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RATTE/030: Vernichtungskrieg gegen die tamilische Bevölkerung Sri Lankas (SB)


Sri Lanka - Hungerblockade, Flächenbombardements und gezielte Artillerieangriffe gegen Tamilengebiete

Singhalesischer Präsident führt finale Militäroffensive gegen die tamilische Bevölkerung durch


Zu den international weitgehend totgeschwiegenen Konflikten mit verheerenden Folgen für ein ganzes Volk gehört der Bürgerkrieg in Sri Lanka. Dabei geht gerade in jüngster Zeit die dortige singhalesische Regierung unter Staatspräsident Mahinda Rajapaksa mit grenzenloser Gewalt gegen die Tamilen des Landes vor. Nicht nur die tamilische Guerillaorganisation LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam), die seit über 30 Jahren für einen unabhängigen Staat Tamil Eelam im Norden und Osten des Inselstaates kämpft, sondern gleichermaßen die tamilische Zivilbevölkerung sind von unaufhörlichem Bombardement und Vernichtung durch die srilankische Armee (SLR) betroffen.

Berichten von Überlebenden zufolge, so zumindest ist es einer pro-tamilischen Website zu entnehmen, werden Cluster- und Thermobarische Bomben gezielt auf die tamilische Bevölkerung abgeworfen, die sich in die von der Regierung als "Sicherheitszonen" ausgewiesenen Gebiete geflüchtet hat [1]. Pater Oswald Firth von der Organisation MISEREOR berichtete bereits Anfang Februar von Angriffen auf Schulen, Krankenhäuser und Gesundheitsstationen "ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung" [2]. Mittlerweile ist die medizinische Versorgung fast vollständig zusammengebrochen. Es gibt so gut wie keine Möglichkeit mehr, selbst die minimalste Notfallversorgung zu gewährleisten, um die durchschnittlich 100 bis 200 Verletzten täglich zu versorgen. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK), das in der Region Mullaitivu eine Klinik betrieben hat, sah sich Anfang Februar nach mehrfachem Bombardement gezwungen, diese zu schließen. "Ein Krankenhaus, das sogar mit dem Schutzzeichen des Roten Kreuzes deutlich gekennzeichnet ist, anzugreifen, ist ein schwerer Bruch des humanitären Völkerrechtes" kommentierte der Präsident des Internationalen Roten Kreuzes Dr. Rudolf Seiters [3] einen Granatenangriff auf ein weiteres Krankenhaus im Distrikt Vanni.

Laut Medico international [1] werden Flüchtlinge in Auffanglagern der Armee unter dem Generalverdacht, der LTTE zugehörig zu sein, interniert. Vor allem jüngere Männer werden gefoltert, Frauen vergewaltigt und anschließend erschossen. Einer Aussage von James Ross, dem Berater für rechtliche und strategische Angelegenheiten von Human Right Watch (HRW), zufolge bombardiert die Sri Lanka Airforce Krankenhäuser und die sogenannten Sicherheitszonen und "schlachtet" [4] die Zivilbevölkerung ab. Allein im vergangenen Monat seien 2.000 Zivilpersonen getötet und 5.000 verletzt worden.

Der LTTE sind mittlerweile nur noch zwei Prozent des von ihr ursprünglich kontrollierten Gebietes verblieben. Auf lediglich 100 km² sind nach Schätzungen des IKRK zwischen 250.000 und 300.000 Zivilpersonen eingeschlossen. Unter eiligst ausgehobenen Unterständen, vor dem permanenten Beschuß schutzsuchend, harren die Menschen oft stundenlang im Stehen aus. Da die Armee seit Mitte Januar sogar die Versorgung mit lebensnotwendigem Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten unterbunden hat, essen die Menschen in ihrer großen Not Würmer und Wurzeln, um ihr Überleben zu sichern [5].

Internationale Vermittlungen oder Gespräche mit der LTTE lehnt die srilankische Regierung kategorisch ab. Hilfsorganisationen wie auch Journalisten hat sie den Zutritt in das Kampfgebiet untersagt. Die Regierung ist bemüht, die Ereignisse von der Öffentlichkeit fernzuhalten. Freie Meinungsäußerungen über den tragischen Verlauf der Kämpfe werden strikt unterbunden. Die Nachrichtensender CNN und Al Dschasira sowie der BBC-Journalist Chris Morris wurden erst kürzlich wegen zu pro-tamilischer Berichterstattung angemahnt. Dem deutschen wie auch dem Schweizer Botschafter wurde Anfang Februar sogar mit ihrer Ausweisung gedroht. In der srilankischen Zeitung "The Island" kündete Verteidigungsstaatssekretär Gotabaya Rajapakse, ein Bruder des Präsidenten, das "Verjagen" derjenigen an, die die Tamilen-Rebellen der LTTE vor ihren Niederlagen unterstützten. "Manche Botschafter, darunter der deutsche und Schweizer Botschafter, verhielten sich unverantwortlich" [6].

