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AFRIKA/1967: Ruandischer Ex-General Nyamwasa in Südafrika angeschossen (SB)


Cui bono?

Mordversuch gegen einen in Ungnade gefallenen, engsten Kampfgefährten von Ruandas Präsident Paul Kagame


Im Schatten der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika wurde der frühere Stabschef der ruandischen Armee, Faustin Kayumba Nyamwasa, auf der Auffahrt zu seinem Haus in einer "gated community" in Johannesburg in den Bauch geschossen. Zur Zeit befindet sich Nyamwasa auf der Intensivstation der Morningside Clinic in Johannesburg. [1]

Bei mehreren Dutzend Raubmorden täglich in Südafrika könnte man vermuten, daß der relativ wohlhabende Nyamwasa zufällig zum Opfer wurde. Der Lebensweg des ruandischen Generals, der viele Jahre lang ein treuer Gefolgsmann des heutigen Präsidenten Ruandas, Paul Kagame, war und dem ein rücksichtsloses, ja, geradezu brutales Vorgehen nachgesagt wird, läßt allerdings eher die Möglichkeit eines gezielten Tötungsversuch vermuten.

Nyamwasa zählt zu den hochrangigen ruandischen Militärs, gegen die Frankreich und Spanien internationale Haftbefehle ausgestellt haben. Sicherlich hat er viele Feinde, nicht nur bei den von ihm und der RPF verfolgten Hutu, die im Sommer 1994 aus Ruanda fliehen mußten und versucht haben oder versucht haben sollen, in Ostkongo eine neue Armee aufzubauen, um gewaltsam nach Ruanda zurückzukehren, sondern auch bei seinen ehemaligen Kampfgefährten von der RPF.

Wenn im folgenden ausschließlich die Version, daß das Attentat von der Kagame-Administration angeordnet wurde, analysiert wird, soll damit nicht unterstellt werden, daß diese zutrifft oder am plausibelsten ist. Aufgrund des politischen Hintergrunds ist sie jedoch nicht ausgeschlossen und die interessanteste, so daß eine Analyse immer auch einen Blick auf die jüngste Geschichte und die gegenwärtigen Verhältnisse in Ruanda erlaubt.

Ruandas Regierung wirft dem Ex-General und früheren ruandischen Botschafter in Indien vor, er und zwei Mitverschwörer - Gerard Gahima, ehemaliger Vizepräsident des Obersten Gerichts und Generalstaatsanwalt Ruandas sowie dessen Bruder Theogene Rudasingwa, ehemaliger Stabschef Kagames; beide sind 2005 in die USA geflohen [2] - hätten versucht, den Präsidenten zu stürzen. Auch sollen Nyamwasa und der 2007 aus Ruanda geflohene Colonel Patrick Karegeya für eine Serie von Bombenanschlägen in diesem Frühjahr in Kigali verantwortlich sein. (Zunächst waren die Anschläge den FDLR-Rebellen angelastet worden.)

Als der Druck auf Nyamwasa, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist, aber - wie er später bekannte - kein Vertrauen in die ruandische Justiz besitzt, zunahm, kehrten er und seine Familie im Februar 2010 aus Indien nach Kigali zurück und begaben sich bald darauf heimlich ins Exil nach Südafrika. Der Kapstaat hat kein Auslieferungsabkommen mit Ruanda geschlossen, und so war Nyamwasa zunächst einmal sicher.

Wer am Mittag des 19. Juni 2010 die Schüsse auf ihn abgegeben hat, ist bislang unbekannt. Nyamwasas Frau Rosette, die mit ihrem Mann, den Kindern und dem Fahrer vom Einkaufen kam, glaubt, daß es sich um ein gezieltes Attentat handelte, da der Täter nichts stehlen wollte und keine Forderungen stellte, sondern so lange auf ihren Mann schoß, bis die Waffe klemmte. Die ruandische Regierung gab über ihre Sprecherin Louise Mushikiwabo per Email eine Stellungnahme ab, wonach die Regierung Ruandas keine Gewalt billigt. Man wünsche der Familie Stärke und Gelassenheit. Man vertraue der Fähigkeit der südafrikanischen Behörden, den Vorfall sorgfältig zu untersuchen. [1]

Bevor die im ugandischen Exil gebildete RPF in Ruanda 1994 nach einem 100 Tage währenden Massaker, dem rund 800.000 Einwohner zum Opfer fielen, die Macht ergriff, war Nyamwasa im Rang eines Colonel der Kommandant des Directorate of Military Intelligence (DMI), also des militärischen Geheimdienstes der Milizen um Kagame. [3] Zwischen 1994 und 2003 nahm Nyamwasa wichtige Funktionen innerhalb des ruandischen Militärs wahr, wobei er bis zum Rang des Generalleutnants aufstieg; unter anderem war er Stabschef der Armee und Geheimdienstchef.

Der genaue Zeitpunkt, ab dem General Nyamwasa in Ungnade fiel, läßt sich nicht bestimmen. Die Trennung kam anscheinend um das Jahr 2001 herum, als er von seinen Pflichten als Stabschef entbunden und für kurze Zeit von General Emmanuel Habyarimana ersetzt wurde. Als dieser ehemalige FAR-Offizier zum Verteidigungsminister ernannt wurde, nahm General James Kabarebe dessen Stelle ein. Unterdessen wurde Kayumba zur Ausbildung nach Großbritannien geschickt, von wo er im November 2002 zurückkehrte und Geheimdienstleiter wurde. Zwei Jahre darauf wurde er als Botschafter Ruandas nach Indien berufen, was man als klassischen Fall von Aufs-Abstellgleis-Schieben interpretieren kann.

Gerüchten zufolge soll er die von ihm zu verantwortenden Verbrechen in den 1980er Jahren in Uganda, dann in Ruanda und der DR Kongo bereut haben und mit dem Vorschlag an Kagame herangetreten sein, für alle ab 1990 in Ruanda begangenen Verbrechen eine Amnestie auszusprechen. Das hätte auch die mutmaßlichen Völkermörder eingeschlossen. [2] Falls diese Gerüchte zutreffen, dürfte das wesentlich für den Bruch mit Kagame gewesen sein, denn der sogenannte Völkermord der Hutu an den Tutsi stellt bis heute das zentrale Element des politischen Selbstverständnisses der ruandischen Regierung dar. Noch immer sind die ruandischen Gefängnisse mit Menschen - mutmaßlichen Völkermördern - gefüllt, die seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten auf ihre Gerichtsverhandlung warten. Nicht wenige von ihnen könnten unschuldig sein und wurden - beispielsweise - ins Gefängnis geworfen, nur weil ein Nachbar sie denunziert hat, um an ihr Haus und Grundstück zu kommen.

Unter dem Vorwand, sie hätten den Genozid geleugnet oder verharmlost, läßt Kagame unliebsame Zeitung schließen, Oppositionsparteien nicht zur Wahl im August antreten und die Oppositionsführerin Victoire Ingabire unter Hausarrest stellen. Auch ihr Verteidiger, der US-Anwalt Peter Erlinder, befand sich mehrere Wochen in ruandischer Haft und wurde erst vor kurzem aufgrund gesundheitlicher Bedenken auf Kaution auf freien Fuß gesetzt. Die Anklage gegen ihn, Verharmlosung des Genozids, wurde hingegen nicht fallen gelassen.

Der frühere stellvertretende Stabschef der ruandischen Armee und heutige Hochkommissar in Uganda, Maj. Gen. Frank Mugambagye, behauptet, sein früherer Vorgesetzter Nyamwasa habe sich von der Regierung abgewandt und eigene Seilschaften innerhalb der Armee aufgebaut. Deshalb sei er in Ungnade gefallen. [4] Wohingegen der Ex-Stabschef seit seiner Flucht nach Südafrika wiederholt erklärte, man gehe gegen ihn vor, weil er versucht habe, Korruption innerhalb der Regierung aufzudecken. Die Justiz sei korrupt, und Kagame habe die Richter an die Leine gelegt.

Kagame versus Nyamwasa - Vorwürfe gegen Vorwürfe zweier nun miteinander verfeindeter Invasionsführer und Kampfgefährten. Eines steht fest: Als jemand, der Paul Kagames Karriere über viele Jahre eng begleitet hat, dürfte Nyamwasa über Erkenntnisse verfügen, die der Präsident Ruandas lieber nicht in der Öffentlichkeit ausgebreitet sähe. Möglicherweise könnte Nyamwasa beweiskräftig belegen, daß nicht radikale Hutu, sondern Kagame die Präsidenten Ruandas und Burundis am 6. April 1994 beim Landeanflug auf Kigali mit zwei Boden-Luft-Raketen abschießen ließ und damit die Initialzündung des 100-Tage-Massakers geliefert hat. Das wäre jedenfalls ein ausreichendes Motiv, um Nyamwasa ermorden zu lassen.

