Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/1890: Landnahme in Äthiopien - Devisen statt Subsistenz (SB)


Äthiopiens Regierung um Deviseneinnahmen besorgt

Vernachlässigung der Grundversorgung der Bevölkerung


Streng genommen dürfte es nach der propagierten Marktlogik, derzufolge Angebot und Nachfrage in einer engen Wechselbeziehung stehen, keine Hungernden in der Welt geben. Es müßte irgendwann zu einem Ausgleich des riesigen Bedarfs an Nahrung kommen. Statt dessen ist zu beobachten, daß die Zahl der Hungernden stetig steigt, in den letzten Jahren sogar beschleunigt. Inzwischen haben nach UN-Angaben mehr als eine Milliarde Menschen nicht ausreichend zu essen; rund 35 Millionen sterben aufgrund von Hunger oder Krankheiten, die durch Mangelernährung verstärkt wurden. Das sind 100.000 Menschen binnen 24 Stunden, was ungefähr der Einwohnerzahl von Cottbus entspricht.

Experten behaupten, daß die weltweit produzierte Nahrungsmenge eigentlich ausreicht, um die gegenwärtig 6,7 Milliarden Menschen zu ernähren, und daß es allein eine Frage der Verteilung sei, daß rund jeder sechste Erdenbewohner Hunger leidet. Obgleich Nahrungsmangel sicherlich auch mit Verteilung zu tun hat, kommen Zweifel auf, ob diese Rechnung nicht allzu theoretisch ist. Womöglich gibt der Planet nicht genügend Nahrung für alle Menschen her, sofern die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse mit ihrer hohen Leistungsanforderung beibehalten werden. Falls das zutrifft, wäre es aus Sicht der Eigner der Produktionsmittel gewiß vorteilhafter, den Hunger auf die ungerechte Verteilung abzuschieben, als einzugestehen, daß sie gar keine Lösung für das Problem haben und ein Teil der Menschheit auf jeden Fall zugrunde geht. Denn wenn das deutlich würde, müßte zwangsläufig jeder Ruf nach einer gerechteren Verteilung vergeblich bleiben. Es stellte sich unverzüglich die Systemfrage, und die wird von den vorherrschenden gesellschaftlichen Kräften gemieden wie der Teufel das Weihwasser.

Jedenfalls wird die weltweite Nahrungsproduktion in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch weniger den Bedarf decken als bisher. Die Weltbevölkerung wächst, und der Klimawandel wird mehr landwirtschaftliche Fläche vernichten, als daß durch ihn neu erschlossen werden kann. Hinzu kommt ein seit längerem zu beobachtender Trend der Verkarstung, Auslaugung und Überdüngung der Böden, was die Ernteerträge beeinträchtigt. Obgleich die Weltgetreideernte 2008 einen Rekord verzeichnete, und 2009 mit schätzungsweise 2,19 Milliarden Tonnen nur 1,5 Prozent darunter liegt, bleibt festzustellen, daß die Nachfrage nicht durch das Angebot gedeckt wird. Was sicherlich auch damit zu tun hat, daß aus einem Teil des Getreides Treibstoff hergestellt, ein anderer Teil von Schimmelpilzen befallen und ungenießbar wird und ein dritter Teil zunächst in Tiermägen landet, während mehr als eine Milliarde menschliche Mägen knurren und kneifen.

Die äthiopische Regierung ist Vorreiter einer weltweiten Entwicklung, die Versorgung der eigenen Bevölkerung zu vernachlässigen, während zugleich landwirtschaftliche Fläche mit beiden Händen unter ausländischen Interessenten verteilt wird. Über die nächsten drei Jahre hinweg will Äthiopien weitere drei Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche an Investoren verpachten, berichtete Bloomberg diese Woche. [1] Aus früheren Pachtverträgen erhält der Staat 15 birr, das entspricht 1,19 US-Dollar, pro Jahr und Hektar, teilte Eyesus Kebede, Koordinator für landwirtschaftliche Investitionen im Kabinett von Premierminister Meles Zenawi, mit.

Abgesehen von solchen Spottpreisen für die Nutzung der landwirtschaftlichen Fläche versucht Addis Abeba seine Konkurrenten durch weitere Anreize wie Verlängerung der Zahlungsfristen anzulocken. Eyesus behauptet zwar, daß das zu verpachtende Land ungenutzt ist und daß bei der Vergabe auf Umwelt- und Sozialstandards geachtet werde, aber erfahrungsgemäß trifft beides nicht zu. In Äthiopien wie auch anderen Staaten, die sich am allgemeinen Landraub beteiligen, werden Menschen aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben, damit die Investoren Plantagen anlegen können. Das von ihnen gepachtete Land wurde in der Regel sehr wohl genutzt, nur daß dort bis dahin keine großen Bewirtschaftungsflächen angelegt worden waren. Aber es diente als Weidefläche für Nomaden, der Jagd auf Wildtiere oder Dorfbewohnern zum Sammeln von allem Eßbaren, was die Natur hergab, sowie von Feuerholz.

Als Beispiel dafür, wie problematisch die Landvergabe ist, berichtete Bloomberg, daß laut der äthiopischen Regierungs-Website 180.625 Hektar Land entlang des Omo-Flusses in Südäthiopien zur Verpachtung freigegeben werden sollen. Dort leben jedoch Hirten aus dem Ethnien der Hamer, Dasenech und Gnangatom. Es stimmt also nicht, daß das Land "leer" ist, wie Eyesus behauptet. Auch dürfte die Erklärung, daß die Bewohner und örtlichen Verwaltungen "sehr glücklich" sind, seiner sehr spezifischen Interessenlage, überhaupt irgendeine Fläche tatsächlich konfliktfrei zur Verpachtung ausschreiben zu können, geschuldet sein. Wohingegen die Behauptung absolut glaubwürdig klingt, daß "wir keinen Konflikt zwischen Investoren und der Gemeinschaft gesehen haben". Denn wer nicht hinschaut, sieht natürlich auch nichts ...

