Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → MEINUNGEN


DILJA/1431: Wenn schon nicht helfen, wenigstens feiern ... (SB)



Das Versprechen humanitärer Hilfe steht hoch im Kurs. Am 19. August wurde der diesjährige Welttag der humanitären Hilfe feierlich begangen. Aus diesem Anlaß erklärte Tom Koenigs, Sprecher für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, daß dieser Tag "zu Recht im Zeichen des Schutzes von Zivilistinnen und Zivilisten" stünde. Humanitäre Katastrophen seien "heute in der Regel menschengemacht, durch Kriege, Konflikte und die krasse Missachtung des humanitären Völkerrechts", so Koenigs, der die internationale Gemeinschaft inklusive Deutschland in die Pflicht nahm, die lebensrettende Nothilfe zu stärken. Die Bundesregierung solle sich politisch stärker für Konfliktprävention und die Respektierung des humanitären Völkerrechts einsetzen, lauteten einige der Verbesserungsvorschläge des Grünenpolitikers. [1]

Wie angesichts des Komplettversagens der internationalen Gemeinschaft, die seit einem halben Jahr die Dringlichkeitsappelle der Vereinten Nationen wegen des drohenden Hungertodes von 20 Millionen Menschen allein in drei afrikanischen Staaten und dem Jemen konsequent ignoriert, ein internationaler Tag der humanitären Hilfe begangen werden kann, läßt sich wohl nur mit dessen propagandistischer Funktion erklären. Ende April hatte UN-Generalsekretär António Guterres vor einer "Tragödie immensen Ausmaßes" im Jemen gewarnt, die er als "die größte Hungerkrise der Welt" bezeichnete. Hunderte Krankenhäuser mußten in dem Land geschlossen werden wegen fehlender Medikamente. Trinkwasser und Nahrung waren so knapp, daß zwei Drittel der 27 Millionen Menschen dringend Hilfe benötigen. Einer halben Million der 2,2 Millionen unterernährten Kinder droht, so Guterres im April, der Hungertod. [2]

Vier Monate später ist die Lage sogar noch katastrophaler und tödlicher, weil im Jemen inzwischen die Cholera ausgebrochen ist. Millionen Menschen befinden sich in einer ausweglosen Lage, da das Trinkwasser häufig mit Cholera-Erregern verseucht ist. Die Nichtregierungsorganisation Oxfam Deutschland e.V. spricht von einer "katastrophalen Cholera-Epidemie". Die WHO bezifferte die Zahl der registrierten Infizierten im August mit 470.000, seit April sind knapp 2.000 Menschen an der Krankheit gestorben. Täglich werden Tausende Neuinfizierte gemeldet. Die Seuche hat sich bereits im ganzen Land ausgebreitet, 96 Prozent aller Regierungsbezirke sind betroffen. [3]

Im Jemen kreuzen sich drei für die Bevölkerung verheerende Katastrophen, die sich in ihrer tödlichen Wirkung gegenseitig noch verstärken. Wie aus dem neuen Oxfam-Bericht "Yemen: Catastrophic Cholera Crisis" [4] hervorgeht, befinden sich die Menschen in einer ausweglosen Situation. Geschwächt nach zwei Jahren Krieg, Hunger und Not stünden sie häufig vor der Entscheidung, ihre unzureichenden Mittel entweder für Medikamente oder nicht minder dringend benötigte Lebensmittel ausgeben zu müssen. Oxfam-Mitarbeiter haben mit vielen Familien gesprochen, die ihr Hab und Gut verkaufen mußten. Durch den Hunger besonders anfällig für die Cholera, entschließen sie sich für die teuren Medikamente häufig erst, wenn es fast zu spät ist, und können dann nicht genug Nahrung kaufen. [5]

Die tödliche Falle von Millionen Menschen ist damit noch nicht ausreichend beschrieben, denn im Jemen herrscht seit über zwei Jahren Krieg. Die Kampfhandlungen haben im September 2014 als Bürgerkrieg begonnen, seit März 2015 führt eine von Saudi-Arabien angeführte Koalition Krieg gegen die schiitischen Huthi-Rebellen. Aufgrund der militärischen Unterstützung durch die USA, die modernste Waffentechnologie für den Luftkrieg zur Verfügung stellen, hat sich die desaströse humanitäre Lage der Bevölkerung in einem kaum bezifferbaren Ausmaß verschlimmert. Aus diesem Grund haben Hilfsorganisationen immer wieder darauf gedrungen, daß eine Einstellung der Kampfhandlungen mit höchster Dringlichkeit geboten ist, damit sie die notleidenden Menschen überhaupt erreichen können.

