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AFRIKA/1947: Desertec-Projekt in von Marokko besetzter Westsahara? (SB)


Wird Europa künftig "grünen" Strom aus afrikanischen Folterstaaten beziehen?


"Das DESERTEC Konzept illustriert ein Szenario für die nachhaltige Entwicklung einer Welt mit 10 Mrd. Einwohnern", kündigt die Desertec Foundation auf ihrer Website an. Demnach soll Europa bis zum Jahre 2050 rund 15 Prozent seines elektrischen Strombedarfs durch Erneuerbare Energien abdecken, die in Nordafrika und im Nahen Osten erzeugt und über Hochspannungs-Gleichstromkabel transportiert werden. Wenig Beachtung findet bis heute dieses ansonsten viel diskutierte und von Greenpeace und anderen Umweltorganisationen mit Lob bedachte Konzept hinsichtlich der Frage, ob mit ihm nicht Regime unterstützt werden, deren Menschenrechtsstandards sehr zu wünschen übrig lassen.

Bereits beim allerersten Desertec-Projekt muß die Frage anscheinend mit Ja beantwortet werden. Der Desertec-Partner Marokko will fünf solarthermische Kraftwerke bauen, und zwei Standorte liegen in der von ihm besetzten Westsahara. 1975 waren die spanischen Kolonialherren von dort abgezogen, woraufhin mehrere hunderttausend Marokkaner in das bereits zuvor vom marokkanischen König Hassan II. beanspruchte Gebiet einmarschierten. 1976 annektierte Marokko einen großen Teil der Westsahara, 1979 den Rest, den sich bis dahin Mauretanien sichern wollte. Bis 1991 kämpfte die von Algerien unterstützte Polisario gegen die Besatzung. Seitdem sind mehrere Versuche, den Waffenstillstand in eine endgültige Konfliktlösung umzuwandeln, gescheitert.

Gegenwärtig verschärft sich die Lage wieder, womit nicht behauptet werden soll, daß in der Zwischenzeit begangene Entführungen, Folterungen und Liquidationen von Saharouis, die in die Fänge der marokkanischen Sicherheitsbehörden geraten waren, aufgehört hätten. Eine Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker vom 19. April 2010 bestätigt den aktuellen Trend: 33 Tage nach Beginn ihres Hungerstreiks sei das Leben von fünf in Marokko inhaftierten Menschenrechtlern aus der Westsahara ernsthaft in Gefahr, schrieb die Organisation. Ali Salem Tamek, Brahim Dahane, Ahmed Nasiri, Yadih Ettarouzi und Rachid Sghayer seien am 8. Oktober 2009 am Flughafen von Casablanca festgenommen worden, nachdem sie die Flüchtlingslager ihrer Landsleute in Algerien besucht hatten. Sollten die Gefangenen vor ein Militärtribunal gestellt werden, droht ihnen die Todesstrafe, falls Marokko den Standpunkt vertritt, es befände sich mit der Polisario im Krieg. Aus Solidarität mit den fünf Hungerstreikenden haben 32 weitere politische Gefangene aufgehört, feste Nahrung zu sich zu nehmen.

Wie stehen die Desertec-Initiatoren zum Westsaharakonflikt? Werden sie ihn ignorieren und damit stillschweigend dulden? Werden sie behaupten, daß sie das nichts angehe, und versuchen, alle Verantwortung an Marokko, die Polisario oder die Vereinten Nationen (die bis heute keinen Friedensschluß durchsetzen konnten) abzuschieben? Abgesehen von drei Standorten innerhalb Marokkos erwähnte die marokkanische Energieministerin Amina Ben Khadra am 11. März 2009 in Paris auch die westsaharischen Standorte El Aiun und Cap Boujdour. Ob die Desertec-Initiative an diesen beiden Orten Solarkraftwerke errichtet oder "nur" innerhalb Marokkos wäre insofern als nebensächlich zu bewerten, als daß die Besatzungsmacht der Westsahara auf jeden Fall vom Know-how und den Mitteln der finanzstarken Initiatoren Desertecs profitierte.

Sollte schon der Auftakt der groß angelegten Desertec-Initiative im Zeichen der Kooperation mit einem Folterstaat und territorialen Aggressor stehen, würfe das kein gutes Licht auf die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Der Zeitpunkt ist jetzt gekommen, an dem die Desertec-Initiative Farbe bekennen sollte, inwieweit sie korrumpierbar ist und mit einem Staat zusammenarbeitet, der sich als einziger des Kontinents nicht der Afrikanischen Union angeschlossen hat, da dies unvereinbar mit seiner Besatzungspolitik in der Westsahara ist.

Müßte sich die Desertec-Initiative nicht in einer besonderen Verantwortung sehen, wo sie sich doch darin gefällt, die Vision einer Zukunft zu entwerfen, in der nicht nur die europäischen, sondern auch die afrikanischen Staaten "saubere" Energie von Wind, Wasser und Sonne gewinnen und einer hoffnungsfrohen Zukunft entgegensehen? Diesem Anspruch würde die Initiative im Falle Marokkos nur gerecht, wenn sie ihren Einfluß nutzte und auf eine für beide Seiten akzeptable Lösung des Westsaharakonflikts drängte und bis dahin jede Kooperation mit Marokko hinsichtlich der Errichtung solarthermischer Kraftwerke oder anderer Elemente des Desertec-Konzepts aussetzte. Daß dies bis heute anscheinend nicht geschehen ist, kann als Richtungsentscheidung gedeutet werden.

21. April 2010