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AFRIKA/2150: Schwere Menschenrechtsvorwürfe gegen Ruanda (SB)


Außergerichtliche Exekutionen mutmaßlicher Kleinkrimineller durch ruandische Soldaten


Ruandische Soldaten exekutieren mutmaßliche Kleinkriminelle, ohne daß diese die Gelegenheit erhalten, sich vor Gericht zu verteidigen. Zwischen Juli 2016 und März 2017 seien mindestens 37 Menschen auf diese Weise hingerichtet worden, vier weitere Personen seien spurlos verschwunden, berichtete die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) diese Woche. Ruandas Justizminister Johnston Busingye wies den Bericht als "eindeutig falsch" zurück und behauptete, die Organisation sei getäuscht worden.

Die Menschenrechtler hatten in Westruanda eigene Ermittlungen durchgeführt. Dabei war ihnen wiederholt berichtet worden, daß die außergerichtlichen Hinrichtungen oftmals bei Veranstaltungen vor den Augen der Öffentlichkeit durchgeführt werden und daß die Soldaten den Zivilisten nach der Tat sagen, sie befolgten "neue Anweisungen", wonach alle Diebe und andere Kriminelle verhaftet und exekutiert werden sollen.

Die Vorgänge erinnern an die Philippinen, wo seit dem Amtsantritt Präsident Rodrigo Dutertes vor gut einem Jahr Tausende mutmaßliche Drogenhändler liquidiert wurden. In Ruanda haben die Behörden im vergangenen Jahr damit angefangen, bei öffentlichen Versammlungen anzukündigen, daß Personen, die etwas gestohlen haben, getötet werden. Human Rights Watch berichtet von einem Fall, bei dem ein mutmaßlicher Viehdieb namens Fulgence Rukundo von zu Hause abgeholt und zu einer öffentlichen Versammlung gebracht worden war. Dort hat ihn der Bürgermeister des Viehdiebstahls bezichtigt. Ohne daß sich der Angeklagte verteidigen konnte, wurde er mit dem abgeschnittenen Kopf einer toten Kuh auf dem Kopf und Teilen des Tieres um die Schultern gelegt von Soldaten in eine Bananenplantage geführt und vor den Augen von Hunderten von Dorfbewohnern erschossen.

Andere exekutierte Personen wurden des Diebstahls von Bananen, Zuckerrohr oder auch mal eines Motorrads bezichtigt. Außerdem haben ruandische Soldaten mindestens elf Fischer umgebracht, denen vorgeworfen wurde, sie hätten im Kivusee illegale Netze benutzt. In zwei weiteren Fällen waren Männer von Zivilisten getötet worden, nachdem letztere von den örtlichen Behörden zu der Tat aufgefordert worden waren. Einer Witwe, die von den Soldaten zum Leichnam ihres toten Mannes in den Wald gebracht wurde, war beschieden worden, sie dürfe nicht traurig sein und nicht weinen. Andernfalls würde sie riskieren, erschossen zu werden.

Amnesty International, eine weitere Menschenrechtsorganisation, berichtet von einem "Klima der Angst" in Ruanda, das durch jahrelange Repressionen gegen oppositionelle Politiker, Journalisten und Menschenrechtler erzeugt werde. "Diese wurden verhaftet, physisch angegriffen - sogar getötet - und gezwungen, ins Exil zu gehen oder zu schweigen. Frühere Menschenrechtsverletzungen und ungeklärte Fälle von Mord und Verschwinden üben weiterhin eine abschreckende Wirkung auf den gegenwärtigen und politischen Menschenrechtskontext aus", schreibt die Organisation auf ihrer Internetseite.

Am 4. August stellt sich der langjährige Präsident Paul Kagame erneut dem Wahlvolk. Eigentlich läßt die Verfassung eine dritte Amtszeit nicht zu, doch wurde sie im Dezember 2015 in einem Volksentscheid, man könnte sagen, den "Anforderungen" Kagames angepaßt. 98 Prozent der Stimmberechtigten waren für die Verfassungsänderung, schenkt man offiziellen Stellen Glauben.

