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AFRIKA/2050: Brain Drain unter Medizinern - hohe Verluste für afrikanische Länder (SB)


Neue Studie zu den finanziellen Kosten, die das Abwandern von Medizinern in neun Subsaharastaaten verursacht


Das permanente Abwandern von Fachkräften aus afrikanischen Ländern kann dort zu Engpässen der medizinischen Versorgung führen. Ausgerechnet jene Subsaharastaaten mit der höchsten Rate an Brain Drain - dem "Abzug der Gehirne" - weisen auch die höchste Rate an HIV-Infektionen auf. An einen Zufall mag man da nicht glauben - ein aus der Sicht der relativ wohlhabenden Industriestaaten Erfolg der Globalisierung, mit der ihre Vorherrschaft bruchlos an die der Kolonialzeit anknüpft. Das Ergebnis der jahrhundertelangen Ausplünderung und Unterwerfung zeigt sich heute in der politischen, technologischen und militärischen Hegemonie der reichen Staaten.

Die Verluste für die afrikanischen Volkswirtschaften allein durch die Zahl der gegenwärtig abgewanderten Mediziner belaufen sich auf 1,64 Milliarden Euro. So lautet das Ergebnis einer Studie kanadischer Wissenschaftler, die am 24. November im British Medical Journal online [1] erschienen ist. Die meisten Mediziner wandern aus Südafrika und Simbabwe ab. Den größten "Brain Gain", also den größten Gewinn an Experten, verzeichnen Australien, Kanada, Britannien und die Vereinigten Staaten. Forschungsleiter Edward Mills von der Universität von Ottawa appelliert an die Gewinnerstaaten, das Ungleichgewicht anzuerkennen und für Abhilfe zu sorgen, indem mehr in die Gesundheitssysteme der betroffenen Staaten investiert wird. Die Forderung entspricht dem Leitfaden zum Umgang mit dem Problem der Expertenabwanderung, den die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im vergangenen Jahr herausgegeben hat.

Man kann es den Medizinern, Krankenschwestern, Managern, Juristen und anderen Experten aus Afrika jedoch nicht verübeln, wenn sie sich nach attraktiveren Jobs in Übersee umsehen und versuchen, dort eine sichere Existenzgrundlage aufzubauen; und sei es auch nur für einige Jahre des Geldverdienens.

In die Studie wurden die neun Länder (Äthiopien, Kenia, Malawi, Nigeria, Sambia, Simbabwe, Südafrika, Tansania und Uganda) einbezogen, da sie eine HIV-Rate von mindestens 5 Prozent oder mehr als eine Million Einwohner aufweisen sowie einen medizinischen Ausbildungsgang anbieten. Als Kostenfaktor wurde nur die Ausbildung in der Grund- und höheren Schule sowie bei der medizinischen Fachausbildung gerechnet. Demnach kostet die Ausbildung eines Arztes in Uganda 16.000 Euro, was der niedrigste Betrag ist, und in Südafrika 42.000 Euro, dem Maximum. Diese vom Staat und somit von den Steuerzahlern dieser Länder getätigten Investitionen sind verloren bzw. werden, um es schärfer zu formulieren, teils gezielt abgegriffen. Denn in afrikanischen Zeitungen und Zeitschriften sind häufiger Annoncen geschaltet, in denen um Fachkräfte für Krankenhäuser in den wohlhabenderen Ländern geworben wird. Aber eigentlich bedarf es solcher Werbeanzeigen nicht, denn die ausgebildeten Fachkräfte wissen, daß sie woanders mehr verdienen können. Auch bestehen häufiger persönliche Kontakte ins Ausland - da sind Austauschprogramme, wie sie beispielsweise von den Entwicklungsministerien der reichen Länder organisiert werden, regelrechte Türöffner für Abwanderung.

Kein Gegenstand der Untersuchung war die Höhe des finanziellen Rückflusses in die afrikanischen Länder durch die abgewanderten Mediziner. Bei einer ökonomischen Vergleichsstudie über Verluste und Gewinne wäre das jedoch unverzichtbar, um ein möglichst vollständiges Bild zu erhalten. Die Autoren sind sich dieses Mangels durchaus bewußt und schreiben dazu, daß im vergangenen Jahr die Rückflüsse aus sämtlichen Berufsgruppen in die Subsaharastaaten auf 16,2 Milliarden Euro geschätzt werden, was einer Zunahme um 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspräche. Einer neueren Umfrage zufolge hätten abgewanderte Ärzte durchschnittlich 3400 Euro jährlich in ihre Heimatländer geschickt. Da diese Gelder in der Regel an Familienmitglieder gingen und nicht an den Staat, sei es unmöglich, den Einfluß dieser Gelder auf die örtliche Wirtschaft zu quantifizieren, heißt es dazu in der Studie.

