Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REDAKTION

AFRIKA/2054: Libyen-Konflikt - Zuma kritisiert UN-Sicherheitsrat und NATO (SB)


Südafrikas Präsident: Friedensplan der Afrikanischen Union wurde von NATO vollständig ignoriert


Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma hat das Verhalten der NATO gegenüber der Afrikanischen Union (AU) im Konflikt mit Libyen kritisiert. Wie allgemein bekannt, habe die AU eine politische Roadmap erarbeitet, die geholfen hätte, den "politischen Konflikt in dem Land" zu lösen, sagte er. Doch der Plan der Afrikanischen Union sei "vollständig" ignoriert worden zugunsten der Bombardierung Libyens durch die NATO-Streitkräfte. [1]

Von den Auswirkungen der Maßnahmen, die im Namen des UN-Sicherheitsrats in Libyen durchgeführt wurden, seien auch andere Länder der Region betroffen. "Ein Problem, das sich auf ein Land beschränkte, Libyen, ist nun zu einem regionalen Problem ausgewachsen", sagte Zuma in seiner gegenwärtigen Funktion als Vorsitzender des 15köpfigen UN-Sicherheitsrats auf dessen Sitzung zum Thema des Verhältnisses zwischen den Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union.

Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats sei in bestimmter Hinsicht "größtenteils mißbraucht" worden, legte Zuma in seiner Kritik nach. Aus der Erfahrung mit Libyen sollte die Lehre gezogen werden, wie wichtig eine größere politische Kohärenz und eine gemeinsame Vision der AU und UN für die Lösung afrikanischer Konflikte sei. "Der Standpunkt der Afrikanischen Union muß beachtet werden, wenn wir unser Verhältnis stärken und weitere Konflikte vermeiden wollen." Nie wieder dürfe Afrika Schauplatz von Auseinandersetzungen für andere Interessen wie zur Zeit des Kalten Kriegs sein, so Zuma.

Der südafrikanische Präsident übertreibt nicht, wenn er von einer vollständigen Ignoranz der NATO-Staaten gegenüber der Afrikanischen Union spricht. Deren Friedens- und Sicherheitsrat (AU Peace and Security Council - PSC) hatte am 10. März 2011 ein hochrangiges Ad-hoc-Komitee für Libyen (High-Level ad hoc Committee on Libya) ins Leben gerufen, das sich aus den Staatspräsidenten der DR Kongo, Malis, Mauretaniens, Südafrikas und Ugandas zusammensetzte. Der PSC wollte zwischen den libyschen Streitparteien vermitteln und strebte eine friedliche Lösung des Konflikts an.

Die Bemühungen liefen jedoch deutlich ins Leere. Während die Regierungsseite Gesprächsbereitschaft signalisierte und Muammar Gaddafi Zugeständnisse machte, lehnten die Aufständischen, deren Bewegung längst von den Warlords aus Bengasi okkupiert worden war, eine Vermittlung ab. Auch die NATO-Staaten und deren Verbündeten in der arabischen Welt ließen nicht erkennen, daß sie an einer Vermittlung durch die AU interessiert wären. Noch am 19. März traf sich der PSC in der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott und wollte eine Vermittlermission nach Tripolis entsenden, aber das wurde vom UN-Sicherheitsrat nicht gestattet. Die AU-Mission durfte nicht mehr nach Libyen einreisen. Am selben Tag schickte Frankreich seine Kampfjets los und begann mit der Bombardierung.

Im Unterschied zu der einseitig gegen die Gaddafi-Regierung gerichteten Berichterstattung in den meisten westlichen Medien forderte der PSC stets beide Seiten des Konflikts zum Gewaltverzicht auf. Bekanntlich hatten die sogenannten Aufständischen Jagd auf Schwarzafrikaner gemacht, weil sie dachten, es handele sich um von Gaddafi angeheuerte Söldner. Jedoch war es in der Vergangenheit in Libyen schon mal zu Pogromen gegen schwarzafrikanische Einwanderer gekommen, so daß begründete Zweifel bestehen, ob all die getöteten Schwarzafrikaner wirklich mit Söldnern verwechselt wurden oder ob da nicht andere Ressentiments hineinspielten. Im übrigen rechtfertigt nichts, daß Schwarzafrikaner auch gefoltert wurden. Darüber hatte die der Freundschaft mit Gaddafi vollkommen unverdächtige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtet. [2]

Auffällig war auch, daß der südafrikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Baso Sangqu, nicht von einer Rebellion oder einem Aufstand in Libyen sprach, sondern von einem Bürgerkrieg. Eben solch eine eigenständige Sichtweise Südafrikas und auch der Afrikanischen Union dürfte einer der Gründe dafür sein, weswegen dessen Vertreter von der NATO und ihren Verbündeten abgekanzelt wurden. Hätte sich die AU von Anfang an auf die Seite der Aufständischen geschlagen, hätte sie den Kurs in Richtung Regime-change vermutlich auch nur abnicken können.

