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AFRIKA/1887: Friends of the Earth Nigeria um Nahrungssouveränität besorgt (SB)


Landnahme und Grüne Gentechnik

Unheilige Interessengleichheit von Agrokonzernen, großen Stiftungen und einer afrikanischen Organisation zur Förderung der Landwirtschaft


In einer zukünftigen Welt mit sieben oder acht Milliarden Menschen und mehr wird sich die heute schon vollkommen ungelöste Frage der Nahrungsversorgung aller Menschen dringlicher denn je stellen. Zumal sich die klimatischen Verhältnisse zum Nachteil des Menschen verändern, wichtige landwirtschaftliche Flächen und Siedlungsraum verlorengehen und Rohstoffe, die bislang noch üppig vorhanden sind, so daß sie mit vergleichsweise geringem Aufwand gefördert werden können, knapp und teuer werden. Nach dem weltweit drastischen Preisanstieg für Lebensmittel in den Jahren 2007, 2008 wurden eifrig Initiativen gestartet, Studien veröffentlicht, Absichtserklärungen verbreitet und Aktivitäten entfaltet, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern. Seitdem hat die offizielle Zahl der Hungernden die Milliardengrenze überschritten ...

Afrika ist von dieser Entwicklung im besonderen Ausmaß betroffen. In mehreren Ländern war es wegen der hohen Lebensmittelpreise zu Aufständen gekommen. Inzwischen scheint die Lage wieder ruhiger zu sein, aber das täuscht. Sie verschlechtert sich in dem Sinne zusehends, als daß sich vielerorts ein Konfliktpotential aufbaut. Die Preise für Grundnahrungsmittel sind nicht oder nur unwesentlich zurückgegangen, und viele Regierungen versuchen ihre notorisch knappen Haushalte durch den Verkauf oder die Verpachtung von landwirtschaftlicher Fläche aufzubessern. Westliche Lebensmittelkonzerne, chinesische Staatsbetriebe, Regierungen der Golfstaaten - sie alle beteiligen sich an einem modernen Goldrausch und erwerben Land in Afrika, um Pflanzen für Nahrung oder Biosprit anzubauen, während zugleich Millionen Menschen Hunger leiden.

Die großen Agrokonzerne, die Patentinhaber von streng lizenziertem Saatgut sind, sehen in der Not der Menschen eine neue Chance, gentechnisch veränderte Produkte auf den afrikanischen Märkten zu lancieren. Denn wo Mangel herrscht, winken hohe Umsätze und sinkt der Widerstand der Menschen gegen die Einfuhr ungetesteten, mikrobiologisch veränderten Saatguts. Dabei bedienen sich Monsanto, Syngenta und andere Global Player geschickt diverser Türöffner, um den Widerstand gegen gentechnisch veränderte Produkte zu brechen, zu unterlaufen oder gar nicht erst zur Entfaltung kommen zu lassen.

Beispielsweise bringt sich die Bill & Melinda Gates Stiftung regelmäßig durch hohe Spendensummen zur Bekämpfung von Aids und Malaria, aber auch zur Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft ins Gespräch. Was weniger bekannt ist: Die Stiftung propagiert die Grüne Gentechnik und arbeitet unter anderem auf das Ziel zu, daß Kleinbauern teures, gentechnisch verändertes Saatgut erwerben und für den Export produzieren. Die Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA), die von Kofi Annan mitgegründet wurde, arbeitet in dieser Hinsicht eng mit der Gates-Stiftung sowie der Rockefeller Foundation zusammen.

Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika - eigentlich sollte sich eine solche Organisation allgemeiner Beliebtheit erfreuen, macht sie sich doch schon von ihrem Namen her dafür stark, den Hunger auf dem Kontinent durch eine Produktionssteigerung zu bekämpfen. Dennoch wissen Kritiker dieser Organisation wie auch der Spenden der internationalen Stiftungen einige stichhaltige Argumente auf ihrer Seite, wenn sie das Treiben dieser und ähnlicher Interessengruppen mit Argwohn beäugen.

Beispielhaft für die Seite der Kritiker sei hier die nigerianische Umweltorganisation Environmental Rights Action/Friends of the Earth Nigeria (ERA/FoEN) genannt. Sie hat in diesem Monat in der nigerianischen Hauptstadt Abuja die "Conference on Alliance for a Green Revolution in Africa (AGRA), Land Grabs and Non-Ecological Agriculture" veranstaltet. Bereits der Titel ist Programm. Mit ihm werden AGRA, die Landnahme sowie die nicht-ökologische Landwirtschaft als zum gleichen Gefahrenkomplex gehörend zusammengefaßt. Vor dem Hintergrund, daß die Einwohner des Kontinents ihre eigene Nahrungsversorgung nicht aus der Hand geben bzw. sie überhaupt vollständig in die Hände bekommen, also Nahrungssouveränität erlangen wollen, macht diese Verknüpfung durchaus Sinn.

ERA/FoEN-Leiter Nnimmo Bassey spricht vom Versuch der Rekolonialisierung Afrikas durch große Agrokonzerne, die mit dem Segen von Organisationen wie AGRA einzig und allein die Verbreitung der Gentechnik und den Anbau für Biosprit verfolgten. Diesem Trend zum Untergraben der traditionellen Anbausysteme und zur Kontamination indigenen Saatguts müsse begegnet werden, fordert Bassey. [1]

Ob die Bezeichnung Re-Kolonialisierung Afrikas ausreicht, die häufig von wirtschaftlicher, wenn nicht existentieller Not geprägte Lage vieler Menschen auf dem Kontinent zu beschreiben, ist zweifelhaft. Treffender wäre es zu sagen, daß die Kolonialisierung nie aufgehört hat. Als die afrikanischen Staaten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in die sogenannte Unabhängigkeit entlassen wurden und sich die europäischen Kolonialherren zurückzogen, bestand die Abhängigkeit weiter und wurde nicht etwa in einem permanenten Prozeß behoben, sondern qualifiziert. Das Resultat spricht für sich: Unter der Knute des dank des Zinssystems nimmer endenden Schuldenabtrags bleiben die afrikanischen Staaten fest in das Weltwirtschaftssystem eingebunden.

Nach wie vor werden sie am untersten Ende der Wertschöpfungskette gehalten und systematisch daran gehindert, über den Aufbau einer weiterverarbeitenden Industrie einen wirtschaftlichen Fortschritt zu erzielen. Heimgesucht von Seuchen wie HIV/Aids, Malaria, Tuberkulose und Meningitis, schaffen es die Volkswirtschaften Afrikas im allgemeinen nicht, das durchaus vorhandene Wirtschaftswachstum in eine Steigerung der Lebensqualität der Bevölkerung umzusetzen. Wobei sich im innergesellschaftlichen Widerspruch, jener Spanne zwischen der verarmten Bevölkerungsmehrheit und einer kleinen einflußreichen Oberschicht, die hierarchische Ordnung zwischen den Entwicklungsländern und Industriestaaten widerspiegelt. Die Verhinderung der Landnahme und die Sicherung der Nahrungssouveränität sind zwei Aufgaben, die jede Unterstützung gebrauchen können.


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Anmerkungen:

[1] "Africa: 'New Agribusiness Colonialism Threatens Africa'", Daily Trust (Abuja), 27. Oktober 2009
http://allafrica.com/stories/200910270295.html

28. Oktober 2009