des Professors für Strategische Studien, Eliot Cohen, der als einflußreicher Berater des Weißen Hauses wie auch des Pentagon gilt, in einem Leitartikel des Wall Street Journal am 30.10.2001 [8]. (Zur Erläuterung: In dieser Zählung gilt der gewonnene Kalte Krieg gegen die Sowjetunion als Dritter Weltkrieg.) Cohen schrieb in diesem Artikel: "Der Feind in diesem Krieg ist nicht der 'Terrorismus', sondern der militante Islam." [8]

Die Frage, ob Cohen nun als Vermittler oder Erfinder derartiger Steilvorlagen medialer Kriegführungsbegleitung anzusehen ist, kann getrost vernachlässigt werden. Außer Frage steht, daß bis heute - wie der jüngst begonnene Krieg in Mali zeigt - dieses Konstrukt in Anspruch genommen wird. Die behauptete Gefährdung, die von einem postulierten "Terrorismus" ausgehen würde, ersetzt den konkreten Nachweis und die Erörterung der Frage, ob und inwieweit ein solcher "Terrorismus" selbstgemacht oder zumindest in seiner Entwicklung befördert worden sein könnte. So erweist sich die Definitionshoheit über Begriffe wie "Terrorismus" bzw. "islamistische Kämpfer" als faktisches Eigenmandat zur Durchführung militärischer Interventionen, wo und wann immer es jenen gefällt, die sie für sich beanspruchen und durchsetzen können.

Die deutsche Bundeskanzlerin ließ wissen, daß Deutschland "die Sicherheit in der Region" (die Rede ist von Mali bzw. Westafrika) "auch als einen Teil der eigenen Sicherheit" ansehe [1]. Der Terrorismus in Mali oder im Norden von Mali sei, wie es in einer Verlautbarung der Bundesregierung hieß [1], "nicht nur eine Bedrohung für Afrika, sondern auch für Europa, weshalb "wir", so Merkel, "unter einem hohen Zeitdruck" stünden [1].

Einen solchen Zeitdruck und Interventionsbedarf gab es offenbar in den Augen der deutschen Bundesregierung nicht, als sich am 21. März 2012 meuternde Truppenteile der malischen Armee unter Führung von Hauptmann Amadou Sanogo an die Macht geputscht und das Staatsoberhaupt, Präsident Amadou Toumani Touré, gestürzt, alle Institutionen des Landes aufgelöst und eine Ausgangssperre verhängt hatten. Die Putschisten bildeten ein "Nationales Komitee für die Errichtung der Demokratie und die Wiederherstellung des Staates". Sie behaupteten, Touré abgesetzt zu haben wegen seiner Unfähigkeit, den Terrorismus im Norden des Landes wirksam zu bekämpfen. Außenminister Westerwelle hatte seinerzeit zwar den Putsch verurteilt, aber keineswegs die sofortige Rückkehr des gestürzten Präsidenten in sein Amt gefordert, sondern lediglich an alle Beteiligten appelliert, auf weitere Gewalt zu verzichten und erklärt, daß die verfassungsmäßige Ordnung unverzüglich wiederhergestellt werden müsse [9].

Offenbar traf die von den Putschisten bekundete Absicht, härter als der gestürzte Präsident gegen die im Norden Mali um ihre Autonomie kämpfenden Tuareg, die im Januar 2012, unterstützt durch nach dem Libyen-Krieg nach Süden ziehende, ehemals gegenüber dem gestürzten Revolutionsführer Muammar al-Ghadaffi loyale Kämpfer, eine Offensive begonnen hatten, vorzugehen, auf das stille Einverständnis westlicher Staaten. Der Spiegel meldete am 7. April vergangenen Jahres, Putschistenführer Sanago habe sich nach internationalem Druck auf ein Rahmenabkommen zur Machtübergabe an eine zivile Regierung mit der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS geeinigt [10]. Unter Berufung auf die BBC hieß es weiter, Sanogo habe zugesagt, daß Parlamentspräsident Dioncounda Traoré Übergangspräsident und innerhalb von 40 Tagen nach seiner Vereidigung Neuwahlen organisieren werde [10].