Wobei an dieser Stelle anzumerken ist, daß die Rolle der afrikanischen Staaten Südafrika, Nigeria und Gabun hinsichtlich des Libyen-Konflikts mindestens ambivalent war. Vertreter aller drei Länder saßen am 17. März 2011 bei der Verabschiedung der Resolution 1973 zur Einrichtung einer Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung - was die entscheidende Voraussetzung für eine militärische Intervention war - im UN-Sicherheitsrat und haben mit Ja gestimmt. Irrtümlich behauptet Radio Netherland Worldwide [3], daß sich Südafrika der Stimme enthalten habe. Enthalten haben sich jedoch nur die fünf Länder Brasilien, China, Deutschland, Indien und Rußland. Hätten die afrikanischen Staaten Südafrika, Nigeria und Gabun nicht für die Resolution gestimmt, wäre sie gescheitert und hätte anders formuliert werden müssen.

Der südafrikanischen Regierung kann jedoch nicht abgesprochen werden, daß sie sich um eine größere Eigenständigkeit der afrikanischen Staaten hinsichtlich von Entscheidungen, die den afrikanischen Kontinent direkt betreffen, bemüht. Seit Jahren fordern die Afrikaner eine Reform des UN-Sicherheitsrats, damit ihnen mindestens ein, wenn nicht sogar zwei feste Sitze zufallen. Auch nach Beginn der NATO-Luftangriffe auf Libyen haben Südafrika und die AU immer wieder versucht, Einfluß auf die Entwicklung in dem nordafrikanischen Land zu nehmen. Sollte es im höchsten Gremium der Welt noch einmal zu einer ähnlichen Konstellation kommen, dürfte die Regierung in Tshwane (bis 2005: Pretoria) ihre Zustimmung zu einer Entscheidung, die absehbar auf einen Krieg hinausläuft, womöglich nicht mehr so leicht erteilen.

Wobei hierzu wiederum einschränkend angemerkt werden muß, daß die AU ihrerseits um einiges "robuster" auftritt - gemeint ist damit eine höhere Bereitschaft zu militärischen Interventionen - als die Vorgängerorganisation OAU (Organisation für Afrikanische Einheit; am 9. Juli 2002 offiziell von der AU abgelöst), hatte sich diese doch einer Nichteinmischungspolitik befleißigt. Das brachte ihr bei interventionistisch orientierten Staaten den Ruf eines zahnlosen Tigers ein. Während sich aber die OAU verpflichtet hatte, die afrikanischen Staaten dabei zu unterstützen, das schwere Erbe der Kolonialzeit zu überwinden, macht sich die AU dafür stark, Afrika in den Weltmarkt zu integrieren, also der globalen Staatenkonkurrenz auszusetzen. Das entspricht allzu häufig der Auslieferung an neokoloniale Ausbeutungsformen, an denen dann die jeweilige nationale Elite zu Lasten der verarmten Bevölkerungsmehrheit partizipiert.

Mit der AU-Mission für Somalia (Amisom) wird sogar zugunsten einer Regierung militärisch interveniert, die von den äthiopischen Streitkräften gewaltsam an die Macht gebracht worden war und sich niemals ohne fremde Hilfe - heute durch knapp zehntausend Soldaten aus Uganda und Burundi und seit kurzem auch Dschibuti - halten könnte.

Zumas Kritik am Sicherheitsrat und der NATO ist berechtigt, eine friedliche Beilegung des Konflikts in Libyen wäre möglich gewesen. Es wurden längst nicht alle Optionen, Gaddafi zur Abgabe der Macht zu bewegen, ausgeschöpft. Doch bei einer solchen Lösung hätten die Bengasi-Milizen und die sich ihnen im Laufe des Konflikts angeschlossenen ehemaligen Mitglieder des Gaddafi-Machtapparats einen Teil der Macht abtreten müssen. So stellt sich heute die Frage: Wird in Libyen eine Opposition zugelassen? Wenn ja, unter welchen Bedingungen? Im September 2011 hat die AU den libyschen Übergangsrat anerkannt und verlangt, daß er einen Friedensplan zur Versöhnung annimmt. Davon ist das Land noch weit entfernt.



Anmerkungen:

[1] "Statement by President Jacob Zuma on the occasion of the UN Security Council Summit Debate", The Presidency, 12. Januar 2012
http://www.thepresidency.gov.za/pebble.asp?relid=5564

[2] "Libya: Cease Arbitrary Arrests, Abuse of Detainees. Thousands Arrested Without Review in Tripoli", Human Rights Watch, 30. September 2011
http://www.hrw.org/news/2011/09/30/libya-cease-arbitrary-arrests-abuse-detainees

[3] "Africa: S. Africa Slams Security Council Over Libya Airstrikes", Radio Netherlands Worldwide, 12. Januar 2012
http://allafrica.com/stories/201201130161.html

13. Januar 2012