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AFRIKA/2016: Sierra Leone - wachsende Wut über Eisenerzmine von African Minerals (SB)


Riesige Eisenerzvorkommen in Sierra Leone verheißen Wohlstand - aber für wen?


Acht Jahre nach dem blutigen Bürgerkrieg brechen sich in Sierra Leone die sozialen Spannungen wieder gewaltsam Bahn. Die Regierung hat zwei Abkommen zum Abbau von Eisenerz geschlossen und dabei offenbar die eigenen Maßstäbe der "guten Regierungsführung" mißachtet. Ausgerechnet der Bergbau könnte Sierra Leone in eine erneute Spirale der Gewalt führen, so wie in den neunziger Jahren das Schürfen von Diamanten. Jüngst wurden Proteste gegen den Abbau von Eisenerz von der Polizei gewaltsam beendet. [1]

Bereits in den neunziger Jahren tobte in dem kleinen westafrikanischen Land ein blutiger Bürgerkrieg, der seinerseits eine Folge des Bürgerkriegs im benachbarten Liberia war. Der damalige liberianische Warlord Charles Taylor hatte Foday Sankoh, einen ehemaligen Corporal der britischen Armee, mit einem Haufen Bewaffneter in das Nachbarland gesandt, damit sie dort eine weitere Front aufbauen, die ihn, Taylor, vor Verfolgung durch Soldaten der von Nigeria angeführten ECOMOG-Truppe (Economic Community of West African States Monitoring Group) entlasten sollte. Sankohs Vereinigte Revolutionäre Front (RUF) eilte von Sieg zu Sieg. Viele Jugendliche schlossen sich der Bewegung an, weil sie ihnen eine Perspektive bot; sehr viele andere, auch Kinder, wurden jedoch zwangsrekrutiert.

Ohne die sozioökonomischen Verhältnisse, in denen eine kleine Oberschicht Sierra Leones großen Reichtum vor allem aus dem Export der relativ reinen, alluvialen Diamanten einheimste, während das Gros der Bevölkerung mittellos blieb und die Jugend keine Perspektive besaß, wäre der RUF wohl kaum ein nennenswerter Erfolg beschieden gewesen. So aber eroberten die Milizen große Teile des Landes, einschließlich der Diamantenfelder. Mit deren Ausbeutung sicherten sie sich den Nachschub an Waffen, die anscheinend über Liberia eingeschleust oder über das Land vermittelt wurden. Als Gegenleistung erhielt Taylor, der dort inzwischen an die Macht gelangt und sogar zum Präsidenten gewählt worden war, Rohdiamanten.

Blutdiamanten werden sie gemeinhin genannt, als ob der reguläre Abbau von Diamanten nicht mit Blut bezahlt wird und die Waffenhändler dieser Welt (Deutschland ist drittgrößter Rüstungsexporteur) keine Diamanten tragen. Jedenfalls muß sich Taylor derzeit vor einem UN-Sondertribunal für Sierra Leone, das aus Sicherheitsgründen nicht im eigenen Land, sondern in Den Haag etabliert wurde, für seine mutmaßlichen Machenschaften während des sierraleonischen Bürgerkriegs verantworten.

Sierra Leone gilt seit 2002 als befriedet. Die Präsidentenwahlen im Jahr 2007 verliefen weitgehend friedlich. Die RUF hat sich aufgelöst - aber haben sich auch die Armut erzeugenden sozioökonomischen Verhältnisse aufgelöst, die Anfang der neunziger Jahre den Aufstand hervorbrachten? Diese Frage muß mit einem klaren Nein beantwortet werden. Selbst die Diamanten, obgleich heute auf angeblich unblutige Weise geschürft, geraten regelmäßig zum Stein des Anstoßes. Die Hilfsorganisation Medico International schrieb Anfang 2008 von "neuen Blutdiamanten" und "Arbeitssklaven" in den informellen Minen der Diamantenschürfgebiet bei Kono. Zudem scheint sich die größte private Diamantenfirma des Landes, Koidu Holdings Ltd., brutal über die Interessen der Bevölkerung im Bergbaugebiet hinweggesetzt zu haben. [2]

Wenn der Diamantenabbau soziale Spannungen erzeugt, ist von der Eisenerzgewinnung nichts anderes zu erwarten. In Sierra Leone wurde die größte Lagerstätte für Eisenerz ganz Afrikas, möglicherweise sogar der ganzen Welt entdeckt. Das in London ansässige Unternehmen African Minerals schätzt das Vorkommen auf 11,7 Milliarden Tonnen, jüngsten Berichten zufolge sogar auf 12,8 Mrd. Tonnen. [3]