Anstoß erregt hatte speziell die Kondolenzrede des deutschen Botschafters Jürgen Weerth im Januar am Grab des srilankischen Chefredakteurs der Zeitung "Sunday Leader", Lasantha Wickramatunga. Dieser war am 7. Januar 2009, kurz nachdem Präsident Rajapakse das Medienministerium übernommen hatte, in Colombo auf dem Weg zur Arbeit auf offener Straße erschossen worden. Weerth, der bedauerte, daß die Diplomaten sich nicht eher für die Medienfreiheit in Sri Lanka eingesetzt hätten, sagte über den Tod des Chefredakteurs, daß eine der "wichtigsten Stimmen der Wahrheit" in Sri Lanka verlorengegangen sei. Der 52jährige Wickramatunga selbst hatte über den "Sunday Leader" gesagt, diese sei immer eine umstrittene Zeitung gewesen. Er sei sich der Gefahr bewußt, die es mit sich bringe, die Wahrheit zu sagen. Wenn er getötet würde, wäre es die Regierung gewesen, die ihn getötet hätte, so Wickramatunga ("When finally I am killed, it will be the government that kills me" [7]).

Sein letzter Artikel, das Editoral des "Sunday Leader" vom 15. November 2008, wurde als politisches Testament Ende Januar in der Wochenzeitung Freitag [8] veröffentlicht. Hier wird der Journalist desweiteren mit folgenden Worten zitiert:

Wir leben in einem Bürgerkrieg, geführt von unbarmherzigen Akteuren, deren Blutdurst keine Grenzen kennt. Terror - ob von Terroristen oder vom Staat ausgeübt - ist an der Tagesordnung. Mord ist zum bevorzugten Instrument der Regierung geworden, um die Organe der Freiheit zu kontrollieren. ...

Wenn wir als Journalisten nicht jetzt die Stimme erheben, wird es morgen niemanden mehr geben, der für die spricht, die es selbst nicht können, ob es sich nun um die ethnischen Minderheiten, die Benachteiligten oder die Verfolgten handelt.

Die eskalierende Situation, das vollkommene Zurückdrängen der LTTE auf ein knapp einhundert Quadratkilometer großes Gebiet, die uneingeschränkten Bombardements auf humanitäre Einrichtungen und tamilische Zivilpersonen in dieser Region kommt einer Katastrophe gleich. Während in den Medien über die Kriegführung der srilankischen Armee kaum eine Wort fällt, hat der Bombenangriff der Tamil Tigers am 20. Februar auf ein Hochhaus des Militärs in der Innenstadt und einen Luftwaffenstützpunkt nahe des internationalen Flughafens der Hauptstadt Colombo kurzfristig Aufsehen erregt. Nach Militärangaben haben mindestens zwei Bomben ein Finanzgebäude direkt neben dem Luftwaffenhauptquartier getroffen. Beide Kleinflugzeuge wurden jedoch letztlich von der srilankischen Luftabwehr abgeschossen. Neben den beiden Piloten starben bei diesem Angriff zwei weitere Personen, 53 wurden verletzt.

Da die srilankische Regierung davon ausgegangen war, die winzige Luftwaffe der LTTE einschließlich ihrer sieben Flug- und Landebahnen längst zerstört zu haben, zeigt sich, daß möglicherweise ein Ende der Kampfhandlungen noch gar nicht abzusehen ist. Sowohl die Truppenstärke der LTTE - die srilankische Armee gibt die Zahl der eingeschlossenen LTTE-Kämpfer mit eintausend an - wie auch die Verluste auf Seiten der Armee beruhen auf unüberprüfbaren Angaben. Die Regierung hält unverrückbar an ihrer militärischen Offensive fest. Als die LTTE in einem am 24. Februar an die internationale Staatengemeinschaft gerichteten "Offenen Brief" ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundete, um eine politische Lösung des Konflikts und ein Ende des Krieges herbeizuführen, bezeichnete der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Keheliya Rambukwell, dies als einen "Witz" und erklärte, daß es keine Waffenruhe geben werde, solange der "Terrorismus" nicht besiegt sei. Der Aufforderung der LTTE, die Regierung Sri Lankas zu einem Waffenstillstand zu bewegen, werden voraussichtlich weder die Vereinten Nationen noch die EU, die USA, Japan oder Norwegen nachkommen.

Zwischen Singhalesen und Tamilen, den beiden Volksgruppen, die bis zum Ende der britischen Kolonialherrschaft auf dem als Ceylon bezeichneten Inselstaat lebten, hat es in der Geschichte des seit 1948 unabhängigen Inselstaates immer wieder Konflikte gegeben. Dennoch läßt sich die heutige dramatische Entwicklung in Sri Lanka auf die englische Kolonialpolitik zurückführen. Die weitaus bessere Bildung der Tamilen ließ die Briten sie bevorzugt in ihre Beschäftigungsverhältnisse und den Verwaltungsapparat einbinden. Doch nach der Unabhängigkeit Ceylons übertrug die Kolonialmacht die Regierungsbefugnisse auf die singhalesische Bevölkerungsmehrheit (auf Sri Lanka leben zu 80% Singhalesen und zu 20% Tamilen) - ein schwerer Affront gegen die tamilische Bevölkerung, die von da an mit systematischer Diskriminierung durch die singhalesische Regierung leben mußte. Nachdem 1956 unter dem Staatsoberhaupt Bandaraneike der Sinhala-Only-Act durchgesetzt worden war und Singhalesisch als alleinige Amtssprache eingeführt wurde, zog dies die Vertreibung der bis dahin in zahlreichen Verwaltungsämtern sitzenden Tamilen nach sich. Gleichzeitig wurde die tamilische Bevölkerung immer weiter in den Norden der Insel zurückgedrängt.