Der in Ruanda geborene, frühere militärische Geheimdienstchef der ugandischen Armee und Anführer der in Uganda aufgestellten "Rebellen-"Armee RPF, die 1993 ins Nachbarland Ruanda eingedrungen war, wird seinen Posten vermutlich zeit seines Lebens nicht freiwillig aufgeben. Denn als Staatspräsident genießt Kagame einen gewissen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung, auch wenn das Weltstrafrecht nicht prinzipiell vor amtierenden Staatschefs Halt macht, wie das Beispiel des sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir zeigt, der vom Internationalen Strafgerichtshof angeklagt ist. Sollte Kagame erneut zum Präsidenten gewählt werden, könnte er aufgrund der Verfassungsänderung weitere drei Amtszeiten kandidieren und somit bis zum Jahr 2034, seinem 77. Lebensjahr, Präsident von Ruanda bleiben.

Kagames RPF besitzt die absolute Mehrheit im Parlament, übt aber formal keine Alleinherrschaft aus. Die einzigen oppositionellen Parteien, die Sozialdemokratische Partei und die Liberale Partei, sind jedoch mit der RPF verbündet. Ansonsten zeigt sich in Ruanda die gleiche mörderische Vorwahlsituation wie vor den letzten Wahlen, als der stellvertretende Vorsitzende der Partei der Grünen, André Kagwa Rwisereka, tot in einem Sumpf aufgefunden wurde. Sein Kopf war fast vollständig abgetrennt. Um nur ein Beispiel für einen mutmaßlich politisch motivierten Mord im Vorfeld der letzten Präsidentschaftswahl zu nennen.

Im Mai dieses Jahres wurde Jean Damascene Habarugira, Mitglied der nicht zu den Präsidentschaftswahlen zugelassenen Partei Vereinigte Demokratische Kräfte (FDU), tot aufgefunden. Seine Augen waren ausgestochen und der Kopf beinahe abgeschnitten. Die Parteivorsitzende der FDU, Victoire Ingabire, die rund 16 Jahre in den Niederlanden gelebt hat und im Januar nach Ruanda zurückgekehrt war, um gegen Kagame anzutreten, war nach wenigen Wochen im Land verhaftet worden. Mit der in internationalen Rechtskreisen als "politisch motiviert" (z. B. Freedom House) bezeichneten Begründung, sie habe ethnische Spannungen erzeugt, wie sie auch 1994 zum sogenannten Völkermord an etwa 800.000 Tutsi und moderaten Hutu durch radikale Hutu geführt haben, wurde sie zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.

Umstritten ist diese Begründung nicht zuletzt deshalb, weil sie nahezu beliebig gegen oppositionelle Kräfte angewendet werden kann, sobald diese behaupten, daß die Regierung genau dies tue, nämlich ethnisch zu spalten. Ende Februar dieses Jahres hat sich Ruandas Regierung vom Afrikanischen Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte (African Court on Human and People's Rights; ACHPR) zurückgezogen, so daß dort Individuen und Nichtregierungsorganisationen keine Klagen mehr gegen den Staat Ruanda vorbringen können. Sicherlich nicht zufällig erfolgte dieser Schritt, unmittelbar bevor der in Tansania ansässige Gerichtshof Ingabires Einspruch gegen ihre Verurteilung angehört hätte. Im September 2016 erklärte der ACHPR jedoch, daß laufende Verfahren von Ruandas Rückzieher nicht betroffen sind.

Der Freedom House Index zählt Ruanda zu den "unfreien" 25 Prozent von 195 Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland unterhält weiterhin enge Beziehungen zu dem Land; das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützt die repressive Regierung mit Millionenbeträgen.

28. Juli 2017


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