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AFRIKA/2215: USA und Europa befeuern Kriege in Afrika ... (SB)



Die Menschen in der Sahelzone müssen sich nicht nur vor den Dschihadisten fürchten, die sich dort in mehreren Ländern breitgemacht haben, um ein religiös konnotiertes Regime aufzubauen, sondern auch vor den regulären Armeen. Es häufen sich die Berichte über von ihnen verübte Hinrichtungen, Massentötungen, Folterungen und das Verschwindenlassen von Menschen. Hinzu kommt, daß Frankreich, Deutschland und zahlreiche weitere europäische Länder sowie die USA immer mehr Soldaten entsenden und Kriegsgerät an die nationalen Streitkräfte liefern. Entgegen der Propaganda auch seitens der Bundesregierung werden die Kampfhandlungen dadurch nicht eingedämmt, sondern verstärkt.

Zur Beantwortung der Frage, wann der Konflikt in Afrika, respektive in der Sahelzone angefangen hat, muß man sicherlich bis zum europäischen Kolonialismus zurückgehen. Auch wenn die Zeit davor nicht konfliktfrei gewesen war, hat doch das von den europäischen Unternehmen und Staaten eingebrachte industrielle Verwertungsinteresse mit Sklavenhandel, Kautschukgewinnung, Erzabbau und Zugriff auf landwirtschaftliche Flächen sowie den willkürlichen Grenzziehungen die sozialen Unterschiede innerhalb der afrikanischen Regionen und damit das Konfliktpotential enorm verstärkt. Ähnlich verhält es sich auch mit dem neuzeitlichen Bekriegen bewaffneter Gruppen und Organisationen in der Sahelzone unter dem Label "Terrorismusbekämpfung" seit ungefähr Mitte der Nuller Jahre.

Es läßt sich nicht genau bestimmen, was zuerst da war, der sogenannte Terrorismus oder dessen Bekämpfung. Als die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 den Globalen Krieg gegen den Terror ausgerufen und im Verlaufe dessen ihre militärische Präsenz in der Sahelzone ausgebaut haben, um, wie es hieß, illegale Kombattanten zu bekämpfen, hatte es bis dahin in Westafrika das Phänomen der Sprengstoffanschläge durch islamistische Gruppen noch gar nicht gegeben. Heute hingegen kann man die Sahelzone als Kriegsgebiet bezeichnen, auch wenn dort keine klassischen Fronten zwischen zwei oder mehr Kriegsparteien existieren.

In diesem Krieg wurden schon Tausende Soldaten und Zivilisten getötet, berichtet AFP in einem Übersichtsartikel. [1] Zu der Zahl der getöteten Dschihadisten liegen keine Angaben vor. Die Bevölkerungen von Mali, Niger und Nordnigeria, in Teilen auch in Burkina Faso, Tschad und weiteren Ländern sind zwischen die Mühlsteine geraten. Von beiden Seiten werden gezielte Tötungen vorgenommen. Deshalb würde es der Sache nicht gerecht, von Kollateralschäden zu sprechen. Allein die malische Armee hat zwischen Januar und März dieses Jahres 101 außergerichtliche Hinrichtungen durchgeführt, wird seitens der UN-Friedensmission in Mali, MINUSMA, gemeldet. Im selben Zeitraum haben nigrische Soldaten auf malischem Boden weitere knapp 30 Menschen extralegal exekutiert.

Ähnliche Verdachtsfälle würden auch aus Burkina Faso geschildert, schreibt AFP. Dort seien im Mai dieses Jahres in Polizeigewahrsam zwölf Personen, denen dschihadistische Aktivitäten zu Last gelegt worden waren, ums Leben gekommen. Angehörige und Nichtregierungsorganisationen erklärten, daß es sich bei den Getöteten um einfache Zivilisten gehandelt hat und daß diese gemeinsam exekutiert worden sind. Inzwischen haben burkinabische Behörden zugesagt, Ermittlungen zur Aufklärung der Todesumstände aufzunehmen.

Laut der International Crisis Group werden aus der westnigrischen Region Tillaberi 102 Zivilisten vermißt. Mutmaßlich wurden sie von Soldaten verschleppt. Der Verteidigungsminister Nigers hat eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt. Sicherlich würde es die Moral der Truppen schwächen, würden die angekündigten Untersuchungen mit der gleichen Konsequenz betrieben wie bei zivilrechtlichen Verfahren. Anders gesagt: Es wäre nicht verwunderlich, verliefen die Ermittlungen im Sande.

Laut AFP zählen vor allem Menschen von der Volksgruppe der Fulani zu den Opfern staatlicher Gewalt. Die Fulani betreiben vorzugsweise Viehwirtschaft und obschon einige von ihnen sich den Dschihadisten angeschlossen haben, wäre es eine schwere Fehleinschätzung, sie pauschal zu bezichtigen. Denn das schürt lediglich den Haß und spielt ausgerechnet jenen in die Hände, deren Einfluß man von staatlicher Seite zurückzudrängen versucht.

