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AFRIKA/1992: Hungerunruhen in Mosambik - Grundversorgung unerschwinglich (SB)


Drei Tote und Dutzende Verletzte bei Hungerunruhen in Mosambik

Lokale Auswirkung systemisch generierten, globalen Nahrungsmangels


Als im Zeitraum 2007, 2008 in mehreren Dutzend Staaten Unruhen wegen der hohen Lebensmittelpreise ausbrachen, wurde dies von der Weltbank und anderen politisch einflußreichen Institutionen vor allem auf Spekulationsgeschäften an den Börsen und auf den Anbau von Pflanzen für Biosprit in Konkurrenz zu Pflanzen für Nahrung oder Futter interpretiert. Manche Analysten wollten auch in einem höheren Fleischkonsum Chinas eine Ursache für die Verteuerung von Getreide ausgemacht haben. Alle drei Erklärungsversuche sind ungenügend, weder vermögen sie jeder für sich genommen noch zusammen den systemischen Mangel zu beschreiben, welcher der Not zugrundeliegt.

Zwar trifft es zu, daß die Getreidepreise in dem besagten Zeitraum explosionsartig anstiegen und daß die genannten Einzelfaktoren darauf katalytisch wirkten, aber der vermeintlichen Überraschung war eine seit rund zehn Jahren anhaltende stetige Preissteigerung vorausgegangen. Parallel zu einer allmählichen Verteuerung von Grundnahrungs- und Futtermitteln seit Ende der neunziger Jahre waren die Weltgetreidevorräte Jahr für Jahr immer weiter zusammengeschrumpft, und die Europäische Union hatte ihre Interventionsbestände auf den Markt geworfen und nahezu aufgebraucht. Beides wirkte sich preisstabilisierend aus, das heißt, ohne diese Maßnahmen wären die Getreidepreise möglicherweise bereits in der ersten Hälfte des zurückliegenden Jahrzehnts stärker angezogen. Ein solcher Effekt konnte noch eine Zeitlang durch den Verlust von Substanz aufgehalten werden.

Erst 2007, 2008 kam es zu der dann nicht mehr zu stoppenden Preisexplosion, ausgelöst durch die erwähnten katalytischen Wirkungen der von den USA und der EU ausgewiesenen Biospritziele und das nach gewinnträchtigen Anlagemöglichkeiten suchende Finanzkapital. Auch im südafrikanischen Staat Mosambik waren die Einwohner protestierend durch die Straßen gezogen. Steigende Benzin- und Buspreise galten als Zünder der Unruhen, denen jedoch eine allgemeine Verteuerung der Lebenserhaltungskosten vorausging. Die Polizei erschoß sechs Demonstranten, Dutzende wurden verletzt.

Mit diesen gewaltsamen Auseinandersetzungen hatte es ausgerechnet ein Land erwischt, das ein sehr hohes Wirtschaftswachstum verzeichnete [1], wenngleich es sich noch immer vom 1992 beendeten, langjährigen Bürgerkrieg erholen mußte. Die Arbeitslosigkeit Mosambiks liegt bei 21 Prozent, rund 70 Prozent der Einwohner leben unterhalb der Armutsgrenze.

Seit den beiden Unruhejahren sind die Preise für Getreide und Lebensmittel weltweit betrachtet wieder gefallen, jedoch kaum in Afrika und kaum bei Grundnahrungsmitteln. Das bestätigte kürzlich Ralf Südhoff, der für Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz zuständige Ressortleiter des Welternährungsprogramms (WFP - World Food Programme), in einem Gastbeitrag für das Wochenblatt "Die Zeit". [2]

Es gab gar kein "Ende der Welternährungskrise", schrieb Südhoff unter Berufung auf den UN-Index für die weltweiten Nahrungsmittelpreise. Dieser stand demnach im ersten Halbjahr 2010 nur rund 14 Prozent unter dem Rekordwert von 2008. Allein im vergangenen Jahr gerieten weitere 100 Millionen Menschen in Hungersnot, so daß die Zahl der Hungernden auf über eine Milliarde anwuchs. Wie schon der philippinische Soziologieprofessor und Träger des Alternativen Nobelpreises Walden Bello in seinem Buch "Politik des Hungers" [3] festhielt, konstatierte auch Südhoff, daß "seit dem Jahr 2000 (...) die weltweite Nachfrage nach Getreide fast jedes Jahr das Angebot" überstiegen habe. Das verdeutliche das eigentliche Problem, die Ära der Nahrungsmittelüberschüsse sei vorbei. Hunger sei künftig nicht nur eine Frage der gerechteren Verteilung. "Wenn wir nicht umsteuern, wird es immer öfter gar nicht mehr genug zum Verteilen geben", bringt es Südhoff auf den Punkt.

Die Welternährungskrise war nie vorbei - die Demonstrationen und Hungerunruhen auch nicht. Bei unangemeldeten Protesten starben am Mittwoch in den mosambikanischen Städten Maputo und Matola drei Personen und Dutzende wurden verletzt. [4] Die Polizei hatte mit Tränengas und Gummigeschossen auf die Demonstranten geschossen. [5] Tausende Einwohner waren wegen der Preissteigerungen für Wasser, Energie, Brot und andere Konsumgüter auf die Straße gegangen. Demonstranten hatten die Büroräume des Stromunternehmens Electricidade de Mocambique (EDM) und der Banco Procredito zerstört, zwei EDM-Fahrzeuge in Brand gesteckt und die Lagerräume des Lebensmittelhandelsunternehmens Sasseka geplündert. Auch andere Geschäfte und öffentliche Einrichtungen wurden zerstört oder ausgeraubt. Als die Polizei aufmarschierte, kehrte zunächst Ruhe ein, als sie abzog, setzten die Unruhen von neuem ein. In der Hauptstadt bauten die Demonstranten Straßensperren auf wichtigen Verkehrsverbindungen wie die zum internationalen Flughafen und die nach Matola, dem größten Vorort der Stadt.