Im Gegenzug sei den Putschisten Generalamnestie gewährt worden. Die ECOWAS habe unter Vorsitz des Präsidenten von Côte d'Ivorie (Elfenbeinküste), Alassane Outtara, der durch eine Militärintervention Frankreichs Anfang 2011 in sein Amt gebracht worden war und im Zuge der aktuellen Krise in Mali in Berlin bereits im Bundeskanzleramt zu Gesprächen empfangen wurde, die wegen des Putsches am 2. April 2012 verhängten Maßnahmen (Verhängung eines Embargos, Schließung der Grenzen und Einfrierung malischer Konten) rückgängig gemacht. Laut Spiegel sei allerdings nach dem Putsch ein Machtvakuum entstanden, daß die Tuareg-Rebellen der Nationalen Bewegung zur Befreiung des Azawad (MNLA) und die mit ihnen verbündeten Islamisten genutzt hätten, um weite Teile des Nordens unter ihre Kontrolle zu bringen und in dem eroberten Gebiet am 6. April 2012 den unabhängigen Tuareg-Staat Azawad auszurufen. Die USA, die Europäische Union und die Afrikanische Union hätten diese Unabhängigkeitserklärung unisono zurückgewiesen mit der Begründung, der Norden Malis könne sich "zu einer neuen Bastion des Terrornetzwerks al-Qaida verwandeln" [10].

Die ursprünglich für den 29. April 2012 geplante Präsidentschaftswahl war zunächst ausgesetzt worden, wurde jedoch bis heute nicht nachgeholt. Am 17. April wurde im staatlichen Fernsehen mitgeteilt, daß einer der Kandidaten, Cheick Modibo Diarra, der bis Ende 2011 bei Microsoft für den Geschäftsbereich Afrika verantwortlich gewesen sein soll, eine Übergangsregierung als Ministerpräsident leiten würde. Da in seinem Übergangskabinett drei Schlüsselressorts - Verteidigung, Inneres, Zivilschutz - an Militärs vergeben wurden, könnte von einer verkappten Militärregierung ohne demokratische Legitimation gesprochen werden, die sich offenbar des Wohlwollens westlicher Führungsstaaten sicher wähnen konnte. Am 10. Dezember setzte das Militär den Übergangsministerpräsidenten Diarra fest, der daraufhin seinen Rücktritt erklärte. Zu seinem Nachfolger ernannte Traoré am selben Tag Django Sissoko, der die Rückeroberung des Nordens sowie die Abhaltung von Wahlen als Ziele benannte.

Die bewaffneten Verbände des Tuareg-Staats Azawad im Norden, der sich für unabhängig erklärt hat, sollen, wie es in den Medien heißt, gen Süden vorrücken. Gegen die "islamistischen" Rebellen, wie sie auch genannt werden, ohne die Frage zu problematisieren, nach welchen Kriterien, wenn überhaupt, Angehörige eines Nomadenvolkes wie die Tuareg, das rund eineinhalb Millionen Menschen umfassen soll, die nicht nur in Mali, sondern auch in Algerien, Burkina Faso, im Niger sowie in Libyen leben, als "islamistisch" bezeichnet werden können, begannen die malischen Streitkräfte am 11. Januar mit Unterstützung der französischen Armee eine Militäroperation namens "Opération Serval". Um einer schnellen und problemlosen Kriegslegitimation willen scheint auch die Frage, ob überhaupt von "den" Rebellen als einer einheitlichen Organisation ausgegangen werden kann oder ob im Norden Malis nicht viel eher eine komplizierte Gemengelage zu vermuten steht, bestehend aus in sich keineswegs homogenen Tuareg-Organisationen, die zu anderen Gruppen, auf die das Etikett "islamistisch" zutreffen könnte, möglicherweise in verfeindeten wie auch verbündeten Beziehungen stehen, geflissentlich ignoriert zu werden.

