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AFRIKA/1980: EU-Herrschaftssicherung am Horn von Afrika (SB)


Bundeswehr an Soldatenausbildung für Somalia beteiligt

Westerwelle hält Rede vor der AU und besucht Uganda


Deutschland beteiligt sich an der Ausbildung von Soldaten für die somalische Übergangsregierung durch die Europäische Union und versucht damit, seinen Einfluß am Horn von Afrika auszubauen. Seit Mai dieses Jahres kümmern sich 150 Soldaten aus europäischen Ländern, darunter dreizehn aus der Bundesrepublik, darum, daß die Übergangsregierung (TFG - Transnational Federal Government) demnächst auf 2000 weitere Soldaten zurückgreifen kann. Erfahrungen zufolge könnte allerdings ein nicht unerheblicher Teil der Rekruten zu den Gegnern überlaufen, falls ihnen, wie geschehen, der Sold vorenthalten wird. Zudem muß davon ausgegangen werden, daß sich somalische Islamisten haben anwerben lassen, um mehr über die Strukturen ihres Gegners zu erfahren und gegebenenfalls Attentate im Herzen des Feindes verüben zu können. So geschehen in Afghanistan, wo eine Kriegstaktik der Aufständischen darin besteht, eine Tarnexistenz als Polizist oder Soldat einzunehmen und irgendwann die Waffe gegen die "Kameraden", beispielsweise aus den britischen Besatzungstruppen, zu richten.

Auch das könnte eine Kriegstaktik der somalischen Islamisten werden, die nach der Invasion der äthiopischen Truppen Ende Dezember 2006 keine nennenswerten Fronten aufgebaut, sondern sich anschließend dem Anschein nach aufgelöst haben und in die Zivilbevölkerung eingesickert sind. Später verübten sie mehr und mehr Anschläge, vor allem in Mogadischu. Es wurden auch Scharmützel mit den Äthiopiern und den wenigen Kräften der Übergangsregierung ausgetragen, aber zur Rückeroberung weiter Landesteile kam es erst, nachdem die Äthiopier abgezogen waren und an ihrer statt eine von der Afrikanischen Union (AU) entsandte Friedensmission die Zelte in der Hauptstadt aufschlug. Die AU-Mission Amisom besteht aus rund 5300 Soldaten aus Uganda und Burundi. Sie sichern den Flughafen, den Präsidentenpalast und wenige weitere Gebäude. Daran wird auch die geplante Verstärkung durch rund 2000 Soldaten, die aus Dschibuti und Guinea stammen, wenig ändern. Weder Amisom noch die TFG besitzen Rückhalt in der Bevölkerung, entsprechend werden die europäischen und amerikanischen Ausbilder der Soldaten und Polizisten mit Verachtung bedacht.

Gegenüber der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wird das Engagement der Bundeswehr im Rahmen der Rekrutenausbildung durch die EU als Maßnahme zur Durchsetzung von Frieden und Demokratie verkauft. Auf der Internetseite des Auswärtiges Amtes wird über den Besuch von Außenminister Guido Westerwelle im ugandischen Ausbildungslager der Rekruten berichtet. Der deutsche Minister schüttelt einer somalischen Rekrutin die Hand, und wir lesen, daß Westerwelle "beeindruckt von dem Schicksal" der sechsfachen Mutter sei, die ihren Mann durch die radikal-islamistischen Al-Shabab Milizen in Somalia verloren habe. "Jetzt möchte sie ihren Beitrag dafür leisten, dass ihr Heimatland eine bessere und stabilere Zukunft erreicht", heißt es. Ist das so? Oder sollte man nicht treffender sagen, daß der Bundesaußenminister einer Mutter die Hand gibt, die geschworen hat, den Tod ihres Mannes und des Vaters ihrer Kinder zu rächen?

Die Antwort darauf wird wohl nur die Mutter selbst geben. Rache wäre ein legitimes Motiv, nur daß hierzulande in der öffentlichen Darstellung dessen, was die Bundeswehr in Uganda betreibt, ein so profaner, wenngleich edler Grund nicht gut ankäme. Da eignen sich Formulierungen wie "einen Beitrag leisten" für eine "stabile Zukunft" des Heimatlandes viel besser.