Noch am Dienstag (31.8.) hatte die Polizei eiligst ein Demonstrationsverbot verhängt, da sich die Protestierer in der Vorwoche per SMS über die Demo verständigt hatten. Einen verantwortlichen Organisator der Demonstrationen gab es nicht. Genutzt hat das Verbot offensichtlich nichts - was allerdings nicht verwundert, denn den Einwohnern werden erhebliche Preissteigerungen in vielen zentralen Bereichen des Lebens abverlangt. Nachdem zum Beispiel das Mehl zweimal binnen eines Monats teurer wurde, sollte auch das Brot um 30 Prozent zulegen. Der Preis für Mehl wiederum folgte dem des Weizens auf dem Weltmarkt. [6] Die Preise für elektrischen Strom nahmen zum 1. September um 13,4 Prozent und für Wasser um rund 11,7 Prozent zu. [7]

Bei Unruhen in Mosambik wird es nicht bleiben. In anderen Ländern des Kontinents sieht die Versorgungslage generell nicht besser aus. Es sind nicht die Hungernden und Unterernährten in den ländlichen Gebieten von Niger, Simbabwe oder Sudan, die protestieren, sondern verarmte Stadtbewohner, häufig jugendliche, von denen viele sich und ihre Angehörigen irgendwie über die Runden gebracht haben und die nun spüren, daß die Lage für sie eng und enger wird. Wenn selbst die kleinen Einkommensmöglichkeiten wegbrechen, gleichzeitig die Lebenserhaltungskosten auf breiter Front zunehmen, wächst die existentielle Not und die Protestbereitschaft. Viele afrikanische Familien mußten nach der Preisexplosion 2007, 2008 die Zahl ihrer täglichen Mahlzeiten von drei oder zwei auf nur mehr eine verringern. Jetzt nehmen die Lebenserhaltungskosten erheblich zu, da gehen Kürzungen auf die Substanz. Und daß sich der Zorn nicht in geordneten, durch die Behörden abgesegneten Bahnen kanalisieren läßt, sollte nicht erstaunen.

Die Risikoanalysten des Unternehmens Maplecroft, das einen neuen Ernährungssicherheitsindex aufgestellt hat, prognostizieren vor dem Hintergrund insbesondere der weltweit gestiegenen Weizenpreise, daß die Subsaharastaaten am stärksten von der zukünftigen Nahrungsunsicherheit betroffen sein werden. [8] Beim Maplecroft-Index werden Faktoren wie Gesundheit und Ernährung, Getreideanbau und Importquote, Konfliktpotential und Effektivität der Regierung miteinander verrechnet. Nach diesen Kriterien schneidet Afghanistan am schlechtesten ab. Die nächsten neun Plätze entfallen auf afrikanische Staaten. Von den 50 ernährungsmäßig gefährdetsten Staaten befinden sich 36 in Afrika.

Ein profitorientiertes Wirtschaftssystem wird den Mangel niemals beheben, bildet er doch die Voraussetzung, daß einer Überlebenssource wie Nahrung überhaupt ein Wert beigemessen werden kann. Gäbe es überall und zu jeder Zeit frei verfügbar genügend Getreide, könnte man es den Leuten nicht verkaufen. Erst aus der Verknappung lassen sich gesellschaftliche Strukturen schaffen, die Menschen dazu bringt, fremdbestimmte Arbeit zu verrichten und dafür Lohn in Empfang zu nehmen, das heißt, den Mehrwert ihrer Tätigkeit abzutreten. Insofern kann zwar mit Programmen des WFP und anderer Hilfsorganisationen die Not behoben werden, aber immer nur vorübergehend und regional begrenzt, nicht jedoch grundsätzlich. Das erforderte schon einen Bruch mit den Produktionsbedingungen, so daß soziale Erscheinungsformen wie die Generierung von Mangel zum Zwecke der Bereicherung und umgekehrt die Bereicherung zum Zwecke der Mangelproduktion kein Motiv des Zusammenlebens der Menschen mehr sind.


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Anmerkungen:

[1] http://www.gtz.de/de/weltweit/afrika/591.htm

[2] "Die Welternährungskrise war nie vorbei!" Ralf Südhoff, Die Zeit, 16. August 2010
http://www.zeit.de/wirtschaft/2010-08/lebensmittel-preise

[3] Siehe die Schattenblick-Rezension unter BUCH -> SACHBUCH -> REZENSION -> REZENSION/531: Walden Bello - Politik des Hungers (SB)

[4] "Mozambique: Three Dead in Unrest", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo) 1. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009010776.html

[5] "Mozambique: At Least Three Die in Protests", Radio France Internationale (Paris), 1. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009010508.html

[6] "Mozambique: Price of Bread to Rise By 30 Percent", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 25. August 2010
http://allafrica.com/stories/201008260009.html

[7] "Mozambique: Unrest in Maputo And Matola", Agencia de Informacao de Mocambique (Maputo), 1. September 2010
http://allafrica.com/stories/201009010774.html

[8] "Food security risk will hit Africa hardest", Neil Smith, 25. August 2010
http://www.lloyds.com/News-and-Insight/Lloyds-Blog/Exposure-Management/Neil-Smith/2010/08/Food-security-risk-will-hit-Africa-hardest

2. September 2010