10.000 Arbeitsplätze würden geschaffen, verheißt das Unternehmen, das damit zum größten einzelnen Arbeitgeber des Landes aufstiege. Dem Staat winken Einnahmen in Höhe von 1,75 Milliarden Dollar. Das entspricht rund 40 Prozent des BIP Sierra Leones im Jahr 2009. [4]

Dennoch hat der zwischen Regierung und Unternehmen geschlossene Vertrag den Eindruck erweckt, als werde hier wieder einmal ein Entwicklungsland von einem Konzern über den Tisch gezogen. Zwar hat African Minerals den Bau von Schulen und Fußballfeldern zugesagt, auch wird der eine oder andere Einheimische in den Genuß einer Ausbildung gelangen, im Zweifelsfall setzt das Unternehmen sogar ganze Dörfer um und richtet sie an anderer Stelle wieder auf, aber inwiefern die sierraleonische Gesellschaft langfristig von den Investitionen profitiert, ist unklar. Der Abbau von Eisenerz könnte sich als Fremdkörper in der Wirtschaft erweisen. Mit dem Aufbau einer nennenswerten Zulieferindustrie ist nicht zu rechnen - wohl aber mit vermehrten Jobs im "Dienstleistungsektor", beispielsweise bei der Prostitution.

Die Tonkolili-Lagerstätte liegt rund 200 Kilometer östlich der Hauptstadt Freetown. In der Nähe soll der Bumbuna-Staudamm gebaut werden, damit der Bergbaukonzern genügend Energie hat. Der Damm wird voraussichtlich 200 Mio. Dollar kosten und 50 MW elektrische Energie liefern. Darüber hinaus wollen die Investoren eine bestehende, 74 Kilometer lange Bahnlinie von Pepel nach Lunsar modernisieren und um 122 Kilometer in Richtung Lagerstätte verlängern. Zudem ist der Bau eines Tiefseehafens zum Abtransport des Eisenerzes vorgesehen. Eine Investition der chinesischen Unternehmensgruppe Shandong Iron & Steel Group (SISG) in Höhe von über einer Milliarde Dollar wurde allerdings vorläufig auf Eis gelegt. [5] [6]

Unter den Anwohnern der von den diversen Bauvorhaben - u.a. Bahn, Mine, Staudamm - betroffenen Region macht sich Unmut breit. So wird für den Staudamm heiliger Boden entweiht, ganze Dörfer müssen verschwinden, und Bauern verlieren ihre angestammten Wälder, Weiden und sonstigen landwirtschaftlichen Flächen. Am 25. November entlud sich die Enttäuschung der Bevölkerung in regelrechten Unruhen. In der Nähe der Stadt Kemedugu war kurzerhand landwirtschaftliche Fläche planiert worden, was die Einwohner empörte. Daraufhin errichteten Jugendliche eine Straßensperre auf einem Weg zu einem Gelände von African Minerals. Die Polizei setzte Knüppel und Tränengas ein und gab Warnschüsse ab, um die Demonstranten auseinanderzutreiben. Später in der Nacht wurde Bohrgerät der African Minerals im Wert von 400.000 Dollar zerstört.

Die Tonkolili-Mine soll Anfang nächsten Jahres ihre Produktion aufnehmen. Eine zweite Mine, Marampa, rund 80 Kilometer von Freetown entfernt, wird von dem Unternehmen London Mining betrieben. Es will 300 Millionen Dollar über vier Jahre in die Erschließung investieren und hat 2013 als Produktionsbeginn ins Auge gefaßt. Von dort sollen fünf bis acht Millionen Tonnen Eisenerz jährlich exportiert werden.

Die National Advocacy Coalition on the Extractives (NACE), ein Zusammenschluß von Nichtregierungsorganisationen, hat an den sierraleonischen Präsidenten Ernest Bai Koroma und das Parlament appelliert, das Minenabkommen mit African Minerals zu überdenken. Es verstoße gegen mehr als zehn Gesetze, unter anderem das Einkommensteuergesetz (Income Tax Act 2000) und das Minen- und Mineraliengesetz (Mines and Minerals Act 2009). [7]

Sogar die wirtschaftsnahe Zeitung "The Economist" [6] spricht von drei Aspekten des Vertrags der Regierung mit den Bergbaukonzernen, die "Sorgen" bereiteten: Die Regierung habe die Bestimmung verletzt, wonach alle Bergbauunternehmen Lizenzgebühren entrichten müssen; das gelte zumindest für African Minerals. Zweitens habe die Regierung die Steuern drastisch gesenkt, die beide Bergbauunternehmen abzugeben haben. (Das ist auch deswegen brisant und könnte zu Unruhen beitragen, weil gleichzeitig Steuern auf Waren und Dienstleistungen eingeführt wurden, was prompt einen Anstieg der Verbraucherpreise auslöste.) Drittens sei es unklar, ob die Regierung darauf bestehen wird, daß African Minerals einen unabhängigen Fonds einrichtet, aus dem später einmal die Renaturierung der Landschaft finanziert werden soll.