Da im Norden Malis Gold-, Öl- und Uranvorkommen vermutet werden, wird vielfach angenommen, daß dieser Krieg auch dementsprechenden Begehrlichkeiten französischer wie weiterer westlicher Unternehmen gewidmet ist. Der darin postulierte monokausale Begründungszusammenhang ließe jedoch außer acht, in welchem globalhegemonialen Kontext eine solche Militärintervention, die womöglich noch sehr viel mehr mit Strategien und Techniken weltweiter Aufstandsbekämpfung und -prophylaxe zu tun hat, als dies auf den ersten Blick hin vielleicht ersichtlich ist, stehen könnte.

Als die Rebellen aus dem Norden die inzwischen, wie vermeldet, vom malischen Militär bereits zurückeroberte Stadt Konna eingenommen hatten, richtete die malische Übergangsregierung am 10. Januar ein offizielles Gesuch um militärische Hilfe an Frankreich. Doch wie "offiziell" kann eine De-facto-Regierung, die durch einen Militärputsch an die Macht gekommen ist, tatsächlich sein? Besteht nicht die Möglichkeit, daß die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Mali ihrerseits das Resultat westlicher Einflußnahmen bzw. derartiger Bemühungen politischer wie militärischer Art sein könnten, so daß der Luft- und Bodenkrieg, der nun seitens einer hochtechnologisierten Armee wie der französischen gegen Menschen geführt wird, die sich unabhängig ihrer Volks-, Glaubens- oder sonstigen Zugehörigkeiten in einer der unterentwickeltsten Regionen aufhalten, dem buchstäblichen Öl-aufs-Feuer-Gießen gleichkommen und Interessen dienen könnte, die mit den Menschen in Mali nicht das Geringste zu tun haben?

Anmerkungen:

[1] Mali - Deutschland unterstützt Kampf gegen Islamisten. Presse- und Informationsamt der Bundesregieung, 19.01.2013
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/01/2013-01-17-mali-eu-mission.html

[2] Armee erobert Stadt Kona in Mali zurück. Der Standard, 18.01.2013
http://derstandard.at/1358303907148/Malis-Armee-eroberte-umstrittene-Stadt-Konna-zurueck

[3] UN-Organisationen fürchten um humanitäre Hilfe in Mali. epd, 18.01.2013
http://aktuell.evangelisch.de/artikel/76925/un-organisationen-fuerchten-um-humanitaere-hilfe-mali?destination=node/76925

[4] "Wir dürfen die Not der Menschen in Mali nicht vergessen". Außenminister Guido Westerwelle zur deutschen Unterstützung für die französische Intervention in Mali und zum weiteren deutschen Engagement in Afghanistan. Erschienen in der Nordwest-Zeitung vom 17.01.2013; zit. von der Webseite des Auswärtigen Amtes
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Interviews/2013/130117-BM_NWZ.html

[5] Europäische Unterstützung für Mali. Aktuelle Information des Auswärtigen Amtes, 17.01.2013
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Mali/130117_Mali_EU-Trainingsmission.html

[6] Friedensforschung und Friedensbewegung gegen Mali-Intervention. Keine Intervention in Mali! Kein neues Afghanistan in Afrika! Gemeinsame Stellungnahme der AG Friedensforschung (Kassel) und des Bundesausschusses Friedensratschlag. 16.01.2013
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Mali/agf-baf-presse.html

[7] Kampf der Kulturen: Der Westen geht gegen den Rest der Welt. Von Stefan Kindler, telepolis, 01.07.2003
http://www.heise.de/tp/artikel/15/15094/1.html

[8] Chaos als Plan. Sechs Jahre nach dem 11. September: Mit dem "Krieg gegen den Terrorismus" haben die US-amerikanischen Neokonservativen ein Modell für weltweite Militäreinsätze entwickelt. Von Knut Mellenthin. Junge Welt, 11.09.2007, S. 10

[9] Regierungssturz. Putschisten übernehmen Macht in Mali. Zeit online, 22.03.2012
http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-03/mali-putsch

[10] Nach Putsch: Militärjunta vereinbart Machtübergabe in Mali. Spiegel online, 07.04.2012
http://www.spiegel.de/politik/ausland/militaerjunta-vereinbart-nach-putsch-machtuebergabe-in-mali-a-826259.html


23. Januar 2013