Als Folge dieser Entwicklung gründete der damals 20jährige Bauernsohn Velupillai Prabhakaran Anfang der 1970er Jahre die Organisation LTTE (Befreiungstiger von Tamil Eelam), die seitdem für einen unabhängigen Staat Tamil Eelam im Norden und Osten der Insel kämpft. Prabhakaran tritt für die Durchsetzung einer säkularen sozialistischen Staatsform ein. Bis heute ist er einer der Führer der LTTE. Seit 1983 spricht man in diesem Konflikt von einem Bürgerkrieg. Wenn auch im Verlauf der Ereignisse immer wieder Waffenstillstände vereinbart wurden, um eine politische Lösung des Problems herbeizuführen, so hat sich letztlich die Situation der Tamilen immer weiter verschärft. Seit der Wahl des regierenden Präsidenten Mahinda Rajapaksa 2005 scheint eine Beendigung des Konfliktes auf politischer Ebene außer Frage zu stehen. Rajapaksa scheint eine "militärische" Lösung zu bevorzugen. Da sowohl Indien, die USA, Kanada, Großbritannien und die EU diesen wenn auch kleinen und unscheinbar anmutenden Inselstaat unterstützen, kann die srilankische Armee mit äußerster Brutalität vorgehen. Bis heute hat der Krieg 70.000 Tote gefordert und in 30 Jahren eine Million Tamilen ins Ausland flüchten lassen.

Das tamilische Volk hat auch international betrachtet keine Stimme. Einige verzweifelte, im Ausland lebende Tamilen versuchen durch Demonstrationen auf die Situation ihrer Landsleute aufmerksam zu machen. Anfang Februar hat sich erstmals in Europa ein Tamile vor dem europäischen UN-Hauptquartier in Genf selbst entzündet. Kurz darauf verhinderte die Polizei in London einen ähnlichen Vorfall.

Der Konflikt in Sri Lanka weist zahlreiche Parallelen zu der Situation des palästinensischen Volkes im Gazastreifen auf. Die unzähligen Verbrechen - die permanente Bombardierung, Vertreibung, Diskriminierung, Folter, Hungerblockade sowie die Unterbindung jeglicher medizinischer Versorgung und humanitärer Hilfsleistungen in Verbindung mit einseitiger Medienpropaganda - sind eine Tragödie für das palästinensische und auch das tamilische Volk. Schwer wiegt zudem eine bisher nie dagewesene Art der Kriegführung, die ohne die geringsten Konsequenzen von seiten der Internationalen Gemeinschaft geblieben ist: das Vorgehen gegen einen zum Aggressor erklärten und dämonisierten Gegner und das Zusammenpferchen einer Bevölkerung auf engstem Raum, um schließlich mit brutalsten Methoden (beispielsweise dem Abwurf von Phosphorbomben, thermobarischen-Clusterbomben, DIME usw.) ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung die eigenen Interessen durchzusetzen.

Angesichts derartiger Handlungsfreiheiten braucht die Regierung von Colombo, die sich wie auch Israel der Unterstützung der westlichen Staatengemeinschaft erfreut, keinerlei Skrupel zu haben. Sie kann ihre Militäroffensiven gegen das tamilische Volk - wie die letzten beiden Monate beweisen - zunehmend verschärfen. Die Tragödie des palästinensischen wie auch des tamilischen Volkes dürften erst der Anfang grausamster Dezimierung von Menschen innerhalb von kürzester Zeit gewesen sein. Ohne die internationale Friedens- und Nachkriegsordnung einhalten zu müssen, wird direkt gegen Zivilbevölkerungen Krieg geführt.


Anmerkungen:

[1] http://www.tamilnet.com/art.html?catid=13&artid=28120???

[2] http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/sri-lanka-hilfsorganisationen -besorgt-um-ueber-200000-menschen/3167/
und
http://schattenblick.de/infopool/gesell/fakten/bfabe873.html

[3] http://drk-linz.de/menue-links/pressemitteilungen-des-drk/

[4] http://www.timesonline.co.uk/tol/news/world/asia/article5773505.ece

[5] http://www.medico.de/themen/menschenrechte/dokumente/sie-essen-wuermer-und-wurzeln/3169/
und
http://schattenblick.de/infopool/gesell/fakten/bfabe874.html

[6] Tagespiegel vom 02.02.09 und
www.tagesspiegel.de/politik/international/Sri-Lanka;art123,2721009

[7] http://www.thesundayleader.lk/20090111/editorial-.htm

[8] Der Freitag, Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 5, 29. Januar 2009,
http://freitag.de/2009/05/09051001.php

25. Februar 2009