Nach jüngsten UN-Angaben ist die Zahl der Bedürftigen in Äthiopien von 5,3 Millionen im Mai auf 6,2 Millionen im Oktober gestiegen. [2] Bloomberg zieht die Rechnung noch anders auf und berichtet, daß 13,7 Millionen von rund 80 Millionen Einwohnern dieses ostafrikanischen Binnenstaats auf ausländische Lebensmittelhilfe angewiesen sind. Eyesus läßt solche Einwände jedoch nicht gelten. Er sagt, daß sie durch die Deviseneinnahmen aus den Pachtverträgen sowie den Technologietransfer durch die Investoren aufgewogen werden.

Der vermeintliche Technologietransfer muß häufiger dafür herhalten, um den Landraub zu rechtfertigen, wie der Agrarexperte und Autor Klaus Pedersen in der Oktober-Ausgabe des IMI-Magazin der Informationsstelle Militarisierung e.V., erklärt. Es sei "schwer nachvollziehbar, warum profitorientierte ausländische Investoren eine größere Veranlassung zum Technologie-Transfer an lokale KleinbäuerInnen haben sollten als beispielsweise guatemaltekische Latifundienbesitzer gegenüber den Maya-Campesinos ihres Landes - und da ist er gleich Null". [3]

Zu den zahlreichen ausländischen Investoren, die in Äthiopien Pflanzen für Biosprit oder Nahrung anbauen, gehören der indische Lebensmittelproduzent Karuturi Global Ltd. und der saudi-arabische Milliardär Sheikh Mohammed al-Amoudi. Auch europäische Biospritunternehmen beteiligen sich an dem "Goldrausch" um Landpachtungsrechte in Ostafrika. Und die äthiopische Regierung selbst mischt ebenfalls mit. Auf mehr als einer halben Million Hektar "ariden und kargen" Lands werden Pflanzen für Biosprit angebaut, sagte Ephrem Hassen, Koordinator der Biosprit-Entwicklung im Ministerium für Bergbau und Energie, Anfang November gegenüber Reuters. [4]

Äthiopien will selber Biosprit herstellen, um seine Erdölimporte zu verringern. Pflanzen wie Jatropha, Rizinus und Hirse sind zwar genügsam, aber sie werfen ungleich höhere Erträge ab, wenn sie auf fruchtbaren, ausreichend feuchten Böden wachsen. Insofern bleibt das Versprechen auf eine nennenswerte Verringerung der Erdölabhängigkeit so lange ein Versprechen, so lange die Regierung oder ausländische Investoren nicht qualitativ wertvollere Böden bewirtschaften. Die liegen noch viel seltener brach als die Böden in ariden und semi-ariden Gegenden.

Äthiopien nannte sich einmal sozialistische Volksrepublik. Das bedeutete unter anderem, daß sich sämtliches Land in Staatsbesitz befand. Eine private Aneignung von riesigen Ländereien, wie sie für Südamerika typisch sind, wurde dadurch verhindert. In den 1990er Jahren wurden die gesetzlichen Bestimmungen gelockert, um den Bauern eine größere Investitionssicherheit einzuräumen, sie zu langfristigen, strukturellen Verbesserungen zu ermuntern und es ihnen zu ermöglichen, einen Teil der von ihnen verwalteten Flächen als Privatbesitz zu bewirtschaften. Heute ist von der ursprünglichen Idee, die Akkumulation von Land durch den staatlichen Eingriff zu verhindern - so unzureichend sich die Alternative auch erwiesen hat -, nichts mehr geblieben. Heute tritt der Staat als Eigentümer auf und kassiert ab, wohingegen großen Teilen der Bevölkerung ein selbstbestimmtes Leben verwehrt bleibt. Ihnen fehlt die entschiedene staatliche Unterstützung zur Subsistenzwirtschaft. Statt dessen werden sie von internationalen Hilfsorganisationen sowie von der Bundesrepublik Deutschland und anderen Geberländern, die ihren Einfluß in Äthiopien durch Entwicklungshilfe erkaufen, mehr schlecht als recht am Leben erhalten.

In einem Bericht über die Landwirtschaft in Äthiopien bleibt in der Regel nicht unerwähnt, daß das Land vermehrt von schweren Dürreperioden heimgesucht wird. Eigentlich müßte die klimatische Veränderung um so mehr Anlaß für die Regierung sein, eine Landwirtschaft aufzubauen, durch die zunächst der Hunger im eigenen Land verhindert wird.


*


Anmerkungen:

[1] "Ethiopia leases land for agriculture to earn foreign exchange", Bloomberg, 10. Novembere 2009
http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=20601116&sid=aJEzbUEy4xTE

[2] "Africa: Millions of Poor Across Continent Set to Suffer Deepening Food Crisis, Warns UN Report", UN News Service (New York), 10. November 2009
http://allafrica.com/stories/200911100809.html

[3] Siehe hier im Schattenblick unter INFOPOOL, MEDIEN,
ALTERNATIV-PRESSE:

IMI/271: Landbesitz - Eine Frage der Sicherheit!

IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.

Ausdruck - IMI-Magazin - Oktober 2009


[4] "Ethiopia to develop biofuels to cut oil imports", Reuters, 1. November 2009
http://af.reuters.com/article/investingNews/idAFJOE5A006D20091101?sp=true

11. November 2009