Laut Oxfam sind die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft ungenügend. Für weniger als die Hälfte des von den Vereinten Nationen geschätzten Minimalbedarfs an Nothilfe liegen Finanzierungszusagen der Geberstaaten vor. Alle Staaten und Konfliktparteien müßten aufhören, Öl ins Feuer zu gießen und stattdessen einen gemeinsamen Friedensprozeß in Gang bringen, so der Appell von Shane Stevenson, dem Oxfam-Landesdirektor im Jemen. [5] Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisierte die Luftangriffe der von Saudi-Arabien angeführten Kriegskoalition auf Wohnviertel, Wasserwerke, Schulen und Krankenhäuser. Ihr Nahostreferent Kamal Sido bezeichnete sie am 3. August als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Es sei "zynisch und beschämend", wenn gerade Saudi-Arabien, das "mit seinen Luftangriffen die Cholera erst groß gemacht hat, 33 Millionen US-Dollar für den Kampf der UNICEF gegen die Epidemie spendet und trotzdem weiter bombt." [6]

Von Kriegsbeginn an hat die US-Regierung, zunächst unter Barack Obama und nun fortgesetzt von Präsident Trump, Saudi-Arabien in Milliardenhöhe mit modernster Waffentechnologie unterstützt. Begründet wird dieser Luftkrieg gegen eines der ärmsten Länder der Welt mit der Absicht, dem von den Huthi-Rebellen in die Flucht geschlagenen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi wieder an die Macht zu verhelfen. Zu vermuten steht aber auch, daß die USA mit diesem Krieg den Iran, dem die Unterstützung der schiitischen Huthis vorgeworfen wird, isolieren und dessen Regierung stürzen wollen. Bei einem Besuch in Riad im Mai hat Trump Saudi-Arabien und seine Kriegsverbündeten ausdrücklich gelobt, weil sie "harte Maßnahmen gegen die Huthi-Kämpfer im Jemen ergriffen haben". [7]

Die Bombardierungen wichtiger Infrastruktureinrichtungen wie der Kanalisation haben zum Ausbruch der Cholera geführt. 14 Millionen Menschen sind von der Versorgung mit sauberem Trinkwasser abgeschnitten. Nach Angaben von Hilfsorganisationen ist die Anzahl der Luftangriffe im Jemen insgesamt stark gestiegen. In der ersten Hälfte des laufenden Jahres wurden bereits 100 Angriffe registriert, 2016 waren es insgesamt 30. Die saudische Koalition gerät international in die Kritik, wenn sie Hochzeits- und Trauerfeiern oder Märkte bombardiert. Einem vertraulichen UN-Bericht zufolge, in dem zahlreiche Kriegsverbrechen belegt wurden, haben die vermehrten Luftangriffe mit US-Kampfflugzeugen und -Drohnen zu einer hohen Zahl ziviler Opfer geführt, wodurch sich die Feindseligkeiten im Land noch verschärft hätten. [8]

Die katastrophale Versorgungslage zu konstatieren, ohne die mit Unterstützung der US-Marine gegen das Land verhängte Kriegsblockade zu erwähnen, trägt zur Verschleierung dessen bei, was im Jemen geschieht. Die Getreideversorgung des Landes ist zu über 90 Prozent von Importen abhängig. Durch die Blockade ist die Einfuhr von Grundnahrungsmitteln vollständig zusammengebrochen. Im vergangenen Jahr verhängte die saudische Kriegskoalition zudem eine Flugverbotszone über den gesamten Jemen. Der wichtigste internationale Flughafen in der Hauptstadt Sanaa wurde geschlossen. Nur mit Genehmigung des Königshauses in Riad werden in begrenztem Umfang Hilfsflüge humanitärer Organisationen zugelassen.

Dies alles hat den eklatanten Nahrungsmangel im Land noch verschärft. Auch stellte die internationale Gemeinschaft bislang erst ein Fünftel der Gelder bereit, die erforderlich wären, um die Cholera zu bekämpfen. [9] Obwohl lebens- und überlebenswichtig für die Betroffenen, wenn sie denn tatsächlich geleistet wird, stellt humanitäre Hilfe ein Verschleierungsmodul moderner Kriegführung dar. Für die Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft scheint es von großem Interesse zu sein, das Hohelied der Humanität zu singen. Wenn die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement Christos Stylianides anläßlich des Welttages der humanitären Hilfe betonen, die Gewalt gegen unschuldige Menschen überall auf der Welt niemals unwidersprochen hinnehmen zu wollen und erklären, daß die EU im Bereich der humanitären Hilfe weltweit eine führende Rolle einnähme und sich für die globale Förderung humanitärer Grundsätze engagiere [10], vermag man darin nicht mehr als ein Feigenblatt zu erkennen.


Fußnoten:

[1] https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2017/august/welttag-der-humanitaeren-hilfe-vier-aufgaben-fuer-deutschland-18-08-2017.html

[2] https://www.jungewelt.de/artikel/309585.jemen-un-prangern-hungerkrise-an.html

[3] https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/55547-voelkermord-mit-westlicher-beihilfe-humanitaere-lage-jemen-immer-katastrophaler/

[4] https://www.oxfam.de/system/files/20170816-bn-yemen-cholera-en.pdf

[5] https://www.oxfam.de/presse/pressemitteilungen/2017-08-17-jemen-oxfam-fordert-dringend-verstaerkte-hilfsmassnahmen

[6] https://www.gfbv.de/de/news/aufruf-an-intellektuelle-der-jemen-darf-nicht-sterben-8681/

[7] http://www.wsws.org/de/articles/2017/08/16/jeme-a16.html

[8] https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/56012-jemen-vertraulicher-un-bericht-zeigt-kriegsverbrechen-verluste/

[9] https://www.tagesschau.de/ausland/cholera-jemen-111.html

[10] http://europa.eu/rapid/press-release_STATEMENT-17-2582_de.htm

24. August 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang