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AFRIKA/2026: Unter dem Eindruck der Proteste - Marokko und Algerien rücken zusammen (SB)


Politisches Tauwetter im Maghreb

Anscheinend unter dem Druck der Proteste rücken die algerische und marokkanische Regierung enger zusammen


Die gegenwärtigen Proteste in der arabischen Welt machen die starke Diskrepanz zwischen den Bevölkerungen und herrschenden Regimen deutlich. Der Tropfen, der das Faß nach Jahren bis Jahrzehnten der Unterdrückung zum Überlaufen brachte, war der aktuelle Anstieg der Lebensmittelpreise. Die Sachwalter und Profiteure der globalen Verwertungordnung stürzen. Nun vermag selbst die Zusage von demokratischen Reformen und einer höheren Subventionierung der Grundnahrungsmittel die einmal in Bewegung gesetzte Flut nicht mehr aufzuhalten.

Als Reaktion auf die Demonstrationen rücken offenbar die Regierungen zusammen. Erkennbar wird dies zumindest im Verhältnis zwischen Marokko und Algerien. In beiden Ländern kommt es zu Massenprotesten. Die Regierungen versuchen, den Zorn der Menschen durch eine Politik mit Zuckerbrot und Peitsche abzudämpfen und zu kanalisieren. Einerseits gehen die Sicherheitskräfte entschieden gegen Demonstranten vor, andererseits wird ihnen mehr Raum für Proteste gelassen - in Algerien beispielsweise durch die Beendigung des jahrelangen Ausnahmezustands.

Die beiden Nachbarstaaten liegen seit langem im Zwist. Marokko hat Algerien beschuldigt, es habe die Rebellen der Frente Polisario in Westsahara unterstützt; umgekehrt mutmaßt Algerien, daß Marokko beim Bürgerkrieg in den neunziger Jahren seine Finger mit im Spiel hatte. Beide Staaten sehen den anderen als Konkurrenz ihres Führungsanspruchs im Maghreb. Doch unter dem Eindruck der massiven Proteste in der arabischen Welt scheinen die Regierungen das Kriegsbeil begraben zu wollen. Vor gut einer Woche schlossen Algerien und Marokko ein Abkommen für eine neue politische Initiative zur Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen. Noch in diesem Monat wird es auf Ministerebene zum Gesprächsaustausch kommen, um den bilateralen Beziehungen auf "sensiblen Feldern", insbesondere bei der Energie und Landwirtschaft, neuen Schwung zu verleihen, so Algeriens Außenminister Mourad Medelci. Auch auf kultureller Ebene soll die Kooperation verbessert werden. [1]

Medelci sprach von "marokkanischen Freunden und Brüdern", während zuvor sein marokkanischer Amtskollege Taieb Fassi Fihri betonte, auf beiden Seiten bestehe der Wille, daß man zügig auf Regierungsebene zusammenkomme. Der Minister bedauerte im marokkanischen Fernsehen, daß die Grenzen zwischen beiden Ländern nach wie vor geschlossen sind, was die "Integration des Maghreb" behindere. Die Öffnung der Grenzen sei unverzichtbar, Algerien möge die Vergangenheit begraben, das sei im Interesse beider Völker, zumal mittlerweile die jeweiligen Führungen gewechselt hätten, so Fassi Fihri.

Zu einer behutsamen Annäherung beider Länder war es bereits im vergangenen Jahr gekommen, nun könnte das gemeinsame "Schicksal" die Entwicklung beschleunigen. Zwar unterhalten beide Länder jeweils einen größeren Handelsaustausch mit der Europäischen Union als untereinander, doch unter allen afrikanischen Staaten ist jeweils der andere der wichtigste Handelspartner. Das Handelsvolumen wird mit 570 Mio. Dollar angegeben, was nicht sonderlich hoch ist, und daß gegenwärtig nur 45.000 Marokkaner in Algerien leben, ist ein Zeichen der traditionellen Rivalität beider Länder.

Für einen Zusammenschluß zu einem gemeinsamen Wirtschaftsblock - der zumindest schon einen Namen hat: Arabische Maghreb-Union - mit offenen Grenzen und freizügigem Personen- und Warenverkehr ist es vermutlich noch zu früh. Allerdings hätte bis vor drei Monaten wohl auch niemand vermutet, daß binnen kurzer Zeit zwei nordafrikanische Regierungen stürzen, eine dritte stark in Bedrängnis gerät und in den arabischen Ölstaaten teils schwere Unruhen ausbrechen. Deshalb könnte es als Reaktion auf die Aufstände und zwecks wirksamerer Regulation der weiteren Entwicklung dazu kommen, daß die etablierten Regime ihre Konkurrenz hintenanstellen und die Interessen stärker miteinander verschränken. Von Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika jedenfalls wird gesagt, er erwäge eine Wiedereröffnung der seit 15 Jahren geschlossenen Grenze. [2]

Nicht nur zwischen Marokko und Algerien ist das Verhältnis angespannt. Auch die anderen nordafrikanischen Staaten sind sich untereinander nicht grün. Das muß nicht so bleiben. Sollte es den Oppositionsbewegungen in Tunesien, Libyen, Sudan und Ägypten gelingen, an die Regierung zu kommen, oder zumindest maßgeblichen Einfluß auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen, gäbe es eigentlich keinen Grund, die alte Fehden zu pflegen. Würden dagegen die nordafrikanischen Länder die Gemeinsamkeit ihrer Interessen entdecken, wären sie nicht mehr so leicht gegeneinander ausspielbar und könnten gegenüber den Anliegen beispielsweise der Europäischen Union oder der USA eine stärkere Position einnehmen. Das mindeste wären Verbesserungen der bilateralen Abkommen, ein noch weiter gefaßtes Ziel könnte darin bestehen, sich von der Rolle als Bollwerk der Europäischen Union gegen Flüchtlinge, billiger Produktionsstandort und Absatzmarkt für Industrieprodukte instrumentalisieren zu lassen.


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Anmerkungen:

[1] "Algeria, Morocco agree to expand relations", Magharebia, 25. Februar 2011
http://magharebia.com/cocoon/awi/xhtml1/en_GB/features/awi/features/2011/02/25/feature-04

[2] "Morocco-Algeria Border Could Reopen", Alternative Energy Africa, 2. März 2011
http://ae-africa.com/read_article.php?NID=2768&PHPSESSID=ae2131fa4705c994784ba6ccb3abf4f0 2. März 2011