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AFRIKA/2032: Wie das Weltrecht den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste anheizt (SB)


Der Internationale Strafgerichtshof hängt wie ein Damoklesschwert über den Häuptern afrikanischer Staatschefs


In dem am Montag beendeten Kampf um das Präsidentenamt in der Elfenbeinküste zwischen Amtsinhaber Laurent Gbagbo und dem Oppositionskandidaten Alassane Ouattara hatten sich die UN-Truppen voll und ganz auf die Seite des Herausforderers geschlagen. Dabei wurde die UN-Resolution 1975, die einen Schutz der Zivilbevölkerung vorsieht, insofern mißachtet, als daß darin nicht nur der Schutz gegenüber Gbagbos Soldaten, sondern ein prinzipieller Schutz gegen Übergriffe gefordert wird. Zudem griffen die Blauhelmsoldaten auch nicht allein zur Selbstverteidigung in das Kampfgeschehen ein, als sie den Präsidentenpalast Gbagbos mit Bodentruppen und Kampfhubschraubern attackierten. Auch die ehemalige französische Kolonialmacht, die ihre größte Garnison auf afrikanischem Boden in der Elfenbeinküste hat, mischte kräftig auf Seiten Ouattaras mit und hat einen maßgeblichen Anteil an dessen Sieg.

Aus der Sicht der hegemonialen Kräfte des Westens hat Ouattara seine Meriten damit verdient, daß er als IWF-Funktionär an der Durchsetzung der Strukturanpassungsprogramme für die afrikanischen Länder mitwirkte und dadurch deren postkoloniale Dauerabhängigkeit von der westlich dominierten Verwertungsordnung sicherstellte. Wohingegen Gbagbo sich, um beim Wahlvolk zu punkten, hin und wieder antikolonialer Töne bediente. An der Ernsthaftigkeit dieser Haltung bestanden zwar immer Zweifel, denn auch Gbagbo hängt dem neoliberalen Wirtschaftsmodell an, aber anscheinend hat das genügt, daß sich Frankreich und der Rest der "internationalen Gemeinschaft" trotz eines umstrittenen Ergebnisses der Stichwahl vom 28.11.2010 vorbehaltlos auf die Seite Ouattaras schlugen.

Gbagbo verlangte eine Neuauszählung von mindestens drei Stimmbezirken im Norden des Landes, wo Ouattara-Anhänger keine Wahlbeobachter zugelassen hatten, dann aber der Herausforderer teils mit 90 Prozent der Stimmen gewann, und wo eine beträchtliche Diskrepanz zwischen der ersten offiziellen Angabe zur Wahlbeteiligung (70 %) und der später bekanntgegebenen "tatsächlichen" Wahlbeteiligung (81 %) auftrat. Angesichts von Ouattaras traumhaftem Erfolg in seiner Hochburg würde es nicht verwundern, wenn das überraschende Plus von immerhin elf Prozent der Wahlbeteiligten "irgendwie" auf sein Konto ging ...

Wie auch immer. Gbagbo erscheint in dieser Auseinandersetzung keineswegs als Unschuldslamm. Auch er steht im Verdacht, Wahlergebnisse zu seinen Gunsten manipuliert zu haben, und was den monatelangen Machtkampf betrifft, so haben auch seine Soldaten Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. So wie umgekehrt Ende März Ouattaras Milizen. Die wüteten besonders exzessiv unter der Zivilbevölkerung in der Stadt Duékoué, massakrierten bei ihrem Vormarsch durchs Land mehrere hundert Einwohner insbesondere der traditionell Gbagbo-freundlichen Guéré, vergewaltigten, brandschatzten und rekrutierten gewaltsam Kindersoldaten. Da kamen selbst die Ouattara-freundliche Vereinten Nationen nicht umhin, allgemein zur Mäßigung aufzurufen, obschon es laut Human Rights Watch [1] vor allem die Ouattara-Kämpfer waren, die mordeten. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, verurteilte die Serie an gewaltsamen Übergriffen auf Zivilisten und erhob es zur "obersten Priorität", daß alles unternommen werde, damit die Tötungen und Verletzungen aufhören. Sie betonte aber auch, es sei "genauso wichtig", "die Straflosigkeit" zu beenden. [2]

Ouattara geht anscheinend siegreich aus dieser Phase des Bürgerkriegs hervor, doch sein Sieg ist in Blut geschrieben und kam nur dank der tatkräftigen Unterstützung Frankreichs und der UN-Truppe zustande. Über die Frage, warum Gbagbo anscheinend so stur war und nicht aufgab, wurde schon viel gemutmaßt. Abgesehen von der Möglichkeit, daß er tatsächlich glaubte, die Präsidentenwahl gewonnen zu haben, dürfte ein ganz starkes Motiv für sein Klammern an der Macht darin bestanden haben, daß er vor kein Gericht gezerrt werden will. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) - oder vielleicht sollte man besser sagen dessen Chefankläger Luis Moreno-Ocampo - scheint nämlich wie besessen von der Idee, afrikanische Staats- und Milizenführer anzuklagen.

Das internationale Recht soll selbst dann gewaltsam durchgesetzt werden, wenn alternative Lösungen ohne Gerichtsverfahren weniger konfliktträchtig wären. Beispielsweise hat das IStGH die Auseinandersetzung in Uganda zwischen der LRA (Lord's Resistance Army) und der Regierung dadurch angeheizt und verlängert, daß es internationale Haftbefehle auf LRA-Anführer Joseph Kony und seine Stellvertreter ausstellte, obgleich die ugandische Regierung und die Rebellen in Waffenstillstandsverhandlungen standen. Kony, der den Ruf eines üblen Halsabschneiders hat, galt zwar als unberechenbar, aber daß der IStGH seiner Forderung, den Haftbefehl zurückzuziehen, nicht entsprach, mußte der LRA-Anführer so verstehen, daß er verhaftet und vor Gericht gestellt werden würde, sollte er aus der Deckung kommen und sich eine Blöße geben. Also zog er sich zurück.

Er und seine Leute mordeten eine Zeitlang in der Demokratischen Republik Kongo, in Sudan und der Zentralafrikanischen Republik. Vor rund vier Wochen ist Kony anscheinend wieder in den Osten der DR Kongo zurückgekehrt [3]. Die Angehörigen der Ermordeten, die Vergewaltigten und Folteropfer können sich bei Moreno-Ocampo für sein stures Beharren auf das angeblich höhere Recht zu einem Zeitpunkt, an dem der Konflikt möglicherweise unkonventionell hätte gelöst werden können, bedanken. Mit der Anklage gegen dem amtierenden Präsidenten Sudans, Omar al-Bashir, und gegen mutmaßliche Rädelsführer der monatelangen Unruhen nach den Wahlen 2007/2008 in Kenia sorgt der IStGH ebenfalls nicht für Frieden, sondern erhöht die Spannungen in den betroffenen Ländern.

Als mindestens so konfliktverschärfend, wenn nicht in dieser Hinsicht noch wirksamer, erweist sich allerdings das Gerichtsverfahren gegen den früheren liberianischen Präsidenten Charles Taylor durch ein Ad-hoc-Tribunal der Vereinten Nationen für Sierra Leone. Was auch immer Taylor auf dem Kerbholz hat, allein die Tatsache, daß jedem afrikanischen Staatsführer, der in die Mühlen einer vom janusköpfigen westlichen Wertekanon dominierten Strafjustiz gerät, ein solches Schicksal droht - erst U-Haft, dann jahrelange Gefängnisstrafe -, verstärkt den Effekt, daß Präsidenten wie Gbagbo ihren Thron niemals freiwillig räumen werden. Zumal sie sich auf keine Exilzusage seitens ihrer Amtskollegen verlassen können.

Auch in der Hinsicht liefert der Umgang der Weltgemeinschaft mit Taylor ein treffendes Beispiel - ob er den sierraleonischen Bürgerkrieg zu seinem Vorteil ausgenutzt und Diamanten gegen Waffen eingetauscht hat oder nicht. Als im Jahr 2003 zwei Rebellengruppen bis zu Liberias Hauptstadt Freetown vorgestoßen waren und zum letzten Sturmangriff bliesen, was mit Sicherheit vielen Zivilisten das Leben gekostet hätte, lenkte Taylor ein und ging am 11. August des Jahres freiwillig ins nigerianische Exil. Dessen damaliger Präsident Olusegun Obasanjo hatte ihm dafür Straffreiheit versprochen. Dann aber brach Obasanjo seine Zusage, Taylor versuchte zu fliehen und wurde am 29. März 2006 an der Grenze zu Kamerun gefaßt. In der offiziellen Lesart heißt es, Taylor habe seine Zusage, das Land nicht zu verlassen, nicht eingehalten, aber jeder weiß, daß seine Zeit in Nigeria abgelaufen und er nicht mehr geschützt war.

Nun also Gbagbo. Am Montag wurde er verhaftet [4]. Vielleicht droht ihm ein ähnliches Schicksal wie Taylor. Warum hätte er freiwillig abtreten sollen, wenn er a) seiner Meinung nach die Wahl gewonnen hat und b) damit rechnen muß, die nächsten Jahre im Gefängnis zu verbringen? Das internationale Recht erweist sich hier als ein nicht zu unterschätzender konfliktverschärfender Faktor, weil abgewählten oder vermeintlich abgewählten Staatsoberhäuptern kaum eine Alternative gelassen wird, als bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Daß es in der Regel nicht ihr eigenes Blut ist, das vergossen wird, sondern das ihrer Soldaten, liegt grundsätzlich am Prinzip der Herrschaft, das es im Rahmen der komplexen Gesellschaften von heute einem an sich wenig wehrhaften Menschen ermöglicht, zu herrschen, indem er sich innerhalb des Beteiligungssystems des soldatischen bzw. militärischen Beistands versichert. Frankreich hat in diesem Fall die größeren Waffen aufgefahren und ist am Montag mit Panzern auf den Bunker, in dem sich Gbagbo, seine Frau Simone und einige Getreue verschanzt hatten, vorgerückt.

Aber Frankreich hat den Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste nur dem Anschein nach beendet. Die Konflikte schwelen weiter, auch wenn Gbagbo aus dem Verkehr gezogen wurde [5]. Die Guéré, unter denen die Ouattara-Anhänger aus anscheinend rassistischen Motiven besonders schwer wüteten, werden vermutlich Rache nehmen wollen. Und das neoliberale Wirtschaftskonzept, dessen sich Ouattara befleißigt, eignet sich denkbar schlecht dazu, die trotz hoher Exportzahlen bei Kakaobohnen, Kaffee und anderen Rohstoffen über Jahre gewachsene Verarmung umzukehren.

Das Land bräuchte grundsätzlich eine Umverteilung von oben nach unten, eine Beteiligung aller Volksgruppen an der Regierung und eine Abkehr von dem unter anderem vom IWF implementierten Modell der Exportorientierung. Gbagbo war nicht der geeignete Mann, um solche Ziele gegen den scharfen Widerstand der schwergewichtigen, militärisch hochgerüsteten Wirtschaftsmächte durchzusetzen. Ouattara dürfte noch viel weniger ein Kandidat für diese Rolle sein. Darum wurde er von Frankreich an die Macht gehievt.

11. April 2011


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Anmerkungen:

[1] "Côte d´Ivoire: Ouattara Forces Kill, Rape Civilians During Offensive", Human Rights Watch, 9. April 2011
http://www.hrw.org/en/news/2011/04/09/c-te-d-ivoire-ouattara-forces-kill-rape-civilians-during-offensive

[2] "Cote d'Ivoire: UN Human Rights Team Finds Over 100 Bodies Over Past Day", UN News Service (New York)/AllAfrica.com, 8. April 2011
http://allafrica.com/stories/201104100010.html

[3] "Wanted rebel leader returns to eastern Congo", Reuters, 29. März 2011
http://af.reuters.com/article/ugandaNews/idAFLDE72S1EC20110329?sp=true

[4] "Elfenbeinküste. Soldaten nehmen Gbagbo in seinem Bunker fest", Spiegel Online, 11. April 2011
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,756303,00.html

[5] "Elfenbeinküste. Gbagbos Festnahme stoppt nicht das Blutvergießen", Die Welt, 11. April 2011
http://www.welt.de/politik/ausland/article13142667/Gbagbos-Festnahme-stoppt-nicht-das-Blutvergiessen.html

11. April 2011