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AFRIKA/1858: Hunger - Schwere Kämpfe um Nahrung in Südsudan (SB)


Hunger in der vergessenen Weltregion Südsudan

Hunderte Tote aufgrund von Konkurrenzkämpfen um Nahrung


Es paßt wie der Deckel auf den hoffnungslos leeren Topf: Es ist erst wenige Tage her, da richtete das Welternährungsprogramm (WFP) einen dringenden Spendenappell an die internationale Gemeinschaft, da es nur einen Teil der geforderten Hilfsmittel erhalten, sich aber die Hungerlage in den armen Ländern aufgrund der weltweiten Wirtschaftskrise verschärft hat. [1] Nun meldete die BBC, daß in Südsudan mindestens 185 Menschen bei Kämpfen um Nahrung umgebracht wurden. [2]

Es gibt riesige Regionen auf der ganzen Welt, in denen Menschen leben, die weder internationale Hungerhilfe noch irgendeine staatliche Unterstützung erhalten. Südsudan ist dafür ein Beispiel. Das Welternährungsprogramm teilte mit, daß es in diesem Jahr 108 Millionen Hungernde in 74 Ländern versorgen will und dafür Spenden in Höhe von 6,7 Milliarden Dollar benötigt. Doch habe es für 2009 bislang nur Zusagen und tatsächliche Spenden in Höhe von 3,7 Milliarden Dollar erhalten. Ohne eine weitere Unterstützung müsse es die Nahrungshilfe für viele Millionen Menschen kürzen.

Nach UN-Angaben leiden aber nicht 108 Millionen, sondern über eine Milliarde Menschen weltweit Hunger. Das WFP als globaladministrative Institution mit sozialer Befriedungsfunktion hat somit neun von zehn Bedürftigen von vornherein nicht auf der Rechnung. Anscheinend können es sich die relativ wohlhabenden Länder leisten, Hilfsorganisationen wie das WFP am ausgestreckten Arm zu halten und Spenden einzusparen, zumal jüngsten Forschungsergebnissen zufolge nicht die Gefahr besteht, daß Klima- und Hungerflüchtlinge in die privilegierten Räume des Nordens eindringen. Der (zynische) Grund: Die Menschen sind dafür viel zu geschwächt. [3]

Die Befriedungsfunktion, die das WFP - ungeachtet des unstrittig teils großen persönlichen Engagements seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - als Globalinstitution bei der Bewahrung und dem weiteren Ausbau der vorherrschenden Weltordnung erfüllt, erübrigt sich dann, wenn die notleidenden Menschen ohnehin keine Kraft mehr haben in die privilegierten Räume vorzudringen und den wohlhabenden Menschen die Plätze an den Fleischtöpfen streitig zu machen. Außerdem werden die in Not geratenen Menschen nicht zuletzt durch gigantische Zaun- und Sperranlagen (USA gegen Mexiko) oder ein zunehmend dichteres Überwachungsnetz (EU-Grenzschutzbehörde Frontex) davon abgehalten, die Wohlstandsräume zu erreichen.

Südsudan ist eine jener inzwischen vernachlässigten Weltregionen, in denen Menschen so hungrig sind, daß sie übereinander herfallen oder Nahrungskonkurrenten umbringen. Die jüngsten Massaker wurden vor allem an Frauen und Kindern der Lou Nuer-Gemeinschaft, die südlich der Stadt Akobo fischen wollten, begangen. Laut der BBC wurden sie von Kämpfern der Murle-Ethnie angegriffen. Darüber hinaus wurden elf Soldaten der Südsudanesischen Armee (SPLA), die die Lou Nuer beschützen wollten, getötet.

Bei Übergriffen und Kämpfen in Südsudan kamen in diesem Jahr schon mehrere hundert Menschen ums Leben. Damit übertrifft die Zahl der Opfer die der Konfliktregion Darfur, die im Westen Sudans liegt und auf die heute eine viel größere Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit liegt als auf den Süden. Das nährt den Verdacht, daß der vorgeblichen Betroffenheit über humanitäre Katastrophen andere Kriterien als die behaupteten zugrunde liegen. Denn noch während der 1990er Jahre wurde dem Südsudan große internationale Aufmerksamkeit zuteil. Die Vereinten Nationen hatten mit der "Operation Lifeline Sudan" zehn Jahre lang die größte internationale Luftbrücke seit der Versorgung Westberlins 1948/49 durch die "Rosinenbomber" der Alliierten organisiert und laufend palettenweise Hilfsgüter für die Bevölkerung des damals aus Kriegsgründen weitgehend unzugänglichen Landes abgeworfen. 2003 vereinbarten die Kriegsparteien einen Waffenstillstand, 2005 wurde er von Nord- und Südsudan durch einen Friedensvertrag besiegelt. Der Süden wurde an der Regierung beteiligt, erhielt Autonomiestatus, und 2011 wird ein Referendum zur möglichen Separation abgehalten. Heute ist es still um Hilfe für den Süden geworden. Dagegen wurde Darfur zum neuen Hebel westlicher, willkürlich eingesetzter Betroffenheit ob des Leids von Flüchtlingen und Bürgerkriegsopfern instrumentalisiert.

Obwohl die Opferzahl aufgrund bewaffneter Konflikte im Südsudan größer ist als in Darfur, interessiert sich heute kaum jemand dafür. Auch wenn sich die Kämpfe entlang ethnischer Linien entzünden, wäre es unzutreffend, von ethnischen Konflikten zu sprechen. Nahrungsmangel geht den Kämpfen unter den Mitgliedern verschiedener Ethnien voraus. Ebenso kann festgestellt werden, daß der Neigung, den Nahrungsmangel bzw. generell die Überlebensnot durch Raub in seinen legalen (Bereicherung) wie illegalen (Diebstahl) Formen bewältigen zu wollen, ein Verzicht auf die Einnahme einer Streitposition vorangeht, die sich von Anfang an in ausschließender Weise zu Handlungen, Versprechungen und Perspektiven, wie sie dem Raub immanent sind, verhält. Folglich sind die Menschen, die andere töten, um selber zu überleben, nicht Opfer des Raubsystems, sondern seine Träger. Das enthebt die sogenannten Geberländer, auf deren Spenden das WFP angewiesen ist, jedoch nicht von der Verantwortlichkeit dafür, daß eine Weltregion wie der Südsudan plötzlich an Aufmerksamkeit verliert, womöglich nur weil eine fortgesetzte Unterstützung keinen geopolitischen Nutzen mehr abwirft.


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Anmerkungen:

[1] "WFP's Funding Shortfall in 2009", 29. Juli 2009
http://www.wfp.org/stories/wfp-shortfall-2009

[2] "Scores dead in South Sudan clash", BBC News, 3. August 2009
http://news.bbc.co.uk/go/pr/fr/-/2/hi/africa/8181969.stm

[3] "Radical shift needed to end alarmism over climate-related migration", 24. Juni 2009
http://www.iied.org/human-settlements/media/radical-shift-needed-end-alarmism- over-climate-related-migration

4. August 2009