Präsident Kagame, der wiederholt "Säuberungswellen" in seinem Militärapparat durchführte, die Opposition verfolgen und unliebsame Zeitungen schließen ließ, muß ständig befürchten, die Gunst der USA und Großbritanniens zu verlieren, ein "Schicksal", das auch anderen vormaligen Günstlingen, die plötzlich als "Schurken" galten - Manuel Noriega in Panama, Mobutu Sese Seko in Zaire, Saddam Hussein in Irak - beschieden war. Daß es bislang nicht dazu gekommen ist, hat auch damit zu tun, daß die USA und Großbritannien einerseits selbst tief in den Ruanda-Konflikt verstrickt sind und sie andererseits nach wie vor ein besonderes geostrategisches Interesse an Ruanda haben.

Das kleine Land verfügt zwar über keine nennenswerten Bodenschätze, hat es aber unter Kagames diktatorischer Hand geschafft, Stabilität nach innen zu schaffen. (Man könnte sagen, ähnlich wie Joseph Stalin durch seine "Säuberungsmaßnahmen" eine stabile Sowjetunion schuf.) Diese "Stabilität" versucht Ruanda seit Jahren nach außen zu projizieren. Zunächst 1996/1997 durch seine Invasion an der Seite Ugandas und Burundis in Zaire, was zum Sturz Mobutus mit Hilfe ihres gemeinsamen Verbündeten Laurent Desiré Kabila führte. Dann, nach ihrem Zerwürfnis mit Kabila und ihrem Rauswurf, im Herbst 1998 durch die erneute Invasion Zaires (zwischenzeitlich in DR Kongo umbenannt).

Mehrere UN-Untersuchungsberichte bescheinigen Ruanda eine führende Mitverantwortung für den "ersten afrikanischen Weltkrieg" (US-Außenministerin Madeleine Albright) in der DR Kongo und die fortgesetzte Plünderung des rohstoffreichen Osten des Landes bis in die heutige Zeit hinein, anfangs durch eigene Truppen, später durch verbündete Warlords. Was zunächst als Unsicherheitsfaktor für die gesamte Region angesehen wurde, verdichtet sich allmählich zu Stabilität: Die Ausbeutung der Rohstoffe läuft in kleinen Schritten, aber zunehmend in geregelteren Bahnen. Milizenbanden, die auch ein Stück vom fetten Kuchen ergattern wollen, werden in umfangreichen gemeinsamen Militäroperationen von der kongolesischen Regierungsarmee und der ruandischen Armee verfolgt und nach Möglichkeit vernichtend geschlagen. Darüber hinaus versucht sich Ruanda als Stabilitätsfaktor in der westsudanesischen Provinz Darfur zu etablieren, wo das Land eine maßgebliche Rolle bei der AU-Friedensmission spielt.

Diese Aufgaben tragen dazu bei, daß Kagames Position bis heute von der sogenannten internationalen Gemeinschaft nicht angefochten wird. Das schließt nicht aus, daß sich die Stimmung eines Tages gegen ihn wendet, wenn sich das Rad der Geschichte weiterdreht, neue Interessenskonstellationen greifen und Insider wie der jetzt in Südafrika angeschossene Faustin Kayumba Nyamwasa auspacken.


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Anmerkungen:

[1] "Ex-Rwandan Army Chief Nyamwasa Shot at His Johannesburg Home, Police Say", Bloomberg, 20. Juni 2010
http://www.bloomberg.com/news/2010-06-20/ex-rwandan-army-chief-nyamwasa-shot-at-his-johannesburg-home-police-say.html

[2] "General Paul Kagame escapes assassination attempt", radio katwe, Kampala, 30. Juni 2007
http://radiokatwe.com/kagamenakayumba070630.htm

[3] "Breaking News: Rwandan Fugitive General in South Africa", Godwin Agaba, online abgerufen am 21. Juni 2010
http://www.256news.com/page.php?aid=955

[4] "Lt. Gen. Nyamwasa was building own power base", The Independent, 13. Juni 2010
http://independent.co.ug/index.php/cover-story/cover-story/82-cover-story/3020-lt-gen-nyamwasa-was-building-own-power-base-

21. Juni 2010