Dennoch, so sei an dieser Stelle angemerkt, sollte bedacht werden, daß eine Volkswirtschaft vom Rückfluß an Zuwendungen profitiert, da wohl kaum davon auszugehen ist, daß die Familienmitglieder das Geld sparen. Sie werden es in Umlauf bringen und damit die Wirtschaft fördern. Beim Thema Brain Drain wäre weiterhin zu bedenken, daß er auch innerhalb Afrikas stattfindet, was den Autoren ebenfalls bekannt ist. Da zählt Südafrika wiederum eher zu den Gewinnern und das benachbarte Simbabwe, das zumindest im letzten Jahrzehnt politisch extrem unsicher war, zu den Verlierern.

Die Studienautoren schreiben, daß sie nur die unmittelbaren Kosten der Ausbildung veranschlagt haben, nicht jedoch die indirekten, wie sie beispielsweise dadurch entstehen, daß die Investitionen in die Ausbildung eigentlich anderen Medizinern, die im Land blieben, hätten zugute kommen sollen. In der Untersuchung geht es zwar um ökonomische Fragen, aber daran knüpfen sich existentiell wichtige Probleme an. So schreiben die Autoren, daß Afrika 24 Prozent aller weltweiten HIV/Aids-Infektionen verzeichnet, aber nur 2 Prozent der HIV/Aids-Ärzte und weniger als 1 Prozent der weltweiten Gesundheitsausgaben auf den Kontinent entfallen.

Keine Volkswirtschaft kann es auf Dauer verkraften, ohne Schaden zu nehmen, wenn sie ständig Fachleute ausbildet, dazu die entsprechenden Bildungsstrukturen schafft und aufrechterhält, aber permanent um den Lohn dieser gesellschaftlichen Investition geprellt wird. Den Berechnungen der kanadischen Forscher zufolge verzeichnet Britannien einen "brain gain" von 2,0 Mrd., die USA von 639 Mio., Australien von 469 Mio. und Kanada von 290 Mio. Euro. Diese Summen müßten die Industriestaaten aufbringen, wenn sie selber jene Zahl an Medizinern ausbilden, die sie offensichtlich brauchen. Umgekehrt müßten Länder wie Malawi oder Äthiopien permanent womöglich doppelt so viele Ärzte ausbilden, als eigentlich vorgesehen ist, sollte die Hälfte von ihnen abwandern.

Solche Verluste werden nicht einfach dadurch ausgeglichen, daß die Auslandsmediziner Gelder in ihre Heimat schicken. Zunächst einmal entstehen Schäden wie zum Beispiel, daß ein Teil der Ärzte eines Krankenhauses plötzlich nicht mehr da ist und nicht ohne weiteres ersetzt werden kann. Dadurch nimmt die Mehrbelastung der verbliebenen Ärzte zu, was die Behandlungsqualität mindert. Im schlimmsten Fall kann das zum Tod von Patienten führen, die andernfalls, also bei voller Belegschaft, hätten gerettet werden können, weil man ihnen mehr Zeit hätte widmen können.

Kuba ist ein Land mit einer weltweit anerkannten medizinischen Ausbildungsstruktur. In vielen Ländern arbeiten kubanische Ärzte. In ihrem Fall ist es jedoch eine politische Entscheidung der Regierung in Havanna, Ärzte ins Ausland zu schicken. Dagegen wird den Subsaharastaaten nicht die Wahl gelassen, ob sie mit dem massenhaften Abwandern von Ärzten (und Krankenschwestern, die von der Studie nicht erfaßt wurden) einverstanden sind. Das Phänomen des Brain Drains stellt zweifellos eine Form der Übervorteilung der wirtschaftlich schwächeren durch die wirtschaftlich stärkeren Staaten dar, was konkrete finanzielle und menschliche Verluste nach sich zieht.



Anmerkungen:

[1] "The financial cost of doctors emigrating from sub-Saharan Africa: human capital analysis", BMJ 2011; 343 doi: 10.1136/bmj.d7031, 24. November 2011
http://www.bmj.com/content/343/bmj.d7031

25. November 2011