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RATTE/035: "Weicher" Putsch in Nepal - "Demokratie" findet ohne den Wahlsieger statt (SB)


Der "weiche" Putsch in Nepal hat bereits stattgefunden

Premierminister Pushpa Kamal Dahal räumte nach nur einem Jahr im Mai 2009 sein Amt, um die noch junge Demokratie zu retten


Am 4. Mai 2009 trat Nepals Premierminister Pushpa Kamal Dahal nach nur einem Jahr im Amt zurück, nachdem seine Entscheidung, den Obersten Armeechef Rukmangud Katawal abzusetzen, vom Präsidenten Ram Baran Yadav widerrufen und im Anschluß darauf der Koalitionspartner der "maoistischen" KP Nepal (CPN-M), die gemäßigte Kommunistische Partei Nepal (maoistisch-leninistisch) (CPN-UML), das Bündnis aufgekündigt hatte. Die KP Nepal (maoistisch) hatte zehn Jahre lang, von 1996 bis 2006, einen bewaffneten Kampf geführt, um die Absetzung der Monarchie durchzusetzen, die feudalen Strukturen aufzulösen und um eine Gleichberechtigung aller Minderheiten zu erreichen unabhängig von der Religion, Kaste, ethnischen Volkszugehörigkeit oder dem Geschlecht. Seit der 12-Punkte-Verständigung vom 19. November 2005 zwischen der sogenannten Sieben-Parteien-Allianz (SPA) und den Maoisten führt die KP Nepal (maoistisch) ihren Kampf auf legalem Wege.

Nach einem langen, auf diese Verständigung folgenden, sogenannten "Friedens- und "Demokratisierungs"-Prozeß hatte sich das nepalesische Volk mit eindeutiger Stimmenmehrheit am 10. April 2008 bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung für die CPN-M entschieden. Bei der Direktwahl der Abgeordneten fielen dieser Partei 120 der 240 Mandate zu, bei den über die Verhältniswahl zu vergebenden Mandaten erreichte sie einen Anteil von 30 Prozent. Ihre härtesten Konkurrenten, die bürgerliche Partei Nepali Congress (NC) wie auch die gemäßigte Kommunistische Partei (marxistisch-leninistisch), fielen mit 39 bzw. 30 Direktmandaten und 21 bzw. 20 Prozent bei der Verhältniswahl weit zurück. Wesentlich in der Hauptstadt Kathmandu war es der KP Nepal (maoistisch) gelungen, der bisher zweitstärksten Partei Kommunistische Partei Nepal (marxistisch-leninistisch) ihre Mandate abspenstig zu machen.

Auch die Stadtbevölkerung Kathmandus bekundete damit ihren Wunsch nach einem offensichtlichen Wandel bzw. ihre Hoffnung auf ein Ende der alten Strukturen, das heißt, ein Ende der Monarchie, ein Ende von Korruption und nicht endender Vetternwirtschaft innerhalb der Parteien. Wie es heißt, hat das Wahlergebnis die etablierten Parteien erstaunt. Tatsächlich ist der Sieg nicht wirklich verwunderlich. Die im wesentlichen auf Kathmandu und das nähere Umland gerichtete Politik der ehemaligen konstitutionellen Monarchie hat die 75 ethnischen Volksgruppen des Landes - entgegen der behaupteten Ziele der maßgeblichen Parteien, des Nepali Congress (NC), der Kommunistischen Partei (marxistisch-leninistisch) und der ehemals monarchistischen Rastriya Prajatantra Party (RPP) - ebensowenig berücksichtigt wie andere Minderheiten, beispielsweise die Dalits (sogenannte Unberührbare aus der untersten Hindukaste), die Jhanajatis oder Madhesis oder auch andere marginalisiserte Gruppen wie die nepalesischen Frauen, die teilweise ohne Rechte und ohne Anerkennung der Staatsangehörigkeit, sozusagen ohne Stimme in den oft schwer zugänglichen Regionen des Landes beheimatet sind.

Nepal zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Aufgrund der geographischen Beschaffenheit des Himalayastaates konnten lediglich 18 Prozent des Landes für die Landwirtschaft nutzbar gemacht werden. Wertvolle Ressourcen gibt es nicht, lediglich ein wenig Handel wird mit Teppichen und Textilien betrieben.

Mit der Legalisierung der Politik der ehemaligen Guerillabewegung hat die KP Nepal (maoistisch) den Weg geebnet, eben diesen Minderheiten eine Stimme zu verleihen. Daß Premierminister Dahal (CPN-M) dennoch umgehend sein Regierungsamt aufkündigte und seine Partei das Parlament boykottierte, nachdem der Oberste Armeechef Katawal durch den Präsidenten Yadav wieder ins Amt gehoben worden war, kann als konsequenter Schritt der maoistischen Partei gewertet werden, um weiterhin als glaubwürdige Vertretung für die Interessen des nepalesischen Volkes auftreten zu können.

