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AFRIKA/2114: Tuberkulose-Bekämpfung im Schatten der Ebola-Krise (SB)


WHO-Kritik an ungenügender Finanzierung der Tuberkulose-Bekämpfung greift zu kurz



Die tägliche Berichterstattung über die sich ausweitende Ebola-Epidemie in Westafrika mit laufend aktualisierten Zahlen über Erkrankungs- und Sterbefälle bringt in Erinnerung, daß es noch mehr Seuchen gibt, die ungleich höhere Infektionsraten haben. An der Gefährlichkeit von Ebola besteht kein Zweifel, und die Sorge, daß aus der Epidemie eine Endemie wird, die nicht mehr vollständig aus den betroffenen Gesellschaften verbannt werden kann, ist nachvollziehbar. Der Eindämmung dieser Infektion, die zu den hämorrhagischen Fieberkrankheiten gerechnet wird, gehört allergrößte Aufmerksamkeit.

Das gilt allerdings auch für andere Seuchen. So erkrankten nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2012 weltweit rund 207 Millionen Menschen an Malaria, von diesen starben 627.000 an den Folgen der Infektion. Und im vergangenen Jahr entwickelten neun Millionen Menschen Tuberkulose (TB), von diesen starben 1,5 Millionen, wobei hiervon 360.000 HIV-positiv waren. [1] Gemessen an diesen dauerhaft hohen Opferzahlen ist Ebola, so katastrophal die Lage in den Ländern Liberia, Guinea und Sierra Leone auch ist, zur Zeit noch ein Leichtgewicht.

Das Interesse der westlichen Öffentlichkeit an Malaria und TB kann man im allgemeinen als gering bis nicht vorhanden bezeichnen. Am ehesten noch wird beispielsweise über Tuberkulose berichtet, wenn sich damit Reisende in Osteuropa angesteckt haben oder umgekehrt Personen aus dem osteuropäischen oder zentralasiatischen Raum die Krankheit hierherbringen. Aber über typische Krankheiten, von denen afrikanische Länder heimgesucht werden, wird bestenfalls in den Randspalten der Tageszeitungen berichtet.

Zwar bestehen verschiedene sogenannte Hilfsprogramme seitens privater, halbstaatlicher oder staatlicher Gesundheitseinrichtungen, um Tuberkulose zu bekämpfen, aber wie schier überwältigend allein nur diese eine Krankheit ist, wird daran deutlich, daß bereits etwas als Erfolg ausgewiesen wird, was noch immer die massenhafte Vernichtung von Menschen einschließt. Jener vermeintliche Erfolg besteht darin, daß das vor rund eineinhalb Jahrzehnten von der internationalen Gemeinschaft beschlossene Millenniumsentwicklungsziel (Millennium Development Goal, MDG), demzufolge bis zum Jahr 2015 die bislang anwachsende TB-Infektionsrate umgekehrt und die Zahl der TB-Opfer halbiert werden soll, eingehalten werden könnte.

Der "Erfolg" besteht somit darin, daß weiterhin zig Millionen Menschen an TB erkranken und Hunderttausende von ihnen daran sterben werden - pro Jahr. Bei den MDG geht es nicht darum, Tuberkulose auszumerzen und keinerlei Opfer hinzunehmen, sondern um eine realistische Zielsetzung oder, wenn man es weniger diplomatisch ausdrückt, um die Akzeptanz einer Verstetigung der Krankheit. Dem widerspricht nicht, daß die TB-Bekämpfung Erfolge vorweisen kann. Laut dem aktuell erschienenen "Global Tuberculosis Report 2014" der WHO konnte die Sterberate seit 1990 auf 45 Prozent gesenkt werden, und jedes Jahr verringert sich die Krankheitsrate um 1,5 Prozent.

Aber in dem Bericht wird ebenfalls klargestellt, daß sehr viel mehr getan werden könnte. Die Opferzahl sei "erschreckend" hoch, eine "ungenügende Finanzierung" behindere die Anstrengungen "im Kampf gegen die globale Epidemie".

In Zahlen bedeutet das, daß pro Jahr schätzungsweise acht Milliarden Dollar benötigt werden, aber an der Summe jährlich zwei Milliarden Dollar fehlen. Außerdem hat sich inzwischen eine multiresistente Form von TB (multidrug-resistant TB, MDR-TB) breitgemacht, die gegen eine Reihe von Medikamenten immun ist. Nach WHO-Angaben haben 3,5 Prozent aller TB-Erkrankten die MDR-TB-Variante, und im vergangenen Jahr infizierten sich 480.000 Personen neu daran. Und die extrem arzneimittelresistente TB-Form (extensively drug-resistant TB, XDR-TB), auf die sogar die MDR-TB-Medikamente nicht ansprechen, ist bereits in rund 100 Ländern aufgetreten.

TB ist die häufigste Todesursache von Aids-Erkrankten, 80 Prozent der Todesfälle ereignen sich auf afrikanischem Boden. Statistisch leben 95 Prozent der neun Millionen Erkrankten in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen. Generell sind demnach arme Länder deutlich stärker betroffen, wohingegen Länder wie Brasilien und China, die in den letzten zwei Jahrzehnten einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt haben, einen starken Rückgang an Tuberkulose verzeichnen.

Jeder dritte Mensch trägt den TB-Erreger in sich, aber nur bei den wenigsten bricht die Infektion aus. Besonders gefährdet sind Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, beispielsweise weil sie Aids haben oder unterernährt sind. Damit ist Tuberkulose, was die Ansteckungsgefahr und die Möglichkeiten betrifft, medizinisch erfolgreich gegen sie vorgehen zu können, eine Armutskrankheit. Ihre Ausbreitung ist nicht zuletzt eine Frage der sozioökonomischen Verhältnisse, in denen die Betroffenen leben.

Die Behauptung der WHO, mit acht Milliarden Dollar jährlich, wenn sie denn nur gezahlt würden, erfolgreich TB bekämpfen zu können, sollte mit Vorsicht aufgenommen werden. Dabei dürfte es sich eher um eine medizinisch-administrative Zahlenangabe handeln, die beispielsweise mit dem Medikamentenbedarf zu tun hat, aber noch lange nicht die Möglichkeit einschließt, auf der Ebene der Prävention wirksam einzugreifen und beispielsweise dafür zu sorgen, daß alle Menschen gut ernährt sind, ausreichend Zugang zu sauberem Wasser haben und über angemessene hygienische Verhältnisse verfügen.


Fußnote:

[1] http://who.int/mediacentre/news/notes/2014/global-tuberculosis-report/en/

23. Oktober 2014