In der allgemeinen Berichterstattung über die jüngere Geschichte Sierra Leone wird stets die Gier nach Diamanten als Anlaß des Bürgerkriegs ausgemacht. Das ist zu kurz gegriffen und könnte zur Verkennung der gegenwärtigen Entwicklung in dem Land beitragen. Zumindest ging der angeblichen Gier der Rebellen die Gier des Establishments voraus, und das hielt sich nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung aus dem Ausland an der Macht. Eine sehr ähnliche Situation ist heute zu beobachten.

Die Vereinigte Revolutionäre Front hatte sicherlich keine Revolution zur Befreiung des Menschen aus ausbeuterischen Verhältnissen im Sinn, sondern eine "Revolution" der Bereicherung. Aber, wie gesagt, die Reichtumsanhäufung der vorherrschenden Kapitalseigner fand zuerst statt. Bei einer Bilanz, wessen Herrschaft mehr Opfer forderte, die der RUF während ihrer Jahre der Eroberung großer Landesteile oder die des alteingesessenen Establishments seit dem formalen Ende der Kolonialzeit, stände das Ergebnis keineswegs eindeutig fest. Damit sollen Sklavenarbeit, Vergewaltigungen, Zwangsrekrutierungen, Morde und Folter, inklusive der "beliebten" Unterdrückungs- und Einschüchterungsmethode der Verstümmelung durch die RUF nicht im mindesten verharmlost werden. Allerdings fehlt in der Mehrzahl der Berichte die Kehrseite der Medaille, nämlich daß die Ausbeutung innerhalb der etablierten Produktionsverhältnisse (die von der RUF im übrigen, leicht modifiziert, weitergeführt wurden) ebenfalls einen hohen Blutzoll fordern. Sei es durch Unfälle im unmittelbaren Produktionsprozeß, sei es durch arbeitsbedingte Krankheiten oder in Form von Ausgrenzung und das Vorenthalten von Überlebenschancen. Es bedarf keiner ausgefeilten Revolutionstheorie, um zu erkennen, daß die heute noch weit verbreitete Armut in Sierra Leone ein enormes gesellschaftliches Konfliktpotential birgt. Der Eisenerzabbau durch African Minerals könnte das Faß zum Überlaufen bringen.


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Anmerkungen:

[1] "Sierra Leone's Hydro Dam Coming under Fire", Alternative Energy Africa, 13. Dezember 2010
http://ae-africa.com/read_article.php?NID=2610&PHPSESSID=ae2131fa4705c994784ba6ccb3abf4f0

[2] "Sierra Leone: Neue 'Blutdiamanten'. Unruhen in der Diamantenregion Kono", medico Rundschreiben 01/2008
http://www.medico.de/material/rundschreiben/2008/01/neue-blutdiamanten/

[3] Laut Reuters, 16. Dezember 2010

http://www.xe.com/news/2010/12/16/1590637.htm?c=1&t=

[4] "Massive iron ore project brings mining tensions back to Sierra Leone", Christian Science Monitor, 12. Dezember 2010
http://www.csmonitor.com/World/Africa/Africa-Monitor/2010/1212/Massive-iron-ore-project-brings-mining-tensions-back-to-Sierra-Leone

[5] "Für Eisenerzprojekt in Sierra Leone. African Minerals erhält Milliardenspritze aus China", Redaktion goldinvest.de, 14. Juli 2010
http://www.goldinvest.de/index.php/african-minerals-erhaelt-milliardenspritze-aus-china-17473

[6] "Digging for trouble. The government is breaking its own rules on exploiting resources Sierra Leone's minerals", The Economist, 25. November 2010
http://www.economist.com/node/17581551

[7] "Sierra Leone Government urged to revise agreement with London-listed African Minerals Ltd", London Mining Network, 27. August 2010
http://londonminingnetwork.org/2010/08/sierra-leone-government-urged-to-revise-agreement-with-london-listed-african-minerals-ltd/

16. Dezember 2010