Aus dem Verlauf der jüngsten Krise, in der die übrigen Parteien sich letzten Endes auf die Seite des Präsidenten stellten und damit absehbar und wissentlich den gesamten sogenannten Friedens- und Demokratisierungsprozeß gefährdeten und in der die gemäßigte CPN (UML) in ihrem eigennützigen Streben die Koalition mit dem Wahlsieger CPN (M) aufkündigte, um schließlich mit dem NC und den für eine alternative Regierungsbildung notwendigen etlichen weiteren kleinen Parteien eine neue Koalition zu bilden, kann man den Schluß ziehen, daß die etablierten Parteien nie wirklich bereit gewesen sind, ihre Machtposition zur Disposition zu stellen und einer "revolutionären", "maoistisch" orientierten kommunistischen Partei das Ruder in die Hand zu geben.

Die Entscheidung, den Obersten Armeechef abzusetzen, die der damalige Premierminister Pushpa Kamal Dahal am 3. Mai öffentlich verkündet hatte, sah dieser als notwendigen Schritt an, um die noch sehr wenig entwickelte junge Demokratie zu retten. Der General hatte mehrfach Anordnungen der Regierung mißachtet und gegen fundamentale Abkommen wie beispielsweise das neue Militärgesetz verstoßen. Wie Ex-Premierminister Dahal in einem Interview mit der indischen Zeitung The Hindu am 11. Mai 2009 anmerkte, ging es bei der Absetzung des Obersten Armeechefs General Rukmangud Katawal um die Frage nach der Durchsetzung ziviler oder militärischer Herrschaft.

Der Umgang mit dem schwerwiegenden und höchst sensibel zu behandelnden Problem zweier parallel existierenden Armeen war schon am 21. November 2006 von den beiden an dem Konflikt beteiligten Seiten, der Sieben-Parteien-Allianz (SPA) und der CPN-M, in einem umfassenden Friedensvertrag ("Comprehensive Peace Agreement", CPA) festgelegt und unterzeichnet worden. Unter Punkt 4 "Verwaltung von Militär und Waffen" wurde 2006 zu diesem Zeitpunkt bereits vereinbart wie auch schließlich in der "Übergangsverfassung von Nepal 2063" von 2007 festgehalten, daß es Aufgabe des Kabinetts ist, die Kontrolle über die Nepalesische Armee, deren Mobilmachung und Verwaltung zu übernehmen, wie es auch zu dessen Aufgaben gehört, den Obersten Kommandierenden Armeechef zu wählen.

Dem Interview vom 11. Mai 2009, das The Hindu mit Pushpa Kamal Dahal führte, ist zu entnehmen, daß dieser die Frage nach der Absetzung Katawals mit allen wesentlichen Parteien der Regierung diskutiert und alle seiner Entscheidung zugestimmt hatten. Die maßgeblichen Führer der Koalitionspartei Kommunistische Partei Nepal (marxistisch-leninistisch) teilten Dahals Meinung, daß der Armeechef die gewählte Regierung immer wieder auf's Neue herausfordern würde. Er stehe dem Friedensprozeß wie auch der Herrschaft des Volkes im Weg, weshalb man entschieden habe zu handeln, so Dahal.

Am 20. April wurde Katawal noch die Chance eingeräumt, zu seinen umstrittenen Anordnungen - die Rekrutierung neuer Soldaten im Dezember 2008, die Wiedereinsetzung von acht pensionierten Generälen und den Rückruf von Teilnehmern der Nepal Army an den Nationalen Spielen, zu denen erst in letzter Minute auch die maoistische Armee zugelassen worden war - Stellung zu beziehen. Nach dem nepalesischen Militärgesetz kann die Regierung einen Armeechef absetzen, wenn sie dies für notwendig erachtet, muß ihm jedoch vorher die Möglichkeit zur Rechtfertigung einräumen. Die Sonderbeauftragte der Mission der Vereinten Nationen in Nepal (UNMIN), Karin Landgren, bestätigte in ihrem Bericht an den Präsidenten der UNO am 5. Mai, daß die Rekrutierung von Soldaten - egal von welcher Seite - das Abkommen vom 21. November 2006 verletze.

