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AFRIKA/1956: Tanganjikasee erwärmt sich - Nahrungsgrundlage gefährdet (SB)


Neue Studie - Tanganjikasee so warm wie nie in den letzten 1500 Jahren

Forscher sagen Rückgang des Fischbestands voraus

Internationaler Klimaschutz weitgehend gescheitert


Der Tanganjikasee in Zentral-Ostafrika erwärmt sich mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit, insbesondere im 20. Jahrhundert. Die heutigen Temperaturen sind die höchsten der letzten 1500 Jahre, wie US-Geologen aus der Analyse von Bohrkernen der Seesedimente abgeleitet haben. Im Wissenschaftsmagazin "Nature Geoscience" [1] veröffentlichten die Wissenschaftler der Brown-Universität und anderer Forschungseinrichtungen, daß die steigenden Temperaturen Einfluß auf die Artenvielfalt und die Größe der Fischbestände haben und daß dadurch die Nahrungsgrundlage von bis zu zehn Millionen Einwohnern gefährdet ist.

Was die Forschergruppe um Jessica Tierney und Prof. James Russell festgestellt hat, ist nicht prinzipiell neu. Bereits vor Jahren wurde in Fachblättern, anschließend selbst in der deutschen Tagespresse über die Erwärmung des Tanganjikasees berichtet. [2] Mit der aktuellen Studie wird bestätigt, daß die Erderwärmung in Regionen wie Ostafrika voranschreitet und die Lebensgrundlage der Einwohner bedroht. Die verfügen jedoch über keine besonderen Kompensationsmöglichkeiten, um anderweitig an Nahrung zu gelangen.

Nach dem Baikalsee ist der Tanganjikasee der zweitälteste und zweittiefste See der Welt. Mit der zunehmender Wassertiefe sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers, ab etwa 200 Metern herrschen anaerobe Verhältnisse, da zwischen den Schichten wenig Austausch stattfindet. Dennoch genügen die vertikalen Bewegungen, um die oberen Wasserschichten reichlich mit Nährstoffen zu versorgen, so daß sich Algen bilden, die wiederum Fischen als Nahrungsgrundlage dienen. So wurde der Tanganjikasee zum artenreichsten See der Welt, wobei mehr als die Hälfte der Arten endemisch ist. Jedes Jahr ziehen Fischer aus den vier Anrainerstaaten Tansania, Demokratische Republik Kongo, Sambia und Burundi rund 200.000 Tonnen Fisch aus dem See.

Die Forschergruppe hat nun einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Oberflächentemperatur des Sees und seiner Produktivität festgestellt. Bei einer weiteren Erwärmung von gegenwärtig im Durchschnitt 26 Grad Celsius (Messung von 2003) rechnen Tierney und ihre Kollegen mit einem Rückgang der Produktivität, was sich wiederum negativ auf die Fischwirtschaft auswirken würde. Denn die Schichtung eines warmen Sees ist stabiler, was einen größeren Winddruck erforderlich macht, um das Wasser in Bewegung zu versetzen, und es gelangen weniger Nährstoffe in den Lebensraum der Fische.

Die im Rahmen des sogenannten Nyanza-Projects gezogenen Bohrkerne liefern ein Klimaarchiv, das 1500 Jahre in die Vergangenheit zurückreicht. In dieser Zeit war es häufiger zu kälteren und wärmeren Phasen gekommen. Mit dem Wechsel nahm auch die Algenproduktion zu oder ab. Darum wenden sich die Forscher gegen die bequeme Erklärung, daß der Fischbestand allein aufgrund von Überfischung gefährdet ist. Diese Möglichkeit schließen sie zwar nicht kategorisch aus, sie betonen aber, daß ihren Ergebnissen zufolge ein Zusammenhang zwischen Fischbestand und Temperatur gar nicht von der Hand gewiesen werden kann.

Die bevorstehende, vermutlich folgenschwere Temperaturveränderung des Tanganjikasees im Laufe der nächsten Jahrzehnte ist nur ein Beispiel von vielen, demzufolge die Nahrungsversorgung der afrikanischen Bevölkerung aufgrund der Klimaveränderung unsicherer wird. Um so weniger Verständnis haben die Menschen in Afrika dafür, daß die Staats- und Regierungschefs auf dem Klimagipfel in Kopenhagen im Dezember 2009 ohne ein verbindliches Ergebnis zum Klimaschutz auseinandergegangen sind. Die bloße Kenntnisnahme des Abschlußdokuments (Copenhagen Accord), in dem eine Beschränkung der Treibhausgasemissionen angestrebt wird, so daß sich die globale Durchschnittstemperatur nicht um mehr als zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit erhöht, wird von den Entwicklungsländern als Verhöhnung ihres Überlebensinteresses aufgefaßt. Zumal sie eine verbindliche Verpflichtung auf eine Temperaturerhöhung um maximal 1,5 Grad gefordert hatten. Im übrigen kommt es bei der Bewertung von Klimafolgen nicht allein auf die globale Durchschnittstemperatur an, da sie keine Aussage über das Auftreten von Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen erlaubt.

In der hiesigen Berichterstattung wurde der weitgehend gescheiterte Klimagipfel von Kopenhagen rasch durch die Krise im Euro-Raum verdrängt, zu der es als verheerende Begleiterscheinung des massiven deutschen Handelsbilanzüberschusses für Griechenland, das es als erstes erwischt hat, kam. Wenn aber die deutsche Regierung und Wirtschaft schon so wenig Interesse am EU-Partner Griechenland zeigen, dann sollten die afrikanischen Staaten wohl besser nicht damit rechnen, daß sie bei der Bekämpfung der Klimawandelfolgen wirksame Unterstützung erhalten, weder von Deutschland noch anderen Industriestaaten.


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Anmerkungen:

[1] "Late-twentieth-century warming in Lake Tanganyika unprecedented since AD 500", Jessica E. Tierney, Marc T. Mayes, Natacha Meyer, Christopher Johnson, Peter W. Swarzenski, Andrew S. Cohen, James M. Russell. Nature Geoscience, 2010; DOI: 10.1038/ngeo865

[2] "Todesurteil für einen See", die tageszeitung, 6. Dezember 2005
http://www.taz.de/1/archiv/archiv/?dig=2005/12/06/a0146

18. Mai 2010