Der Bundesregierung allein Großmachtinteressen zu unterstellen, weil sie sich militärisch im Ausland engagiert, greift zu kurz und läßt einige Aspekte, weswegen das Horn von Afrika zu einem geostrategischen Brennpunkt wurde, aus. Deutschlands nationale Rolle ist vorhanden, aber sie wird heute anders ausgespielt als beispielsweise 1884/85 auf der Afrikakonferenz in Berlin. Deutschland ist nicht allein nationaler Akteur, sondern es ist Mitglied der Europäischen Union, und diese wiederum steht fest an der Seite der USA. Dabei soll nicht geleugnet werden, daß es innerhalb des transatlantischen Bündnisses ein Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der globalhegemonialen Ambitionen beider Seiten gibt. Ebensowenig sollte unter den Tisch fallen, daß innerhalb des deutschen Establishments Ideen bestehen und verfolgt werden wie die, daß Deutschland Teil eines europäischen Gravitationszentrums oder eines Kerneuropa ist.

Die Beteiligung der Bundeswehr an der Ausbildung somalischer Rekrutinnen und Rekruten in Uganda und der Einsatz der Bundesmarine am Horn gründen jedoch weniger im Großmachtgetue als vielmehr darin, daß Deutschland bei solchen ordnungspolitischen Maßnahmen nicht in der zweiten Reihe stehen will. In Somalia werden geopolitische Weichen gestellt - insofern trifft die der somalischen Rekrutin in den Mund gelegte Aussage, sie kämpfe für eine "stabile Zukunft" Somalias, in einem übergeordneten Sinne zu. Die Weltordnung von heute ist nicht stabil, sondern höchst fragil. Es wurden und werden Entwicklungen in Gang gesetzt, deren Ende nicht absehbar ist. Noch steht nicht fest, welcher Nation oder welchem Zusammenschluß es gelingt, am Ende der Umbruchphase, wenn stabile Verhältnisse geschaffen werden, an den Schalthebeln der Macht und den verbliebenen Fleischtöpfen einer von vielfältigem Mangel beherrschten Welt zu stehen. Stabilität wäre erst dann gegeben, wenn die Herrschaftsstrukturen nicht mehr in Frage gestellt werden.

Deutschland ist nicht Opfer dieser globalen Entwicklung, es bestimmt die Vorgänge durchaus mit und hat ein Interesse daran. Würde es sich nicht an den EU-Militäreinsätzen, an der Operation Enduring Freedom, an der Verwaltung der ehemaligen Bundesstaaten Jugoslawiens und nicht an der zum Nation-building verklärten Unterwerfung Afghanistans beteiligen, drohte es tatsächlich in die zweite Reihe abzurutschen und müßte Abstriche hinsichtlich seiner globalhegemonialen Bestrebungen hinnehmen. Die von der schwarz-gelben Koalitionsregierung aufgebrachte und von der deutschen Wirtschaft forcierte Ressourcensicherungsfrage wäre ein Aspekt, der wesentlich bei der Sicherung der Handelswege vor der somalischen Küste und im Golf von Aden hineinspielt und auch die somalische Landmasse betrifft. Dort befinden sich möglicherweise bedeutende Ölfunde.

Das Interesse Deutschlands und anderer westlicher Staaten an Somalia beschränkt sich nicht auf die Ressourcenfrage. Das Horn von Afrika ist Frontgebiet in dem vom US-Historiker Samuel P. Huntington angekündigten Kampf der Kulturen. Aus westlicher Sicht soll hier einem eigenständigen Islam, dessen Anhänger nicht Muslime, sondern Islamisten oder radikale Islamisten genannt werden, Einhalt geboten werden, um den eigenen Einfluß auszubauen. Schließlich geht es beim Hegemoniestreben darum, bestimmte Verwertungsregionen dem eigenen Nutzungsraum anzugliedern und dergestalt stabile Verhältnisse zu schaffen, daß dieses Verhältnis weder von außen noch von innen her aufgebrochen werden kann. Die Rekrutenausbildung stellt ein Mosaiksteinchen in diesem Gesamtbild dar.

27. Juli 2010