General Katawal, der auch zu Zeiten der Monarchie das Amt des Obersten Armeechefs inne hatte, war treuer Anhänger des am 28. Mai 2008 abgesetzten Monarchen Gyanendra Bir Bikram Shah Dev. Wie auch mehrere höhere Offiziere der Armee beschuldigte er die maoistische Regierung seit der Wahl im April 2008, die Macht an sich reißen zu wollen. Die Militärs behaupteten, lediglich die Armee stünde zwischen dem "Land und der Gefahr des Totalitarismus". Katawal hatte auch umgehend nach der Ernennung des Vize-Armeechefs Generalleutnant Kul Bahadur Khadka zum Obersten Kommandierenden durch Ex-Premierminister Dahal ein Empfehlungsschreiben führender Offiziere an die Minister weitergeleitet, in dem Schritte gegen den Generalleutnant gefordert wurden. Dieser habe die Kommandokette verletzt und die Armee in Verruf gebracht.

Khadka selbst äußerte sich in einem Interview am 17. Mai gegenüber der Nepali Press, daß sowohl das Kabinett als auch der Oberste Gerichtshof ihn in seinem Amt autorisiert hätten. In der Rangfolge als derzeit nächsthöchster General sei sein Amtsantritt rechtsmäßig gewesen. Generalleutnant Khadka stellte klar, daß die Debatte um die Absetzung Katawals bzw. seine eigene Ernennung zum Obersten Armeechef mittlerweile eine Angelegenheit zwischen Präsident, Regierung und dem Gesetz sei.

Offensichtlich verlaufen auch in der nepalesischen Armee zwei Fronten. Bisher wurde auch von seiten der etablierten Parteien alles getan, um die Integration der maoistischen Kämpfer in die Armee zu verhindern bzw. mindestens zu verzögern, obwohl bekannt war, daß der Vizegeneral Generalleutnant Khadka bereits vor Monaten dazu einen Plan ausgearbeitet und unterbreitet hatte. Sein Vorschlag beinhaltete die Integration aller 19.000 Ex-Kombattanten, die Ernennung eines einstigen Rebellenkommandeurs zum Generalmajor und die Einsetzung der Hälfte der dann für ein verhältnismäßig kleines Land extrem großen Armee für Entwicklungsprojekte.

Die Entscheidung, sich hinter Präsident Ram Baran Yadav zu stellen und die Anordnung von Ex-Premierminister Pushpa Kamal Dahal zu mißachten ungeachtet aller vorhergehenden Vereinbarungen bezüglich der Integration der maoistischen Kämpfer der ehemaligen People Liberation Army (PLA) läßt nur einen Schluß zu: Die schwierige Frage der Neugestaltung zweier parallel existierender Armeen hat den etablierten Parteien zum Vorwand gedient, die vom Volk mehrheitlich gewählte KP Nepal (maoistisch) ins Abseits zu drängen und sich ihre eigenen, durch die Wahl verlorengegangenen Machtpositionen ein weiteres Mal zu sichern. In einem Artikel, in dem der sich im Ruhestand befindende Generalleutnant Lt. Gen (Retd) Bala Nanda Sharma das neue nepalesische Militärgesetz kommentiert, erklärte dieser:

Die ehemaligen, entwaffneten Kämpfer wieder in die Gesellschaft einzugliedern ist schwierig genug, aber zwei gegeneinanderstehende, bewaffnete Parteien zu integrieren führt unter Garantie zu einer Katastrophe, wenn dies nicht wohldurchdacht geschieht. Die Maoisten sind die einzige politische Partei mit einer eigenen bewaffneten Armee, die entweder in die Gesellschaft oder in die Sicherheitsorgane integriert werden müssen.

Ex-Premier Pushpa Kamal Dahal bezeichnet den Eingriff des Präsidenten als verfassungswidrig. Laut Interimsverfassung habe der Präsident im wesentlichen repräsentative Funktion und sei nicht befugt, eine Entscheidung im Alleingang zu treffen.

Angesichts des hohen Zuspruchs bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung ein Jahr zuvor hatten Dahal und seine Partei ursprünglich nicht nur auf das Amt des Premierministers, sondern auch auf das des Präsidenten Anspruch erhoben. Nepali Congress und Kommunistische Partei (marxistisch-leninistisch) wollten jedoch weder den einen noch den anderen Posten an die KP Nepal (maoistisch) vergeben sehen, geschweige denn beide Ämter. Erst nach wochenlangem Streit wurde Ram Baran Yadav, der dem als konservativ zu bezeichnendem bürgerlichen Nepali Congress angehört, ins Amt gehoben. Er verfehlte in einem ersten Wahlgang die Mehrheit, woraufhin er sich - wie es heißt - erst in buchstäblich allerletzter Minute die Unterstützung des Madhesi Peoples Right Forum (MPRF) sichern konnte, um schließlich mit einer knappen Mehrheit den Posten des Präsidenten besetzen zu können.