Die wirksamste Bekämpfung des Dschihadismus bestünde vermutlich darin, dafür zu sorgen, daß die Lebensverhältnisse der Bevölkerung im allgemeinen angehoben und die Einkommensunterschiede reduziert werden. Nur solange die bewaffneten Kämpfer Rückhalt zumindest in Teilen der Bevölkerung genießen, haben sie es leicht, unentdeckt zu bleiben. Ohne einen solchen Rückhalt wäre es kaum möglich, sich dauerhaft vor den Regierungssoldaten zu verstecken. Wobei dazu ergänzt werden muß, daß die Dichte des Straßennetzes und die Entfernungen in der Sahelzone nicht mit europäischen Verhältnissen vergleichbar sind. Das Kerngebiet der Kämpfe erstreckt sich über mehrere tausend Kilometer von Mali im Westen bis Tschad im Osten. Mauretanien, Senegal, Ghana, Elfenbeinküste, Zentralafrikanische Republik und andere Länder der Großregion sind mit unterschiedlicher Intensität ebenfalls in den Konflikt involviert.

Eben weil kaum klare Fronten existieren, kann der Gegner nicht gestellt werden, und daß es überhaupt ein "Gegner" ist, entspringt bereits dem westlichen, regierungsnahen Sprachgebrauch. Der muß sich keineswegs mit dem der Menschen vor Ort decken, die von ihren Regierungen vernachlässigt wurden und nicht von den Soldaten geschützt werden. Die Dschihadisten haben auch deshalb einen gewissen Zulauf, weil sie eben nicht nur Menschen töten, Mädchen entführen und ganze Dörfer brandschatzen, sondern weil sie regional auch schon mal Versorgungsstrukturen aufbauen, die denen des Staates überlegen sind. Diese Art der sozialen Absicherung auf der einen Seite und die Repressionen seitens der Regierungssoldaten auf der anderen Seite sorgen dafür, daß die islamistisch orientierten Kampfgruppen ihren Einfluß ausdehnen konnten.

Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich wird von vielen als die neue Kolonialmacht Frankreich angesehen. Diese hat inzwischen alles in allem 5.100 Soldaten im Rahmen der Operation Barkhane entsandt und wurde bzw. wird teilweise noch von anderen Ländern wie dem Vereinigten Königreich, Dänemark, Kanada, Estland sowie den G5-Staaten Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad unterstützt. Letztgenannte haben auch eine eigene, 5.000 Mann starke G5-Sahel-Force eingerichtet, die sogenannten Terrorismus, Menschenschmuggel und Drogenhandel bekämpfen soll.

Takuba nennt sich eine weitere von zahlreichen europäischen Ländern abgesegnete Kampftruppe, die an der Seite der malischen Armee und eingebunden in die Befehlsstruktur der Operation Barkhane, bewaffnete Gruppen in der Region Liptako im Grenzgebiet von Burkina Faso, Niger und Mali bekämpfen soll.

An der Europäischen Ausbildungsmission in Mali (EUTM) sind neben Deutschland mehr als zwei Dutzend europäische Staaten beteiligt. Sie sollen die malischen Streitkräfte nicht nur trainieren, sondern auch waffentechnisch aufrüsten. MINUSMA wiederum ist eine "Friedensmission" unter UN-Schirmherrschaft, die rund 13.000 Blauhelmsoldaten umfaßt, darunter 1100 aus Deutschland.

Es sind deutlich voneinander zu unterscheidende Vorgehensweisen, ob die Soldaten Islamisten und Schlepper bekämpfen oder ob sie die Zivilbevölkerung beschützen. Das gilt auch für die westlichen Interventionstruppen. Sie sind in erster Linie nicht zum Schutz der örtlichen Bevölkerung da, sondern zum Schutz der eigenen hegemonialen Interessen. Deshalb ist es alles andere als selbstverständlich, daß sie von den Einheimischen als jene "Befreier" angesehen werden, als die sie sich selbst gerne präsentieren. Das gilt auch für die Truppen unter UN-Mandat in Afrika.

Ohne eine Entflechtung der verschiedenen Interessenslinien und den Rückzug ausländischer Interventionstruppen sowie die Streichung militärisch-finanzieller Hilfe sämtlicher beteiligter Parteien dürften die Chancen zur Beilegung der Konflikte in der Sahelzone äußerst gering sein. Selbstverständlich ginge der Schuß nach hinten los, würde ein Machtvakuum geschaffen, daß dann durch andere Interessen, zum Beispiel seitens der Türkei, Rußlands oder einem der Golfstaaten, gefüllt wird. Doch der gemeinsame Ausgangspunkt des Dschihadismus und der Migrationsströme bildet die soziale Ungleichheit sowohl innerhalb der afrikanischen Länder als auch zwischen Afrika und Europa. Bekämpft werden die Folgeerscheinungen und nicht die Voraussetzungen der Konflikte.

Solange Afrika mal von oben herab (kolonialzeitlich), mal auf Augenhöhe (neokolonial) als Ressourcenkontinent und unteres Ende der Wertschöpfungskette wahrgenommen wird und Menschen mit Gewalt daran gehindert werden, das riesige Wohlstandsgefälle räumlich zu überwinden und nach Europa zu migrieren, ist kein Ende der Kämpfe absehbar.


Fußnote:

[1] https://www.africadaily.net/reports/Sahel_armies_accused_of_disappearances_and_killings_raising_alarm_999.html

9. Juni 2020


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