Um ein Stagnieren des Demokratisierungsprozesses in Nepal zu verhindern und in dem Bemühen, die Stimme des Volkes weiterhin zu repräsentieren, hatte die KP Nepal (maoistisch) schließlich - auch in der Frage nach dem Präsidentenamt - von ihrer Forderung, auch diesen Posten zu erhalten, Abstand genommen, ebenso wie sie zuvor einer Änderung der Interimsverfassung zugestimmt hatte, nach der die Wahl zum Präsidenten nach einem einfachen Mehrheitsbeschluß Gültigkeit erlangt und nicht wie zuvor - und wie von den Maoisten eigentlich weiterhin erwünscht - mit einer Zweidrittel-Mehrheit.

Der Rücktritt von Premierminister Dahal ist im Sinne der Aufrechterhaltung des sogenannten Friedens- und Demokratisierungsprozesses zu sehen und keinesfalls als Resignation zu deuten. Auf den Vorfall hin haben die Wähler in einer Reihe von Protestaktionen ihren Unmut bekundet und unter anderem in etlichen Regionen zu Streiks aufgerufen. Wie am 6. Mai von N-TV aufgezeichnet, protestierten zahlreiche Bewohner in der Hauptstadt Kathmandu nach Bekanntwerden von Präsident Ram Baran Yadavs Eingriff mit einem Fakellauf durch die Straßen. Über Unruhen und Proteste der Bevölkerung gegen die ihre Wahlentscheidung ignorierende Politik der etablierten Parteien ist den nepalesischen und auch westlichen Medien kaum etwas zu entnehmen.

Am 25. Mai 2009 wurde von den Mitgliedern des von den maoistischen Kommunisten nun boykottierten Parlaments, der Verfassungsgebenden Versammlung, Madhav Kumar Nepal von der gemäßigten Kommunistischen Partei (marxistisch-leninistisch) zum neuen Premierminister bestimmt. Mit Präsident Ram Baran Yadav und Madhav Kumar Nepal - der bei den Wahlen im April 2008 keinen Abgeordnetensitz erlangen konnte - als neuem Premierminister haben die Nepali Kongreßpartei und die Kommunistische Partei (UML) ihre eigenen Vorstellungen durchgesetzt. Mit der Entscheidung, sich hinter den Präsidenten zu stellen, den Rücktritt Dahals zu provozieren, eine neue Regierung zu bilden und einen neuen Premierminister ins Amt zu wählen, wurde dem bereits im November 2005 getroffenen 12-Punkte-Abkommen, dem umfassenden Friedensabkommen vom November 2006 und schlußletztendlich auch dem Wahlergebnis vom April 2008 zur Verfassungsgebenden Versammlung jede Bedeutung genommen. Der Demokratisierungsprozeß wurde sprichwörtlich zu einer Farce.

Im 12-Punkte-Abkommen hatte es unter Punkt 2 der Übereinkunft geheißen: Die sieben verhandelnden Parteien stimmen überein, daß nur durch Einführung einer absoluten Demokratie, durch die Einberufung eines neuen handlungsfähigen Parlaments, durch eine Allparteien- Regierung, ausgestattet mit aller Autorität, durch das Abhalten von Wahlen zu einer Verfassungsgebenden Versammlung, durch den Dialog und die Verständigung mit den Maoisten der bestehende Konflikt des Landes gelöst und die Souveränität und die Macht des Staates vollständig dem Volk übertragen werden kann.

Auch wenn bezogen auf die jüngeren Ereignisse in Nepal von einem Putsch nicht die Rede sein kann, muß der Rücktritt des vom nepalesischen Volk gewählten Premierminister Pushpa Kamal Dahal als provoziert und in seiner Folge und Konsequenz zumindest als ein "weicher" Putsch gesehen werden. Eine Regierung, die ernsthaft bemüht ist, sich für die diskriminierten Minderheiten einzusetzen und für die der Kampf um das Recht des Menschen auf ein würdiges Dasein und um Gleichheit aller Menschen nicht nur in einem leeren Versprechen enden soll, darf es offensichtlich nicht geben.

Da die derzeitige, von den Maoisten als "unethisch und verfassungswidrig" bezeichnete Koalitionsregierung alles tut, um die maoistische Kommunistische Partei, die Siegerin der ersten freien Wahlen von 2008, um ihre demokratischen Rechte zu bringen und sie zu verunglimpfen, kann nicht ausgeschlossen werden, daß das betrogene Volk Nepals abermals zu den Waffen greifen und der so mühsam beendete Volkskrieg erneut aufflammen wird.

30. Juli 2009